Kapitel 1
Studieren geht über Probieren
Ein Kapitel, welches sich bemüht, den geneigten Leser in die richtige Schule zu schicken, und welches ihm zu erklären versucht, warum es zweierlei Pferde gibt: gute und solche, auf die er zu sitzen kommt.
Man beginnt sein Reiterleben nicht mit dem Kauf von Sporen, sondern mit einer Schnüffeltour durch die erreichbaren Etablissements, in denen das Reiten gelehrt wird.
Da sind – in allen besseren Städten – ein Reit- und Fahrverein und ein bis drei private Reitställe. Wofür Sie sich entscheiden, ist keine Frage des Geldes; der Unterricht kostet überall etwa gleich viel. Es ist schon eher eine Frage der Pferde; doch das können Sie noch nicht beurteilen, erstens, weil Sie nichts davon verstehen, und zweitens, weil Sie sich das Pferd, das unter Ihnen zu leiden haben wird, ja doch nicht aussuchen können. Es ist eine Frage der Menschen. Man lernt nicht reiten, wie man Autofahren lernt: Nach einer absehbaren Zahl von Stunden hat der Prüfer auch mit dem Dümmsten Mitleid und gibt es ihm schriftlich, dass er von nun an offiziell sich und andere in Gefahr bringen darf. Reiten gefährdet ernstlich niemanden, von der ersten Stunde an nicht, doch lernt man unendlich viel länger daran. Bis man die Gänge, das Gas und die Bremse nur gefunden hat! Von ihrer properen Bedienung gar nicht zu reden. Die Wahl der Reitschule ist also für Sie zunächst eine Frage der Menschen, die dort reiten, denn Sie müssen, wenn es Ihnen wirklich ernst ist, jahrelang mit ihnen umgehen.
Setzen Sie sich in die Kasinos und in die Reiterstübchen, die zu jedem Reitunternehmen so zwingend dazugehören wie zum Pferd der Schweif. Erfahren Sie auch beim zweiten oder dritten Besuch immer wieder aufs Neue, von wem sich die Damen dauerwellen und bei wem sie schneidern lassen, wie vorteilhaft in den Winterferien die Exklusivität der Zürser »Alpenrose« gegenüber dem doch schon leicht verpöbelten »Taoro« auf Teneriffa abschneidet, dann ist zu befürchten, dass Sie im falschen Zug sitzen. Spricht man hingegen von Pferden und von eigenen Fehlern, belegt der Stall auf namhaften Turnieren nicht nur die besten Tribünenplätze, sondern auch gute Plätze in Springen und Dressur, dann ist anzunehmen, dass man Ihnen hier das Reiten wohl beibringen wird.
Weder so noch so muss dies stimmen. Abgesehen davon, dass Zürs und Teneriffa ja auch wirklich hörenswerte Ferienorte sind, gibt es in leicht versnobten Instituten nicht selten Reitlehrer, die solche Luft nur widerwillig atmen und sich mit wahrer Leidenschaft eines Schülers bemächtigen, der zu erkennen gibt, dass er der Pferde wegen, nicht seiner 500-Euro-Stiefel zuliebe, in den Unterricht kommt. Und was die pferdebesessenen Betriebe wiederum angeht, so betreiben sie das Geschäft der Anfängerausbildung nicht selten mit der seelischen Grimasse eines Gourmets, der sich aus Liebe zu einer Frau gezwungen sieht, ihre ordinären Bratkartoffeln zu preisen.
Wie man’s anfängt, ist es falsch. Aber man muss ja mal anfangen. Fangen wir also endlich an.
Sie haben sich für einen Betrieb entschieden, und da sitzen Sie nun – nein, noch lange nicht auf einem Pferd – auf den staubbedeckten Zuschauerplätzen der Reithalle, einem mehr oder weniger großen Rechteck von der Gemütlichkeit einer Bahnhofshalle. Glücklich darin sind nur die Spatzen, die sich um die Rossbollen raufen. Für den Reiter ist die Halle ein höchst notwendiges Übel; in ihr sitzt er sein Lernpensum ab, bewegt sich und sein Pferd, wenn Wetter oder Ausbildungsstand ihn daran hindern, Gottes freie Natur aufzusuchen. Schwitzkasten im Sommer, Eiskeller im Winter. Doch wer sich zu gut für sie dünkt, hat den Sinn des Reitens nicht begriffen. »Tür frei, bitte!«, schallt es zu Ihnen herüber. In der ein Meter fünfzig hohen Holzbande, die das Bahnrechteck umzieht, wird eine Tür aufgestoßen. Jemand führt sein Pferd herein. Sein Tür-frei-Ruf warnte Reiter, die schon in der Bahn sind, vor einer Kollision.
Der feine Mann lässt sich sein Pferd vorführen, wie morgens das Auto vom Chauffeur. Ein Pferdepfleger stellt es ihm hin, schnallt den Sattelgurt nach, zieht die Bügel herunter und hält das Pferd fest, damit es seinem Herrn nicht durch Davonlaufen zeigen kann, wie wenig es von ihm hält. Endlich ist er droben.
Der Reiter bringt sein Pferd selbst in die Bahn, prüft, wenn er nicht auch gesattelt und gezäumt hat, Sattel und Kopfzeug, schwingt sich behänd und ohne dass sein Pferd sich von der Stelle rührte, über den Sattel, sitzt weich ein, nimmt den rechten Bügel auf, ordnet die Zügel und reitet an. Lachen Sie nicht über den Dicken da, der sich prustend, mit einem Bein im Bügel, auf dem anderen seinem antretenden Pferd hinterherhoppelnd, in den Sattel quält. Warten Sie ab, bis Sie zum ersten Mal aufsitzen. Sie werden sich wundern. Immer mehr Pferde werden in die Bahn geführt. Die Spatzen schilpen ärgerlich: »Wieder überhaupt keine Ruhe heute beim Essen!« Es herrscht Einbahnverkehr, stellen Sie fest; alle reiten in der gleichen Richtung, außen an der Bande um die Bahn herum und auf großen Kreisen, die Langsamen weiter innen. Schritt, Trab, Galopp. Regellos. Jeder etwas anderes. Es gibt Stauungen, Knäuel von Pferdeleibern in einer Ecke, und Sie denken: So kann das doch nicht weitergehen!
