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Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen

Albin Köbis, Max Reichpietsch und die deutsche Matrosenbewegung 1917

AutorChristoph Regulski
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783843804769
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
'... ICH STERBE MIT EINEM FLUCH AUF DEN DEUTSCHEN MILITÄRSTAAT.' In den sich seit Kriegsbeginn ständig verschlimmernden und schließlich unhaltbaren Zuständen auf den Schiffen der Kaiserlichen Marine wagten es zwei junge Matrosen, ihre Stimme zu erheben. Längst des sinnlosen Krieges überdrüssig, setzten sie sich für den sofortigen Frieden ein, um noch mehr Blutvergießen zu verhindern. Womit die jungen Soldaten kaum rechnen konnten, war die überaus harte Reaktion des Kriegsgerichts, das mehrere Todesurteile aussprach. Trotz massiver Bedenken der Marinejuristen wurden diese in zwei Fällen an Albin Köbis und Max Reichpietsch exemplarisch vollstreckt. In den frühen Morgenstunden des 5. Septembers 1917 starben beide Matrosen durch die Kugeln eines Erschießungskommandos auf dem militärischen Übungsplatz in Köln-Wahn. Ihr weitgehend unbekanntes Schicksal im Vorfeld der Novemberrevolution wird hier erstmals akribisch rekonstruiert.

Christoph Regulski wurde 1968 in Hagen/Westfalen geboren. Er studierte Deutsch und Geschichte an der Freien Universität Berlin und an der Ruhr-Universität Bochum. Hier promovierte er im Jahr 2000 zum Dr. phil. Seine bisherigen Veröffentlichungen behandeln die Handelsvertragspolitik des Kaiserreichs und den Ersten Weltkrieg. Zuletzt untersuchte er in 'Klippfisch und Steckrüben' die Versorgung der Frankfurter Bevölkerung 1914-1918. Der Autor lebt in der Wetterau bei Frankfurt am Main.

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Leseprobe

2. DAS FLOTTENBAUPROGRAMM DES DEUTSCHEN REICHS


Deutschland war nie eine große Seefahrernation63. Der schmale Küstenstreifen an der Nordsee hatte lediglich lokale Bedeutung, die Entwicklungsmöglichkeiten auf der beinahe vollständig eingeschlossenen Ostsee waren äußerst begrenzt. Auch nach dem Regierungsantritt des Preußischen Königs und Deutschen Kaisers Wilhelm II. im Jahr 188864 trug Deutschland dem Rechnung und verzichtete auf den Aufbau einer nennenswerten Flotte65. Kaiser Wilhelm II. befürwortete erst nach 1894 einen massiven Schlachtschiffbau, um Deutschland von einer wichtigen Kontinentalmacht zu einer Weltmacht zu machen66. Durch die Lektüre des 1890 erschienenen Buches The Influence of Sea Power Upon History 1660–1783 des amerikanischen Seeoffiziers und Marineschriftstellers Alfred Thayer Mahan angeregt67, förderte der junge Kaiser massiv alle navalen Bestrebungen des Reiches68. Dieses Standardwerk erlebte 50 Auflagen und wurde in sechs Weltsprachen übersetzt69. Die deutsche Übersetzung durch Vizeadmiral Karl Batsch lag 1896 vor. Die grundlegende Denkschrift Nr. IX von Alfred Tirpitz70 zum Aufbau der Seestreitkräfte vom 16. Juni 1894 geht direkt auf Mahans Überlegungen zurück71. Demnach sollte die deutsche Flotte offensiv ausgerichtet und dem möglichen Gegner um mindestens ein Drittel in der Schlachtstärke überlegen sein72. In der strategischen Überlegung kam der Entscheidungsschlacht zwischen den Flotten ein ganz zentraler Stellenwert zu73. Tirpitz erkannte damit von Anfang an das Schicksal einer deutschen Flotte: Sie müsse den Entscheidungskampf auf offener See suchen oder sie sei zur Untätigkeit und damit zur moralischen Selbstvernichtung verurteilt74.

Admiral Alfred v. Tirpitz

Das Dogma der Entscheidungsschlacht vertraten fast alle späteren Admirale wie auch Richard Scheer und Magnus v. Leventzow. Zwei Admiralstabschefs erkannten jedoch noch vor Kriegsbeginn die Gefahren des deutschen Konzeptes. Vizeadmiral Friedrich v. Baudissin und Admiral Max v. Fischel wiesen darauf hin, dass die eigene Strategie nur bei einem Angriff Englands aufgehen könne75. Kapitän zur See Curt von Maltzahn empfahl aus diesem Grund bereits 1898 ein ausgewogenes Defensivkonzept mit Kreuzern. Sein Konzept besaß aber gegen das Tirpitzsche Dogma keine realistische Chance76. In der Tat lag der Fehler des deutschen Entwurfes in der Missachtung zweier Vorbedingungen, die Mahan formulierte. Eine Seemacht benötige zwingend eine günstige geographische Lage, um über einen freien Zugang zum Meer zu verfügen77. Zudem sei es ausgeschlossen, dass eine Nation zugleich See- und Landmacht ersten Ranges sein könne78. Kritische Stimmen wurden in der Literatur bereits in den 1930er Jahren laut, als beispielsweise der Leiter des Marinearchivs Eberhard v. Manthey schrieb, Deutschland habe sich zu sehr in den Flottenbau und dabei auch in den Gedanken der offensiven Kriegsführung verrannt. Sein Mitarbeiter Herbert Rosinski betonte, durch die fixen Vorgaben sei zudem das strategische Denken stark verkümmert79.

