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Die Schwierigkeiten des Betens
Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet.
Beten heißt, unsere Herzen für Jesus öffnen. Und Jesus ist alles, was wir Sünder in Zeit und Ewigkeit brauchen. »Er ist uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung« (1. Kor. 1,30). Hier haben wir die biblische Ansicht über den Zweck, den Platz und die Bedeutung des Gebets in dem göttlichen Erlösungsplan. Jesus sagte einmal: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh. 15,5). Er wusste, wie buchstäblich wahr dieses Wort ist, wie völlig hilflos wir ohne ihn sind. Aber gleichzeitig sagte er: »Bittet, so wird euch gegeben« – alles, was ihr braucht, und mehr. Und er wurde nicht müde, uns zum Gebet einzuladen, anzuregen, aufzumuntern, zu ermahnen, ja, es uns zu befehlen. Die vielen und verschiedenen Aufforderungen der Bibel zum Beten werfen in ihrer Gesamtheit ein besonderes Licht auf das Gebet. Sie zeigen uns, dass das Beten der Pulsschlag im Leben des erlösten Menschen ist.
Hier möchte ich gern einige Gebetsaufforderungen anführen, die Gott selbst an uns richtet: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete? Oder wenn er ihn bittet um einen Fisch, eine Schlange biete? Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!« (Matth. 7,7-11).
»Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren« (Joh. 15,7).
»Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden« (Phil. 4,6).
Allein diese drei Schriftworte erscheinen mir ausreichend, um klarzumachen, wie Jesus das Gebet sieht. Wenn ich es mit meinen Worten ausdrücken soll, würde ich ungefähr so sagen: Jesus geht hin zu dem Sünder, weckt ihn aus seinem Sündenschlaf, bekehrt ihn, vergibt ihm alle Sünden und macht ihn zu seinem Kind. Er nimmt ihn an seine starke, durchbohrte Hand und sagt: »Nun will ich den ganzen Weg mit dir gehen und will dich sicher in den Himmel bringen. Wenn immer du in Schwierigkeiten und Angst kommst, sage es mir sofort. Ich will dir, ohne dir etwas vorzuwerfen, alles geben, was du brauchst und mehr, jeden Tag und jede Nacht, solange du lebst.«
Mein Freund, glaubst du nicht auch, das war es, was Jesus eigentlich meinte, als er uns das Gebet gab? So sollen wir es gebrauchen. Und so will er auf unser Bitten antworten, mit gnädiger, überfließender Erhörung. Beten sollte das Mittel sein, wodurch ich unablässig alles, was ich bedarf, erhalte, es sollte meine tägliche Zuflucht, mein täglicher Trost, meine tägliche Freude, meines Lebens reiche und unerschöpfliche Glücksquelle sein.
Darum ist es einleuchtend, dass ein Kind Gottes Jesus keine größere Sorge machen kann, als das Beten zu versäumen. Denn dadurch schaltet es die Verbindung mit dem Erlöser aus, und sein inneres Leben muss konsequenterweise verwelken und verkrüppeln, so wie es bei den meisten von uns der Fall ist. Viele versäumen das Beten in solchem Maße, dass ihr geistliches Leben langsam erstirbt. Ich verstehe darum die bittere Sorge, die aus Gottes Herzen kommt, wenn er zu uns sagen muss: »Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet« (Jak. 4,2). Er hat alles, was wir bedürfen, und nichts möchte er lieber, als seine Gaben an uns weitergeben. Wir aber bitten nicht. Wir haben keine Zeit, sagen wir. Oder wir vergessen es. Die Folge ist, dass wir in unserem Heim und in der Gemeinde wie Krüppel umhergehen, geistig verhungert und entkräftet, so dass wir kaum Kraft haben, auf eigenen Füßen zu stehen, geschweige denn gegen die Sünde anzukämpfen und dem Herrn zu dienen.
Ich habe viel gesündigt gegen meinen himmlischen Vater, nachdem ich bekehrt war, und habe ihm viel Sorgen gemacht in all den 25 Jahren, die ich mit ihm lebe. Aber ich erkenne nun, dass die größte Sünde nach meiner Bekehrung, das, womit ich Gott am tiefsten betrübt habe, die Vernachlässigung meines Gebets war. Denn diese Vernachlässigung ist die Ursache meiner übrigen Versündigungen und Unterlassungen. Die zahllosen Gelegenheiten des Gebets, die ich ungenutzt vorübergehen ließ, die vielen Erhörungen, die mir zugedacht waren, wenn ich nur gebetet hätte, je mehr ich in die heilige Welt des Gebets hineinsehen darf.
Warum gelingt den meisten von uns das Beten so schlecht? Diese Frage bewegt mich, seit ich durch Gottes Gnade zu beten anfing. Und ich denke, wir werden uns ohne weiteres zugestehen, dass Beten eine schwierige Sache für uns ist. Und zwar liegt die Schwierigkeit in der Ausführung des Gebets. Wir empfinden es als Anstrengung.
Dass der natürliche Mensch das Beten als eine Anstrengung empfindet, ist nicht so sonderbar, denn »der natürliche Mensch vernimmt nichs vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit« (1. Kor. 2,14). »Fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott« (Röm. 8,7).
