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E-Book

Clara Rilke-Westhoff

Eine Biografie

AutorMarina Bohlmann-Modersohn
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641123109
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Eine ungewöhnliche Frau kämpft um ihren Platz in der Kunst.
Clara Rilke-Westhoff (1878-1954), Tochter aus Bremer Kaufmannsfamilie, war eine der Vorreiterinnen der Frauen in der Kunst. Wie ihre Weggefährtin Paula Modersohn-Becker brach sie mit den Konventionen ihrer Zeit und wählte eine Domäne, die bis dahin vor allem Männern vorbehalten war: die Bildhauerei. Sie geht nach München - um 1900 neben Paris die führende Kunststadt Europas - dann in die Künstlerkolonie Worpswede, arbeitet bei Max Klinger und wird Schülerin Auguste Rodins. Zurück in Worpswede begegnet sie Rainer Maria Rilke. 1901 heiraten die beiden. Zeitlebens leidet die Künstlerin unter dem Spannungsverhältnis ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter und ihrem künstlerischen Schaffen. Heute stehen ihre Skulpturen Seite an Seite mit den Werken Rodins im Pariser Musée d'Orsay.

Marina Bohlmann-Modersohn ist in Bremen geboren und arbeitete nach ihrem Studium an der Sorbonne für die Pariser Redaktion des »Spiegel«. Langjährige Arbeitsaufenthalte führten sie nach London, München und Hamburg. Marina Bohlmann-Modersohn ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt heute als freie Autorin bei Bremen.

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Leseprobe

KAPITEL I

Oh, München! Diese göttliche Freiheit!

OKTOBER 1896 – MÄRZ 1898

Von jungen Mädchen findet man’s entsetzlich, wenn sie ein Selbst sein wollen, sie dürfen überhaupt nichts sein, im besten Fall eine Wohnstubendekoration oder ein brauchbares Haustier, von tausend lächerlichen Vorurteilen eingeengt.

Franziska zu Reventlow

Siebzehn! Das Bedürfnis, aufzubrechen, um sich weit weg von dort, woher sie stammt, allein und ungestört auf ihre künstlerische Laufbahn vorzubereiten, setzt eine gehörige Portion Selbstvertrauen voraus, viel Mut, einen exzessiven Freiheitsdrang und Neugier auf das Fremde.

Weiß Clara Henriette Sophie Westhoff, wie verbreitet die Vorurteile Frauen gegenüber sind, die Kunst studieren wollen mit dem Ziel, diese zu ihrem Beruf zu machen und damit Geld zu verdienen? Ist ihr bewusst, wie groß die männliche Konkurrenz ist, wie verschworen die Bünde der Meistermaler, die malende junge Frauen als Dilettantinnen verhöhnen und ihnen das Tor zu einem Akademiestudium immer noch verschlossen halten? Kann sie sich ein Bild machen, wie schwierig die Lebensbedingungen speziell für Künstlerinnen sind und schließlich: Wie kaum vereinbar Leben und Kunst?

Doch Fragen solcher Art übersteigen vermutlich ihre 17-jährige Vorstellungskraft, und statt sie sich zu diesem frühen Zeitpunkt ihres jungen Lebens überhaupt zu stellen, packt sie im Oktober 1895 lieber ihre Koffer und freut sich auf das nun beginnende Neue.

Dass der Vater, gebürtiger Bremer und Kaufmann in zweiter Generation, auf den Wunsch seiner einzigen Tochter, Malerin zu werden und für ihre künstlerische Ausbildung nach München zu gehen, mit wohlwollender Akzeptanz reagiert und nicht mit Entsetzen – in der von patriarchalischen Strukturen und moralischen Zwängen geprägten Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs ist das keine Selbstverständlichkeit.

Doch Friedrich Westhoff, der seine drei Kinder von früh auf im Zeichnen und Malen unterrichten ließ und selbst in jeder freien Minute hinaus in die Natur ging, um zu malen, fühlt sich der Kunst verbunden, und in der Familie seiner zweiten Ehefrau Johanna Westhoff, geborene Hartung, einer weltoffenen und von bürgerlichen Wertvorstellungen unabhängigen Frau, deren Mutter mit Clara Schumann musizierte, war künstlerische Betätigung ebenso wenig etwas Ungewöhnliches.

