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E-Book

Cellotechnik

Bewegungsprinzipien und Bewegungsformen

AutorGerhard Mantel
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
ReiheStudienbuch Musik 
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783795786335
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Überarbeitete Neuausgabe. Instrumentalspiel braucht Fantasie, freie Assoziation, Individualität, Experimentierfreude. Voraussetzung für diese künstlerischen Freiheiten sind allerdings bestimmte physikalische und physiologische Fakten, die sich genau beschreiben lassen. Ihre Kenntnis kann neue gestalterische Freiräume eröffnen. In seinem erstmals 1972 erschienenen Buch versucht Gerhard Mantel, zwischen Freiheit und Beliebigkeit angesiedelte Begriffe in der cellistischen Instrumentalpädagogik zu verdeutlichen. Seine überraschenden Resultate haben inzwischen weitgehend Eingang in den allgemeinen Streicherunterricht gefunden.

Gerhard Mantel wurde 1930 in Karlsruhe geboren. Seine musikalische Ausbildung als Cellist erhielt er bei Professor August Eichhorn in Heidelberg. Später setzte er seine Studien in Paris bei Pierre Fournier, Paul Tortelier und André Navarra sowie bei Pablo Casals und Maurice Gendron fort. Bereits mit 21 Jahren wurde Gerhard Mantel Solocellist in Bergen (Norwegen), zwei Jahre später wurde er Solocellist beim WDR Symphonieorchester in Köln. Neben unzähligen Konzerten in aller Welt wirkte bei er bei mehr als 100 Hörfunk- und Fernsehproduktionen sowie zahlreichen Schallplattenaufnahmen mit. Professor Gerhard Mantel unterrichtet an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und erteilt Meisterkurse im In- und Ausland. Zudem ist er Ehrenpräsident der Deutschen Sektion der ESTA (European String Teachers' Association). Darüber hinaus gründete und leitet er das 'Forschungsinstitut für Instrumental- und Gesangspädagogik e.V.'.

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Leseprobe

Einleitung

Dieses Buch soll keine »Celloschule« sein. Es gibt eine Reihe von guten neueren Unterrichtswerken, die in sinnvollem methodischen Fortschreiten von den einfachen bis hin zu den komplizierteren Problemen der Cellotechnik dem Lehrer einen »Leitfaden« zur Unterrichtsgestaltung, dem Schüler Übungsmaterial für einen systematischen Aufbau seiner Technik zur Verfügung stellen. Neben dem Übungsmaterial enthalten sie im Allgemeinen Anweisungen, die sich z. B. auf Haltung, Übungsweise und Zielsetzung beziehen. Allen diesen Werken ist gemeinsam, dass in ihnen die Entwicklung eines Schülers von den ersten tastenden Versuchen bis zu einem mehr oder weniger souveränen Stand technischen Könnens gewissermaßen im Längsschnitt dargestellt wird. Diese Werke haben eine wichtige Funktion in der Pädagogik unseres Instruments. Sie lenken den Prozess des Lernens.

Seltener hingegen findet man Werke, die von der Frage ausgehen: »Was geschieht eigentlich beim Spielen?« Hier wird die Technik gewissermaßen im Querschnitt betrachtet. Ausgangspunkt ist nicht die Frage: »In welchem Entwicklungsstadium befindet sich die Technik eines Spielers?«, sondern die Frage: »Was macht ein Könner anders als ein Nichtkönner?«, wobei Könner und Nichtkönner innerhalb eines kurzen Zeitraums durchaus von derselben Person dargestellt werden können.

Charakteristisch für die »Längsschnitt-Betrachtung« wäre der Satz: »Man übe diese Stelle so lange, bis sie sicher sitzt.« Charakteristisch für die »Querschnitt-Betrachtung« wäre der Satz: »Man versuche herauszufinden, was beim Gelingen dieser Stelle im Gegensatz zu ihrem Misslingen geschieht

Wenn auch niemand einfach einige Phasen seiner Entwicklung überspringen kann, jeder also einen Prozess des Lernens durchlaufen muss, so soll in diesem Buch der Akzent doch auf der zweiten, nämlich der »Querschnitts-Betrachtung« liegen.1 Von einer Lehrmethode im strengen Sinn kann dabei nicht gesprochen werden, denn zu jedem Zeitpunkt jeder Methode ist diese Anschauungsweise möglich und sinnvoll. Sie setzt natürlich gewisse Grundkenntnisse im Cellospiel voraus, kann aber jedem Cellisten, Lehrer, Schüler und Autodidakten (und jeder ist in gewissem Sinne Autodidakt) unabhängig vom erreichten Stadium Anregungen zum Üben liefern.

Es liegt hier eine Erfahrung beim Üben zugrunde: Üben ohne eine genaue Vorstellung, was eigentlich geübt werden soll, ist Zeitverschwendung. Das klingt ziemlich platt, die Frage wird jedoch verständlicher, wenn sie genauer gestellt wird: »Unter welchen Gesichtspunkten wird hier und jetzt geübt? Rhythmus? Intonation? Gedächtnis? Klangqualität? Tempo? Klarheit der Vorstellung? Phrasierung? Koordination zwischen rechts und links? Untersuchung körperlicher Spannungen? Eleganz der Bewegung? Kraft und Ausdauer?« Wir haben hier eine Fülle von möglichen Aspekten; natürlich ist es unmöglich, beim Üben alle gleichzeitig zu berücksichtigen. Bei sinnvollem Üben können immer nur sehr wenige dieser Gesichtspunkte – eigentlich nur ein einziger – gleichzeitig berücksichtigt werden.

