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Anger is an Energy

Mein Leben unzensiert. Die Autobiografie von Johnny Rotten

AutorJohn Lydon
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl656 Seiten
ISBN9783641153649
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die grösste Ikone des Punk zieht Bilanz
John Lydon hat sich einen Spitzenplatz als eine der meistbeachteten Ikonen der Musikgeschichte gesichert. Unter dem Künstlernamen Johnny Rotten führte er die Sex Pistols als Leadsänger an - die berüchtigtste (Punk-)Band der Welt, die Mitte der 1970er-Jahre mit Singles wie »Anarchy in the UK« und »God Save the Queen« zu großem Ruhm kam. Bis heute erfindet er sich ständig neu, bleibt immer in Bewegung und ist eine der kontroversesten und interessantesten Figuren der Musik- und Kulturszene.

JOHN LYDON ist weltweit als eine der größten Ikonen der Popkultur anerkannt. Mit den Sex Pistols verbreitete er Mitte der 1970er Jahre Angst und Schrecken unter den steifen Briten. Danach gründete er die Band Public Image Ltd (PiL), die bis heute stilprägend ist. Er lebt heute in Los Angeles.

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EINLEITUNG

MAY THE ROAD RISE WITH YOU

Wut ist Energie. Und was für eine. Eine prägnantere Zeile als »Anger is an energy« habe ich wohl nie geschrieben. Als mir damals die Idee zu »Rise« kam, hätte ich nie gedacht, dass der Song mich und alle, die ihn später hören sollten, derart aufwühlen würde.

Es war eigentlich ein Schnellschuss, eine spontane Reaktion auf die grauenhaften Berichte aus Südafrika, die ich auf CNN gesehen hatte. »They put a hotwire to my head, because of the things I did and said« – damit sind die Foltermethoden des Apartheidregimes gemeint.

Bei solchen Berichten konnte man das Gefühl haben, diese Realität wäre unabänderlich. »Anger is an energy« soll in diesem Zusammenhang bedeuten: Wut muss nichts Negatives sein, man muss sie nicht runterschlucken, sondern kreativ nutzen. Dazu gibt es noch einen zweiten Refrain: »May the road rise with you«. Als ich klein war, war das der Standardspruch von Mum und Dad – und der Hälfte unserer Nachbarn, die ebenfalls Iren waren. »May the road rise with you and your enemies always be behind you.« Soll heißen: »Gib niemals die Hoffnung auf«, und dass sich Probleme auch gewaltlos ausräumen lassen. Wut muss sich nicht unbedingt in Gewalttätigkeit entladen. In Südafrika hat man schließlich eine relativ friedliche Lösung gefunden. Wenn man etwas eigentlich Negativem wie Wut einen positiven Impuls gibt, kann das genügen, um etwas zum Besseren zu bewegen.

Nach dem Erscheinen Anfang 1986 wurde »Rise« zur Hymne, während die Presse mich gerade erst für »erledigt« erklärt hatte. Wut ist eine Energie.

Wenn ich das Stück heute auf der Bühne singe, geht mir das durch und durch, weil direkt die Verbindung zum Publikum da ist. Ich erlebe richtig melodramatische Reaktionen, dass Leute sich mit der Aussage total identifizieren und mir das auch zeigen. So was verschlägt dir den Atem. Wenn ich das Publikum singen höre, bin ich manchmal so überwältigt, dass ich selbst zu singen vergesse. Genau das verstehe ich unter wahrem Erfolg: eine Message, die von allen Menschen verstanden wird. Die Wut in mir ist der eigentliche Antrieb, Songs zu schreiben. Manchmal kann ich beim Schreiben komplett ausrasten. Falls mir da irgendeine Muse die Hand führt, muss sie echt hart drauf sein. So was kommt ja nicht aus dem Nichts – es fließen viele Gedanken und Erlebnisse, die ich vorher hatte, darin ein. Aber wenn ich einmal loslege, lege ich los. Dann fließen die Worte einfach aus mir raus.