Ein ganz entscheidender Fehler war es, in der eigenen Konzeption die Reaktionen des Gegners, der in diesem Fall nur England sein konnte80, zu vernachlässigen81. Selbstverständlich erkannten die englischen Offiziere die deutsche Strategie einer Entscheidungsschlacht dort, wo die deutsche Marine ihre Kraft voll entfalten konnte, umgehend. Sie wichen deshalb einer Schlacht zwischen Themse und Helgoland82 aus und verfolgten das Konzept einer weiten Absperrung Deutschlands von den Weltmeeren83, indem die englische Flotte den Ärmelkanal und den Zugang um Schottland blockierte84. Damit besaß die deutsche Marine keine Möglichkeit, offensiv gegen England vorzugehen85. Auch wenn diese Strategie den englischen Offizieren, die im offensiven Geist von Trafalgar geschult waren86, wenig Spielraum ließ, befürworteten sie sie unter ganz pragmatischen Gesichtspunkten87.

Damit war klar, dass die deutschen Schiffe keine großen Aktionsmöglichkeiten besaßen und in ihren Heimathäfen blieben, was zu großen Spannungen an Bord führte88. Es schien sich zu bewahrheiten, was Tirpitz befürchtete: Die Flotte würde an moralischer Selbstvernichtung als Folge der eigenen Untätigkeit zu Grunde gehen89.

Da diese Bedenken nicht gesehen oder von den Verantwortlichen ausgeblendet wurden, kam es nach 1897/98 zu einem ehrgeizigen und äußerst kostspieligen Flottenbauprogramm. Das erste Flottengesetz von 1898 ermöglichte den Bau von zwei Geschwadern mit je acht Schlachtschiffen. Mit der ersten Flottennovelle des Jahres 1900 beschritt Deutschland den Weg zu einer maritimen Großmacht. Mit vier Geschwadern zu je acht Schlachtschiffen, zwei Flaggschiffen, acht großen und 24 kleinen Kreuzern plus einer Auslandskreuzerflotte rüstete das Kaiserreich massiv auf90. Durch den Bau von Großkampfschiffen mit bis zu 25.000 Bruttoregistertonnen91, den sogenannten »Dreadnoughts«92, stieß England in eine neue Dimension des Schlachtflottenbaues vor93, auf die Deutschland 1906 wiederum reagierte94. Das Kaiserreich baute nun ebenfalls Dreadnoughts und legte drei weitere Schlachtschiffe und sechs große Kreuzer auf Kiel. Deutschland beschleunigte das Tempo 1908 in der dritten Flottennovelle erneut. Von 1908 bis 1912 sollten jährlich vier neue Großkampfschiffe gebaut werden. In der vierten und letzten Flottennovelle von 1912 waren drei weitere Dreadnoughts und kleinere Kreuzer vorgesehen. Das angestrebte Verhältnis von zwei deutschen Großkampfschiffen zu drei englischen Dreadnoughts95 war somit im Jahre 1914 beinahe erreicht, was einen Sollbestand von 60 Großkampfschiffen entsprach96.

Deutsche Kriegsflotte in Kiel

Dennoch bestand keine Möglichkeit, die englische Seeherrschaft auf den Weltmeeren zu brechen. Die Royal Navy konnte den bereits 1889 formulierten Two Power Standard97 verteidigen, Englands Flotte war weiterhin stärker als die zweit- und drittstärkste Flotte zusammen98. Angesichts dieser Situation resignierte der Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred v. Tirpitz noch vor der vierten Flottennovelle mit den Worten, dass die »Flottenentwicklung vom historischen Standpunkt ein Fehler« gewesen sei99.

Auch vom finanziellen Gesichtspunkt her kann man die Flottenentwicklung als schwerwiegenden Fehler bezeichnen. Die maritime Rüstung nahm bis Kriegsbeginn 25 % des Rüstungshaushaltes in Anspruch100. Die Gesamtkosten für die Marine beliefen sich im Jahr 1913 auf 340 Millionen Reichsmark (RM). Die Ausgaben für das Heer betrugen im selben Jahr 902 Millionen RM.101 Einzelne Schiffe wie Kaiser Barbarossa und Roon kosteten um 1900 zwischen 11,2 und 14,1 Millionen RM102. Der Preußische Kriegsminister v. Heeringen forderte angesichts der hohen Kosten für die Marine bereits im November 1911, besonders das Heer zu berücksichtigen und somit den Kern des Militärs zu stärken103. Diese enormen Summen konnten nur durch eine langfristige budgetrechtliche Bindung des Reichstages kontinuierlich gewährleistet werden104. Die finanziellen Auswirkungen auf den Reichshaushalt waren fatal: Das jährliche Rüstungsdefizit betrug 1912 bereits 433 Millionen RM105, die Gesamtschulden des Reiches stiegen von 3.203 Millionen RM im Jahr 1905 auf 4.917 Millionen RM 1914106. Ein großer Teil der Rüstungsausgaben wurde somit nur über Verschuldungen bestritten, wobei die jährliche Verschuldung sowohl absolut als auch verhältnismäßig immer weiter zunahm.

Nicht weniger folgenreich waren die Auswirkungen auf das politische Verhältnis zu England. Ende März 1898 eröffnete der englische Kolonialminister Joseph Chamberlain dem deutschen Botschafter Paul Graf v. Hatzfeld den Wunsch seines Landes nach einer Bindung an das Kaiserreich vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen mit Frankreich und Russland107. Diese historische Möglichkeit blieb ungenutzt. Angesichts der deutschen Flottenpolitik verschlechterte sich das Verhältnis zusehends108, wenngleich England die deutschen Flottennovellen von 1898 und...

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