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E-Book

Cello üben

Eine Methodik des Übens nicht nur für Streicher

AutorGerhard Mantel
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
ReiheStudienbuch Musik 
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783795786328
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Üben - oder das Üben üben? Auf die alte Frage, wie man üben soll, findet Gerhard Mantel neue, manchmal unorthodoxe Antworten. Der Autor beschreibt in diesem Buch die vielfältigen mentalen, psychischen und körperlichen Aspekte des Abenteuers 'Üben'. Er versucht dabei, in weiter Auffächerung instrumentale Einzelprobleme bewusstem Üben zugänglich und damit spontanem künstlerischem Ausdrucksbedürfnis verfügbar zu machen. In einem neuen Kapitel der überarbeiteten und ergänzten Ausgabe widmet sich der Autor dem Thema 'Verknüpfungen': muskuläre oder mentale Verknüpfungen zwischen zwei Tönen, räumliche Verknüpfungen auf dem Griffbrett und innerkörperliche Verknüpfungen.

Gerhard Mantel wurde 1930 in Karlsruhe geboren. Seine musikalische Ausbildung als Cellist erhielt er bei Professor August Eichhorn in Heidelberg. Später setzte er seine Studien in Paris bei Pierre Fournier, Paul Tortelier und André Navarra sowie bei Pablo Casals und Maurice Gendron fort. Bereits mit 21 Jahren wurde Gerhard Mantel Solocellist in Bergen (Norwegen), zwei Jahre später wurde er Solocellist beim WDR Symphonieorchester in Köln. Neben unzähligen Konzerten in aller Welt wirkte bei er bei mehr als 100 Hörfunk- und Fernsehproduktionen sowie zahlreichen Schallplattenaufnahmen mit. Professor Gerhard Mantel unterrichtet an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und erteilt Meisterkurse im In- und Ausland. Zudem ist er Ehrenpräsident der Deutschen Sektion der ESTA (European String Teachers' Association). Darüber hinaus gründete und leitet er das 'Forschungsinstitut für Instrumental- und Gesangspädagogik e.V.'.

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Leseprobe

Üben bedeutet das Erlernen von ganz konkreten Bewegungsmustern. Beim Wunderkind stellen sie sich fast von selbst ein, dem erwachsenen Studenten und vor allem dem Pädagogen müssen sie aber bewußt sein, will er gezielt Verbesserungen, d. h. Änderungen des klanglichen Resultats erarbeiten. Die Konzentration auf Gelöstheit, auf Lockerheit allein, so wichtig sie zur „Einstimmung“ des Körpers sein mag, erzeugt noch keine notwendige Teilbewegung, wenn diese nicht gelernt wurde. Dabei ist es nicht nur wichtig, zu wissen, wie sie aussieht; hilfreich ist auch die Kenntnis der Physik des Instruments und der Gesetzmäßigkeit von Körperbewegungen allgemein. Jede Funktionsbewegung basiert ja auf den jeweiligen Gesetzmäßigkeiten von Körper und Instrument.

Die im folgenden detailliert beschriebenen Bewegungen und Übungen gelten für das Cellospiel; sie sind aber mit wenigen Ausnahmen sinngemäß, d. h. oft spiegelbildlich, auf die Geige übertragbar.

V. Klangverhältnisse auf der Saite

Im Buch Cellotechnik des Verfassers wurden die physikalischen Bedingungen der Klangerzeugung auf dem Streichinstrument ausführlich erörtert. Zum besseren Verständnis des folgenden hier eine kurze Zusammenfassung:

1.Der Bogen zieht die Saite mittels Haftreibung der Haare eine kurze Strecke in die Richtung der Bogenbewegung. Der Widerstand der Saite gegen diesen Zug wächst, bis die Haftreibung „abreißt“. Die Saite gleitet an der Kontaktstelle an den Haaren entlang; durch die angestaute Spannung entsteht eine Schwingenergie, die die Saite über ihre ursprüngliche Ruhelage hinaus schnellen läßt („Gleit-Reibung“) bis zu einem Punkt, der von der Ruhelage fast genau so weit entfernt ist wie der Punkt des Abreißens der Haftreibung. In diesem Moment greift die Haftreibung des weiterziehenden Bogens wieder an, der Vorgang wiederholt sich.

