5 Das Strukturschema nach KESSLER
Um Übungsleitern methodische Hilfen für ihre Trainingseinheiten mit an die Hand geben zu können, wäre ein einfaches, aber inhaltlich ausdifferenziertes Schema hilfreich. KESSLER hat 2006 ein dafür geeignetes Schema entwickelt, das Strukturschema. Wird die vorgegebene Struktur sinnvoll mit Übungen vervollständigt, so werden die Anfänger strukturiert auf ihre zu erlernenden Techniken vorbereitet. Trainer können das Strukturschema beliebig für jede Wurfgruppe nutzen.
Wichtig ist, dass eine sinnvolle Reihung der Techniken erfolgt und die Besonderheiten der gewählten Technikgruppe analysiert werden, sodass auf diese speziell im Lernprozess eingegangen werden kann.
Das Strukturschema gibt keine Techniksysteme vor, aber präsentiert einen methodischen Rahmen, der mit speziellen Übungen für jede Technikgruppe eingesetzt werden kann.
Das Erlernen einer Technik wird in vier Phasen gegliedert (KESSLER, 2006):
- Grundform erlernen
- Grundform festigen
- Anwendungsaufgaben
- RANDORI-Aufgaben
Beginnend mit dem „Erlernen der Grundform“, fordert KESSLER (2006), Voraussetzungen sowohl für UKE als auch für TORI abzuklären und zu schaffen. Für die Rolle von UKE muss betrachtet werden, wie UKE fällt, ob UKE die geforderte Falltechnik bereits beherrscht, bei welchem Wurf UKE eventuell ähnlich fällt und was neu für den Fallenden hinzukommt. TORIS Situation sollte ebenfalls genau analysiert werden, sodass der Trainer weiß, bei welchem Wurf sich TORI ähnlich verhält bzw. was bekannt ist, im Gegenzug natürlich auch, was für TORI neu ist, ob TORI spezielle koordinative bzw. konditionelle Voraussetzungen benötigt und mit welchen Übungen, Spielformen, Aufgaben diese neuen Anforderungen vorbereitet werden können.
Nachdem die Voraussetzungen für TORI und UKE abgeklärt und geschaffen wurden, heißt es, erleichternde Lernbedingungen für TORI zu schaffen. KESSLER (2006) gibt diesbezüglich drei Leitfragen vor:
- Welche KUMI-KATA ist günstig?
- Welche Ausgangsstellung/Bewegungsrichtung bietet sich an?
- Wie kann UKE helfen?
Die zweite Phase, „Grundform festigen“, steht für ein sogenanntes Überlernen (KESSLER, 2006), welches durch hohe Wiederholungszahlen, standardisierte Ausführungsbedingungen und eine Ökonomisierung der Bewegung charakterisiert wird. Der Athlet soll die Technik automatisieren und seine Bewegung möglichst effektiv gestalten. Wichtig ist gerade bei diesem Abschnitt, dass der Trainer versucht, durch gewisse organisatorische und technische Varianten die Übungszeit möglichst interessant zu gestalten, sodass die Sportler nicht die Motivation verlieren. Alternative Bewegungsrichtungen, aus denen der Wurf sinnvoll ausgeführt werden kann, sollen zu diesem Zeitpunkt gefunden werden, sowie spezielle Übungsformen, die die Wurftechnik oder gewisse Bewegungsdetails perfektionieren.
Die nächste Phase, die „Anwendungsaufgabe“, betont die Rolle von UKE, der unterstützend mitarbeiten soll. Ebenso werden Voraussetzungen für das freie Üben in der „RANDORI-Aufgabe“ geschaffen. Mit steigendem KYU-Grad wächst die Bedeutung der Anwendungsaufgabe. Zu Anfang liegt der Schwerpunkt darin, Voraussetzungen zu nutzen, im späteren Verlauf verfolgt TORI das Ziel, Voraussetzungen zu schaffen, um zum Erfolg zu kommen. Die Athleten werden zunehmend mit Wenn-dann-Situationen konfrontiert. Dies bedeutet, dass die JUDOKA lernen, auf eine bestimmte Situation sinnvoll zu reagieren oder eine gewünschte Situation zu provozieren, sodass sie im Anschluss ihre geplante Technik ausführen können. Ein Beispiel hierfür wäre: Wenn UKE sein Bein zurücknimmt, dann dreht TORI einen Schulterwurf ein.
Abb. 8: Strukturschema nach KESSLER
Vorbereitende Techniken sowie nachbereitende Techniken oder Ausweichtechniken bei einem missglückten Angriff gehören nun zum angestrebten Repertoire. Nicht einzig Standtechniken können diese Aufgabe erfüllen, sondern auch Übergänge zur Bodenarbeit müssen in den Trainingsprozess integriert werden. Für TORI gilt es zu klären, in welcher typischen Kampfsituation der Wurf sinnvoll angewendet werden kann, und für UKE, welche möglichen Verteidigungsoptionen ihm zur Verfügung stehen. Dies ist auch für TORI von Bedeutung, da TORI sich nur so auf mögliche Reaktionen von UKE vorbereiten kann.
Letztlich wird die RANDORI-Aufgabe umgesetzt, die langsam von der Anwendungsaufgabe abgeleitet wird. Die beiden Aufgaben unterscheiden sich darin, dass bei der RANDORI-Aufgabe der Zeitpunkt der Ausführung der Technik frei wählbar ist, die Technik individuelle Ausprägungen vorweisen darf, es keine bestimmten festgelegten technisch-taktischen Handlungen gibt und sowohl die Rollenverteilung UKE-TORI als auch die vorherige Partnerwahl nicht mehr gegeben sind (www.judobund.de, 2010).
