2. Das soziale Moment der Ehe
Seine Unerläßlichkeit – Das Ideal der sexuell-sozialen Dauergemeinschaft eines Paares – ein ewiges – Dessen Unterschied von der heutigen Dauerehe.
Daß die Aussichten auf Ehe immer geringer, die Hingabe der Frauen immer bedingungsloser, der Wechsel der Beziehungen immer häufiger wird, ist nicht zu übersehen. Einer neuen Ordnung geht logischerweise viel Unordnung voran, und in diesem Stadium halten wir jetzt. »Wie heiratet und verheiratet man«, fragt die alte Fürstin Tscherbatzky in Tolstojs »Anna Karenina« verzweifelt, da es weder mit der französischen noch mit der englischen Methode mehr klappen will. – Im Volk ist der Besitz eines Weibes noch eine Kostbarkeit, um die nicht selten mit Messern gekämpft wird. Das Überangebot an Weiblichkeit ist nur in den »gebildeten« Klassen zu finden. Der sich anbietenden Weiblichkeit gilt das gesellschaftliche Treiben der oberen Stände. Mit allen Mitteln wirbt da die Frau um den Mann. Das Natürliche aber ist, daß der Mann um das Weib wirbt, kämpft, ringt, wütet. Warum das natürlich ist? Erstlich weil, wie schon erwähnt, die Frau der durch die geschlechtliche Vereinigung gefährdete Teil ist, dann weil der Mann das von Natur aggressive Prinzip darstellt. Durch den Bau seines Körpers ist er gezwungen, ein Ziel seiner Begierde zu finden. In ihrer natürlichen Wesenheit aufs gewalttätigste verbildet, in ihren Funktionen zu der befremdlichsten Verkehrung gedrängt – so stehen einander heute die Geschlechter gegenüber. Das legitime Moment der Ehe, von unzähligen äußeren Konstellationen abhängig, mußte dem natürlichen Werbekampf des Mannes um das Weib den Boden abgraben, ihn in sein Gegenteil verkehren. – Dieses Moment der ehelichen Gemeinschaft – das legitime – wird durch eine den Bedürfnissen der Menschennatur besser angepaßte Wirtschafts- und Sexualordnung vielleicht aufzuheben, zu ersetzen, in seiner Wesenheit zu verändern sein. Das Prinzip der Ehe – der Dauergemeinschaft eines Paares – schließt aber neben dem legitimen noch ein anderes Moment in sich, das in seinem Werte unersetzlich erscheint und in jede andere Neugestaltung einer Dauergemeinschaftsform der Geschlechter hinübergerettet werden muß, soll die Menschheit nicht eines wichtigen Haltes verlustig gehen. Dieses Moment ist es, das im letzten Sinne das eheliche Prinzip – über alle Krisen seiner legitimen Erscheinungsform – darstellt, es ist das unentbehrliche Merkmal, ohne die das »Ding« nicht gedacht werden kann, ein hoher Kulturfaktor, der – vom Ansturm, der dem legitimen Prinzip gilt, gefährdet – gerettet und erhalten werden muß. Dieses Moment ist das der offiziellen sozialen Gemeinschaft, die ein Paar eingeht, die wiederum zwei Funktionen erfüllt: einerseits das betreffende Paar nach außen zu schützen – indem durch den unbehindert offiziellen Zusammenschluß die Kräfte der beiden sich mehr als verdoppeln (zwei Energien verbündet, leisten mehr als zwei einzelne, annähernd soviel als drei) – andererseits ihnen Schutz nach innen zu gewähren, gegen die Gefährdung, die einer dem anderen – unverbunden – bedeutet, eine Kunstwehr zu schaffen gegen jene Elementarmacht, »die heute gut ist und morgen beißt«.
Das charakteristische Merkmal der »Ehe« ist, wie wir auch aus der Geschichte der Naturvölker erfahren haben, nicht die Beiwohnung, auch nicht die Schwangerschaft der Frau, sondern der Umstand, daß die Frau das Haus des Mannes teilt und sie sich offiziell als Genossen erklären. Die wirtschaftlich-soziale Gemeinschaft ist ein unerläßliches Attribut der Ehe, alles andere bleibt immer nur ein »Verhältnis«. Nicht nur zusammen »verkehren«, sei es auch dauernd und sei es auch intim, sondern zusammen hausen und wirtschaften und streben, macht – vorausgesetzt natürlich die innere Verbundenheit – die volle Intimität aus. Diese Gemeinschaft erreichbar zu machen, innerhalb einer anderen Sexualordnung, als der heutigen, die in tiefe Unnatur geraten ist und der echten Auslese feindlich entgegensteht – wird die Aufgabe der Zukunft sein. Diese volle häusliche Dauergemeinschaft eines Paares wird in der freiesten Form der Ehe und bei gegenseitiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit erreicht werden müssen. Sie wird sich von der heutigen Dauergemeinschaft dadurch unterscheiden, daß ihr keinerlei Zwang anhaftet, daß sie ein Produkt der reinen Auslese und daß sie vor allem nicht die erste, letzte, ausschließliche und alleinige Form des (erlaubten) erotischen Lebens des Individuums und der Fortpflanzung darstellt, daß sie nicht die einzige Karte ist, auf die in blindem, tollkühnem und erzwungenem Hasard das Schicksal einer Gruppe von Menschen gesetzt wird – daß sie nicht die Form ist, in die halbentwickelte Menschen für »ewig« eingeschlossen werden, sondern eine Endphase, in die das geläuterte, in seinem Triebleben beruhigte, zu einer höheren und freieren Bewußtseinsstufe gelangte Individuum – Mann und Weib – eintritt, wenn es den richtigen Schicksalsgenossen ohne jedes Kompromiß, das seine eigene Entwicklung und die der Art schädigen könnte, und im Zustand seelischer und wirtschaftlicher Freiheit gefunden hat. Den Weg zu diesem Ziel werden wir in einem noch entfernten Abschnitt dieses Buches darzustellen haben. Für jetzt gilt es, den Zustand, den wir als »Ehe« begreifen, zu analysieren und darzutun, welche Elemente dieses Komplexes ihm wesentlich sind und welche andere vorübergehenden Zeitkonstellationen entspringen, die bei der Entwirrung der Krise, in die wir mit unserer gegenwärtig gültigen Sexualordnung geraten sind, entfernt werden, von selbst zerstieben, zerfallen, weggeweht werden müssen beim Anhauch des freigewordenen Lebensbewußtseins der Persönlichkeiten – und welche andere Elemente dieses Komplexes bleibend, weil wesenhaft, der Gattung unentbehrlich und darum, wenn auch in veränderter äußerer Gestaltung – ewig sind.
