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(Wett-)kämpfen im Sport und im Alltag: Spannungsfelder im Erziehungsprozess - verdeutlicht am Beispiel Judo

AutorMichael Schmitt
Verlagdisserta Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl125 Seiten
ISBN9783954254835
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Aus der anthropologischen Grundannahme, dass der Mensch immer 'ist' und gleichzeitig die Aufgabe hat, zu 'werden', ergibt sich in der Pädagogik das ebenfalls dialektische Verhältnis von 'Sein' und 'Sollen'. Die Frage danach, wie sie dieser damit implizierten Anforderung nachkommen kann, durchdringt viele Bereiche der Gesellschaft und wird in diesem Buch aufgegriffen. Auch innerhalb des Deutschen Judo-Bund e.V. gab es eine Zeit lang eine rege Diskussion über ein pädagogisches Leitbild, welche jedoch ohne fassbares Ergebnis wieder verebbte. Dennoch hört man immer wieder den Anspruch, Judo sei pädagogisch sinnvoll. Die sogenannten Judo-Werte sind ein weiteres Indiz hierfür. Dieses Buch versucht nicht, ein unumstößliches Bildungsideal zu konstruieren. Was es liefert, ist vielmehr eine pädagogische Grundauffassung, die zunächst dargestellt wird und dann einen Schwerpunkt auf das Leisten und die Leistung im Sport legt. Anschließend erfährt sie eine konkrete beispielhafte Auslegung am Judo, wodurch gleichzeitig dessen pädagogisches Potenzial analysiert wird.

Michael Schmitt wurde 1983 in Würzburg geboren. Nach dem Abschluss seines Studiums der Sozialen Arbeit im Jahr 2008 begann er in der ambulanten Jugendhilfe zu arbeiten. Seine Schwerpunkte dort sind die Betreuung von Jugendlichen und deren Eltern im Rahmen sozialer Trainingskurse und sozialpädagogischer Einzelbetreuungen. Dort wie auch sonst in seinem Leben spielt der Sport eine wichtige Rolle. Bereits früh probierte er verschiedene Sportarten aus und interessierte sich bald für theoretische Hintergründe. Seit dem Jahr 2009 studiert er zusätzlich zu seiner Arbeit als Diplom-Sozialpädagoge (FH) u.a. Sportwissenschaften und Pädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Der heutige Träger des 2. Dan fand als neunjähriger zum Judo und engagierte sich früh als Trainer. Spätestens seitdem begleitet ihn die pädagogische Dimension des Judo.

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3, Judo als Mittel oder Zweck: Im Judo kann man sportliche Erfolge auf unterschiedliche Weise erfahren - und zwar insbesondere auch im Wettkampf. Kano sah im Judo jedoch in erster Linie ein Erziehungssystem. Wie Judo diesem Anspruch auf der Basis der erarbeiteten Idee des Erziehens als 'Einführen' gerecht werden kann, soll im Folgenden diskutiert werden. Dabei wird auch auf das traditionelle Lehrer-Schüler-Verhältnis (Shitei), wie es in den Grundzügen bereits beschrieben wurde, zurückgekommen, jedoch ohne diesem in vollem Umfang gerecht werden zu können. Vielmehr werden unterschiedliche Aspekte im jeweiligen Kontext aufgegriffen und näher beleuchtet. Dabei soll die Idee des Erziehens als 'Führen' unter 'Judo als bloßer Zweck', die des Erziehens als 'Wachsenlassen' unter 'Judo als bloßes Mittel' und die des Erziehens als 'Einführen' unter 'Judo als Mittel und Zweck' verdeutlicht werden. 