Fehlt eine übergeordnete Idee beim Üben, dann bringt dies nicht nur keinerlei Nutzen, sondern schadet sogar: All das, was das Gelingen einer Stelle verhindert, wird durch zahlreiche Wiederholungen ja in den Automatisierungsvorgang miteinbezogen. Am Ende des Übens geht die Stelle vollkommen automatisch – falsch.

Nun können aber andererseits Anweisungen, die in bestimmtem Zusammenhang richtig sind, durch unzulässige Verallgemeinerung falsch werden. Sie können in Sackgassen führen, aus denen sich nur unter größten Mühen ein Ausweg finden lässt. Oft gründen sie sich auf ungenaue Beobachtungen, auf die Verwechslung von (statischer) Haltung und (dynamischer) Bewegung oder einfach auf ungeprüfte Übernahme von den »geistigen Vorfahren«, also den Lehrern des Lehrers. Hier einige Beispiele für solche ungenauen Anweisungen:

Der linke Daumen soll locker am Cellohals aufliegen.

Der rechte Arm soll niedrig (oder hoch) gehalten werden.

Laut spielt man mit allen Haaren des Bogens, leise mit wenigen.

Beim Lagenwechsel muss der Arm in die neue Lage fallen.

Der rechte Daumen soll entspannt sein. Die Kraft wird mit dem Armgewicht auf den Bogen übertragen.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eine Anweisung aber, die nicht beweisbar ist, gibt dem Schüler keine Chance, eigene Erfahrungen durch eigene Einsicht in ihren Sinn zu machen, um das nun selbst als zweckmäßig Erkannte immer wieder zu tun und schließlich zu automatisieren.

Ein Buch über die Technik des Cellospiels begegnet einer prinzipiellen Schwierigkeit: Zwischen dem Bereich der »Musik« und dem der »Technik« muss bei dieser Themenstellung irgendwo die Grenze gezogen werden. Hinsichtlich des Spielerlebnisses – und darum geht es hier – lässt sich das Spiel jedoch nicht aufspalten in körperliche, seelische und geistige Kategorien, wobei der Technik der körperliche Bereich zukäme.

Es leuchtet jedem ein, dass sich eine mangelhafte Technik dem musikalischen Ausdruck hindernd in den Weg stellt, da die schönste künstlerische Vorstellung verloren ist, wenn sie nicht in Klang umgesetzt werden kann. Aber nicht nur das klingende Resultat wird durch eine mangelhafte Technik beeinträchtigt, sondern schon die Vorstellung dieses Resultats wird eingeengt, wenn ein an sich fantasievoller Spieler nicht über die Mittel verfügt, feinste Details der Phrasierung mit überzeugender Sicherheit darzustellen. Außerdem führt eine körperliche Anstrengung, verbunden mit wiederholten Enttäuschungen, schließlich zu einer seelischen Grundhaltung der Frustration, aus der heraus eine souveräne künstlerische Gestaltung nicht mehr möglich ist.

Umgekehrt beflügelt die technische Sicherheit des eigenen Spiels zur Suche nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten.

Der Spieler selbst kann also das Erleben der eigenen Technik vom Erleben der musikalischen Gestaltung nicht trennen. Wohl aber ist es möglich, den Gesamtvorgang des Spiels logisch in lehr- und lernbare Einzelbereiche zu gliedern. Für die Praxis gelingt uns damit die Trennung der »Technik« von der »Interpretation«, und gleichzeitig erhalten wir einen Ansatzpunkt für die Analyse dieser Technik.

Eine solche Gliederung kann folgendermaßen aussehen:

1.Oberste Instanz, die die Aufgaben stellt, ist die Persönlichkeit des Spielers mit allem, was ihr an Fantasie, Energie, Erlebnisintensität und Wissen zur Verfügung steht.

2.Sie schafft sich eine musikalische Vorstellung vom klingenden Resultat.

3.Um diese Vorstellung zu verwirklichen, bedarf es einer genauen Kenntnis der instrumentalen Forderungen, d. h. einer Einsicht – die intuitiv sein kann – in den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem Klang und seiner physikalischen Hervorbringung.

4.Sodann muss eine körperliche, »sportliche« Bereitschaft bestehen, diese Forderungen in der Bewegung zu erfüllen; es muss die vom Instrument geforderte Kraft und Beweglichkeit vorhanden sein.

5.Die drei Faktoren »musikalische Vorstellung«, »körperliche Gegebenheiten« und »instrumentale Forderungen« führen zur Vorstellung vom Bewegungsziel. Die Zielvorstellung kann sich sowohl auf die Stelle auf dem Griffbrett als auch auf die innerlich vorausgehörte Tonhöhe beziehen; außerdem kann sie aus dem Bewegungsgedächtnis kommen. Bei der linken Hand bezieht sich diese Vorstellung mehr auf den Endpunkt der Bewegung, bei der rechten Hand mehr auf den Verlauf der Bewegung.

6.Die Zielvorstellung wiederum führt zur Bewegung selbst. Ein Ziel kann aber auf mehrere Bewegungsarten erreicht werden.

7.Die Bewegung geht ihrerseits mit einer bestimmten Bewegungsempfindung einher. Diese Empfindung kann deutlich oder undeutlich sein.

8.Die Bewegungsempfindung führt zu einer ständigen Kontrolle und damit Korrektur der Bewegung durch den fortwährenden (unbewussten) Vergleich mit der Bewegungszielvorstellung.

9.Zielvorstellung, Bewegung und Bewegungsempfindung stellen einen Regelkreis oder besser Steuerungsmechanismus dar. In die kontinuierlich korrigierenden Impulse, die das äußere Geschehen lenken, spielen außerdem minimale psychische Spannungen hinein; man könnte auch sagen, diese sind die innere Entsprechung dessen, was äußerlich (physiologisch) geschieht. Sie sind im Bereich von Hoffnung und Enttäuschung...

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