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E-Book

Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales

Das 'andere' Wien um 1900

AutorMichaela Lindinger
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783902998644
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Außergewöhnliche Schicksale zwischen Ringstraßenwelt und Luegerzeit Michaela Lindinger wagt einen Blick hinter die Kulissen eines 'anderen' Wien um 1900: auf die Vorstadtbühnen, wo Frauen verbotenerweise Hosen trugen und als Männer auftraten, in die hochherrschaftlichen Räume der ersten Wiener Hippies, auf die brennenden Ränge des Ringtheaters oder in die Männerbäder von Wien, wo man zusehen konnte, wie ein Erzherzog abgewatscht wurde. In diesem Buch begegnen wir Proletarierinnen und Hochadeligen, Reaktionären und Kommunarden, Aufsteigerinnen und Hochstaplern. Sie prägten ihre Zeit und auch die Nachwelt, auf ganz verschiedene Art und Weise. Ihr Leben verlief spannend und außergewöhnlich, eine Aura des Geheimnisvollen und Undurchsichtigen umgibt sie bis heute.

Michaela Lindinger, Mag., Studium an der Uni Wien, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Fächerkombination Ur- und Frühgeschichte, Ägyptologie. Tätigkeiten in Museen und Ausstellungen seit 1986, u.a. im Kunsthistorischen Museum, Belvedere, Oberösterreichisches Landesmuseum, seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2003 Kuratorin im Wien Museum, Mitarbeit an zahlreichen Ausstellungen und Katalogen.

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Leseprobe

Ludwig Viktor von Habsburg-Lothringen: Emanzipation in Rosa


Ludwig Viktor von Habsburg-Lothringen (1842, Wien – 1919, Kleßheim)

Erzherzog, Infanteriegeneral Sohn von Sophie und Franz Karl, jüngster Bruder von Kaiser Franz Joseph.

Kunstsammler und Bauherr: Palais Erzherzog Ludwig Viktor am Schwarzenbergplatz 1, Architekt: Heinrich von Ferstel, errichtet 1863–1866. Ab 1864 hauptsächlich in Kleßheim wohnhaft. Ab 1866 Ausgestaltung des Schlosses Kleßheim bei Salzburg, ebenfalls durch den von Ludwig Viktor beauftragten Heinrich von Ferstel. Zahlreiche Skandale wegen Homosexualität, in seiner Jugend wurde dem Erzherzog aber auch ein Verhältnis mit einer Balletteuse nachgesagt. 1896 Oberaufsicht über das Rote Kreuz. Nach 1900 »Verbannung« nach Kleßheim. 1915 wegen Anzeichen »geistiger Erschöpfung« vom Kaiser entmündigt.

Auf dem unscheinbaren Gedenkstein fehlt der Name. Lediglich die ineinander verschlungenen Buchstaben »LV« verweisen auf den Eigentümer der schlichten Grabstelle auf dem nahe der Stadt Salzburg gelegenen Friedhof der Gemeinde Siezenheim. Auffällig ist die Grabinschrift, ein Gedicht:

Meinem Kaiser (Franz Josef I.) Dank!

Die Seele Gott – in Buß’ und Reue,

Der starren Erde meine Hülle. –

Dafür, was sie mir einst im Leben,

Den Dankesgruss an meine Freunde,

Und all den Blinden mein Vergeben,

Die, – unverdient, mir etwa Feinde.

18. Jänner 1919

Kaiser Franz Joseph, der zwölf Jahre ältere Bruder von Ludwig Viktor, war schon gestorben. Das Grab hatte der »Verbannte von Kleßheim« sechs Jahre zuvor persönlich gekauft. Auf eigenen Wunsch erfolgte seine Beisetzung weit weg von der Kapuzinergruft mit den habsburgischen Verwandten. Es gab keine Initiativen, den Außenseiter nach Wien zu überführen und so wirkt sein Exil bis heute fort. Bei der Siezenheimer Bevölkerung war der Erzherzog beliebt. Er galt als menschenfreundlich und mitfühlend. 1906 stiftete er dem Ort eine Volksschule, manchmal ritt der Feldzeugmeister ohne militärische Interessen im Galopp durch den Ort und warf Süßigkeiten in die schaulustige Menge, die aus den Häusern geeilt war, um dem jüngsten Sohn der Erzherzogin Sophie zuzujubeln. Ein von ihm gespendeter Golddukaten liegt in einem Safe der Raiffeisenkasse Siezenheim.

