1.2 Unternehmertum, Entrepreneurship und Innovation
1.2.1 Unternehmertum in Mittelstands- und Familienunternehmen: Inhalt, Rahmenbedingungen und Erfolgsrelevanz
Jörg Freiling und Steffen Großmann
- 1 Einführung
- 2 Unternehmertum – eine begriffliche Annäherung
- 2.1 Unternehmertum als »Entrepreneurial Orientation«
- 2.2 Unternehmertum als Ausübung von Unternehmerfunktionen
- 3 Unternehmertum in Mittelstandsbetrieben
- 3.1 Das (unternehmerische) Profil von Mittelstandsbetrieben
- 3.2 Die Wahrnehmung von Unternehmerfunktionen im Mittelstand
- 4 Besonderheiten zum Unternehmertum in Familienunternehmen
- 5 Erfolgswirkungen von Unternehmertum
- Literatur
1 Einführung
Unternehmertum ist ein Begriff mit zahlreichen, verschiedenen Bedeutungen. Nicht selten wird er – vor allem in Form seines englischen Pendants Entrepreneurship – auf Start-up-Unternehmen bezogen, in denen gänzlich neue Ideen erprobt werden. Dementsprechend sind Unternehmer Menschen, die in einer unsicheren Umwelt (Zimmerer und Scarborough, 2008) ein neues Unternehmen erschaffen. Auf Unternehmertum als Charakteristikum und Denkhaltung wird jedoch auch regelmäßig zurückgegriffen, wenn es um die Charakterisierung mittelständischer Unternehmen geht. Bereits in der klassischen Wirtschaftstheorie wird Unternehmertum auf das proaktive und kreative Verhalten von Menschen bezogen (zu einem Überblick: Hébert und Link, 1988; Freiling, 2006). Dies gilt insb., aber bei weitem nicht nur für das Verhalten von Unternehmenseigentümern, sondern auch für das Handeln unternehmerisch denkender Menschen in Betrieben – und deren unmittelbarem Umfeld.
Um die Erfolgsrelevanz von Unternehmertum in Mittelstands- und Familienunternehmen herauszustellen, wird im Folgenden zunächst eine begriffliche Annäherung an den Begriff des Unternehmertums erfolgen. Aufbauend auf dieses Grundverständnis des Charakters unternehmerischen Verhaltens, wird dann die konkrete Ausprägung von Unternehmertum in Mittelstands- und Familienunternehmen anhand von Unternehmerfunktionen betrachtet. Im Anschluss können so die Erfolgswirkungen von Unternehmertum beschrieben werden.
2 Unternehmertum – eine begriffliche Annäherung
Die Unternehmertum-Forschung hält unterschiedliche Ansätze bereit, das Phänomen Unternehmertum zu verstehen. Man kann grob zwei unterschiedliche Auffassungsweisen voneinander trennen: (a) Unternehmertum als Denkweise, was dann in die »entrepreneurial orientation« i. S. v. Lumpkin und Dess (1996) einmündet, und (b) Unternehmertum als Handlungskonzept, was dann in die Ausübung sog. »Unternehmerfunktionen« (z. B. Schumpeter, 1912; Kirzner, 1973) mündet. Nachfolgend werden beide Konzepte kurz vorgestellt, um eine Auswahlentscheidung für den weiteren Verlauf des Beitrags vorzubereiten.
2.1 Unternehmertum als »Entrepreneurial Orientation«
Unternehmertum als »entrepreneurial orientation« zielt als Denkweise vor allem auf Prozesse, Aktionen, Praktiken und Entscheidungsstile in Unternehmen, die sich deutlich von anderen Stilen unterscheiden. Sie manifestiert sich damit im Denken und Handeln von Personen mit Entscheidungsbefugnis. Der Stil ist nach Lumpkin und Dess (1996) durch fünf Merkmale geprägt:
• Autonomie (autonomy),
• Innovativität (innovativeness),
• Risikoübernahme (risk taking),
• Proaktivität (proactiveness) und
• Aggressivität im Wettbewerb (competitive aggressiveness).
Dass die fünf Merkmale nicht ganz überschneidungsfrei sind, ist nicht zuletzt deren Herleitung geschuldet. Lumpkin und Dess (1996) bauen ihr Konzept auf vielen Vorarbeiten auf, die diesen Stil, unternehmerisch zu denken und Entscheidungen zu treffen, zu charakterisieren versuchen. Auch ist ihr Konzept nicht unwidersprochen geblieben, weswegen jüngere Arbeiten das Set an Faktoren zu reduzieren versuchen und dann auf Innovativität, Risikoübernahme und Proaktivität fokussieren (Rauch et al., 2009).