Das soziale Element der Ehe halten wir für ein ewiges Bedürfnis der Menschheit. Der deutliche und öffentliche Zusammenschluß aller Faktoren, auf denen die Existenz zweier Menschen ruht, ist zu ihrer vollen Befriedigung aneinander notwendig. Das tief Unbefriedigende einer Sexualbeziehung, die nicht auch auf Verknüpfung der beiderseitigen Lebenssituation beruht, ist nicht zu leugnen. Auch ist dieser Zusammenschluß aller Verhältnisse, und so eng als möglich, notwendig, da damit ein Widerstandszentrum gegen äußere Mächte, die zwei Menschen auseinanderreißen wollen, geschaffen ist. Es nutzt im Kampf gegen diese Mächte wenig, die Herzen zu verknüpfen, wenn nicht auch die tausend Bande der gemeinsamen sozialen Situation das Paar eng umschlingen. Auch kann das Individuum im Kampf gegen eine Welt von Widersachern fast noch eher des Geliebten entbehren als des Genossen. Den Dauergenossen zu finden, wird daher immer das instinktive Streben des Individuums bleiben und der durch äußere Zwangsverhältnisse erzwungene Wechsel des Weggenossen als arge Bitternis empfunden werden, zumindest von solchen, die ein erotisches Erlebnis als ein Stück ihres Schicksals empfinden. In jeder Phase seines Lebens eine neue Gemeinsamkeit, eine neue Sexualkameradschaft suchen zu müssen, wird ebenso schwer empfunden werden, als das Gegenteil, das erzwungene Verharren in einer ihrem innersten Wesen nach überwundenen Geschlechtsgemeinschaft. – Die offen eingestandene sexual-soziale Beziehung eines Paares ist schon deswegen nötig, weil ohne diese Offizialität ihre Beziehung der guten Genien der gemeinsamen Freunde, der gemeinsamen Erlebnisse in der Außenwelt entbehrt. Eine Beziehung, die auf ein heimliches tête-à-tête beschränkt bleibt, trägt schon Krankheitskeime in sich. Daran – an dieser erzwungenen Heimlichkeit – scheitert heute so oft das »freie« Verhältnis, darum ist ein solches Verhältnis heute tausendmal unfreier als die gebundenste Ehe. Die Akkreditierung der Gesellschaft auch solchen Verhältnissen gegenüber, die in der Entwicklung jugendlicher Menschen nur eine vorübergehende Phase bedeuten können, wird eines der ersten Gebote einer Sexualordnung sein, die der sexuellen Lüge und Heuchelei, in deren Zeichen die heutige Gesellschaft steht, zu Leibe gehen will. Die Forderung nach dem »provisorischen« Weib und dem »provisorischen« Mann – die einander für die zwingendsten Ansprüche der ersten Jugendjahre genügen, aber nur während dieser und nicht mehr später – das ist etwas, womit zu rechnen die Gesellschaft wird lernen müssen. Heute wird die Tatsache dieser Forderung, die sich aus der Kreuzung natürlicher und kultureller Bedürfnisse ergibt, zurückgeschoben, gewaltsam »ignoriert«, und die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen werden in die dunkelsten Winkel gedrückt, verleugnet, verfemt. Was die »zehn Jahre der Folter« – vom Alter der vollen Pubertätsreife bis zu dem der heiratsfähigen »Gesellschaftsstütze« – für den Mann bedeuten, hat uns Strindberg gesagt. Was sie für die Frau bedeuten – wird vielleicht noch zu sagen sein.
Leichte Lösbarbeit, aber immerhin offizielle Knüpfung des Bandes scheint die Form, welche den seelischen Ansprüchen unserer und der nächsten Generationen am besten entsprechen dürfte. Mit der Anerkennung dieser Leichtlöslichkeit muß aber das Verständnis der Gesellschaft für wiederholte Eheschließungen einer Person Hand in Hand gehen. Nichts ist natürlicher, als daß im Lauf eines Lebens die richtige Verbindung sich erst nach wiederholten »Versuchen«, wenn überhaupt, ergibt. Die Moralheuchelei, welche sich z.B. über den »dritten Mann« einer Frau entrüstet, gehört zu den widerlichsten konventionellen Lügen. Hat doch fast jeder Mann eine lange Reihe von Frauen in seinem curriculum vitae zu verzeichnen....