Kindheit und Jugend
Es war ein symbolhaftes Jahr, als in Richmond, Virginia, dem Gastwirt und Landvermesser James Bridger und seiner Frau Chloe ein Sohn geboren wurde: James Bridger kam am 17. März 1804 zur Welt. In jenem Jahr begann im Auftrag von Präsident Thomas Jefferson die Reise der beiden Captains Meriwether Lewis und William Clark zur Erforschung des amerikanischen Westens. Er sollte es ihnen eines Tages nachtun.
Es war eine Zeit des Aufbruchs: Die jungen Vereinigten Staaten hatten das Gebiet von Louisiana von Frankreich erworben - ein Territorium, das in jener Zeit vom Golf von Mexico im Süden bis zur heutigen kanadischen Grenze reichte - und ihr Staatsgebiet damit verdoppelt. Freies, fruchtbares, verlockendes Land, in das zahllose Familie aufbrachen, die den Spuren von Daniel Boone - einem der Väter der „westwärts wandernden Grenze“ - folgten. Auch Jim Bridgers Eltern wurden von diesem Fieber erfaßt. 1812 luden sie ihre Habe und ihre Kinder - außer Jim hatten sie einen weiteren Sohn und eine Tochter - auf einen Planwagen und kreuzten die Blue Ridge Mountains nach Westen. Der achtjährige Jim sollte diese anstrengende Reise, die ihm die ersten unmittelbaren Erfahrungen mit der Wildnis vermittelte, nie vergessen. Unter der Canvas-Plane hervor lugend, sah er das weite, verheißungsvolle Land. Gelegentlich ritt er auch neben dem Wagen her durch die dichten, fast unwegsamen Waldgebiete. Oft wurde ihm aufgetragen, vorauszureiten und nach einem Lagerplatz für den Abend zu suchen.
Die Bridgers steckten eine Farm bei Six Mile Prairie ab, einer Kleinstadt unweit von St. Louis. Daß hier einst eine Metropole entstehen sollte, das geschäftliche Zentrum der westlichen Territorien und das „Tor zum Westen“ für Hunderttausende von Pionieren, war zu dieser Zeit noch nicht absehbar; immerhin wies die Stadt am Mississippi zu dieser Zeit bereits 2.000 Einwohner auf.
Über das Familienleben der Bridgers und Jims Kindheit ist so gut wie nichts übermittelt. Man kann davon ausgehen, daß das Leben auf einer Pionierfarm relativ gleichförmig verlief und mit harter Arbeit angefüllt war, in die auch die Kinder mit einbezogen wurden, sowie sie zu laufen imstande waren. Beim Roden von Bäumen, Pflügen von Feldern, beim Ausbringen der Saat und später bei der Ernte wurde jede Hand gebraucht, auch wenn sie noch so klein war. Das Vieh mußte versorgt werden, zwischendurch wurde der tägliche Speisezettel durch Jagd und Fischen aufgebessert. Es war wohl so, daß Jim auf der väterlichen Farm die Grundlagen für sein späteres Leben in der Wildnis erlernte und früh Verantwortung übernehmen mußte; denn der Vater nahm zusätzlich eine Stellung als Landvermesser an und war daher oft von daheim abwesend.
Im Sommer 1816, als Jim 12 Jahre alt war, starb unvermittelt seine Mutter. Der Vater war nicht zu Hause, und Jim mußte allein mit allen Schwierigkeiten fertig werden und sich um seine Geschwister kümmern.
Eine unverheiratete Schwester des Vaters kam aus Virginia und übernahm die Haushaltsführung, doch schon im Winter 1816 starb auch Jims jüngerer Bruder. Vom Schicksal schwer geprüft, litt schließlich die physische Gesundheit des Vaters. Im Sommer 1817 kehrte er krank von einer Vermessungsreise zurück und starb im Dezember. Zurück blieben der gerade 13jährige Jim Bridger und seine jüngere Schwester.
Jim war gezwungen, die Rolle des Ernährers zu übernehmen. Das Leben an der Wildnisgrenze kannte kein Erbarmen und ließ ihm keine Zeit, sich seinem Schmerz hinzugeben. Er ging auf die Jagd und kümmerte sich um die Felder. Eines Nebenverdienstes wegen stellte er Fallen und verkaufte gelegentlich die Felle von Wiesel und Bisam an die Pelzhandelsfirma Chouteau in St. Louis. Pierre Chouteau - der später der mächtigste Mann im Pelzhandel am Missouri werden sollte - war zu dieser Zeit noch in den Zwanzigern. Angeblich half er dem jungen Bridger, sein erstes Gewehr zu erwerben (Alter, 1986: 5). Fest steht, daß beide sich ihr Leben lang respektierten und gut verstanden, „obwohl James Bridger sein eigenes Kanu paddelte“ (Alter, 1986: 6).
Der kräftige, fleißige Junge nahm bei Antoine Dangens Fährstation einen Job auf einem Flachboot an, das Passagiere und Fahrzeuge von Six Mile Prairie nach St. Louis über den Mississippi setzte. Es war eine harte, schlecht bezahlte Arbeit. Die Fährstation befand sich nur wenige Meilen von der Mündung des Mississippi in den Missouri entfernt, und Jim Bridger hatte mit der unberechenbaren, starken Strömung zu kämpfen, um das Boot sicher über den Strom zu bringen. Jim traf hier am Fluß auf eine ihm bis dahin fremde Klasse von Menschen: Rauhbeinige, hartgesottene, rücksichtslose Burschen, die in Dugouts - halb in die Hügel über dem Fluß gegrabene Behausungen - lebten und auf den Kielbooten und Transportschiffen auf Mississippi und Missouri arbeiteten. Sie tranken den scharfgebrannten, billigen Whisky galonenweise, prügelten sich aus nichtigen Anlässen und hatten das Messer stets locker sitzen. Sie respektierten nichts und niemanden, und man tat gut daran, ihnen aus dem Weg zu gehen. Da waren jedoch auch die frühen Pelzhändler und Jäger, die in ihren Kanus den Fluß herunterpaddelten und stapelweise Pelze aus dem Fernen Westen nach St. Louis brachten, wo sie sich ausruhen und neu ausrüsten konnten. Diese Männer waren in ihrem Benehmen kaum besser. Sie fürchteten weder Tod noch Teufel und interessierten sich nicht im geringsten für die Regeln und Gesetze der ehrbaren Bürger in den Siedlungen am Strom. Sie hatten ihre eigenen Normen. Aber ihre Geschichten konnten einen jungen Mann, der nach Leben hungerte, zum Träumen bringen.
