Liebe, Beziehung, Leidenschaft, Affäre, Treue – all diese Worte sind mit Erwartungen behaftet. Und mit Verhaltensmustern verbunden, die wir aus Filmen, Romanen und Geschichten aus Zeitungen kennen. Die Worte sind Hilfskonstrukte, an denen wir uns festhalten.
2.1 Die großen Worte
Die Liebe gehört nicht zu den urzeitlichen Grundgefühlen des Menschen wie Hunger, Sexualtrieb, Angst, Schmerz. Nein, sie ist ein – zwar wunderbares und prima funktionierendes, aber dennoch – soziales Konstrukt, das wir uns wuschgemäß zusammenbasteln. Liebe ist die von uns selbst erschaffene Manege, in der die wilden Pferde Gier, Trieb, Leidenschaft und sexuelle Ekstase brav im Kreis trotten sollen, damit wir alles schön im Griff haben. Die Pferde tun uns bisweilen den Gefallen, aber nicht immer, denn sie sind wild. Sie brechen gern mal aus. Brennen durch, in die Prärie, rennen, schnaufen, paaren sich und wollen frei sein. Der Kern der Liebe zwischen Mann und Frau ist die sexuelle Spannung, der Trieb, es miteinander zu treiben. Falls Sie etwas anderes glauben, haben Sie zu viel in der Bibel gelesen oder sind von dem vielen Zuckerguss, den wir über die Liebe kippen, schwindlig geworden. Sex ist die Kraft, die sie zusammengeführt hat, und so sollte es sein und bleiben. Sex zwischen Mann und Frau ist unser Bindungselexier.
Das erste große Wort: Liebe
Populäre Irrtümer über die Liebe – Irrtum Nummer 1: Wahre Liebe hält ewig
Ein verbreiteter Irrglaube: Wenn es nicht gehalten hat, dann war es keine wahre, keine echte Liebe. Doch, das war es. Sonst hättet ihr es wahrscheinlich gar nicht bis ins Bett geschafft, oder jedenfalls nicht mehr als einmal. Es gibt keine größere oder kleinere Liebe – es gibt nur die Liebe. Und wenn sie uns packt, dann ist es für den Moment der richtige Partner. Wie lange dieser Moment andauert, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ein guter Verführer wurde gefragt: »Wie viele Frauen in deinem Leben hast du geliebt?« Seine Antwort: »Jede einzelne, mit der ich geschlafen habe.« Das ist gleichzeitig eines der Geheimnisse eines jeden guten Verführers, angefangen mit Großmeister Casanova: Lassen Sie sich ganz auf die Frau ein, leben Sie im Jetzt und lieben Sie im Jetzt. Erst eine Frau, die Liebe spürt, wird sich wirklich öffnen.
In einer kurzen, innigen Liebesbeziehung, die vielleicht nur zwei Tage dauert, kann sich alles entfalten, was zur Liebe gehört: Verlangen, Lust, Leidenschaft, Sehnsucht, Erfüllung, tiefes Glück und Vertrauen. Und danach ist es vielleicht vorbei. Vielleicht ist der Urlaub zu Ende, oder ein unerwarteter Dritter taucht auf, oder man verliert sich aus anderen Gründen. Egal. Entscheidend ist, dass Sie der Liebe in diesen zwei Tagen alle Chancen gegeben haben. Starren Sie also nicht auf die Liebe als Zielvorstellung (und nehmen Sie niemandem das Versprechen ab, Sie für immer zu lieben), und trauern Sie auch nicht um eine vergangene Liebe. Sondern leben Sie die Liebe im Jetzt.
Irrtum Nummer 2: Liebe überwindet alles …
… und wenn die Beziehung nicht funktioniert, dann mangelt es an Liebe. Liebe ist – sehen wir der Sache ins Auge – kein Garant für eine erfolgreiche Beziehung. Liebe kann eine gute Ausgangsbasis sein, um eine dauerhafte Partnerschaft zu schmieden. Aber nicht notwendigerweise. Auch Menschen, die nicht zusammenpassen, die nicht auf einer Wellenlänge liegen, die sich zu sehr voneinander unterscheiden, um auf Dauer ein Paar zu werden, können sich lieben. Und immer, wenn die Gegensätze trotz Liebe zu groß sind, wird es schwierig: Man kämpft um die Liebe, man möchte den anderen behalten, man versucht, sich zu ändern und alles recht zu machen. Man liebt und leidet. Es muss doch klappen! Es ist doch Liebe! Die Wahrheit ist: Es ist Liebe, aber es klappt trotzdem nicht. Ein Zitat meiner geschätzten Kollegin Nina George, alias Anne West (siehe Literaturverzeichnis): »Eine Beziehung funktioniert nicht von selbst, und die Liebe kann den Job auch nicht für Sie erledigen.«
Liebe, diese Mixtur unserer Hormonausschüttungen, unserer Idealvorstellungen und Traumbilder und des gesellschaftlich Erwünschten, trifft zwei Menschen überraschend und relativ wahllos. Es ist einfach ein kleines Experiment der Natur, das mehr oder weniger gut klappen kann, Versuch und Irrtum, oder auch Dauererfolg. Der Natur kann das relativ egal sein, sie gewinnt immer, denn für eine Serie von innigen Verschmelzungsvorgängen wird es reichen. Die Menschheit ist wieder mal gerettet!