3.1, Judo als bloßer Zweck: Judoka dürfen im Erziehungsprozess nicht zum 'Material' des Judo-Lehrers bzw. -Trainers oder sonstiger Erziehungspersonen werden. Der Judo-Lehrer, der den einzelnen Judoka als Mittel für eigene oder fremde, das heißt nicht im jeweiligen Judoka selbst liegende, Zwecke einsetzt, begreift den Prozess des Erziehens als eine Aufgabe des Führens im Sinne eines Technikers oder Künstlers. Dies ist im judospezifischen Zusammenhang zum Beispiel dann der Fall, wenn das Ziel der Erziehungsperson ein (von ihm geformter) Mensch ist, der genau seinen Vorstellungen eines perfekten Judoka entspricht. Dies bezieht sich einerseits auf die Werte und Normen, zu denen er im Hinblick auf ein - evtl. judospezifisches - Bildungsideal hinführen möchte. Andererseits bezieht es sich auf die Verfolgung von sportlichen Zielen des Trainers (oder auch Elternteils), wie beispielsweise einen oder mehrere Judoka in Zukunft besonders erfolgreich sein zu lassen - evtl. aus persönlichem Interesse, selbst 'Nicht-Erreichtes' stellvertretend erreichen zu lassen. In beiden Fällen muss sich das 'Werden' des jungen Judoka im Einklang mit dessen 'Sein' befinden. Letzteres, bestehend aus seinen Bedürfnisse, Interessen, Anlagen, körperlichen Voraussetzungen, Neigungen und auch eigenen Vorstellungen für die Zukunft etc., muss folglich berücksichtigt werden, das heißt diesem Ziel auch entsprechen. Auf diese Weise kann man dem Menschen mit seiner Individualität und eigenen Persönlichkeit gerecht werden. Andernfalls wird Erziehung lediglich als 'Sollen' verstanden und das 'Sein' vernachlässigt. Denn auch im Übungsprozess gilt es, die Autonomie des jungen Menschen zu fördern und auch zu respektieren. Die Gefahr der Vernachlässigung der Autonomiebildung besteht, wenn das unhinterfragbare 'Vormachen-Nachmachen-Lassen', wie es im Shitei zunächst der Fall ist, zu ernst genommen und allumfassend wird. Um also der Autonomie gerecht zu werden, ist ein Trainingsstil nötig, der die Selbständigkeit des jungen Judoka zulässt und nicht auf einer Hierarchie basiert, wie dies beispielsweise bei einem autoritären Führungsstil der Fall ist, bei dem eine Autorität andere Persönlichkeiten unterzuordnen versucht (vgl. LIPPMANN U.A. 2001, S. 300 f). Im Übrigen ist diese Sichtweise auch auf den Erwerb und die Anwendung von Judotechniken übertragbar. Auch wenn es das Ziel eines Judo-Lehrers ist, dem Judo-Schüler eine möglichst umfassende oder auch spezielle Judo-Ausbildung zukommen zu lassen, gibt es doch Techniken und Taktiken, die dem einen mehr und dem anderen weniger liegen. Als Mittler zwischen dem jungen Menschen und dem Kulturgut Judo ist es dennoch die Aufgabe des Judo-Lehrers, diejenigen Judo-Techniken auszuwählen, von denen er meint, dass sie dem Potenzial und auch dem aktuellen Stand des Judo-Schülers gerecht werden. Dabei muss er auf Erfahrungen zurückgreifen. 3.2, Judo als bloßes Mittel: Judo verkommt zum bloßen Mittel, wenn der Judoka alleine im Mittelpunkt steht, ohne dass die Traditionen und geistigen Hintergründe des Judo Berücksichtigung finden. Der Mensch bildet sich somit am Judo hoch und wird diesem als objektiver Geist evtl. nicht gerecht. Der Erzieher greift in dieses Geschehen nicht ein und erhofft sich, dass der Judo-Schüler durch reine Selbsttätigkeit zu seiner Form kommt. Diese Haltung des Judo-Lehrers wird gefördert durch seine Einstellungen zu dem, was Judo war bzw. zu dem, wie sich das Judo bisher entwickelt hat. Hierzu gehören vor allem auch die Rahmenbedingungen, wie das obligatorische Rei oder auch Entwicklungen des Wettkampfs, wie z. B. der Einfluss aus dem russischen Sambo. Das Positive bei dieser Form des Judo-Treibens bzw. Judo-Treiben-Lassens ist auch hier die Möglichkeit der unreflektierten Menschenformung, ohne dass von außen entscheidende Eingriffe im Hinblick auf ein bestimmtes Menschenbild vorgenommen werden. Jedoch stellt sich auch hier die Frage, inwieweit sich das Kulturgut Judo mit seinem vollen Potenzial aus der reinen