Partytyp und Mamas Liebling


Gewohnt hatte Ludwig Viktor, genannt Luziwuzi, nobel und standesgemäß im Schloss Kleßheim bei Salzburg. Spätestens seit der Zeit um 1904 kann das von Fischer von Erlach errichtete barocke fürsterzbischöfliche Lustschloss als eine Art Verbannungsort bezeichnet werden. Es gehörte ihm jedoch schon viel länger, seit 1866 befand es sich als mütterliches Erbe in seinem Besitz, da es nach der Säkularisierung an das österreichische Kaiserhaus gefallen war. In jenem Jahr hätte er auch heiraten und mit seiner jungen Frau in Kleßheim wohnen sollen. Im März trat er seine Brautfahrt an – nach Possenhofen. Elisabeth und Franz Joseph hatten es aus unerfindlichen Gründen für gescheit erachtet, noch eine Wittelsbacher Schwester aus dem Max-Clan in die Familie zu holen. Sophie hätte die neue Erzherzogin an der Seite von »Bubi« (so hatte ihn seine Mutter gerufen) werden sollen, die einzige der vielen Töchter von Ludovika und Max, die noch nicht unter die Haube gekommen war. Doch sie erkannte die Neigungen des Cousins und lehnte dankend ab. Mutter Ludovika war entsetzt, sie begriff nicht, wie man eine derart gute Partie ausschlagen konnte. Niedergeschlagen und reumütig schrieb sie an ihre viel höher gestellte und sehr einflussreiche Schwester Erzherzogin Sophie nach Wien, dass es doch »ein Trost« sei und »der Herrgott« es mit der »vielgeprüften« Kaisermutter »gut meine«, wenn nicht auch noch die kapriziöse Sophie als weitere Schwiegertochter einziehe. Ludovika war diesbezüglich etwas schwer von Begriff und versprach ihre Tochter ein Jahr später König Ludwig II. In diesem Fall dauerte es länger, bis die junge Herzogin in Bayern dem wahren Grund der unendlich andauernden Verlobungszeit auf die Spur kam.


Erzherzogin Sophie, »der einzige Mann am Hof«. Kolorierte Lithografie, um 1848

Ludwig Viktors Bruder Ferdinand Maximilian war Kaiser von Mexiko und hatte keine rechtmäßigen Erben. Er wollte Luziwuzi zum Nachfolger bestimmen und betrieb daher dessen Heirat mit der angeblich hässlichen Isabel, einer Tochter des brasilianischen Kaisers Pedro II. Der ehrgeizige Maximilian plante die riesigen Länder Mexiko und Brasilien zu vereinigen, was seinen romantischen Träumen von einer großen Habsburgermonarchie in der Neuen Welt entgegengekommen wäre. Ludwig Viktor waren diese imperialen Visionen zu mühsam und er ließ seinem Bruder ausrichten, er würde ganz bestimmt nicht zur Verfügung stehen. Nur ein Befehl des Kaisers – der das ganze für eine »Schnapsidee« (Helmut Neuhold) hielt – könnte ihn umstimmen, und selbst dann würde er sich »als Märtyrer« fühlen. Maximilian wurde aber im Juni 1867 in Querétaro erschossen und seine Pläne waren somit hinfällig.

