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E-Book

Die Manns

Geschichte einer Familie

AutorTilmann Lahme
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783104022635
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Acht Menschen, acht Blickwinkel: So wurde die Geschichte der Manns noch nicht erzählt. Tilmann Lahmes Familienbiographie stützt sich auf zahlreiche unbekannte Quellen. Thomas und Katia Mann und ihre sechs Kinder sind ein Teil der jüngeren deutschen Geschichte geworden, hier stehen strahlender Erfolg neben persönlichem Unglück, Arbeitsdisziplin neben Libertinage. Einzelbiographien aller Familienmitglieder liegen zwar vor, aber nun unternimmt Tilmann Lahme nicht nur eine Gesamtschau, sondern untersucht auf der Grundlage zahlreicher bislang unbekannter Dokumente die unterschiedlichen Konstellationen und Abhängigkeiten. Legenden und Deutungen erscheinen in neuem Licht. Aus den verschiedenen Perspektiven entsteht ein vielschichtiges, ungeheuer lebendiges Bild einer Familie, in der um gegenseitige Anerkennung gekämpft wurde und sich auf einmalige Weise Literatur, Politik und Leben durchdrangen.

Tilmann Lahme studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Kiel und Bern. Er war Redakteur im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und lehrt heute Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Familie Mann und hat 2009 eine vielgerühmte Golo-Mann-Biographie veröffentlicht. Für »Die Manns. Geschichte einer Familie« (2015) hat er die gesamte, in großen Teilen unbekannte Familienkorrespondenz der Manns, die er gemeinsam mit Holger Pils und Kerstin Klein herausgegeben hat, ausgewertet.

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Leseprobe

I Eine deutsche Familie 1922–1932


Rebellion im Dichterhaus. Die ältesten Mann-Kinder begehren auf. Die Schule und ihre Lehrer nehmen Erika und Klaus Mann ohnehin nicht ernst. Und mit ihrer »Herzogparkbande« terrorisieren sie die Münchner Nachbarschaft. Mahnungen und gutes Zureden ignorieren sie freundlich. Die Eltern, die nur ungern durchgreifen, ringen sich schließlich zu einem Machtwort durch.

Harmlos hat es angefangen. Während in München die Revolution nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg die alte Ordnung beseitigt hat, haben Erika und Klaus Mann am 1. Januar 1919 mit ihrem Freund Ricki Hallgarten eine Theatergruppe gegründet. Zum Laienbund deutscher Mimiker, wie sie sich nennen, gehören bald auch andere Jugendliche wie Gretel und Lotte Walter, die Töchter des Dirigenten Bruno Walter, Nachbar und Freund der Manns, oder der einige Jahre ältere, literarisch interessierte Wilhelm Emanuel Süskind; auch die Geschwister Monika und Golo Mann dürfen gelegentlich mitspielen. Golo ist in Lessings Minna von Barnhelm als Dame in Trauer ein großer Lacherfolg.

Die älteren Mimiker erweitern bald ihre Bühne. Erika, Klaus und die Walter-Töchter spielen den Leuten in der Münchner Trambahn oder auf der Straße vermeintlich reale Szenen vor, in denen sie von sadistischen Tierquälereien berichten oder sich vor Bedrohung durch böse Männer fürchten; sie unternehmen Telefonstreiche, bei denen besonders Erika mit ihrem Imitationstalent überzeugt; und sie begehen immer trickreichere Ladendiebstähle. Was als harmloser Spaß gedacht war, gerät ins Kriminelle.[14] Der Höhepunkt ist ein Fest, das die »Herzogparkbande« im Frühjahr 1922 zu Ehren eines befreundeten Schauspielers gibt – mit ausschließlich gestohlenen Lebensmitteln. Die Sache fliegt auf. Jetzt reicht es den Eltern: Sie schicken die sechzehn Jahre alte Erika und den fünfzehnjährigen Klaus ins Internat.