Selbsttätigkeit des jungen Menschen aneignen lässt. Im Übungsprozess, bei dem der Judo-Lehrer einen Laissez-faire-Stil an den Tag legt, er also eigentlich gar nicht führt, sondern eher für Fragen offen steht und ansonsten 'machen lässt', kommt die Idee des Erziehens als Wachsenlassen im Übungsprozess besonders zum Tragen (vgl. LIPPMANN U.A. 2001, S. 302). In seiner extremsten Ausprägung macht sich der Judo-Lehrer dabei dann sogar überflüssig. Aber auch, wenn sich der Judo-Schüler allein auf Wettkämpfe konzentriert, dabei nur noch Sieg und Niederlage wichtig sind und die Judo-Prinzipien keine Rolle mehr spielen (vgl. KLOCKE 2006, S. 15), wird man dem objektiven Geist zu Gunsten der reinen Selbstdarstellung des Judoka nicht gerecht. Im Shitei zeigt der Sensei dem Deshi bzw. Senpai mit Hilfe der Kunst den Weg, so dass dieser sich dadurch zu einem vollendeten Menschen entwickelt. Dabei ist es relativ egal, mit welcher Kunst dies geschieht. Die Kunst der Selbstverteidigung ist dabei nur eine Möglichkeit von vielen (vgl. GRUNDMANN 1983, S. 236). Wie bereits erwähnt, geht GRUNDMANN dabei sogar so weit, dass er schreibt: 'Das Besondere aller japanischen Übungen [ist] nicht das Werk, sondern die Auseinandersetzung mit dem Ich' (1983, S. 236). Wenn dies im wörtlichen Sinne eine einseitige Auslegung auf die Kunst als Mittel erfährt, so entspricht auch diese Form der Erziehung der des Wachsenlassens. Bei aller Liebe zu seinem System des Judo, 'betrachtete auch Kano Sport und sportlichen Wettkampf als Mittel zum Zwecke der Erziehung' (NIEHAUS 2003, S. 132) und dementsprechend nahm in seinem Erziehungsgedanken - ähnlich wie bei Coubertin (und der traditionellen japanischen Erziehungsvorstellung entsprechend - eine Mittel-Zweck-Trennung großen Raum ein. Dabei schwebten KANO allerdings sehr wohl bestimmte Erziehungsziele vor, wie Selbstkontrolle, Selbstvertrauen und Eigenverantwortung (vgl. 2007, S. 23). Er verfolgte stets das Ziel, das Verhalten des Menschen für diesen nützlich und ihn somit auch gesellschaftsfähig und -tüchtig werden zu lassen und zielte somit sehr stark auf die Entwicklung der Gesellschaft (vgl. NIEHAUS 2003, S. 146). Wenn Judo als ein Mittel benutzt wird, um zu einer bestimmten (geahnten) Menschen- bzw. Gesellschaftsform zu führen, die Zukunft also vorweggenommen wird, wird deutlich, wie nah die Idee des Erziehens als Wachsen lassen bei der des Erziehens als Führen liegt.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
VORWORT3
I EINFÜHRUNG11
II ANTHROPOLOGIE UND PÄDAGOGIK13
1. Die Dialektik des Menschen und der Erziehung14
2. Die Beziehung zwischen Erzieher und zu Erziehendem35
3. Leistungserziehung und Sozialerziehung39
4. Lebensweltorientierung46
5. Freizeiterziehung51
III FREIZEITVERHALTEN VON KINDERN UND JUGENDLICHEN52
1. Demographischer Wandel53
2. Hauptaspekte des heutigen Freizeitverhaltens53
3. Freizeit und Sport55
IV SPORT, SPIEL, TRAINING UND WETTKAMPF58
1. Begriffserklärungen58
2. Leisten und Leistung im Sport60
3. Wettkampf64
4. Erkennen für den Alltag durch Erleben im Sport68
V JUDO71
1. Grundlagen des Judo71
2. Rahmenbedingungen des Judo75
3. Shiai - Wettkämpfe im Judo78
4. Lehrer und Schüler im Judo81
VI (WETT-)KÄMPFEN IM JUDO AUS PÄDAGOGISCHER SICHT83
1. Judo und Personalisation83
2. Begegnungen im Judo85
3. Judo als Mittel oder Zweck88
4. Der Judo-Lehrer93
5. Leistungserziehung und Sozialerziehung im Judo95
6. Dojo und Alltag100
7. Lebensweltorientierung im Judo102
8. Freizeit und Judo105
VII ZUSAMMENFASSUNG107
VIII LITERATURVERZEICHNIS110
KLEINES JUDO-LEXIKON123

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