Friedrich und Johanna Westhoff haben Vertrauen in die Tochter und glauben an ihr Talent. Das temperamentvolle junge Mädchen wirkt so zielstrebig und entschlossen, dass sie ihr Vorhaben gerne unterstützen wollen. Trotz der vielen Kilometer zwischen Bremen und München und trotz der hohen Ausbildungskosten.

München gilt um 1900 neben Paris als führende Kunststadt Europas. Mit ihren bedeutenden Sammlungen, Museen und Ausbildungsstätten wie der renommierten Akademie der Künste oder der Münchner Damen-Akademie, lockt die alpennahe Residenzstadt nicht nur Maler und Bildhauer von überall her an. Auch Schriftsteller, Musiker, Meister der Lebenskunst und solche, die es werden wollen, lassen sich an der Isar nieder, vorzugsweise in Schwabing, im Norden der Stadt.

Schwabing, eben noch ein winziger Marktflecken inmitten von Wiesen- und Ackerland und erst seit kurzem ein Stadtteil von München, ist ein charaktervolles, idyllisches Viertel. Weitläufiges Grün, schmale, lange Straßen mit Häusern, in denen man preiswerte Zimmer mieten kann, zahlreiche Wirtshäuser; Universität und Kunstakademie sind nicht weit. In der Türkenstraße 28 ist eine Gruppe debattierfreudiger Kleinkünstler eben dabei, sich zu Deutschlands erstem politischen Kabarett »Elf Scharfrichter« zusammenzuschließen, und in der Kaulbachstraße 51a gründet der Verleger Albert Langen mit dem »Simplicissimus« eine satirische Zeitschrift, die vom 1. April 1896 an alle zwei Wochen in München erscheint. Ihr Wappentier ist eine rote Bulldogge. Zähnefletschend fegt das Tier durch die selbstherrlichen Amtsstuben des wilhelminischen Obrigkeitsstaats und entlarvt im Namen von Th. Th. Heine und Olaf Gulbransson, Frank Wedekind, Jakob Wassermann und Ludwig Thoma seine Schwächen: Zensur, Bürokratie, Militär, Parteien, Klerus. Dabei wird selbst die Frauenbewegung, für die München um 1900 ein Zentrum ist, in ihrem Kampf für weibliche Entfaltungsmöglichkeiten und bürgerliche Rechte nicht verschont. So erscheint im »Simplicissimus« ein Text mit einer Karikatur von Bruno Paul, die eine Studentin mit ihrem Lehrer zeigt: »Sehen Sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent.«

Und wer ist dieser junge Autor, den man häufig mit einem Stapel von Manuskripten unter dem Arm in die Kaulbachstraße gehen sieht? Es heißt, er arbeite für Albert Langen als Lektor und schreibe gerade an einem Roman. Schon bald erscheinen die »Buddenbrooks«, und der 26-jährige Thomas Mann jubelt: Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft … München leuchtet.

Oh, München! Diese göttliche Freiheit! Clara Westhoff, seit wenigen Wochen Schülerin der privaten Malschule von Friedrich Fehr und Ludwig Schmid-Reutte in der Theresienstraße 71, ein Riesengebäude mit lauter Maler-Ateliers, besucht von jungen Damen, fühlt sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Unter Münchens Privatschulen, die seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen, ist Fehr/Schmid-Reutte die bekannteste und beliebteste. Mit ihrer Aufnahme in die Zeichenklasse von Friedrich Fehr hat Clara Westhoff Glück. Diese gilt als vorzüglich.

