Das Leben von Frauen in der nachexilischen Zeit
Tamara Cohn Eskenazi
Hebrew Union College – Jewish Institute of Religions, Los Angeles, CA (USA)
Einer der bedeutendsten Schriftsteller, der über das Leben im 4. Jh. v. Chr. schreibt, schildert den Haushalt in erster Linie als produktive wirtschaftliche Einheit, in der der Frau die Verantwortung dafür zukommt, Rohmaterial zu Nahrungsmitteln, Textilien und anderen Gütern zu verarbeiten. Der Wohlstand des Haushaltes hängt von der gelingenden Haushaltsführung der Ehefrau ab.
Ich glaube aber, daß eine Frau, die eine gute Partnerin bei der Leitung des Haushalts ist, dem Mann gleichwertig ist im Streben nach dem Guten. Die Besitztümer kommen zwar meist durch die Tätigkeiten des Mannes in das Haus, ausgegeben werden sie aber größtenteils nach der haushälterischen Einteilung der Frau, und wenn diese gut ist, vergrößern sich die Häuser, wenn sie aber schlecht vorgenommen wird, nehmen die Häuser ab. (Gespräch über die Haushaltsführung, III.14–15)1
Diese Worte stammen nicht von einem oder einer feministischen Gelehrten des 21. Jh.s (wobei sie das durchaus könnten), sondern von Xenophon, der im 4. Jh. v. Chr. schrieb. Sein Werk Οἰκονομικός beschreibt in detaillierter Weise die Haushaltsführung als das Rückgrat der griechischen Gesellschaft. Die Hälfte des Buches widmet Xenophon der Ehefrau und ihren Aufgaben. Solche umfangreichen Informationen über den Haushalt und dessen Verwaltung einschließlich der Arbeitsteilung ist einzigartig. Einzigartig ist auch, dass der Autor einen Dialog zwischen Ehemann und Ehefrau entwirft, in dem die namenlose Ehefrau die Möglichkeit hat, über sich selbst und ihre Wünsche zu sprechen.
Xenophons Bericht zufolge hatte die Ehefrau in einem wohlhabenden landwirtschaftlichen Haushalt die volle Verantwortung über die Verwaltung und Autorität über alles, was im Haus geschah. Ihre Arbeit und die ihres Ehemannes wurden als voneinander abhängig verstanden. Ihr ökonomischer, emotionaler und körperlicher Beitrag wurde als gleichwertig mit dem ihres Ehemannes anerkannt, und beiden Partnern wurden potentiell dieselben geistigen und moralischen Tugenden zuerkannt. Das Gelingen des Haushaltes hing vom gemeinsamen Einsatz beider Ehepartner ab. Wenn die Fähigkeiten und die Bildung der Ehefrau die des Ehemannes überstiegen, übertrug er ihr bereitwillig die größere Autorität und Verantwortung.2 Allerdings macht Xenophon auch deutlich, dass die Ehefrau, die er beschreibt, diese erforderlichen Eigenschaften nicht bereits besaß, als sie mit fünfzehn Jahren heiratete, sondern von ihrem Ehemann darin unterrichtet wurde. Ihre einzigen Qualifikationen, die sie bereits bei ihrer Hochzeit besaß, waren Weben und die Fähigkeit, ihren Appetit zu zügeln.