Jim arbeitete nach kurzer Zeit für die neueingerichtete Wiggins-Fähre, die bereits eine Drahtseilwinde aufwies, aber er war bald sicher, als Fährmann keine Zukunft zu haben. Mit 14 Jahren begab er sich nach St. Louis und nahm eine Lehrstelle bei dem Hufschmied Phil Creamer an. (J. Cecil Alter schrieb, daß Creamer nicht als selbständiger Schmied in St. Louis registriert war und vermutet, daß er einer der Meister von James Baird war, der ab 1811 mehrere große Schmiedewerkstätten in St. Louis einrichtete und vom Hufbeschlag bis zur Fertigung von Messern und Werkzeugen alle Eisenarbeiten ausführte.) Die Arbeit war nicht leichter, aber sie bot Jim die Chance, ein richtiges Handwerk zu lernen und geschäftliche Erfahrungen zu sammeln.
St. Louis war eine aufstrebende Stadt, die einem jungen Mann viel zu bieten hatte. Die bunt gemischte Bevölkerung, die in jenen Jahren noch mindestens zur Hälfte aus Franzosen bestand, war ein temperamentvoller, vitaler Schmelztigel. Die Zahl der Einwohner wuchs rapide, die Geschäfte prosperierten, und die Entwicklungsmöglichkeiten waren nahezu grenzenlos.
Jim Bridger lernte schnell. Er wuchs zu einem großen, hageren, starkknochigen, muskulösen jungen Mann heran, der mit Geschick Hufeisen schmiedete und Pferde beschlug, aber auch Biberfallen, Bootshaken und Eisenteile für Planwagen fertigte und gelegentlich Gewehre reparierte.
Schmiedewerkstätten waren in jenen Tagen geschäftige Treffpunkte für Pelzjäger und Indianer, Frachtwagenkutscher und Maultiertreiber, Stallknechte und Farmer. Es gab unzählige Reittiere zu beschlagen, Wagen zu reparieren, Gerätschaften in Ordnung zu bringen. Der Handel mit Transportfahrzeugen und Reit- und Zugtieren war ein ständig wachsendes Geschäft, und Jim Bridger lernte dieses Geschäft gut. „Er vergaß diese Lektionen nie, und so lange er lebte, konnte ihn niemand im Pferdehandel übertreffen“ (Vestal 1970: 5).
Es gab tausend Geschichten vom Land jenseits des großen Stroms in St. Louis, die die franco-kanadischen Voyageurs und Trapper in die Stadt trugen. Der bedeutendste Pelzhändler in St. Louis war in dieser Zeit Manuel Lisa mit seiner „Missouri Fur Company“, ein gebürtiger Spanier, der in etwas düsterem Ruf stand, gleichwohl legendären Ruhm genoß; denn er hatte ein 1.200-Meilen-Rennen mit Kielbooten auf dem Missouri gewonnen, und ihm wurde das Verdienst zugeschrieben, die Sioux davon abgehalten zu haben, sich im Krieg von 1812 auf die Seite der Engländer zu schlagen. Neben ihm aber wurde der Einfluß der Familie Chouteau größer, und die „American Fur Company“ des größten Pelzhändlers der USA, Johann Jacob Astor, drängte von den östlichen Staaten nach St. Louis; denn der Westen bot neue Perspektiven.
Noch waren es vergleichsweise wenige kühne Männer, die sich den Missouri aufwärts wagten oder in die großen Ebenen hinauszogen und den Beschreibungen von Lewis und Clark folgten. Aber die Expansion nach Westen war absehbar. Jim hätte sich ihnen gern angeschlossen, doch er wußte nicht wie: Er hatte kein Geld, ein eigenes Geschäft anzufangen. Er hatte kein Geld für eine Ausrüstung, um in den Pelzhandel einzusteigen. Jeden Cent, den er verdiente, benötigte er, sich und seine Schwester durchzubringen. Zudem hatte er nach dem Tod der Eltern keine Zeit gehabt, eine Schule zu besuchen und Lesen und Schreiben zu lernen - die Voraussetzung für ein eigenes Geschäft. Während er mit seinem Lohn den Schulbesuch seiner Schwester bezahlte, konnte er zu dieser Zeit noch nicht einmal seinen Namen schreiben. Dabei war er äußerst lernbegierig, ließ sich bei jeder Gelegenheit Bücher und die täglichen Meldungen aus der Zeitung vorlesen. Und seine Unruhe, seinem Leben neue Perspektiven zu geben, wuchs. Zweifellos wurde der Wunsch, nach Westen zu ziehen, relativ früh in ihm geboren. Er wartete auf seine Chance, und er sollte sie bekommen: Am 20. März 1822 - drei Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag und nach Beendigung seiner vierjährigen Lehrzeit - nahm sein Leben die entscheidende Wendung. An diesem Tag las ihm jemand aus der...