Keine Prüfung, keine Mappe, nichts ist nötig, was die Zulassung an privaten Schulen oder so genannten »Damenateliers« bedingte. Begabung hin oder her, die Masse macht’s. »Weiber« zu unterrichten ist ein lukratives Geschäft. Sobald ein junger Künstler die Akademie verlassen hat und seinen Lebensunterhalt noch nicht mit dem Verkauf seiner Bilder bestreiten kann, lehrt er vorzugsweise an einem Damenatelier oder leitet es sogar. Obgleich die Gebühren dort um ein Vielfaches höher sind als die an der staatlichen Kunstakademie, spielt die Qualität des Unterrichts in der Regel eine eher untergeordnete Rolle. Wichtig sind die Umsatzzahlen. Doch Frauen, die sich künstlerisch ausbilden lassen möchten, bleibt nur dieser Weg. Denn sowohl die Münchner Akademie der Künste als auch die anderen großen Kunsthochschulen in Dresden, Düsseldorf und Berlin verwehren ihnen bis auf ganz wenige Einzelfälle den Zugang. Daran wird sich auch in den kommenden zwei Jahrzehnten kaum etwas ändern.

Ich bin sehr froh, in dieser Schule zu sein, berichtet Clara Westhoff nach Hause. Die Eltern sollen es gleich wissen: Sie setze alles daran, erst einmal gründlich zeichnen zu lernen, ehe sie zu malen beginne. Der Fehler der meisten ist, dass sie zu früh anfangen, zu malen, schreibt sie im März 1896 nach Bremen und äußert sich abschätzig über die Damen in ihrer Klasse, die so für sich und ihre Familien etwas malen lernen wollen und deren Arbeiten so für den Haushalt genug, nämlich eher beiläufig ausgeführt würden und sich neben Handarbeit, Musik und Dichtung auf den häuslichen, familiären Bereich beschränkten. Doch natürlich gibt es Ausnahmen. Schnell weiß sie die Dilettantinnen von jenen Mitschülerinnen zu unterscheiden, die ernsthaft an ihrer künstlerischen Karriere arbeiten. Marie Czajkowska gehört dazu. Die polnische Porträt- und Landschaftsmalerin ist ein Jahr jünger als Clara Westhoff und studiert von 1896 bis 1900 ebenfalls bei Fehr/Schmid-Reutte. Die beiden Künstlerinnen werden sich, ohne dass sie es zu diesem Zeitpunkt ahnen könnten, während ihrer weiteren Studien in Paris wiedersehen.

Zwar kommt Friedrich Fehr, sehr jung, süßlich und parfümiert, nur zweimal in der Woche zur Korrektur, doch Clara Westhoff empfindet seine kritische und strenge Art als ehrlich und fühlt sich von ihm ernst genommen: Er kam zu mir, sprach mit mir einen Moment, schob meine Staffelei etwas anders, wischte meinen Anfang wieder weg und zeigte mir, wie man’s machen muss. Fehr hatte die Angewohnheit, mit seinem Daumen hier einen Schatten zu setzen, dort für ein effektvolles Licht zu sorgen. Das motivierte seine Schülerin: Je mehr ich studiere, je mehr ich lerne, je mehr ich sehe, desto mehr angefeuert werde ich.

Bald weiß sie, was ihr besonders liegt. Clara Westhoff zeichnet Porträts und macht Studien nach dem lebenden Modell. Wir zeichnen jetzt im Atelier einen Neger. Sehr interessant und schwer. Ganz andere Gesichts- und Schädelbildung. Am 12. Februar 1896 kann sie Vater und Mutter Westhoff voller Stolz von ihrer Teilnahme an Anatomiekursen berichten, die zu den speziellen Fächern bei Fehr/Schmid-Reutte gehören: Eine tote Menschenhand in Spiritus mit einem ganzen Stück Arm noch dran. Leichenteile. An diesen Anblick müsse sie sich erst gewöhnen, gesteht sie einschränkend ein, doch schließlich sei dieses Fach Teil ihres Studiums. Indem sie sich in dieser Disziplin übt, arbeitet die Malschülerin unbewusst an einer wesentlichen Voraussetzung für ihr späteres bildhauerisches Werk.

Und wie sieht es mit dem Aktzeichnen aus? Dass ein junges Mädchen vor dem nackten Modell arbeitet, gilt als anstößig und unschicklich. Darum ist die Teilnahme am Aktunterricht nicht ohne das Einverständnis der Eltern erlaubt. Zum Glück muss Clara keinen zähen Kleinkrieg mit ihrem Bremer Zuhause führen, um diese Erlaubnis zu erlangen. Vater und Mutter Westhoff geben ihrer Tochter umgehend grünes Licht.

Doch die...

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