Obwohl Xenophon einen Athener Haushalt am Stadtrand Athens beschreibt, gibt es einige Faktoren, die das Buch für die Frage nach Frauen im nachexilischen, perserzeitlichen Juda relevant werden lassen. Zum Ersten beschreibt Xenophon aus erster Hand, wie jemand in der zu untersuchenden Perserzeit über Frauenleben reflektiert. Zum Zweiten ähnelt die landwirtschaftliche Welt, die er darstellt, Juda in Bezug auf Geografie und Klima, werden z. T. dieselben Nutzpflanzen angebaut (Weinstöcke, Olivenbäume, Dattelpalmen). Zum Dritten stimmt seine Beschreibung mit dem überein, was moderne ForscherInnen auf der Grundlage anderer Quellen für Frauen in der Antike annehmen. Zum Beispiel entsprechen die Aufgaben, die Xenophon Frauen zuschreibt, in vielem dem, was Carol Meyers in ihrem Artikel „Archäologie als Fenster zum Leben von Frauen in Alt-Israel“ aufzeigt.3 Übereinstimmungen gibt es auch mit Hennie Marsmans Studie über Israel und die umliegenden Kulturen.4 Zum Vierten korrespondiert die Beschreibung Xenophons größtenteils mit jener der „Frau von Stärke“5 in Spr 31,10–31, der ausführlichsten biblischen Beschreibung einer idealen Ehefrau, ihrer Pflichten, Fähigkeiten und ihres Wertes.
Die vielen Parallelen zwischen Xenophon und dem Sprüchebuch (Proverbien) lassen erahnen, wie viele Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung von Frauen in der zeitgenössischen antiken Welt bestanden. Sie weisen darauf hin, dass die Untersuchung zeitgenössischer Quellen helfen kann, Licht auf das Leben von Frauen in der nachexilischen Zeit zu werfen und ihre Darstellung in der Bibel angemessen zu interpretieren. Solange sie kritisch und mit Sorgfalt rezipiert werden, ermöglichen es die zahlreichen und verschiedenartigen Quellen aus dem klassischen Griechenland und anderen Nachbarkulturen, wissenschaftliche Hypothesen über mögliche Ähnlichkeiten und Entwicklungen aufzustellen und so die Lücken in den biblischen Quellen zu schließen.
Aus diesem Grund werde ich zunächst (1) kurz die nachexilische Zeit beschreiben, dann (2) repräsentative außerbiblische Quellen (aus Griechenland, Ägypten und Mesopotamien) durchgehen, um die größeren kulturellen Entwicklungslinien der nachexilischen, persischen Zeit zu entwerfen. Schließlich (3) werde ich den Beitrag der biblischen Quellen in diese Kontexte einordnen, um das Leben von Frauen in der nachexilischen Zeit verständlich zu machen.
1. Die nachexilische, persische Zeit (6. bis 4. Jh. v. Chr.)
Üblicherweise wird der Beginn der nachexilischen Zeit auf 539/538 v. Chr. datiert. Damit fällt er mit der aufkommenden Perserherrschaft zusammen, die den Alten Orient bis 333 v. Chr. dominierte. Biblischen und archäologischen Befunden zufolge wurde Juda 587/6 v. Chr. von den Babyloniern verwüstet. Jerusalem und sein Tempel wurden zerstört und wichtige Teile der Bevölkerung deportiert (597 sowie 587 v. Chr. und danach). Neuere archäologische Studien legen nahe, dass die Bevölkerung in Juda auf zwanzig, höchstens dreißig Prozent ihrer vorherigen Größe reduziert wurde.
Esra-Nehemia ist die einzige biblische Erzählung, die ausdrücklich das nachexilische Juda abbildet. Esra-Nehemia zufolge wurde Juda in der Perserzeit in die Heimat zurückgeführt. Die RückkehrerInnen kamen in drei größeren Wellen. Die erste setzte den Kult wieder ein und baute den Tempel wieder auf (Esr 1–6). Die zweite, angeführt von Esra, dem Priester und Schreiber, reformierte die Gemeinschaft durch das Verbot der Heirat mit „fremden“ Frauen (Esr 7–10). Die dritte, von Nehemia, dem Statthalter, angeführt, baute Jerusalems Stadtmauer wieder auf (Neh 1–7). Als in der Mitte des 5. Jh.s v. Chr. der Wiederaufbau abgeschlossen war, erneuerte die Gemeinschaft ihr Bekenntnis, indem sie gelobte, die Lehren der Tora zu befolgen und ihre Loyalität zum Ausdruck zu bringen (Neh 8–13).
