II. Perspektiven auf Diakoninnen und Diakone in Kirche und Diakonie
Claudia Schulz
Konstruktion des Diakonats zwischen Tätigkeit, Qualifikation und Amt
Wahrnehmungen aus Berufsgruppen im Diakonat
1. Zugänge zur erlebten Wirklichkeit des Diakonats
Was der Diakonat bedeutet – als kirchliches Amt, als Form der Tätigkeit und als Ergebnis von Ausbildungsprozessen – wird in der Theorie beschrieben und von Seiten der Evangelischen Kirche immer wieder neu diskutiert. Ebenso im Projekt „Diakonat – neu gedacht, neu gelebt“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg,1 das Ausgangspunkt der hier dargestellten Evaluationsforschung war. Darin spielen historische und theologische Aspekte eine Rolle,2 ebenso kirchenpolitisch-strukturelle Verhältnisse3 sowie konzeptionelle Fragen in Bezug auf die Zukunft des Diakonats.4 An dieser Stelle geht es nun um die andere Seite der Wirklichkeit, um die Konstruktion des Diakonats aus Sicht derer, die Trägerinnen und Träger dieses Amtes sind und in ihrer Arbeit auf die eine oder andere Weise auf diesen Bedeutungskomplex Diakonat jeweils in ihrer eigenen Logik Bezug nehmen. Die Analyse solcher Konstruktionen bedeutet gleichzeitig zunächst eine parteiliche Perspektive.5 Es geht mir darum, die Logik der Diakoninnen und Diakone wahrzunehmen und gewissermaßen „von innen heraus“ das Gebäude Diakonat auszuleuchten: wie es aus dieser Perspektive insgesamt beschaffen ist, welche Ebenen, Zimmer und Flure sich hier finden, wo zentrale und wo eher abgelegene Bereiche auszumachen sind oder wo im Gang durch dieses Gebäude Klarheit und wo Verwirrung herrscht. Und nicht zuletzt soll es, wenn auch nur in Ansätzen, darum gehen, wie es sich denn in diesem Gebäude lebt. Hier ist tatsächlich eine zweite Ebene der Diskussion eingezogen, weil die hier dargestellten Konstruktionen des Diakonats natürlich nicht den Anspruch haben, eine – wie auch immer geartete – Wirklichkeit umfassend darzustellen. Im Mittelpunkt steht die durch die beteiligten Subjekte konstruierte Welt. Dahinter steht die Annahme, dass es sich lohnt, von beiden Seiten zu schauen, aus der Theorie und der empirischen Wirklichkeit, ohne dass einer der beiden Seiten per se die Definitionsmacht über den Diakonat zugestanden würde.6
Zur Diskussion steht in diesem Sinn die Konstruktion des Diakonats durch Diakoninnen und Diakone, die in unterschiedlichen Berufsgruppen im Diakonat tätig sind. Im Rahmen des Projekts „Diakonat – neu gedacht, neu gelebt“ wurden mit Vertreterinnen und Vertretern aus sechs Berufsgruppen Gruppendiskussionen geführt.7 In dieser Form der explorativen Befragung stehen das in den Gruppen im Diskurs erarbeitete und mitsamt allen Abweichungen und Brüchen dargestellte Wissen und die darin enthaltenen Konstruktionen des gedanklichen Gebäudes Diakonat im Zentrum. Gefragt wurde nicht nach bestimmten Aspekten wie Qualifikation, Anstellung, struktureller Einbindung etc., sondern nach komplexen Sichtweisen wie dem Verständnis des Diakonseins allgemein oder den zum Diakonat gehörigen Aspekten der Tätigkeit. Dieser explorative – auch qualitativ genannte – Zugang mit der Befragungsmethode der Gruppendiskussion bedeutet einerseits die Möglichkeit, tatsächlich zu einer Sicht auf das untersuchte Gebäude „von innen heraus“ vorzudringen, mitsamt allen Chancen, die sich daraus ergeben, dass die Befragten die sehr offen gehaltenen Frageimpulse tatsächlich dazu genutzt haben, ihre jeweils eigene Sicht auf das Thema zu entwickeln.8 Andererseits ist hierdurch keine sogenannte Repräsentativität gegeben: Die Befragten stehen nicht für ihre Berufsgruppe, sie bilden nicht die „Wirklichkeit“ in der diakonischen Arbeit ab. Aus ihren Konstruktionen lassen sich grundlegende Informationen über die Logik von Diakoninnen und Diakonen und die Welt der Begründungen und Bezüge aus ihrer Perspektive erschließen, aber keinerlei Informationen über die Ansichten aller im Diakonat Tätigen gewinnen.
So ist dieser Beitrag geprägt von der Art der zu erwartenden Ergebnisse: Nach einer kurzen Übersicht über Grunderkenntnisse der Auswertung (1.) stelle ich – formal getrennt nach Berufsgruppen und in den Inhalten orientiert an den Diskurslinien der Befragten – die jeweilige Konstruktion des Diakonats dar (2.). Abschließend bündele ich die Erkenntnisse und zeige auf, wie in Zuordnung zu bereits existierenden Diskurslinien das hier Erkannte für die theoretische und praktische Weiterarbeit genutzt werden kann (3.). Es wird dabei deutlich, wie sehr diese Befragung (nur) ein Auftakt ist zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den in der Praxis des Diakonats Tätigen. Viele der Ergebnisse verlangen nach einer umfassenderen Überprüfung der in den Diskussionen dargebotenen Haltungen und Meinungen, was zum Teil in den vertiefenden, thematisch orientierten Evaluationsstudien geschieht,9 zum Teil aber auf weitere, zukünftige Forschung verweist.