2.Wird der Druck des Bogens vergrößert, nimmt auch die Haftreibung zu, und der Abreißpunkt vergrößert seinen Abstand von der Ruhelage der Saite. Wird die Bogengeschwindigkeit nun der größer angelegten Amplitude und damit der höheren Schwinggeschwindigkeit der Kontaktstelle angepaßt, also erhöht, dann entsteht ein lauterer Ton. (Es ist für diesen physikalischen Vorgang gleichgültig, ob man seine Aufmerksamkeit primär auf die Bogengeschwindigkeit oder auf den Druck richtet: Beide zusammen ergeben die Tonverstärkung. Es wird gelegentlich behauptet, der Ton würde nur durch Geschwindigkeitserhöhung stärker. Innerhalb ganz enger Grenzen stimmt das, und zwar bis zu dem Punkt, an dem der Druck gerade noch ausreicht, eine Haftreibung zu erzeugen. Die Klangfarbe ändert sich dann in jedem Fall. Für eine größere dynamische Palette genügt die Modifikation der Geschwindigkeit keineswegs.

3.Ist die Bogengeschwindigkeit geringer als die dem Druck entsprechende Schwinggeschwindigkeit der Saite am Kontaktpunkt, dann kann die Saite nicht frei schwingen, der Ton wird erdrückt.

4.Anstatt nun bei erhöhtem Druck schneller zu streichen, kann man den Bogen an eine stegnähere Stelle rücken: Hier ist die Schwinggeschwindigkeit pro Einzelschwingung geringer, der Bogen braucht trotz erhöhten Drucks seine bisherige Geschwindigkeit nicht zu erhöhen.

5.Ist die Bogengeschwindigkeit höher als die Schwinggeschwindigkeit der Saite an der Kontaktstelle, dann entsteht keine Haftreibung in der Hinschwing-Phase: die Saite spricht nicht an.

6.Zwischen dem nicht ansprechenden und dem erdrückten Ton besteht ein gewisser Spielraum, bedingt durch die Elastizität von Saite und Bogenhaaren. Klanglich stellt dieser Spielraum die Palette dar zwischen den Klangfarben-Extremen „luftig, entmaterialisiert“ (relativ wenig Druck) und „sandig, intensiv, geräuschreich“ (relativ viel Druck). Diese Klangfarbenpalette existiert unabhängig von der jeweiligen Lautstärke, weil es sich dabei immer um einen Druck relativ zur Bogengeschwindigkeit und Strichstelle handelt.

Sämtliche Lautstärken und Klangfarben des Tones werden also von den drei Faktoren Druck, Geschwindigkeit und Strichstelle bestimmt.

7.Die Auswertung dieses physikalischen Sachverhalts führt zu folgenden praktischen Konsequenzen:

a)   Laute Töne tendieren zum Steg, leise zum Griffbrett.

b)   Lange Töne tendieren zum Steg, kurze zum Griffbrett.

c)   Um bei Saitenverkürzung durch die Finger der linken Hand das Verhältnis der beiden Strecken Steg – Kontaktstelle einerseits und Kontaktstelle – Finger andererseits konstant zu halten, muß sich die Kontaktstelle bei zunehmender Saitenverkürzung zum Steg verlagern.

d)   Die Kontaktstellen liegen bei tiefen Saiten – bei gleicher Saitenlänge – etwas näher am Griffbrett als bei hohen.

e)   Da bei einem freien Tonansatz die Saite am Steg den angreifenden Bogenhaaren weniger elastisch nachgeben kann als am Griffbrett, ist die optimale Kontaktstelle für den Ansatz, d. h. die Ansprache, weiter vom Steg entfernt als die optimale Kontaktstelle für den Klang (dies gilt vor allem bei harten Ansätzen; bei weichen kann die allmählich anwachsende Bogengeschwindigkeit sich der ebenso allmählich anwachsenden Schwinggeschwindigkeit (Amplitude) der Saite, also durch ein crescendo, anpassen.