Was immer das in mir drin ist, es macht mich zu dem, der ich bin. Es sorgt dafür, dass ich so bleibe, dass ich nicht lockerlasse und die Dinge auf meine Art sehe – worin ich mich, nebenbei bemerkt, nicht sehr vom Rest der Menschheit unterscheide. Wirklich nicht. Wir machen alle dasselbe durch. Ich bin bloß derjenige, der aufsteht und die Dinge beim Namen nennt.

Ich komme aus der Gosse. Ich wuchs in einer scheißarmen Gegend in Nordlondon auf, die etwa so aussah, wie man sich heutzutage Russland vorstellt. Es herrschte totale Kontrolle. In allem. Und dann die Selbstverständlichkeit dieser Unterdrückung. Die Menschen wurden in das »Shitstem«, wie die Jamaikaner dazu sagen, hineingeboren. Sie waren der festen Überzeugung, andere hätten das Recht, über sie hinwegzuregieren. Wie ich schon an die Adresse der Royals sagte: »Ihr könnt meine Loyalität erbitten, aber ihr könnt sie bestimmt nicht fordern. Ich lasse mich nicht zu Kanonenfutter machen.«

Ich glaube, diese Einstellung war der englischen Psyche viele Jahre lang fremd gewesen. In früheren Jahrhunderten kannte man so was durchaus, aber die viktorianische Einstellung hatte solche Gedanken zunichtegemacht. Ziviler Ungehorsam ist eine vornehme Tradition der Briten, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings gründlich unter den Kuschelteppich gekehrt. Im Geschichtsunterricht hörte man davon nichts mehr – aber diejenigen unter uns, die gern lasen, wurden recht schnell fündig.

Ursprünglich konnte ich schon mit vier oder fünf lesen und schreiben. Meine Mum hatte es mir beigebracht. Doch als ich mit sieben Meningitis bekam, besaß ich danach keinerlei Erinnerung mehr. Ich erkannte nicht mal meine Mum und meinen Dad wieder. Es dauerte lange, bis alles zurückkam. Voller Begeisterung stürzte ich mich wieder auf Bücher – Geschichte, Geologie und alles, was mit der Tierwelt zu tun hatte, und später entdeckte ich dann Dostojewski für mich. Mit elf fand ich Schuld und Sühne überaus aufschlussreich – arg trostlos, aber manchmal ist es ein richtiges Aha-Erlebnis, sich im Elend und in der Tristesse von anderen zu suhlen. So in der Art: »Mann, dem geht’s aber dreckig, da bin ich mit meiner eigenen Tragödie ja noch gut weggekommen.« Bücher waren mir wahnsinnig wichtig: Sie haben mich am Leben gehalten.

Hier in den USA gab es eine öffentliche Debatte, wieso eigentlich jeder Ex-Präsident eine Bibliothek stiftet, obwohl Politiker doch nie ein Buch in die Hand nehmen. Hallo, Amerika! Das erklärt gewissermaßen eure Politik. Für mich war Lesen die Rettung, es hat mir alles zurückgegeben. Ich fand mich selbst darin wieder: Textfetzen führten zu Erinnerungen und ergaben einen sinnvollen Zusammenhang. Ich erkannte, dass ich immer noch derselbe Mensch war – nur hatte ich mich weiterentwickelt. Ich konnte mich selbst beobachten, aus mir heraustreten und mich fragen: »Was machst du für einen Murks? Warum lernst du nicht, wie es richtig geht, anstatt einfach loszustolpern, ohne vorher darüber nachzudenken?«

Vielleicht hab ich damals zu viel von meinem jüngeren Ich erwartet – schließlich war ich gerade mal sieben Jahre alt! Aber ich stelle immer hohe Anforderungen an mich. Kein Mensch kann etwas so Schlechtes über mich schreiben, dass ich nicht selbst schon darauf gekommen wäre, und bei richtig brutalen Verrissen denke ich meistens: »Mann, da waren sie ja noch gnädig.« Wie man auf den kommenden Seiten sehen wird, bin ich selbst mein schärfster Kritiker, und dieses Buch ist wesentlicher Bestandteil meiner Auseinandersetzung mit mir selbst – ein lebenslanger, nie abgeschlossener Prozess.