Der natürliche Mensch kann wohl einen Drang zum Beten fühlen, beispielsweise wenn er in Not ist oder gerade in einer religiösen Stimmung. Aber in ein regelmäßiges und tägliches Gebet kann er nicht einwilligen. Er findet es vielmehr unverständlich, dass Gott so viel Gewicht auf das Beten zu legen scheint. Er führt viele Gründe an, warum er nicht so oft betet, wie die meisten Priester oder Prediger verlangen. Er sagt zu sich selbst: Der Herr erwartet gewiss nicht von einem gesunden, arbeitsfreudigen Menschen, dass er so viel von seiner kostbaren Zeit mit Beten verbringen soll. Besonders in unserer modernen Zeit, wo jedermann so beschäftigt ist. Ob der Herr nicht arbeitende Hände höher bewertet?
Der natürliche Mensch betrachtet das Beten als eine lastvolle Aufgabe. Eine Bürde, welche darum die meisten natürlichen Menschen ganz liegen lassen. Andere nehmen sie auf sich und beten jeden Tag ein bisschen. Aber sie empfinden es als eine harte Forderung und tun es nur, weil der Herr so genau damit ist und es durchaus haben will. Dass so die Gesinnung des natürlichen Menschen ist, wundert uns nicht. Hingegen wundert es uns sehr, dass wir so viel von dieser Gesinnung auch unter gläubigen Christen antreffen, jedenfalls bei vielen unter uns.
Bei der Bekehrung werden wir zu einem innigen und eifrigen Gebetsleben angeleitet. Die Stunde des Gebets ist die wunderbarste Stunde des Tages. Aber nach einer längeren oder kürzeren Zeit fängt das Gebet an, Schwierigkeiten zu machen. Es wird schwer und anstrengend. Die aufrichtige Seele hält zwar fleißig und treu am Gebet fest. Aber sie muss sich oft dazu zwingen. Das Gebet, der freie, frohe und dankbare Umgang der begnadeten Seele mit Gott ist eine Pflichtsache geworden, die mehr oder weniger pünktlich je nach Charakter- und Willensstärke ausgeführt wird.
Je anstrengender das Gebet wird, desto leichter versäumen wir es. Und bald zeigen sich die unseligen Folgen; zwar nicht sofort, aber desto unwiderstehlicher. Die zunehmende weltliche Gesinnung, die uns mehr und mehr Gott gegenüber fremd werden lässt, führt dazu, dass wir immer weniger Dinge mit ihm zu besprechen haben. Wir entwickeln einen Geist des Widerspruchs, der ständig Vorwände und Entschuldigungen findet für die Vernachlässigung des Gebetslebens. Unser inneres Leben beginnt zu erlahmen. Der Schmerz über ein Leben in Sünde wird nicht mehr so brennend empfunden wie vorher, denn die Sünden werden Gott nicht mehr in ehrlichem Bekenntnis vorgelegt. Eine weitere Folge hiervon ist, dass unser Blick verschwommen wird und wir nicht mehr klar unterscheiden können zwischen dem, was Sünde ist und was nicht. Man kämpft wohl gegen Sünden an, aber in eben demselben Sinne wie es Weltmenschen tun; das heißt, man meidet die Sünden, die gefährliche Folgen haben, vom Standpunkt ihrer Konsequenzen aus gesehen!
Sein Ansehen als Christ möchte man aber nicht gern missen. Darum versucht man, solange es nur angeht, den weltlichen Sinn zu verbergen. Im Gespräch und auch im gemeinsamen Gebet erliegt man der Versuchung, Worte zu gebrauchen, die ohne innere Wahrheit sind. Diese leeren Worte und das ganze unechte Wesen legen sich erdrückend auf den kleinen Rest von Gebetsleben, der im Herzen übrig geblieben ist.
Alles das sind die Folgen davon, dass das Gebetsleben langsam einschläft. So geht es vielen Gläubigen.
Diese traurigen Erfahrungen in Verbindung mit dem Gebet, die ich mit vielen anderen teile, haben mir viel Veranlassung zum Nachdenken gegeben.
Einige meiner Gedanken darüber will ich hier wiedergeben.
Ich habe mich gefragt, ob nicht die meisten Schwierigkeiten beim Beten darauf beruhen, dass wir es falsch machen. Das Gebet ist ein feines und empfindliches Instrument. Es richtig zu gebrauchen, ist eine große, eine heilige Kunst. Keine menschliche Kunst reicht an die Kunst des Betens heran. Alle anderen Künste beruhen auf großen, angeborenen Fähigkeiten, erfordern umfangreiche Kenntnisse und eine Menge Geld, um die oft lange und kostspielige Ausbildung zu bestreiten. Mit der Kunst des Betens verhält es sich, Gott sei Dank, nicht so. Sie beruht weder auf großen angeborenen Fähigkeiten noch auf vielen Kenntnissen noch auf Geld. Auch der Unbegabteste, der Ungelehrteste und der Ärmste kann diese heilige Kunst ausüben. Aber auch diese Kunst stellt ihre Bedingungen. Wesentlich sind diese beiden: Übung und Ausdauer. Ohne Übung wird kein Christ ein Beter werden. Und Übung wird nicht ohne Ausdauer...