Die Ältesten sind nicht die Einzigen, die den Eltern Sorgen bereiten. Golo Mann, 1909 geboren, bekommt zu Ostern sein Jahreszeugnis der vierten Klasse (heute Klasse 8) im renommierten Wilhelmsgymnasium. Er ist sitzengeblieben. Golo sei zweifellos begabt, schreibt sein Klassenlehrer in der »Besonderen Schulzensur«, habe aber wegen seines »großen Unfleißes« in Griechisch und in Mathematik ein »ungenügend« erhalten. »Durch List und Schwindel – er ist da sehr erfinderisch – sucht er, seine Faulheit zu verstecken«.[15] Der dreizehnjährige Golo, der seit früher Kindheit zu hören bekommt, wie hässlich und ungeschickt er ist, findet in der Familie nur schwer einen Platz neben den großen Geschwistern, die mit Witz, Charme und Frechheit für sich einnehmen. Jetzt trägt er auch noch diese Niederlage, das Zeugnis des Sitzenbleibers, nach Hause.

Monika, das vierte Mann-Kind, 1910 geboren, lässt ebenfalls nicht gerade auf eine erfolgreiche Schulkarriere hoffen. Die verträumte, sich meist etwas abseits haltende Tochter sei von »liebenswerte[r] Dummheit«, hat die Mutter ihrem Mann einmal geschrieben, ein Urteil, das im Kern Bestand hat und nur im Fall des Adjektivs variiert wird.[16] Im Mai 1922 besucht Monika die Quinta (heute Klasse 6) des Luisengymnasiums in München. In den Worten ihrer Mutter: »Moni trottet stumpfsinnig in die zweite Klasse.«[17]

Nach wenigen Wochen in der Bergschule Hochwaldhausen, einem reformpädagogisch orientierten Internat in der Nähe von Fulda, schickt Klaus Mann einen Brief nach Hause. Er sei gerade mit Erika über das Pfingstwochenende zu Bekannten nach Frankfurt gefahren. Sie hätten es sich dort mit reichhaltigen Mahlzeiten und Theaterbesuchen gutgehen lassen (»weit über Münchner Niveau«). Fahrt, Essen, Theaterkarten und Trinkgelder seien aber teuer gewesen. Er brauche sofort 100 Mark, und damit fast doppelt so viel, wie ein Kindermädchen bei den Manns im Monat verdient.[18] Um Erlaubnis hätten sie vorher nicht fragen können, meint Klaus Mann: Es sei alles ganz spontan entstanden. Erika Mann fügt dem Brief eine Nachschrift hinzu. Ihr Bruder behandle die Sache mit den 100 Mark wohl etwas »bagatellenmäßig«, meint sie. »Aber es war so schön.«[19]

Wenig später berichtet Klaus Mann vom Leben im Internat wenig Gutes. Die oberen Klassen rebellieren gegen die Schulleitung, und die Mann-Kinder helfen tatkräftig mit. Nicht einmal das Theaterspielen versöhnt mit dem ungeliebten Internat. Klaus und Erika Mann haben für eine Schulaufführung die Hauptrollen in Büchners Leonce und Lena übernommen, trotzdem wollen sie nur weg. »Unser Aufenthalt hier ist weniger traurig für uns, als vollkommen zwecklos«, schreibt Klaus Mann den Eltern. Die Rückkehr nach München sei das einzig Sinnvolle. »Ich hoffte hier Kraft zu finden, die ich an mir vermisste, und finde Schwäche, die sich hinter deutschem Turnlehrertum verkriechen möchte.« Er lerne auch viel zu wenig, und die »verdammte ›praktische Arbeit‹« missfällt ihm ebenso wie das schlechte Essen. Wenn er bedenke, schreibt er noch, »was uns in München dagegen (abgesehen vom Unterricht) geboten wurde«.[20]

