Kick-off: Smart Data Unser – Mit weniger Daten mehr erreichen
»If we have data, let’s look at data. If all we have are opinions, let’s go with mine.«
Jim Barksdale, Ex-CEO von Netscape
Size doesn’t matter
Wie groß ist eigentlich das »Big« in Big Data? Technologieanalysten und IT-Anbieter haben sich in den letzten Jahren mit Hochzahlen überboten. Peta, Zetta, Yotta. CD-Stapel bis zum Mond. Oder waren es DVD-Stapel bis zum Mars? Je höher die Hochzahl, desto besser. Denn die Daten sind ja das neue Öl. Und weil Speicher immer billiger, Rechner immer schneller und Algorithmen immer klüger werden, können wir diesen Rohstoff nutzen. Daten in Wissen umwandeln heißt dann Prozesse optimieren, bessere Entscheidungen treffen und vollkommen neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Aha.
Leider ertrinken viele Unternehmen zurzeit im Datenüberfluss. Viel hilft oft gar nicht viel. Viele Topmanager beschleicht das ungute Gefühl: Die digitale Kompetenz ihres Unternehmens wächst nicht in gleicher Geschwindigkeit wie die Nennung der Worthülse »Big Data« in Strategie-Meetings. Sie beobachten im schlimmsten Fall gar, dass der mindestens so unscharfe wie trendige Begriff auf dem Weg der digitalen Transformation mehr schadet als hilft: weil sich allenthalben Enttäuschung breitmacht.
Big Data ist eine Zauberformel: Wir greifen so viele Daten wie möglich ab. Die Maschine, angeleitet von ein paar menschlichen Superhirnen, sagt uns dann, wie wir unsere Wertschöpfung an welcher Stelle um wie viel Prozent verbessern können. Oder noch besser: Wie wir uns – in der Von-null-auf-eins-Logik des Paypal-Gründers und Facebook-Investors Peter Thiel – mit einem neuen Geschäftsmodell neu erfinden. Oder zugespitzt in Techie-Sprache formuliert: Big Data = Big Bang!
Digitale Technologien kamen schon immer als Großmäuler auf die Welt. Sie versprechen viel und halten erst einmal ziemlich wenig. Die Zauberformel der Massendatenanalyse entzaubert sich gerade selbst und die Begrifflichkeit Big Data ist in besonderer Weise mitverantwortlich, weil das Volumen der Datenmenge in den meisten Anwendungsfeldern nicht das entscheidende Kriterium dafür ist, ob Daten tatsächlich Mehrwert bringen.
Es kommt nicht auf das Datenvolumen an, sondern auf die richtigen Daten in der richtigen Varianz.
Die großen Big-Data-Versprechen schlagen gerade hart auf dem Boden der Unternehmensrealität auf. Das erfahren wir in den letzten Monaten in nahezu jedem Gespräch mit Managern und IT-Entscheidern. Der Enttäuschung ob teuer gescheiterter Datenanwendungen folgt oft Verwirrung, in einigen Fällen gar eine Art Schockstarre. Denn allen Beteiligten ist freilich auch bewusst: Keine Daten sind auch keine Lösung.
Dieses Buch beschreibt einen intelligenteren Weg aus dem Tal der Big-Data-Enttäuschung. Diese Route eignet sich für Unternehmen, die sich nicht in der digitalen Startup-Logik »von null auf eins« bewegen. Er eignet sich für »n-plus-1-Organisationen«. Also für Unternehmen mit einem in der Vergangenheit gut funktionierenden Geschäftsmodell, welche die Chancen der Datenanalytik intelligent nutzen wollen, um ihr Geschäft besser zu betreiben. Die Daten nicht als eigenes Geschäftsmodell verstehen, sondern als Kernelement, um Kunden besser zu verstehen. Und die entsprechend auch nicht auf Datenmengen in Türmen bis zum Mond schielen, mit denen vielleicht Google zurechtkommt, aber bestimmt nicht das eigene ERP-System, das 1995 eingeführt und seitdem immer wieder erweitert wurde.
Der Mittelweg eignet sich für Unternehmen, die verstanden haben: Es kommt nicht auf das Datenvolumen an, sondern auf die richtigen Daten in der richtigen Varianz.
Wir nennen diesen Weg: Smart Data.
Mit diesem Begriff wollen wir kein in Verruf geratenes Buzzword durch ein neues ersetzen. Smart Data ist weder eine technische Lösung noch ein neues Management-Mantra.
Smart Data ist eine praktikable Haltung mit der Leitfrage:
Wie nutzen wir Kundendaten effizient, ohne uns selbst technisch, personell und finanziell zu überfordern?
Aus dieser Haltung ergibt sich eine iterative, also schrittweise vortastende, hypothesenbasierte Vorgehensweise. Der gesunde Menschenverstand ist dabei ein ebenso wichtiger Rohstoff wie die Daten. Ziel ist es in allen Anwendungsfeldern von Smart Data, Kunden besser zu verstehen, um sie zu binden und damit ihren Kundenwert langfristig zu erhöhen.