2. Das Verständnis des Diakonats in den diakonischen Berufsgruppen
Das Datenmaterial, das mit den anonymisierten Gruppendiskussionen zur Verfügung steht, zeigt eine hohe thematische Breite und könnte durchaus die Basis bilden für eine umfangreiche Analyse der einzelnen Berufsgruppen und damit der Unterschiede im Arbeitsfeld von Diakoninnen und Diakonen. An dieser Stelle beschränke ich mich auf die Darstellung von Grundzügen – sowohl in der Konstruktion von Diakonat als auch in der Analyse von berufsgruppenspezifischen Sichtweisen.
In der Interpretation des Materials fällt zunächst auf, welche engen Bezüge die Befragten zwischen den Themen herstellen, die sie insgesamt miteinander verhandeln. Jedes diskutierte Thema scheint mit nahezu allen anderen in Bezug zu stehen, die Verdichtung der Bezüge und Begründungen ist hoch, die Gespräche scheinen zuweilen „im Kreis“ zu verlaufen. Bei näherer Betrachtung zeigt diese Verdichtung ein spezifisches Muster von dimensionalen Bezügen, die sich im Dreieck von „Beruf“, „Ausbildung“ und „Amt“ darstellen lassen: Die Befragten betrachten aktuelle Fragen ihrer Tätigkeit erstens in Bezug auf ihr konkretes Tätigkeitsprofil im gegenwärtigen Anstellungsverhältnis, sie fragen darin nach dem, was sie genau tun und wie sich dieser Beruf präzise bezeichnen lässt. Sie sprechen zweitens darüber, was sie können, was sie in Ausbildungsgängen und bisheriger Praxis erlernt haben und jetzt als komplexe Qualifikation vorweisen können. Und sie diskutieren drittens, was sie durch ihre Beauftragung im Amt der Diakonin oder des Diakons sind – zunächst unabhängig von konkreter Tätigkeit und Qualifikation. Diese drei Dimensionen stehen jeweils in Bezug zur eigenen Person, sie erschließen in diesen die Bezüge zwischen dem, was jemand als die eigene berufliche Identität erfasst, welche Ausbildungsbestandteile als stimmig mit dem Beruf und den eigenen Interessen betrachtet werden und welche Bedeutung dafür das Amt bzw. die kirchliche Beauftragung bekommt.
In den Gruppendiskussionen stehen nun nicht die Positionen Einzelner zur Debatte, sondern das gemeinsam Gewusste, das sich aus dem Diskurs herauslesen lässt.10 Und dabei, so zeigt sich, scheint es den Befragten kaum möglich zu sein, einen Teilaspekt ihres Daseins als Diakon/-in ohne die anderen zu diskutieren. Dies beschreibe ich im Folgenden als ein Kennzeichen des Diskurses von Diakoninnen und Diakonen über den Diakonat. Insgesamt werden in diesem diskursiven Feld eine Vielzahl von spezifischen Fragen besprochen, die Gegenstand dieses Kapitels sein werden: das spezifisch kirchlich-diakonische Arbeitsfeld, die fachlichen Herausforderungen in der gegenwärtigen Arbeit, die Anstellung und der Bezug zur Landeskirche, darin Strukturen wie Berufsgruppen, Fortbildungsmöglichkeiten, Mitspracherecht und Beteiligungsformen oder die Situation von Religion und Kirche.
Um die wesentlichen Grundlagen für eine Konstruktion des Diakonats aufzuzeigen, und darin sowohl die genannte, typische Sortierung entlang der Dimensionen „Beruf“, „Ausbildung“ und „Amt“ als auch die spezifischen Sichtweisen der Berufsgruppen dazustellen, soll nun ein Thema im Mittelpunkt stehen, das in allen Gruppendiskussionen als Diskurslinie erscheint und als „Aussichtsplattform“ auf den Diakonat aus der Perspektive der Diakoninnen und Diakone dient: die Frage der Erkennbarkeit als Diakon/-in. Hierin zeigen sich weiterhin Anschlussstellen für zahlreiche weitere Diskussionspunkte, die ich jeweils markiere, aber nicht vertieft ausführen kann.11
2.1 „Ich sehe mich immer als Jugendreferent“ – Die Verortung des Diakonats
Die Befragten aus der Berufsgruppe der Jugendreferentinnen und -referenten erkunden das Terrain des Diakonats, indem sie sich mit der Grundfrage ihres Diakon(-in)seins befassen. Das folgende Zitat stammt aus der dritten Gesprächsrunde nach der Vorstellungsrunde und der Sichtung aktueller Fragen in der Arbeit und ist in Etappen dargestellt:
Interviewerin: | Ich glaube, da sind wir schon beim nächsten Punkt. Was bedeutet das denn für Sie, dass Sie Diakone/Diakoninnen sind? (Gelächter, Durcheinanderreden) |
Hr. Dreher: | Ich komme mit dem Wort „Diakon“ (Gelächter) ich sehe mich immer als Jugendreferent. Und wenn ich Diakon genannt worden bin, fühl ich mich nicht angesprochen (Gelächter) erst mal (Gelächter), obwohl ich Diakon bin. Ich arbeite in der Jugend – |