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Hochburg des Antisemtismus

Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert

AutorKlaus Taschwer
VerlagCzernin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783707605341
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Universität Wien eine der weltweit führenden Universitäten, heute rangiert sie in so gut wie allen Hochschulrankings jenseits der ersten hundert. Vieles ist über den Niedergang der Universität Wien nach dem »Anschluss« 1938 bekannt, als es zur größten rassistischen und politischen Vertreibungswelle kam, die es je an einer Hochschule gab. Weitgehend unerforscht blieben dabei bis jetzt allerdings der intellektuelle Aderlass und die antisemitische Gewalt, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg an der Universität einsetzten. Jüdische und linke Studierende wurden regelmäßig verprügelt, Wissenschafter jüdischer Herkunft hatten keine Chance auf Karrieren - verhindert von geheimen antisemitischen Cliquen, die in diesem Buch erstmals aufgedeckt werden. Dieses universitäre Klima half, dem Nationalsozialismus in Österreich den Weg zu bereiten, und wirkte nach 1945 lange nach. Anhand zahlreicher neuer Quellen liefert Klaus Taschwer zum 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien erschreckende Einblicke in die Lage der Universität von den 1920er- bis in die 1960er-Jahre und schildert zahlreiche kaum oder gar nicht bekannte Details ihres Niedergangs.

Klaus Taschwer, geboren in Judenburg, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Wien. Lektor am Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung der Universität Wien sowie Gründungsredakteur des Wissenschaftsmagazins »heureka« . Des Weiteren arbeitet Klaus Taschwer als Journalist beim »Falter«. 2013 erster Journalist-in-Residence am Max-Planck- Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

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EINLEITUNG


Die vier Adressen der Universität Wien


Am 5. Juni 2012 war es so weit: Nach jahrelangen Diskussionen beschloss der Wiener Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft mit den Stimmen der SPÖ und der Grünen, den nach dem ehemaligen Bürgermeister Karl Lueger benannten Abschnitt der Ringstraße in Universitätsring umzubenennen. Die Initiative dafür war von der Universität Wien und zahlreichen Wissenschaftern wie dem Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel ausgegangen, der als Neunjähriger vor den Nazis aus Wien in die USA hatte flüchten müssen. Der Grund für die Adressänderung: Es sei unangebracht, ausgerechnet mit diesem Abschnitt des Rings, an dem das 1884 eröffnete Hauptgebäude der Universität Wien steht, einen Antisemiten und Wissenschaftsfeind zu würdigen. Ausschlaggebend für die politische Entscheidung sei denn auch der ausdrückliche Wunsch der Universität gewesen, zu ihrem 650-Jahr-Jubiläum 2015 nicht mehr an dieser Adresse zu firmieren, die für Eric Kandel schlicht »eine Schande« war.1 Anfang Juli 2012 wurde die Auswechslung der Schilder vollzogen: Aus dem Dr.-Karl-Lueger-Ring wurde der Universitätsring.

Dr.-Karl-Lueger-Ring hieß der Abschnitt der Ringstraße, an den die Universität in den 1880er-Jahren übersiedelte, erst seit 1934. Zunächst stand das 1884 offiziell eröffnete Hauptgebäude der Universität Wien am Franzensring, benannt nach Franz I. (1768–1835), dem ersten Kaiser von Österreich. Der Franzensring wiederum wurde nach dem Ende der Monarchie 1919 in »Ring des 12. November« umbenannt – dem Tag der Republikgründung im Jahr 1918. Diese drei unterschiedlichen Anschriften der Universität im 20. Jahrhundert stehen für drei Phasen ihrer Entwicklung, die auf den folgenden Seiten bis zum letzten runden Geburtstag der Universität im Jahr 1965 nachgezeichnet werden: Auf den spektakulären Aufstieg und ihre wissenschaftliche Glanzzeit bis zum Ersten Weltkrieg (am Franzensring) folgte eine erste Phase des Niedergangs in der Ersten Republik (am Ring des 12. November), in der indes noch der frühere Weltruhm nachwirkte. In den Jahren und Jahrzehnten nach 1934 – also am Dr.-Karl-Lueger-Ring – folgte der Absturz in die wissenschaftliche Provinzialität.

