Vorbemerkung: Endlich gut einschlafen!
Davon träumen wir Eltern alle: Wir bringen unsere Kinder abends ins Bett, sagen ihnen gute Nacht und die Kinder schlafen ein. Das gibt es wirklich! Immer wieder berichten Eltern von solchen Naturtalenten im Einschlafen und werden dafür unendlich beneidet: von all jenen, in deren Familien das abendliche Einschlafen der Kinder eben gar nicht so leicht oder so schnell geht. In denen Bücher vorgelesen, Geschichten erzählt und Lieder gesungen werden und die Kinder kurz danach wieder im Wohnzimmer stehen, darüber klagen, dass sie nicht schlafen können, noch eine Geschichte möchten, aufs Klo müssen, Durst haben oder Angst. Oder es brauchen, dass jemand bei ihnen liegt, damit sie endlich in den heiß ersehnten Schlaf finden.
Kaum eine Mutter oder ein Vater, die hier keine Geschichten erzählen können. Manche sind lustige Anekdoten. Für viele Eltern weitet sich das Zu-Bett-Bringen aber zur Zerreißprobe aus. Oft sind sie Abend für Abend von ihren Kindern genervt, oder sie haben ein schlechtes Gewissen, weil sie das mit dem Ins-Bett-Bringen offensichtlich nicht im Griff haben. Andere haben resigniert und akzeptiert, dass neben den Tagen auch die Abende den Kindern gehören und ihre ganz private Zeit für sich oder die Partnerschaft auf ein Minimum zusammengeschmolzen ist. Ich kenne sogar Mütter, die seit Jahren nicht mehr ausgegangen sind, weil ihre Kinder fordern, dass nur Mama und niemand anders sie ins Bett bringt und bei ihnen ist, bis sie (sehr spät!) endlich weggeschlummert sind. Wenn diese Mütter es doch einmal ausprobieren und ausgehen und der Vater dann die Kinder ins Bett bringt, spielen sich die schlimmsten Dramen ab. Nicht etwa deshalb, weil es die Väter schlechter gemacht hätten. Aber Mama ist Teil des Rituals, anders geht es nicht.
Was skurril klingt, ist für viele Familien eine große Belastung. Frust, Stress und Schuldgefühle resultieren daraus. Für die Kinder bedeuten die Abende häufig ebenfalls eine Belastung. Weil sie jeden Abend Ärger bekommen und das Zu-Bett-Gehen ein Kampf wird. Wenn sie schlecht oder spät einschlafen, sind sie morgens beim Aufstehen noch nicht ausgeschlafen und in Kindergarten oder Schule müde. Außerdem spüren sie natürlich auch, dass ihre Eltern abends eigentlich keine Lust mehr haben und von ihnen genervt sind. Aber auch die Kinder können nicht aus eigener Kraft aus diesem Teufelskreis ausbrechen. Die Unruhe von Eltern und Kindern überträgt sich wechselseitig, Erwartung und Resignation verstärken sich häufig zu wirkungsvollen Glaubenssystemen, dass der Abend so ablaufen müsse und das nicht zu ändern sei. So findet jeden Abend der gleiche Horror statt.
Dabei dürfte es zunächst gar nicht so schwierig sein mit dem Einschlafen, wenn wir die Erkenntnisse der Schlafforschung anschauen. Einschlafen ist nämlich kein aktiver Prozess, also nichts, das man können oder schaffen müsste. Ganz im Gegenteil: Schlaf kommt von selbst, wenn ein Mensch ausreichend müde ist, ohne dass man wissen müsste, wie das geht. Wer müde ist, kann schlafen, egal ob Kind oder Erwachsener.
Was also geht manchmal schief?
Bevor der Schlaf das Wachsein ablösen kann, braucht es einen weiteren Schritt. Es gibt nämlich drei grundlegende physiologische Zustände: neben dem Wachzustand und dem Schlaf einen dritten, die Trance. Das ist ein Entspannungszustand, ähnlich denen, die wir aus Tagträumen kennen. Dieser Zustand liegt immer zwischen Wachsein und Schlaf. Morgens, wenn wir aufwachen, sind wir ganz automatisch eine Zeitlang in Trance, auch wenn das vielen Menschen gar nicht bewusst ist. Ein Zwischenzustand: nicht mehr im Schlaf, aber auch noch nicht ganz wach. Wenn wir ausschlafen können und halbwach dösen, kann dieser Zustand mehrere Minuten oder sogar eine halbe Stunde dauern. Wenn wir schnell aufstehen müssen, bemerken wir ihn kaum, nach ein paar Sekunden ist er schon wieder vorbei. Wenn er doch länger dauert, taumeln wir halbwach durch die Wohnung und verlassen den Trancezustand erst beim ersten Schluck Kaffee oder unter der kalten Dusche.
Abends zwischen Wachsein und Schlaf ist es genauso. Sicher haben Sie beim Einschlafen schon einmal erlebt, wie die Tagesgedanken beginnen, abzuschweifen, ein wenig seltsam oder fantasievoll werden, wie in einem Traum, aber trotzdem war Ihnen klar, Sie schlafen noch nicht? Oder Sie erinnern sich daran, wie Sie beim Lesen die letzten Zeilen zwar gelesen haben, aber danach nicht mehr sagen konnten, was genau da stand? Oder so abgeschweift sind, dass sich die Geschichte in Ihrem Kopf ganz anders weiterentwickelt hat als auf den Buchseiten? Manche Menschen erleben diesen Trancezustand körperlich als ein Gefühl intensiver Schwere oder Leichtigkeit oder des Fließens oder nehmen den Körper besonders intensiv wahr.