Der Smart-Data-Weg ist einer mit vielen Etappen. Die Route steht nicht von vornherein fest. Denn niemand weiß heute schon genau, was die Kunden in drei bis fünf Jahren wirklich wollen und welche Technologien sich durchgesetzt haben werden. Das Management braucht natürlich eine Vorstellung von der Marschrichtung. Den genauen Weg, wie Kundenbedürfnisse in Zukunft besser bedient werden können, weisen aber Experimente. Aus einzelnen Smart-Data-Projekten entsteht bei systematischer Vorgehensweise ein selbstlernendes System. Immer mehr Menschen und Abteilungen in Unternehmen lernen auf diesem Weg, Kundendaten immer intelligenter zu nutzen. Das Gelernte wird zum Automatismus. Die Beteiligten, besonders die auf der Business-Seite, tappen dabei nicht permanent in die technischen und persönlichen Überforderungsfallen der Big-Data-Ansätze, bei denen der geschäftliche Big Bang leider ausblieb.
Wenn dieses intelligente Vortasten gelingt, sind Smart-Data-Projekte Ausgangspunkte und Wegmarken für die digitale Transformation der gesamten Organisation. Diese Transformation muss dann nicht einmal so heißen. Die digitale Veränderung wird als so selbstverständlich und gewinnbringend empfunden wie die ständig zunehmenden Fähigkeiten des Smartphones als Alltagsassistent.
Smartest in Class
Interessant in diesem Zusammenhang ist: Eine große digitale Vision hat oft eine widersprüchliche Wirkung auf Unternehmen. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, wenn sich das Topmanagement intensiv und kompetent mit der Frage auseinandersetzt, wie die Digitalisierung das eigene Geschäftsmodell langfristig verändern wird. Meist steht bei diesen Diskussionen der Begriff »disruptiv« groß auf Flipcharts oder Smartboards im Raum und im Idealfall stehen dort auch Skizzen von Geschäftsmodellen, die jenen von aufstrebenden Startups und digitalen Champions ziemlich ähnlich sehen. Auf der anderen Seite raubt die große Vision – bzw. der Vergleich mit den digitalen Vorreitern – oft die Energie für die ersten Schritte auf der digitalen Transformationsreise. Getreu dem Motto: Wir werden nie Google werden! Oder Apple! Oder Amazon!
Der Smart-Data-Weg ist einer mit vielen Etappen. Die Route steht nicht von vornherein fest.
Diese Wahrnehmung ist natürlich in den allermeisten Fällen richtig. Das Problem ist allerdings oft, dass damit die eigene Ambition insgesamt schwindet und der Führungsanspruch in der eigenen Branche verloren geht.
Smart-Data-Haltung ist: Du musst nicht Google werden, um der erfolgreichste Versicherer, Multikanal-Händler oder Schraubenhersteller mit eigenem Vertrieb zu bleiben oder zu werden. Du musst nur in deiner Branche das Unternehmen mit dem höchsten digitalen IQ werden. Denn smart bedeutet, intelligent die Chancen der Datenanalyse zu nutzen, richtig zu priorisieren und diese neuen Möglichkeiten mit den eigenen Stärken zu verbinden. Mit anderen Worten: Smarte Unternehmen träumen nicht davon, so datenkompetent wie die Besten im Silicon Valley zu werden. Sie wollen die smartesten in ihrer Klasse sein und sich Schritt für Schritt mithilfe von Analytik Wettbewerbsvorteile gegenüber der direkten Konkurrenz aufbauen.
Smart Data in der Nussschale
Dieses Buch geht den Smart-Data-Weg in fünf Schritten:
Teil I analysiert den Stand der digitalen Dinge aus Sicht von Unternehmen, die nicht zu den Vorreitern der Digitalisierung gehören und noch auf der Suche nach einer für sie passenden Datenstrategie sind. Ausgangspunkt ist das Problem des Überangebots an Daten und eine Dekonstruktion des Begriffs (und des Phänomens) Big Data. Dann beschreiben wir, systematisiert nach Branchen, warum Nicht-Handeln trotzdem keine Option ist und aus welchen Richtungen die digitale Tsunami-Welle auf wen mit welcher Wucht zurollt. In Kapitel 3 des Eingangsteils definieren wir, was wir unter Smart Data konkret verstehen und wie ein übergeordneter Ansatz aussehen kann, um zu einem Smart-Data-Champion zu werden.
Teil II entwirft einen Zyklus: einen Prozess in fünf Schritten, mit dem Unternehmen ein selbstlernendes System für Marketing und Vertrieb schaffen. Dieses System fußt zunächst auf Hypothesen, die Mensch und Maschine später immer weiter schärfen. Kernbaustein des Smart-Data-Zyklus ist eine intelligente, da integrierte und für alle Unternehmensteile gültige, Segmentierung. Diese schafft ein immer besseres und einheitlicheres Verständnis vom Kunden. Erhöhte Kundenkenntnis wiederum legt im Zyklus die Grundlage, um die eigenen Stärken immer smarter herauszuarbeiten. Das Ergebnis ist die Fähigkeit, den Kunden...