Waren die meisten Aufsätze und Bücher über die Universität Wien, die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind, bestimmten, eng umgrenzten Phasen gewidmet – insbesondere den sieben Jahren des Nationalsozialismus oder dem ersten Jahrzehnt nach 19452 –, so wird hier ganz bewusst eine überblickshafte Darstellung der Zeit vor allem zwischen 1918 und 1965 gewählt. Dahinter stehen mehrere Grundannahmen: Zwar kam es nach dem »Anschluss« 1938 an der Universität Wien zur größten Vertreibungswelle, die je aus rassis­tischen und politischen Gründen an einer Hochschule in so kurzer Zeit vollstreckt wurde und von der mehr als 250 Lehrende betroffen waren. Die Zerstörung wissenschaftlicher Exzellenz an der Universität Wien hatte allerdings bereits in den 1920er-Jahren begonnen. Und sie war nicht nur den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der Zwischenkriegszeit geschuldet, sondern antisemitisch hausgemacht, wie auf Basis von neuem Quellenmaterial gezeigt werden soll.

Einige der Professoren, die sich an der »informellen Vertreibung« von Forscherinnen und Forschern schon in der Zwischenkriegszeit beteiligt hatten, fanden sich nach 1945 an universitätspolitischen Schlüsselstellen wieder. Dazu gehörte etwa der Pädagoge Richard Meister, der nach 1945 zum Rektor der Universität Wien wurde und viele Jahre lang Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war. Personen wie er – sowie deren schwarz-braune Netzwerke – waren mitverantwortlich dafür, dass nach 1945 kaum jemand von den Vertriebenen – insbesondere jenen jüdischer Herkunft oder linker Gesinnung – zurückgeholt wurde und dass sich auch an der Universität Wien für gut zwei Jahrzehnte die bleierne katholische Reaktion breitmachen konnte.

Kurzum: Nur im Bewusstsein dessen, was sich an der Alma Mater Rudolphina im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zugetragen hat und welche Personen und Netzwerke dort bestimmend waren, lässt sich verstehen, was dort nach 1933/34, nach dem »Anschluss« 1938 sowie nach 1945 geschah. Zwar gab es in diesen Schlüsseljahren die radikalsten Veränderungen und Kürzungen beim wissenschaftlichen Personal der Universität Wien. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch einige wichtige personelle und strukturelle Kontinuitäten gab, die sich über alle Umbrüche hinweg von der Ersten Republik bis weit in die Zweite Republik hinein nachzeichnen lassen und die mitverantwortlich für ihren Niedergang waren.

Am Beginn dieser kurzen Geschichte der Universität Wien steht allerdings ihre beste Zeit: In den Jahren zwischen der Eröffnung des Hauptgebäudes am Ring 1884 und dem Ersten Weltkrieg war die Alma Mater Rudolphina eine der führenden Universitäten, wie auch anhand kürzlich wiederentdeckter Literatur gezeigt wird: So besaß sie im Jahr 1900 die zweitgrößte Universitätsbibliothek weltweit, und 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, hatten weltweit nur drei andere Universitäten mehr Studierende. Die zweite Wiener Medizinische Schule der Universität Wien war in dieser Zeit ebenso weltberühmt wie die Österreichische Schule der Nationalökonomie. Hier lehrten Kapazitäten wie die Physiker Ludwig Boltzmann und Ernst Mach, der Geologe Eduard Suess oder Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse – um nur einige jener Gelehrten zu nennen, die nicht nur ihre jeweiligen Disziplinen im 20. Jahrhundert prägen sollten, sondern auch weit in die Gesellschaft hineinwirkten.