Wenn wir in diesen entspannten Zustand gelangen und müde sind, kommt der Schlaf von selbst, ohne dass wir etwas dazu tun müssen. Im Gegenteil: Jede Anstrengung würde das Einschlafen verhindern. Davon berichten Erwachsene, die unter Einschlafstörungen leiden: Je mehr sie sich den Schlaf herbeisehnen, umso länger liegen sie wach. Das ist leicht verständlich, denn unbedingtes Wollen entspricht einer inneren Anstrengung, innere Anstrengung verhindert entspannte Trance. Und ohne Trance gelingt das Einschlafen nicht.
Es gilt also: Wenn der Trancezustand nicht eintritt, schlafen wir nicht ein – egal, wie müde wir sind. Für unsere Kinder gilt das natürlich genauso.
Somit lautet die Frage: Wie helfen wir unseren Kindern abends in Entspannung, wie können wir sie in Trance »beamen«, damit sie möglichst leicht und schnell in den Schlaf finden?
Dafür müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:
- Die Muskulatur des Körpers ist entspannt.
- Der Geist kommt zur Ruhe, wird träge oder fokussiert sich auf ein bestimmtes Thema, ohne sich abzulenken.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, passiert das Einschlafen von selbst. Endlich!
Unsere Aufgabe ist nun nicht, unsere Kinder zum Einschlafen zu zwingen. Sondern sie dabei zu unterstützen, von den vielen aufregenden Aktivitäten des Tages Abstand zu bekommen, sich körperlich zu entspannen, ihren Geist zu beruhigen und dann ganz automatisch und leicht in den Schlaf zu gleiten.
Leicht gesagt, schwer getan? Manchmal hilft eine Geschichte oder ein Schlaflied, aber oft reicht das nicht aus. Die Kinder zappeln weiterhin im Bett herum, sie sind trotz Müdigkeit neugierig, was die Eltern am Abend machen, und wollen dabei sein. Sie haben Angst, etwas zu verpassen, sind beschäftigt mit einem Thema, das sie tagsüber sehr stark eingenommen hat und das sie nicht loslässt, oder sie wollen einfach noch Zeit mit den Eltern verbringen.
Deshalb habe ich gemeinsam mit mehreren Kindern den »Einschlafzauber« entwickelt und erprobt. Wir haben dieses Ritual deshalb so genannt, weil das Einschlafen manchmal wirklich fast wie durch Magie zu klappen scheint, aber auch, weil Kinder ja alles mögen, was mit Zaubern zu tun hat, und die Vorstellung toll finden, selbst zaubern zu können. In den folgenden Kapiteln stelle ich ihn genauer vor: ein Einschlafritual, das es unseren Kindern einfacher macht, abends in den Schlaf zu finden. Es vereint die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tranceforschung mit den Erfahrungen vieler Kinder und ihrer Eltern, die erlebt haben, dass das abendliche Einschlafen plötzlich viel müheloser und entspannter vonstattengeht.
Im ersten Kapitel beschreibe ich detailliert, welche Erkenntnisse in dieses Ritual eingeflossen sind, auf welche Weise es wirkt und Ihr Kind dabei unterstützt, zur Ruhe zu kommen. So können Sie gut nachvollziehen, welche Bewandtnis es mit den einzelnen Schritten hat, was dabei passiert und auf welche Weise sich die verschiedenen Schritte gegenseitig unterstützen und verstärken. Diese Schritte werden im zweiten Kapitel konkret beschrieben und mit Beispielen aus meiner Praxis illustriert.
Wenn Sie mit dem Einschlafzauber anfangen, werden Sie die Erfahrung machen, dass er etwas Zeit in Anspruch nimmt, vielleicht 10 Minuten oder eine Viertelstunde. Möglicherweise steht Ihr Kind die ersten Male danach noch einmal auf, wenn es vorher ebenfalls diese Gewohnheit hatte. Wie Sie damit und mit anderen Störungen umgehen, beschreibe ich ebenfalls in den folgenden Kapiteln. Diese Schwierigkeiten werden sich nach kurzer Zeit legen, wenn Sie den Tipps dazu folgen. So wird das Ritual von Abend zu Abend einfacher und vertrauter. Denn ein Ritual ist es, und auch deshalb wird es von Mal zu Mal selbstverständlicher und für Eltern wie Kinder schöner.
Und auch schneller: Viele Kinder, die vorher zwischen Zähneputzen und Einschlafen mehrere Stunden brauchten, und auch solche, die den Einschlafzauber bei den ersten Malen immer wieder unterbrachen, schliefen schon nach einigen Wochen innerhalb weniger Minuten friedlich ein. Das beweist zum Beispiel der fünfjährige Paul, von dem ich im zweiten Kapitel erzählen werde. Er hat den Einschlafzauber ganz toll gelernt und sogar mit entwickelt!
Das dritte Kapitel zeigt, dass der Einschlafzauber auch in besonderen Lebenssituationen genutzt werden kann.
Weil der Einschlafzauber in seiner umfangreichsten Form am besten für Kinder zwischen 3 und 8 Jahren geeignet ist, finden sich im vierten Kapitel zwei Versionen, mit denen auch kleinere Kinder gut zurechtkommen. Denn natürlich ist es am besten, das mühelose Einschlafen schon ganz früh zu lernen. Damit erspart man sich und den Kindern eine Menge Stress und Ärger.
Am Schluss finden Sie noch zwei Kapitel, die mit dem Einschlafzauber nicht unmittelbar etwas zu tun haben, die mir aber trotzdem sehr...