Irrtum Nummer 3: Nur die Liebe auf den ersten Blick ist die »echte«
Der vielleicht populärste romantische Irrtum. Es ist ja auch eine schöne Vorstellung: Zwei Menschen treffen sich, sehen sich in die Augen – und zack!, sie sind ab sofort quasi verschmolzen, verheiratet oder sonst was. Und tatsächlich, diese Fälle gibt es wirklich, sonst würden sie nicht so gern in der Literatur und in Schnulzenfilmen zitiert. Der Normalfall sieht jedoch ein wenig anders aus: langsames Beschnuppern, ein wenig Flirten, den anderen austesten, sich körperlich annähern, probeweise den Geruch des anderen inhalieren, … Darauf kommen wir später ausführlich zu sprechen.
Liebe ist ein Gefühlscocktail, der in der Zubereitung ein wenig Zeit braucht. Darum ist der Ausruck »Liebe auf den ersten Blick« auch etwas irreführend. Was da passiert, ist noch keine Liebe. Aber die Liebesschleusen öffnen sich vielleicht durch den Blick auf etwas, das man schon so lange gesucht hat. Das interne »Verbandelungsprogramm« springt an, wir sind ganz »Auge und Ohr«. Dieser Mensch könnte es sein, Achtung! Nein, er ist es! Wenn zwei sich treffen, bei denen es gleichzeitig klingelt, dann kann es wirklich zack-bumm gehen. Das nennen wir dann »Liebe auf den ersten Blick«.
Liebe ist eine Himmelsmacht, einerseits ja. Und andererseits greifen wir (mehr oder weniger bewusst) steuernd ein. Wir können uns vorteilhaft oder weniger vorteilhaft verhalten, attraktiv wirken oder zurückweisend. Ein guter Verführer wird die Liebe, das Mächtigste aller Bindungsinstrumente, immer charmant und liebevoll willkommen heißen – und schauen, dass sie sich wohlfühlt. Er wird das Tor weit öffnen, durch das die Liebe mit einem Mal ganz unauffällig hereinspaziert. Und er sorgt dafür, dass das nicht zwei Jahre dauert, sondern dass die Frau nach zwei Stunden innerlich schreit: »Ich will dich, weil ich dich liebe!«
Irrtum Nummer 4: Wer liebt, ist gut
Wer liebt, erlebt gute Gefühle (oder auch schmerzende), aber er ist kein besserer oder schlechterer Mensch als andere, nur weil er liebt. Die Liebe adelt nicht, sie erhöht uns nicht (nur in Träumen, Gedichten, Romanen und TV-Schnulzen). Sie ist einfach da, und solange sie da ist, können wir in Hormonausschüttungen baden, in unserem Kopf Traumbilder von uns und unserem Schatz malen, und – wenn wir Glück haben – große Geborgenheit und Zufriedenheit spüren. Eine schöne Zeit, um uns selbst durch den anderen Menschen neu zu spüren, auf neue Gedanken zu kommen, sich neue Welten zu eröffnen. Ganze Universen werden durch die Liebe in unserem Geist erschaffen. Es ist eine tolle Sache, ein Super-Ding der kulturellen Evolution des Menschen, das uns turbomäßig nach vorne gebracht hat. Aber es hat nichts damit zu tun, dass der einzelne durch die Liebe »besser« würde. Nur anders. Würden alle Menschen durch die Liebe geadelt und zu besseren Menschen werden, würden nicht so viele kleine Schlechtigkeiten auch in gelebten, geliebten Beziehungen ihren Platz haben.
Das zweite große Wort: Treue
Generationen von Moralaposteln haben uns eingebläut, dass Treue für eine funktionierende Partnerschaft unabdingbar ist. Mehr noch, dass eine gute Partnerschaft nur jene ist, die sich auf Treue gründet. Obwohl wir im Herzen an dieser Auffassung sowieso zweifeln, weil wir oft genug etwas anderes spüren, klebt das Treue-Ding doch häufig wie ein Blutegel an unseren Beziehungen und saugt sie aus. Und spritzt stattdessen Eifersucht, Neid, Verlustangst und Unsicherheit in den Liebeskreislauf.
Treue ist eine wunderbare Sache, wenn sie aus ihrem einzigen legitimen Grund entspringt: der absoluten und überbordenden Lust auf genau einen Menschen, nämlich unseren Partner. Doch wie wir schon gelernt haben, sind Beziehungen gewissen Wandlungen unterworfen, und es ist unwahrscheinlich – wenn nicht unmöglich – dass bei einem Paar, das schon fünf Jahre lang wirklich zusammen (also in der gleichen Wohnung) lebt, tatsächlich die Lust noch so da ist wie am ersten Tag. Das ist keine Katastrophe, kein Grund, gleich alles hinzuschmeißen. Nein, das ist normal.
Und (beinahe) genauso normal ist Fremdgehen – wenn wir schon dieses dezent schuldbesetzte Wort verwenden wollen: Aktuellen Umfragen zufolge gehen 45 Prozent aller Männer und fast genauso viele Frauen (43 Prozent) in ihrer Beziehung fremd. In rund zwei Dritteln aller Dauerbeziehungen geht mindestens einer von beiden fremd. Sind die Sitten so verfallen? Geht es uns so schlecht? Sind wir alle Schweine, oder haben wir alle Partner zum Davonlaufen? Nichts davon. Die Antwort ist eine andere: Es liegt ein Stück weit in unserer Natur.
Wie viele Frauen braucht ein Mann? Viele
»Der Seitensprung«, so schreibt Bas Kast (siehe Literaturverzeichnis) in seinem wissenschaftlich sehr fundierten Buch über die Liebe, »gehört zur genetischen Grundausstattung eines Mannes. Gene, die einen Mann zur absoluten Treue veranlassen, pflanzen sich schlicht weniger fort als solche, die ihm eine Tendenz zum Fremdgehen zuflüstern.« Warum ist das so? Nun, beim Mann ist es eine einfache Rechnung: Je mehr Sexualkontakte er hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass er eine...