Vorwort und Danksagung
Dieses Buch verfolgt das Ziel, einheimische und bilingual-ethnische Therapeuten für die Arbeit mit Migranten zu befähigen und ihre diesbezügliche Kompetenz zu steigern. Es trägt den Titel „Klinische Interkulturelle Psychotherapie“. Durch folgende Aspekte strebt es an, diesem Titel gerecht zu werden: Die Kapitel befassen sich mit klinischen Fragestellungen, die in der Psychotherapie mit Migranten auftauchen und relevant sind. Autoren, die seit vielen Jahren in der psychotherapeutischen Versorgung von Migranten klinisch tätig sind und sich mit der interkulturellen Psychotherapie in mannigfachen Veröffentlichungen befasst haben, haben diese Fragestellungen abgehandelt. Neben kasuistischen Fällen werden auch empirische Studien, soweit sie vorliegen und Konsequenzen für die psychotherapeutische Arbeit haben, vorgestellt und diskutiert.
Als Autorin und Herausgeberin dieses Buches habe ich mich mit den Fragestellungen befasst, die in meiner psychotherapeutischen Arbeit mit Migranten wichtig geworden oder in den Fortbildungsveranstaltungen, die ich seit 1997 regelmäßig in Essen und später im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen abgehalten habe, durch die Teilnehmer an mich herangetragen worden sind. Hierzu gehört nicht nur die Untersuchung besonderer Konstellationen der Übertragung und Gegenübertragung zwischen Migranten und Einheimischen, sondern z. B. auch kultur- oder migrationsspezifische Besonderheiten in der Biographie und im Erleben der Patienten. Ein ausführliches Einleitungskapitel befasst sich aus diesem Grunde u.a. mit kollektiv geprägten Übertragungsbereitschaften in der interkulturellen Psychotherapie und mit Besonderheiten der biographischen Anamnese im Kontext der Migration. In einem weiteren Kapitel wird eine kultursensitive Intervention durch die Arbeit mit Märchen vorgestellt.
Das Thema der Benachteiligung der Frauen taucht in Psychotherapien von Migrantinnen als biographisches Merkmal und in der konkordanten, ängstlich vermeidenden Haltung und Gegenübertragung der Behandler sehr häufig auf. Meine Erfahrungen in der Psychotherapie von Migrantinnen habe ich im Kontext der Gruppentherapie und der Einzeltherapie dargestellt. In diesem Zusammenhang habe ich diskutiert, ob Zweisprachlichkeit und Bikulturalität in Form einer Überidentifikation mit der konservativen Herkunftskultur eine besondere Abwehrform darstellen können. Welchen Einfluss die religiöse Zugehörigkeit der Patientinnen auf deren Selbsterleben nehmen kann, habe ich in einem gesonderten Kapitel diskutiert und hoffe, dass die Ausführungen dort nicht Vorurteile und -annahmen bekräftigen, sondern zu einem besseren psychodynamischen Verständnis der Patientinnen beitragen.
Der Beitrag von N. Hartkamp schafft einen Ausgleich und befasst sich mit der Psychotherapie der türkischen Männer. Hartkamp führt aus, dass die gesellschaftliche Normvorstellung, wie ein Mann zu sein habe, für den Mann insgesamt heute noch sehr viel strikter festgelegt sei und sehr viel weniger Ausweichmöglichkeiten bereithalte, als dies für Frauen üblicherweise der Fall sei. Überdies würden dysfunktionale Verhaltensweisen häufig durch eine spezifische Form von Männlichkeitsideologie in ihrem Bestand gefestigt. Nach einer Beschreibung der kulturellen Wertvorstellungen von Ehrenhaftigkeit und Ehrbarkeit beschreibt er, wie Geschlechtsrollenstereotypen in der Psychotherapie mit türkischen Männern zu berücksichtigen sind.
Zwei Störungsbilder, die Traumafolgestörungen und die somatoformen Störungen, nehmen einen großen Raum ein, weil Migranten meistens mit diesen Störungsbildern einen Psychotherapeuten aufsuchen. Ich habe Überblicke über empirische Arbeiten zu diesen Themen verfasst. Zwei Kolleginnen, H. Ünal und A. Möllering, die seit Jahren mit Traumafolgestörungen befasst sind, haben aus der Perspektive einer Flüchtlingsberatungsstelle und der Perspektive der stationären Behandlung die Besonderheiten der Psychotherapie mit Flüchtlingen und traumatisierten Migranten dargestellt. Die psychotherapeutische Arbeit mit Migranten kann deren Lebenssituation nicht außer Acht lassen. Migranten sind oft von sozialen Benachteiligungen wie der Arbeitslosigkeit oder dem Fehlen von ausreichendem Wohnraum betroffen. Die Artikel von Möllering und Ünal machen deutlich, dass äußerst belastende Erlebnisse die Lebenswirklichkeit und Biographie der politischen Flüchtlinge bestimmt, und wie Psychotherapie hilft, diese traumatischen Erlebnisse zu überwinden.