Die Liste der Volkszählung in Esra-Nehemia erfasst, dass über 42000 Menschen aus dem Exil nach Juda zurückkehrten (Esr 2; Neh 7). Werden die Zahlen der genannten Männergruppen addiert, ergibt sich eine Zahl von etwa 30000 „Männern“, was bedeutet, dass die Liste etwa 12000 Frauen (oder Frauen und Kinder) einschließt. Dieses Verhältnis von Frauen und Männern ist glaubwürdig, wenn man es im Zusammenhang mit anderen freiwilligen Auswanderungen betrachtet, bei denen Männer, besonders junge und unverheiratete, häufiger die mühevolle Umsiedelung auf sich nehmen.
Die Zuverlässigkeit der Liste(n) ist allerdings umstritten. Die Gesamtsumme der aus dem Exil Zurückkehrenden steht im Widerspruch zu archäologischen Daten. Ausgrabungen bieten keinen Anhaltspunkt für einen plötzlichen Einwanderungsstrom dieser Größe. Außerdem deuten die Ausgrabungen darauf hin, dass Juda während der gesamten persischen Zeit arm und spärlich besiedelt blieb. Einige ForscherInnen sind deshalb der Meinung, dass die Liste eine Zusammenstellung verschiedener Rückkehrwellen über die gesamte Periode hinweg ist und/oder eine erweiterte Liste der gesammelten Verzeichnisse der ganzen jüdischen Gesellschaft in Juda über Jahrzehnte. Trotzdem ist das Gesamtbild der verschiedenen Rückkehrbewegungen sowie einiger bedeutender Wiederaufbauten im 5. Jh. v. Chr. glaubwürdig, wenn auch die Zahlen stark überhöht sind. Juda/Jehud erholte und entfaltete sich zu Beginn der hellenistischen Zeit. Auch vor dem Hintergrund anderer Entwicklungen in der Region, wie dem zunehmenden Handel an der Küste und dem Ende des persischen Krieges mit Griechenland (datiert auf den Frieden von Kallias, 449 v. Chr.), ist es wahrscheinlich, dass das 5. Jh. eine Zeit der Einwanderung war.
Esra-Nehemia zufolge halfen sowohl babylonische Jüdinnen und Juden als auch das Großreich, den Wiederaufbau zu finanzieren. Dennoch blieb Juda zweifellos arm. ArchäologInnen kommen zu dem Schluss, dass von den 108 neu errichteten Siedlungen 49 klein waren, weniger als 5 Dunam (1,25 Morgen) groß.6 Bezeichnenderweise wurden 372 Siedlungen in der persischen Zeit nicht wiederbesiedelt, 27 überhaupt nicht mehr.7
Dennoch deuten manche Texte auf einigen Wohlstand Weniger hin. Die Ausstattung des Tempels und der Priester weist darauf hin, dass die Gruppe der Kultbediensteten gut abgesichert wurde. Esra und Nehemia erfassen unter den zurückkehrenden Exilierten 7337 SklavInnen und 200 SängerInnen (Esr 2,65; Neh 7,67). Auch wenn die Anzahl der SklavInnen verhältnismäßig gering ist, zeugt sie, wie auch die SängerInnen (in Koh 2,8 erwähnt der Sprecher, der angibt, extrem wohlhabend zu sein, auch die Anwesenheit von Sängerinnen, die er zum Vergnügen engagiert), von einer Gruppe mit einigem Einkommen. Nehemia, der jüdische Statthalter, behauptet, dass er für die 150 Leute, die er regelmäßig an seinem Tisch bewirtet, aus eigenen Mitteln (nicht denen der Gemeinschaft) bezahlt (Neh 5,17). Der vielleicht stärkste Beleg ist Neh 5, wo arme...