So geht das auch nicht weiter. Der Herr Lehrer erscheint. »Guten Morgen, die Herrschaften!«, oder auch: »Guten Abend, die Herrschaften!« Je nachdem. Geritten wird von morgens um sieben bis abends um acht oder neun. »Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen!«, murmelt es von den Pferden herunter, und damit ist der Austausch von Höflichkeit zwischen Reitern und Lehrern für eine Stunde beendet.
»Abteilung bilden!«, schnarrt es. »Anfang Waldfee. Dann Stelldichein, Sausewind, Aida, Deutschmeister, Stahlgewitter, Prinz, Larifari, Degenknauf …« und noch ein halbes Dutzend Pferdenamen. Reitlehrer rufen ihre Schüler meist beim Namen ihrer Pferde: »Vorwärts, Fahnenjunker!« oder »Kopf hoch, Tosca!« Ein bisschen Verachtung für die Stümper schwingt darin mit, doch überwiegt das Praktische: Die Pferde bleiben meist jahrelang im Stall, die Schüler weniger. So schwer hatten sie es sich nicht gedacht. Also gehen sie wieder – zum Auto, zum Tennis, zum Golf zurück. Neue kommen. Wer soll die Namen alle behalten!
»Anfang hier!«, ruft es von der Waldfee herunter; ihr Reiter hebt die Hand. Stelldichein geht dahinter. Sausewind, äpfelnd, folgt. Und so weiter. Eine lange Schlange aus Pferdeleibern, alle im Schritt, die Zügel lang.
»Zügel aufnehmen!«, schnarrt es jetzt. »Im Arbeitstempo … Terrrrrrrab! Leichttraben!«
So fährt ein Zug an: unsichtbare Spannung von vorn nach hinten, mit kaum merkbarer Verzögerung rollt Wagen um Wagen an, der gleiche Räderrhythmus, das gleiche Tempo. Fünfzehn Pferde vollführen genau das. Vom ersten Tritt an reiner Takt in allen Beinen, eine Pferdelänge Abstand von Tier zu Tier, nicht mehr, nicht weniger. Fünfzehn mit Leder besetzte Hosenböden heben und senken sich taktrein über den Sätteln. Immer schwungvoller werden die Gänge, immer weiter treten die Hinterbeine unter den Leib, die schönen Hälse runden sich, die geschlossen kauenden Mäuler kommen herunter, an den Zügel, die ersten Schaumflocken fliegen … Na bitte, denken Sie, hier bin ich richtig! Das ist ein Bild! Und Pferde sind das, die gehen ja von allein! Langsam.
Möglicherweise sind Sie hier richtig. Aber was Sie soeben sahen, sagt nichts aus darüber, ob Sie hier auch Chancen haben, richtig reiten zu lernen. Von diesen Pferden wird keines für Sie gesattelt; sie gehen nicht im Schulbetrieb. Es sind Privatpferde, kostbare Geschöpfe nicht selten, die Sie sich – vielleicht – leisten, die Sie aber noch nicht reiten können.
Lösen Sie sich noch keine Karte für den Unterricht. Folgen Sie mir bitte erst zum Schwarzen Brett des Unternehmens, an dem der Reitplan angezwickt ist. »Schulpferde-Abteilung (Anfänger)«, steht da, unter, sagen wir: »Donnerstag 19-20 Uhr.« Treffen wir uns also am Donnerstagabend in der Halle. Zügeln Sie Ihre Ungeduld. Sie fallen noch früh genug herunter.
Nicht wahr, das ist weniger erhebend, das haben Sie in der »Reitvorschrift für eine Geliebte« nicht gelesen: Pferde, deren Fell schon ein bisschen stumpf ist, kein Schachbrettmuster auf dem Hintern, keine zierlich geflochtene Mähne; unter den Sätteln, die, schwarz von jahrelangem Gebrauch, abgewetzt und heruntergesessen sind, keine weißen oder roten Schabracken, sondern eine alte Kommissdecke; stumpf auch das Zaumzeug, die Zügel hart und verdreht; geflickt die Bügelriemen, rostfleckig die Bügel …
Mein Gott! denken Sie, bin ich hier richtig? Wie der Herr, so’s Gescherr … Langsam.
Ein Sattel kostet zwischen 400 und 3000 €. Das Kopfzeug noch einmal 150 €. Die Bügel und Bügelriemen noch einmal 50 €. Bis Sie der Schule das Geld für einen neuen Sattel und neues Zaumzeug eingebracht haben, müssen Sie schon ein paar Jahre reiten, zu 20 oder 30 € die Stunde. Auch sind Pferdepfleger rar. Wer mistet denn gern einen Stall aus, wenn ihm woanders, sagen wir als Gärtner, ein Fernsehapparat ins Zimmer gestellt wird? Und zuerst kommen die Privatpferde und ihr Sattelzeug an die Reihe, denn die bringen das Geld ins Haus – zwischen 300 und 500 € im Monat. Und schließlich: Man kann auch knochenharte Zügel wie eine Gummistrippe halten. Man kann auch auf einem abgewetzten Sattel sitzen, ohne mit dem Gesäß zu klappen. Man kann auch in rostfleckigen Bügeln die Absätze tief stellen.
Wer freilich reitet, um nach...