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Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem

Erklärungen und empirische Befunde

AutorHeike Diefenbach
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl175 Seiten
ISBN9783531910420
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Das Buch gibt einen fundierten Überblick über die Situation von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem und liefert darüber hinaus Erklärungsansätze und Lösungsvorschläge für ein zentrales Problem der Integrationspolitik.

Dr. phil habil. Heike Diefenbach lebt und arbeitet als wissenschaftliche Beraterin und Autorin in England.

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Leseprobe
5 Implikationen für die pädagogische Praxis und die Bildungspolitik (S. 147-148)

Angesichts des insgesamt unbefriedigenden Forschungsstandes zu schulischen Nachteilen von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien ist zu fragen, ob sich aus der diesbezüglichen empirischen Forschung überhaupt Implikationen für die bildungspolitische und pädagogische Praxis ableiten lassen. Eine erste Implikation, die m.E. abgeleitet werden kann, ist – keineswegs selbstverständlich – die, dass für die Bildungspolitik und die Pädagogik tatsächlich ein Handlungsbedarf in Bezug auf Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien besteht: Für diejenigen, die am Prinzip der Ergebnisgleichheit orientiert sind, ergibt sich dies bereits aus dem empirischen Nachweis erheblicher Nachteile ausländischer Kinder gegenüber deutschen Kindern im deutschen Schulsystem.

Für diejenigen, die statt dessen am meritokratischen Prinzip ausgerichtet sind, ist in diesem Zusammenhang nicht die bloße Existenz von Nachteilen dieser Kinder im deutschen Schulsystem relevant, sondern der empirische Nachweis, dass sie sich eben nicht nur als notwendige Folge schlechterer Leistungen, insbesondere im Fach Deutsch, oder aufgrund einer schlechteren Ausstattung der Familien mit bildungsrelevanten Ressourcen einstellen. Darüber hinaus sollte die empirische Forschung darauf hin überprüft werden, ob bzw. inwieweit sie Aussagen darüber machen kann, wie eine Erfolg versprechende Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien aussehen kann bzw. – nicht weniger wichtig – welche Fördermaßnahmen wenig Erfolg versprechend sind oder auf empirisch falschen Prämissen beruhen.

Dass Fördermaßnahmen auf empirischen Befunden beruhen sollten, mag trivial klingen. Dass es dies aber nicht ist, wird deutlich, wenn man sich die noch junge Geschichte der pädagogischen Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien vor Augen führt. In ihrer ersten Phase, die gemeinhin als die Phase der sog. Ausländerpädagogik bekannt ist, wurden Fördermaßnahmen auf der Grundlage der Erklärung der Nachteile von Kindern aus Migrantenfamilien gegenüber deutschen Kindern in der deutschen Schule durch kulturelle Defizite formuliert. Sie zielten darauf ab, diese Kinder bzw. ihre Familien möglichst in die bundesrepublikanische Gesellschaft zu integrieren, in der Annahme, dass Integration Assimilation bedeute, und eine möglichst weitgehende kulturelle Ununterscheidbarkeit von deutschen Familien und Migrantenfamilien letztlich zu einer weitgehenden Ununterscheidbarkeit der Schulleistungen von Kindern aus deutschen und aus Migrantenfamilien führen müsse.

Der Vermittlung von Deutschkenntnissen kam im Bestreben, die Kinder aus Migrantenfamilien möglichst schnell zu ‘normalen’ Schülern zu machen, eine besondere Bedeutung zu. Muttersprachlicher Unterricht durch sog. Konsulatslehrer war vor diesem Hintergrund nicht als Zugeständnis an die Idee einer multikulturellen Gesellschaft zu verstehen, sondern zielte – im Gegenteil – darauf ab, den ‘Gastarbeiterfamilien’ die Rückkehroption offen zu halten (vgl. Diehm & Radtke 1999: 130-132). An dieser Stelle ist es weniger interessant, auf die gesellschaftspolitischen Prämissen der Ausländerpädagogik einzugehen und sie einer Kritik zu unterziehen, hier ist vielmehr darauf hinzuweisen, dass die empirische Evidenz dafür, dass die Nachteile der Kinder aus Migrantenfamilien auf kulturelle Defizite zurückzuführen seien, nicht nachgefragt wurde und auch nicht vorhanden war.

Allerdings muss man fairerweise betonen, dass sich die Ausländerpädagogik nicht primär zum Ziel gesetzt hatte, die Nachteile der Migrantenfamilien in der deutschen Schule zu reduzieren oder gar aufzuheben, sondern eine möglichst unproblematische Unterrichtspraxis zu gewährleisten, die eine möglichst homogene Schülerschaft vorauszusetzen schien.106 Wenn Prämissen und Praktiken, die der Ausländerpädagogik entsprungen sind, aber noch in jüngerer Zeit und aktuell, also angesichts einer veränderten gesellschaftlichen Realität, vertreten werden, so ist dies tatsächlich nur unter Verleugnung der inzwischen vorliegenden empirischen Befunde zur Erklärung durch kulturelle Defizite möglich. Dass die ausländerpädagogische Phase der Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien zumindest in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre nicht als abgeschlossen gelten konnte, haben Auernheimer, von Blumenthal, Stübig et al. (1996) gezeigt.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Abbildungsverzeichnis7
Tabellenverzeichnis9
1 Einleitung11
2 Bildungsbeteiligung, schulische Leistungen und Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im deutschen Schulsystem13
3 Warum sind Bildungsnachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien problematisch?80
4 Erklärungen für die Nachteile der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im deutschen System schulischer Bildung: Argumentationen und empirische Befunde85
5 Implikationen für die pädagogische Praxis und die Bildungspolitik145
6 Zusammenfassung149
7 Literatur157

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