Ludwig Viktor konnte sich in Ruhe der Ausgestaltung seines Wohnsitzes in Salzburg widmen. Der Bau war weitläufig und unbeheizbar, man konnte nur im Sommer dort leben, daher dachte der Erzherzog an ein neu zu errichtendes Winterschloss. Neben dem alten Gebäude wurde von Heinrich von Ferstel das »Kavaliershaus« errichtet, ein hochmoderner Bau mit allen damals erdenklichen Luxuseinrichtungen. Ganz wichtig waren Möglichkeiten für die sportliche Ertüchtigung, hatte doch der Erzherzog, ein passionierter Schwimmer, häufig Herrenbesuch aus der Offizierskategorie. Ein Tennisplatz und ein Swimmingpool samt Badehaus wurden beauftragt. Dort ging es plötzlich sehr sparsam zu, in den Umkleidekabinen sollen keine Badehosen vorbereitet gewesen sein. Man tauchte eben nackt unter. Der Infanterie-General und spätere austrofaschistische Minister Edmund Glaise-Horstenau beschrieb es wie folgt: »Im Schloss Kleßheim herrschte seit eh und je, wenn der Erzherzog Residenz hielt, reges gesellschaftliches Leben, an dem auch die Offiziere meines Regiments in den ersten zwei Jahren der Salzburger Zeit noch Anteil hatten. Die erste Offiziersversammlung, die ich beim Regiment mitmachte, bot eine seltsame Überraschung. Der Oberst verkündete, Einladungen nach Kleßheim seien in Hinkunft unter dem Vorwand einer Übung oder dergleichen abzulehnen. Damit bestätigte sich, was man längst geflüstert hatte: Des Kaisers Bruder huldigte ›unnatürlichen Neigungen‹. Es war sogar in Bädern schon zu unangenehmen Zwischenfällen gekommen.« Einmal habe Ludwig Viktor in Bad Ischl angeblich die Passanten zusammengerufen und sei nackt vor aller Augen in die Traun gestiegen. Nicht zuletzt deshalb wurde er »Badeerzherzog« genannt.

In Kleßheim dominierten die maritimen, aufmunternden Farben Blau und Weiß, gestreift, gesprenkelt und getupft. Der Journalist Egon Dietrichstein schildert seine Eindrücke vom »Kavaliershaus«: »Die blau-weißen Porzellanhüte, die man auf die Kerzendochte gesetzt hat, der blau-weiße Zigarrenlöscher und die blau-weiße Nagelfeile. An solchen reizenden Spielereien ist das Schloß reich. Es ist eine bis zum Raffinement vervollkommnete Sammlung solcher nebensächlicher graziöser Ausstattungsartikel. Französische Stiche, Balletteusen, Pikanterien, witzige Sujets. Eine ganze Wand mit den schönsten Damen Europas, berühmten Künstlerinnen und hocharistokratischen Frauen. Das Exil Ludwig Viktors ist wie die Garniwohnung eines reichen Pariser Lebemannes ausgestattet.« Sogar der Schah von Persien, der 1873 auf Staatsbesuch zur Wiener Weltausstellung kam, war begeistert und Ludwig Viktor machte auf Nāser ad-Dīn Eindruck. Der glanzvolle Empfang, die umfangreichen Schönheitengalerien, das »vortreffliche Essen« – alles ganz nach dem Geschmack des exotischen Potentaten und dessen Gefolge, das in der Residenz ungeniert Hammel briet. Der Erzherzog konnte, wenn er bei Laune war, ein perfekter Gastgeber und Alleinunterhalter sein. Es galt als besondere Wertschätzung, bei seinen exquisiten Festen und Landpartien im großen Stil geladen zu sein, andererseits wurde behauptet, er »machte Menschen in Salzburg unmöglich, indem er sich weigerte, sie in seinem Schloß Kleßheim zu empfangen« (Nora Fugger). Im Fall der Ablehnung handelte es sich vermutlich nicht um junge Männer »mit körperlichen Vorzügen oder gesellschaftlichen Talenten« und genauso wenig um hochwohlgeborene Damen, »die sich allem Möglichen, aber nur keiner nützlichen Beschäftigung hingegeben« hatten. Denn nur diese beiden Personengruppen durften sein Haus...

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