Mit achtzehn, neunzehn war ich definitiv bereit loszuschlagen. Was dann kam, war so irre, weil ich selbst nie darauf gekommen wäre. Aber als es hieß: »Willst du nicht in unserer Band singen?«, dachte ich: »Wow, logisch! Jetzt passt alles zusammen!« Ich ließ nicht locker, trotz der Tatsache, dass die anderen zu den ersten Proben gar nicht auftauchten, und zahllosen anderen Schwierigkeiten mit den frühen Sex Pistols.

Ich brachte keine Notizhefte voller Songtexte mit, sie kamen einfach so aus mir raus. Ich nutze mein Hirn als Archiv. Ich mach mir gerne Notizen, aber sobald ich etwas hingeschrieben habe, ist es mir fast schon egal. Ich denke schneller, als ich schreibe, darum hab ich eine Menge Speicherplatz zwischen den Ohren.

Es war ein Wahnsinnsgefühl, diese Sachen rauszubrüllen. Ehrlich gesagt hätte ich mir nie vorstellen können, wie viele Leute sich das irgendwann anhören würden. Ich hatte mir die Pistols eher als Band für kleine Clubs vorgestellt. Ich machte mir keine großen Hoffnungen. Das Musikgeschäft war damals längst eine geschlossene Gesellschaft, genau wie alle anderen Bereiche des Lebens. Die ganzen Freie-Liebe-Bands der Sechziger hatten sich die besten Plätze gesichert und ließen keine Mitfahrer mehr in den Bus.

Nach ein, zwei Jahren trafen einige der ersten Songs, die ich schrieb, einen Nerv: »Anarchy In The UK« und »God Save The Queen«. Ich möchte Englands öffentlichen Bibliotheken an dieser Stelle danken: Sie waren mein Testgelände. Dort lernte ich, mit solchen verbalen Granaten um mich zu schmeißen. Als Stimme der Rebellion warf ich keine Schaufensterscheiben ein, ich schmiss Worte dorthin, wo sie Wirkung zeigten. Worte sind das, worauf es wirklich ankommt.

Stadträte und Abgeordnete stritten öffentlich über mich und beriefen sich dabei wütend auf den »Traitors and Treason Act«. Das war ein Vorwurf von immenser Tragweite. Dieses Gesetz war sehr alt und sah laut Auskunft meines Anwalts tatsächlich noch die Todesstrafe vor. Huch! Wie bitte? Für Songtexte? Es ist ja wohl absurd, wenn eine Regierung dem Volk vorschreibt, was es tun soll und was nicht. Wir haben sie doch schließlich gewählt – aber nicht dafür, dass sie uns zum Dank erklären, was wir falsch machen. Sie sollten lieber hervorheben, was wir richtig machen. Urteilt nicht, stellt euch dem Urteil.

Dieses ganze Desaster weckte den kleinen Querulanten in mir – die Vorstellung, dass Worte tatsächlich Waffen sind und von den Herrschenden auch so aufgefasst werden. Was für ein Kick das war! Absolut – wow! Das gab mir mein Mandat. Es war mir todernst damit. Das war kein Spaß. Ich verabscheue jede Form von Regierung zutiefst. Diese hier erklärte mir, ich dürfte bestimmte Dinge nicht sagen – anders ausgedrückt, mir wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt. So entdeckte ich, dass ich wirklich zum Stachel im Fleisch der Obrigkeit werden konnte.

Nicht viele »Popstars« gehen so weit. Na gut, in Russland gibt’s jetzt die Pussy Farts, und ich bin voll auf ihrer Seite. Ich liebe ihren Mut. Aber bis diese Mädels auftauchten, war ich als Einziger politisch so brisant, dass ich...

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