Innovativität wird dabei vor allem mit Kreativität und Experimentierfreude in Verbindung gebracht, um neuartige Lösungen hervorzubringen (Lumpkin und Dess, 2001). Risikoübernahme impliziert in dieser Vorstellung eine spezielle Sichtweise von Risiko. Im Gegensatz zu anderen Einstellungen wird Risiko nicht grundsätzlich als Problem bewertet, sondern deutlich optimistischer. Entsprechend ist die Bereitschaft, Risiken zu übernehmen, bei Personen mit ausgeprägter »entrepreneurial orientation« höher als bei anderen Bezugspersonen. Proaktivität hingegen wird als Eigenschaft verstanden, geschäftliche Möglichkeiten (Opportunitäten) zu suchen, um durch diese Suche dem Wettbewerb zuvorzukommen.
2.2 Unternehmertum als Ausübung von Unternehmerfunktionen
Der hier vorzustellende Zweig der Unternehmertheorie befasst sich mit der Frage, welche Funktionen Unternehmer (und unternehmerisch handelnde Menschen) ausüben müssen, um zu überleben bzw. im Wettbewerb erfolgreich zu agieren. Der Begriff »Entrepreneur« wurde im Französischen im 17. Jahrhundert geprägt und verbreitete sich schnell. Im Jahre 1725 schrieb Cantillon bei der Suche nach den Wurzeln des Geschäftsbetriebs seine bahnbrechende Arbeit »Essai sur la nature du commerce en général«, die posthum veröffentlicht worden ist (Cantillon, 1755). Nach dieser ist ein Unternehmer als Person bereit, Risiken einzugehen, und in der Lage, mit Unsicherheiten umzugehen. Viele nachfolgende Publikationen bereicherten diesen ersten Gedanken in den folgenden Jahrzehnten, und bis heute ist eine beträchtliche Vielfalt an unternehmerischen Funktionen in der Diskussion (Hébert und Link, 1988; Schoppe et al., 1995). Es gibt sowohl statische als auch dynamische Funktionen. Hébert und Link (1988) unterscheiden dabei zwischen drei verschiedenen Schulen des Unternehmertums, die auf die Forschung aus verschiedenen Ländern basieren:
• Es gibt eine amerikanische Schule (Chicago School), die das Problem des Umgangs mit Unsicherheit behandelt (z. B. Knight, 1921).
• Von Thünen (1826) und Schumpeter (1934) begründeten und beeinflussten die deutsche Schule, die sich mit der Funktion von Innovation befasst.
• Die österreichische Schule konzentriert sich auf Ungleichgewichte im Wettbewerb, die Natur des menschlichen Handelns und betont die Notwendigkeit der Realisierung von Arbitragegewinnen (von Mises, 1949; Kirzner, 1973).
Obwohl die Arbeit in anderen Ländern (z. B. Großbritannien: Smith, Ricardo, Mill und Frankreich: Savary, Quesnay, Turgot, Baudeau) ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf den Status der Entrepreneurship-Forschung hatten und ein Teil der Forscher nicht einfach einer der mehr oder weniger länderspezifischen Schulen zugeordnet werden kann, geben die drei Denkschulen dennoch einen nahezu vollständigen Überblick über die wichtigsten Funktionen des Unternehmers. Die einzige Funktion, die fehlt, ist die Koordination. Insb. Casson (1982) verzeichnet wichtige Fortschritte in dieser Hinsicht. Das Literaturstudium zur Unternehmenstheorie zeigt, dass die Konzepte sich z. T. deutlich, je nach gewähltem Schwerpunkt unterscheiden (Freiling, 2006):
• Es gibt die monofunktionalen Ansätze, bei denen eine Funktion ausgeführt wird, um erfolgreich zu sein. Kirzners (1973) Arbitragefunktion gehört zu dieser Kategorie.
• Metafunktionale Ansätze zeigen, dass durch das Vermischen von Unterfunktionen Unternehmer und ihre Unternehmen in der Lage sind, ihre Ziele zu erreichen. Schumpeters (1934) Innovationsfunktion besteht aus Produkt-, Prozess-, Organisations-, Einkaufs- und Marketing-Innovationen. Casson (1982) befasst sich mit der Koordinationsfunktion und argumentiert, dass der Koordinationsprozess aus (1) der Möglichkeit Koordination zu nutzen, (2) dem Treffen von Ermessensentscheidungen, und (3) dem Market-Making besteht. Es wird gezeigt, dass in beiden Konzepten jedes Asset eines Unternehmens zur Ausführung der betreffenden Metafunktionen beitragen kann.
• Multifunktionale Ansätze gehen einen Schritt weiter und befassen sich mit den Problemen des Überladens einer unternehmerischen Funktion mit (fast) allen betrieblichen Herausforderungen – sei es ein Monofunktion oder eine...