Abb. 1 Klaus und Erika Mann als Leonce und Lena

Die Eltern sind fassungslos. »Wir haben den Entschluss, Euch fortzugeben, nicht so ohne weiteres gefasst«, schimpft Katia Mann in einem Brief an Erika, und wenn Klaus nun »einfach schreibt, wenn er bedächte, was Euch in München, und was in Hochwaldhausen geboten würde, so sei Euer Aufenthalt dort der reine Unsinn, so ist das eine nicht ganz richtige Auffassung«. Vom Schulleiter der Bergschule, Otto Steche, habe sie mittlerweile einen Brief bekommen. Über Erika spreche er sich »außerordentlich günstig« aus. »Von Klaus entwirft er eine Charakteristik, die ich für absolut treffend halte, wenn sie mich auch nicht beglückt.« Die Gründe, warum die Eltern sie beide ins Internat geschickt hätten, bestünden schließlich immer noch, meint Katia Mann; »und nur wenn ihr Euch wirklich ändert, wenn heimliche Kino- und Schauspieler-Besuche, Schwindeleien jeglicher Art, das ganze Unwesen mit Walters […] ein Ende haben, kann ein erfreuliches Zusammenleben möglich sein«.[21] Wenig später verlassen Klaus und Erika Mann die Bergschule und kehren zurück nach München. Der Schulleiter Otto Steche hat seine Lektion gelernt. Mit pubertierenden Großstadtkindern will er nichts mehr zu tun haben. Er schließt die oberen Klassen seines Internats.

Um das Treiben seiner Kinder kümmert sich der Vater nicht. Die Erziehung liege ganz in den Händen der Mutter, hat bereits das Wilhelmsgymnasium im Bericht über Klaus Mann festgestellt, mit kritischem Beiklang: »Der Vater, der Schriftsteller Thomas Mann, erkundigte sich nie nach seinem Sohn«.[22] Die Belange der Familie, des Haushalts, der Bediensteten und immer stärker auch der Finanzen, all dies ist Sache Katia Manns. Sie muss vor allem dafür sorgen, ihrem Mann den Arbeitsfrieden zu sichern. Der Alltag dringt nur selten und gefiltert in seine Schreibtischwelt. Hauptsache, es herrscht Ruhe, wenn er arbeiten will – für eine große Familie mit nunmehr sechs Kindern, vier Hausangestellten und einem empfindlichen Schriftstellervater, dessen Arbeitszimmer im Zentrum der herrschaftlichen Villa in der Münchner Poschingerstraße liegt, kein ganz leichtes Unterfangen.

Thomas Mann hat schwere Zeiten hinter sich. Im Alter von 26 Jahren veröffentlichte er 1901 den Roman, der ihn berühmt machte: Buddenbrooks, die Verfallsgeschichte einer Kaufmannsfamilie, in der Eingeweihte die Lübecker Familie des Autors erkennen. Inzwischen liegt die Erstveröffentlichung von Buddenbrooks über zwanzig Jahre zurück. Den zweiten Roman, Königliche Hoheit, hat die Kritik eher kühl aufgenommen. Mancher Schreibplan bleibt ein Entwurf. Aus all dem, womit Thomas Mann selbst nicht ganz zufrieden ist in diesen Jahren, ragt die Novelle Der Tod in Venedig heraus, die Geschichte eines berühmten, alternden Schriftstellers, der sich in Venedig in einen Jungen verliebt und dem Rausch der Gefühle hingibt, aus der Distanz zwar, aber bis zum Verlust der eigenen Würde und damit zum Tod. Ein Meisterwerk, Thomas Mann weiß es selbst: »Es scheint, dass mir hier einmal etwas vollkommen geglückt ist«.[23] Begonnen hat Thomas Mann eine Erzählung, die in einem Schweizer Hochsanatorium für Lungenkranke spielt. Doch den Zauberberg, angeregt von einem langen Sanatoriumsaufenthalt Katia Manns in Davos, hat er unterbrochen, als der Erste Weltkrieg ausbricht.

Mit einem Mal spürte der ehrgeizige Schriftsteller, dessen Werk und Denken bislang um Ästhetisches, um Künstler und Außenseiter kreiste, den Drang, sich politisch zu positionieren. Seinen Kriegsdienst leistete Thomas Mann, der dank literarisch verständiger Ärzte vom wirklichen Soldatentum verschont blieb, am Schreibtisch, mit patriotischen Texten, die den Krieg und den deutschen Obrigkeitsstaat verteidigten.

Der ältere Bruder Heinrich Mann sah es anders. Kurz vor Kriegsbeginn war der erste Teil seines neuen Romans vorab in Fortsetzungen in einer Zeitschrift erschienen: Der Untertan, eine grelle Satire, die den Obrigkeitsgeist des kaiserlichen Deutschlands scharf angreift. Nach Kriegsbeginn stellte...

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