Aus alledem geht hervor: Um den unterschiedlichen Forderungen von Dynamik, Tonlängen, Tonhöhen (Saitenlängen) und Klangfarben zu genügen, muß der Bogen bei entsprechend wechselndem Druck seine Geschwindigkeit und seine Kontaktstelle dauernd ändern.

VI. Die Bogeneinteilung

1.   Problemstellung, Widerstände

Dem Begriff der Bogeneinteilung haftet etwas Anfängerhaftes an; jeder erinnert sich noch gut an die Markierungen auf dem Bogen, die ihm sein Lehrer vor vielen Jahren aufgemalt oder aufgeklebt hat. In Wirklichkeit stellt die Erarbeitung einer guten Bogeneinteilung eine Aufgabe dar, die jeden Streicher sein Leben lang begleitet.

Er muß in der Lage sein, auf seinem Bogen ungleiche Tonlängen unterzubringen, ohne daß ungewollte dynamische Veränderungen auftreten, und er muß außerdem in der Lage sein, unterschiedliche Lautstärkegrade zu erzeugen, unabhängig davon, wieviel Bogen ihm auf einem Strich noch zur Verfügung steht. Der Bogen muß sich ferner aus technischen Gründen (z. B. beim Spiccato) oft an einer bestimmten (Bogen-)Stelle befinden.

Der natürlichste Bewegungsverlauf des Arms ist der einer Pendelbewegung. Diese Bewegungsform kommt aber nur dann in Frage, wenn Töne gespielt werden sollen, die in der Mitte einen ziemlich stereotypen, großen „Tonbauch“ aufweisen. Für gleichmäßig klingende Striche muß die Pendelbewegung also durch eine geradlinigere Verlaufskurve ersetzt werden.

Aufgrund der großen „Natürlichkeit“ der Pendelbewegung stellt sich im Arm auch bei ungleich langen Tönen eine Tendenz ein, bei Hin- und Her-Strichen immer wieder an den Ausgangspunkt der Pendel-Doppelbewegung zurückzukehren (im allgemeinen an den Frosch). Dies bedeutet, daß die körperliche „Natürlichkeit“ oft nicht nur der technischen Bewältigung des Textes, sondern noch viel mehr einer freien musikalischen Gestaltung im Wege steht. Die körperliche Natürlichkeit überrollt oft die weniger robuste musikalische Natürlichkeit; sie kann sogar die Phantasie und die Unterscheidungsfähigkeit blockieren.

2.   „Mathematische“ Bogeneinteilung (Bogenlänge entspricht Tondauer)

Um zunächst einmal eine völlig gleichmäßige Tongebung zu entwickeln, muß ich in der Lage sein, das jeweilige Quantum an Bogenstrecke proportional zur jeweiligen Länge des Tons einzurichten; eine plausible Forderung, die auch für den fortgeschrittenen Spieler viel schwerer zu erfüllen ist, als man annehmen sollte. Hier müssen Übungen erfunden werden, die mit unterschiedlichen Zeit- und Bogenstrecken arbeiten, so daß die Bogenwechsel-Stellen „wandern“, der Bogen also nicht schneller oder langsamer streicht, etwa um der Symmetrie einer Pendelbewegung zu genügen.

Strichlängen

Joseph Haydn, Konzert D-Dur Hob. Vllb: 2 (op. 101), I. Satz

Das Bogeneinteilungs-Diagramm muß ungefähr so aussehen:

Wenn die mathematische Bogeneinteilung nicht beherrscht wird, tritt eine ganz typische Störung auf: Da der Spieler nie weiß, wieviel Bogen er beim nächsten oder besonders beim übernächsten Bogenstrich benötigen wird, geht er weder ganz an den Frosch noch ganz an die Spitze, um für alle Fälle noch etwas Bogen in Reserve zu halten.

Das hat aber zur Folge, daß der Bogen nie ganz ausgenutzt wird; das ganze Spiel wird dadurch...

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