A.K. Gün, F.P. Begher und F. Leidinger befassen sich mit Fragestellungen bezüglich der interkulturellen Öffnung von Institutionen. Gün gibt eine umfassende Beschreibung für die institutionellen Voraussetzungen der kulturellen Öffnung und fasst diese dann in einer Checkliste zusammen. Begher schildert die besonderen sozialen Probleme der Migranten und wie mit ihnen umgegangen werden kann, damit eine ausreichend sichere Perspektive für eine psychotherapeutische Intervention in der Klinik geschaffen wird. F. Leidinger diskutiert ein sehr komplexes Thema, nämlich den Umgang mit Andersartigkeit in den Institutionen am Beispiel von Fachkräften in der Psychiatrie, die aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch tragen. In seinem Beitrag gelingt es ihm in hervorragender Weise, politische, juristische und ethische Aspekte der Diskussion zusammenzutragen.
Die besonderen Probleme von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die einen großen Teil der jungen Bevölkerung in Deutschland darstellen, und deren im Vergleich zu einheimischen Schülern geringer schulischer Erfolg, was in den letzten Monaten für politischen Diskussionsstoff in der Integrationsdebatte sorgte, wurden von M. Toker und R. Schepker behandelt. Die Autoren haben besonders deutlich herausgearbeitet, wie wichtig es in diesem Zusammenhang ist, durch eine kulturell offene Haltung ressourcenorientiert vorzugehen, Inanspruchnahmeverhalten, schicht-, migrations- und kulturspezifische Haltungen der Jugendlichen sowie ihrer Familien mit einer kulturellen Offenheit zu untersuchen.
Auch F. Güç befasst sich mit Migrantenfamilien und beschreibt die systemischpsychoanalytische Methode in der Familientherapie in diesem Kontext. Güç schildert die Bedeutung der Erhebung der Migrationserfahrungen aller Mitglieder der Familie und schlägt vor, die Familien in einer transkulturellen, einer kulturellen und einer individuell familiären Ebene wahrzunehmen und zu untersuchen. In seinem Beitrag wird auch die Problematik des fortgesetzten Migrationsstresses in Familien mit der Erfahrung der Heiratsmigration verdeutlicht.
I. Kohte-Meyer untersucht den Migrationsstress aus psychoanalytischer Sicht. Eine besondere Bedeutung schreibt sie dem Umstand zu, dass in einer Umgebung, in der nicht die Muttersprache gesprochen wird, bestimmte Anteile der Persönlichkeit, die durch frühe Lebensereignisse geprägt und im Vokabular der Muttersprache repräsentiert sind, nicht aktiviert werden. Durch diese Entkoppelung von den emotionalen Reizen der Muttersprache, durch den Wechsel von Sprache und Kultur, könne eine transkulturell bedingte Form von Unbewusstheit entstehen, eine innere Stummheit für emotionale und affektive Vorgänge. In der Psychotherapie können die nicht zur Verfügung stehenden Bewusstseinsinhalte mit denen der alten Sprache und den alten kulturellen Normen in Beziehung gebracht und das Ich des Patienten zu Integration und neuen Syntheseleistungen befähigt werden.
Obwohl sie alle betonen, dass ein sozio-ethno-kultureller Leitfaden nicht die Auseinandersetzung mit der individuellen Konfliktdynamik der Patienten ersetzen darf, waren L. Joksimovic, R. Lackner und E. Morawa bereit, meiner Einladung zu folgen und für Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, russlanddeutsche Jugendliche und polnisch stämmige Migranten entsprechende Orientierungsleitfäden zu schreiben. In diesen Kapiteln werden die historische und politische Entwicklung der betroffenen Ethnien und deren Auswirkung auf bestimmte kollektive Wahrnehmungen und Rollenbilder beschrieben. Hier wird dem US-amerikanischen Ansatz gefolgt, durch die Schilderung dieser Besonderheiten der einzelnen Ethnien, die immer auch stereotypisch sein müssen, eine erste Begegnung mit der spezifischen Beziehungswelt des Migranten und eine Sensibilisierung des Therapeuten für bestimmte kulturspezifische Konfliktmuster zu erreichen.
Das Fehlen von validierten Messinstrumenten in der Muttersprache der Migranten ist eins der Hindernisse in der Gewinnung empirischen Wissens über die psychischen Belastungen bei Migranten. M. Beckmann fasst die methodologischen Erfahrungen zusammen, die sie u.a. in der türkischen Übersetzung und Validierung des Fragebogens für das Screening somatoformer Störungen (SOMS) gewonnen hat, und beschreibt die umfangreiche Auseinandersetzung mit sprachlichen und kulturellen Aspekten von Symptomen. Das hier präsentierte Modell für die transkulturelle Adaptation von psychometrischen Instrumenten verdeutlicht auch, wie viel Aufmerksamkeit der kulturellen Besonderheiten der Krankheitswahrnehmung gewidmet werden muss, um die Migrantenpatienten korrekt zu verstehen.
In der hier skizzierten Auflistung gibt das Buch eine umfassende Einführung in die Thematik der interkulturellen Psychotherapie. Als Autorin und Herausgeberin hoffe ich, dass ein Buch entstanden ist, das den Leser zu einem kompetenten, offenen und neugierigen Umgang mit Migranten als Patienten befähigt.
Allen Autoren danke ich für ihre großzügige und...