Doch nicht nur aufgrund dieser wissenschaftlichen Leistungen nahm die Universität Wien eine Ausnahmestellung im öffentlichen Leben ein: Viele der Lehrkräfte waren um 1900 aktiv darum bemüht, im Rahmen volkstümlicher Universitätskurse wissenschaftliche Erkenntnisse an die breite Bevölkerung zu vermitteln. Die Universität fungierte damit gleichsam als liberales und aufklärerisches Bollwerk gegen das »Schwarze Wien« des christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger. Umgekehrt genoss die Universität Wien in der Bevölkerung einen hervorragenden Ruf und konnte beeindruckende Summen von privaten Wohltätern einwerben. Es gab also, anders als gerne behauptet, eine kurze Zeit in der Geschichte Österreichs, in der nicht nur Kunst und Kultur, sondern auch die Wissenschaften hohe öffentliche Wertschätzung genossen.

Auf diese kurze Zeit des Glanzes folgte mit dem Ersten Weltkrieg das erste folgenreiche Kapitel des wissenschaftlichen Abstiegs der Universität Wien. Mit dem Ende der Habsburgermonarchie zerbrach nicht nur ein Vielvölkerstaat, sondern auch das eingespielte und hierarchisch organisierte Hochschulsystem Kakaniens, an dessen Spitze die Alma Mater Rudolphina gestanden war. Dazu setzte im zum Kleinstaat geschrumpften Österreich eine wirtschaftliche und politische Dauerkrise ein, die auf die Wissenschaft durchschlug. Durch die Zuwanderung von Studierenden aus Galizien und der Bukowina radikalisierte sich gerade auf akademischem Boden der bereits vorhandene Antisemitismus, der das Universitätsleben der Zwischenkriegszeit entscheidend mitbestimmen sollte.

Die Studierenden und Burschenschafter erzeugten ab Beginn der 1920er-Jahre insbesondere an der Universität Wien eine bürgerkriegsähnliche Atmosphäre für Studierende und Lehrende, die jüdischer Herkunft und/oder politisch links eingestellt waren. Das Ausmaß der physischen und psychischen Gewalt, das hier auf Basis der Zeitungsberichterstattung rekonstruiert wird, wird womöglich ebenso erschrecken wie der frühe Vormarsch der Nationalsozialisten, die ab 1923 eine bestimmende Kraft in der Studentenschaft waren. Angesichts ihrer Ausschreitungen witzelte das Satireblatt Der Götz von Berlichingen über einen weiteren Namenswechsel für jenen Abschnitt des Rings, an dem die Universität Wien stand: »Der Ring des 12. November soll auf besonderen Wunsch der Studenten abermals umbenannt werden. Der Magistrat der Stadt Wien hat sich für die Bezeichnung ›Schlagring‹ entschieden.«3

Auf Seiten der Lehrenden hingegen wurde mehr oder weniger geheim eine antisemitische und antilinke Personalpolitik vollstreckt. An der philosophischen Fakultät, die bis 1975 die Geistes- und Naturwissenschaften umfasste, wurden die Fäden von einer braun-schwarzen Professorenclique gezogen, die unter dem Decknamen Bärenhöhle operierte. Deren Existenz wurde erst 2012 aufgedeckt, ihre Machenschaften werden hier erstmals in detaillierter Weise beschrieben. Dieses geheime Netzwerk von 18 Professoren, die vor allem aus den Geisteswissenschaften kamen und politisch den Deutschnationalen wie auch den Christlichsozialen und Katholisch­nationalen zuzuordnen waren, hintertrieb spätestens ab 1923 erfolgreich Habilitationen jüdischer und/oder linker Forscher und sorgte dafür, dass mit wenigen Ausnahmen nur noch »arische« und politisch rechts stehende Professoren berufen wurden. Wissenschaftliche Qualität wurde zur Nebensache degradiert. Ähnliches gilt für die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät, wo der Kreis um Othmar Spann für antisemitische Verhältnisse sorgte. Eine Folge war, dass etliche der begabtesten jüngeren Forscherinnen und Forscher außerhalb der Universität Wien tätig waren, und nicht wenige gingen bereits ab Mitte der 1920er-Jahre ins Ausland.

Zu dieser Zeit beklagte der französische Philosoph Julien Benda in seinem hellsichtigen Buch »La trahison des clercs« einen »Verrat der Intellektuellen« – so die deutsche Übersetzung des...

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