Die Schwierigkeit dieser Phase besteht nun darin, Aufgaben und Organisationsformen zu finden, in denen die Technik vermehrt trainiert werden kann, ohne die RANDORI-Form zu vernachlässigen. Schließlich sollten UKE und TORI zu diesem Zeitpunkt unter Wettkampfbedingungen trainieren. Dennoch wäre es förderlich, die Athleten durch bestimmte RANDORI-Aufgaben zu motivieren, die zu übende Technik vermehrt anzuwenden.
5.1 Begründung der ausgewählten Technikgruppe
Um das Strukturschema anhand einer Technikgruppe praxisnah umzusetzen, wird die Gruppe der BARAI-Techniken (Fußfegetechniken) ausgewählt.
BARAI-Techniken sind vergleichsweise schwierig zu erlernen, was eine qualifizierte Vermittlung unerlässlich macht. Athleten dürfen auf diese wichtigen Techniken nicht verzichten, da das Werfen ohne großen Krafteinsatz mithilfe dieser Techniken gelingen kann, d. h., Gewichtsunterschiede erscheinen hier als zweitrangig. Ebenso sind BARAI-Techniken besonders effektiv, um den Gegner abzulenken, eigene Handlungen vorzubereiten, in der Kampferöffnung zu überraschen und auch sperrende Gegner zu öffnen (KLOCKE, 1994, S. 20). DAXBACHER (1999) macht zudem darauf aufmerksam, dass variable Griffvarianten bei Fußfegetechniken eher realisierbar sind als bei den „großen Wurftechniken“ (DAXBACHER, 1999, S. 11), wie etwa UCHI-MATA. Dies könnte einem Wettkämpfer Vorteile verschaffen, wenn er nicht zu dem benötigten Griff kommt, da der Gegner diesen systematisch zerstört.
Um diese Vorzüge der Fegetechniken nutzen zu können, sollte jeder JUDOKA die Chance erhalten, durch einen guten methodischen Weg BARAI-Techniken zu erlernen. Genau dies gilt es anhand der folgenden Stoffsammlung und unter Einbeziehung des Strukturschemas zu fördern und zu unterstützen.
5.2 Die BARAI-Techniken – eine Einordnung
BARAI bedeutet Fegen und zwar wird ein sich bewegendes Bein in Bewegungsrichtung weitergeleitet. Dahinter verbirgt sich das JUDO-Prinzip, ohne aufwendige Kraftanstrengung die Bewegung des Partners zu nutzen (KESSLER, 1991).
Die Fußfegetechniken gehören zur Gruppe ASHI-WAZA. Dies sind Würfe, die vor allem mit dem Fuß oder Bein ausgeführt werden (DAXBACHER, 1999). Die Fußsohle wird dabei zu TORIs Fegeinstrument, wobei der Treffpunkt bei den unterschiedlichen Techniken variiert. Auch der Armeinsatz ist bei allen Fegetechniken nicht zu vernachlässigen, da dieser laut DAXBACHER (1999) erforderlich ist, um „den Kontakt zu UKE zu halten“, „durch kombinierte Hub-, Druck- bzw. Zugbewegungen die Standfläche(n) von UKE zu entlasten“ und „den aus dem Gleichgewicht gebrachten UKE kontrolliert mit dem Rücken oder der Seite auf die Matte zu führen“ (S. 11).
BARAI-Techniken sind nur bei sich bewegenden Partnern günstig und es gibt zwei geeignete Momente für die Ausführung (KLOCKE, 1994, S. 20):
- UKE will seinen Fuß gerade aufsetzen.
- UKE hat seinen Fuß gerade angehoben.
Die Fegebewegung unterscheidet sich allerdings nach dem Zeitpunkt ihrer Ausführung. Beabsichtigt UKE, seinen Fuß gerade aufzusetzen, fegt TORI mit einer explosiven Fegebewegung, sodass UKES Schritt verlängert wird, was dem Ausrutschen auf einer Bananenschale ähnelt. Sollte TORI die Fegebewegung einleiten, während UKE den Fuß gerade anhebt, führt TORI UKES Fuß über eine längere Strecke und kann zusätzlich die Bein- und Rumpfkraft zur Wurfausführung nutzen.
BARAI-Techniken gelten nicht als anfängergeeignet aufgrund ihrer hohen koordinativen Anforderungen. Der JUDOKA muss bereits ein gutes Gefühl für das richtige Timing entwickelt haben, um UKES Fuß zum richtigen Zeitpunkt zu fegen. Auch UKE fällt relativ hart und sollte bereits ausreichende Erfahrungen im Fallen besitzen. Eine weitere Schwierigkeit für TORI ist der Stand auf einem Bein, da er das andere Bein, das Spielbein, als Fegebein einsetzen muss. Neben dem einbeinigen Stand wird verlangt, die Koordination der Hände und Füße mit den Bewegungen UKES abzustimmen, was die eigene Koordination unterschiedlicher Körperteile betrifft und zusätzlich die Anpassung an den Gegner. HERRMANN (1994) merkt an, dass auch die korrekte Hüftbewegung bzw. der Hüftimpuls für die Anwendung von...