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Die großen Crashs 1929 und 2008

Im Spiegelsaal der Geschichte

AutorBarry Eichengreen
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl608 Seiten
ISBN9783862486861
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die Ursachen der beiden größten ökonomischen Katastrophen in den letzten 100 Jahren - die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren und die Finanzkrise seit 2008 - gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Beide entstanden infolge eines krassen Kreditbooms, dubioser Bankpraktiken sowie eines fragilen Finanzsystems. Und doch beriefen sich die Entscheidungsträger auf die falschen Lektionen, sodass die Krise nach mehr als sechs Jahren noch immer nicht ausgestanden ist. Barry Eichengreens Die großen Crashs 1929 und 2008 ist DAS neue Hauptwerk der Wirtschaftsgeschichte und zeigt auf, welche Schlussfolgerungen aus der Geschichte der Großen Depressionen gezogen werden müssen, ehe dieselben Fehler in der nächsten Krise erneut gemacht werden. Kein anderes Werk erklärt die Geschichte der zwei größten Krisen umfassender und gibt weitreichendere Antworten. Ein monumentales Epos von einem der einflussreichsten Ökonomen der Welt.

Barry Eichengreen ist Professor für Ökonomie und Politologie an der University of California in Berkeley und einer der renommiertesten Analytiker der Weltwirtschaft. Er ist regelmäßiger Gast des Weltwirtschaftsforums und war u. a. für den IWF und das IfW tätig.

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Leseprobe

Einführung

Dies ist ein Buch über Finanzkrisen. Es beschreibt die Ereignisse, die solche Krisen verursachen. Es handelt auch davon, warum Regierungen und Märkte so reagieren, wie sie es tun. Und es handelt von den Konsequenzen.

Es schildert die große Rezession von 2008 und 2009 und die große Depression von 1929 bis 1933 – die beiden großen Finanzkrisen unseres Zeitalters. Nicht nur in politischen Kreisen weiß man, dass es Parallelen zwischen diesen beiden Episoden gibt. Viele Kommentatoren haben beschrieben, wie das Wissen über das frühere Ereignis – die »Lektionen aus der Großen Depression« – die Reaktionen auf die Ereignisse 2008 und 2009 beeinflusst hat. Weil diese Ereignisse so auffällig denen der 1930er-Jahren ähnelten, lieferte diese Erinnerung an die Vergangenheit eine Art Objektiv, durch das man sie betrachten konnte. Die Tendenz, die Krise aus der Perspektive der 1930er-Jahre zu sehen, wurde noch dadurch verstärkt, dass Politiker von Ben Bernanke – Vorsitzender des Board of Governors der Federal Reserve – bis Christina Romer – Vorsitzende des ökonomischen Beratungskomitees des Präsidenten Barack Obama – diese Geschichte in ihren früheren Karrieren als Akademiker studiert hatten.

Infolge dieser Lektionen verhinderten die Politiker das Schlimmste. Nachdem die Pleite von Lehman Brothers das globale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds geführt hatte, versicherten sie, dass sie keine weitere Pleite einer für das System äußerst wichtigen Finanzinstitution mehr zulassen würden, und sie hielten dieses Versprechen. Sie widerstanden einer Politik unter dem Motto: »Bettle deinen Nachbarn an«, die in den 1930er-Jahren den Zusammenbruch der internationalen Transaktionen verursacht hatte. Die Regierungen erhöhten ihre öffentlichen Investitionen und senkten die Steuern. Die Zentralbanken fluteten die Finanzmärkte mit Liquidität und gewährten einander solidarisch Kredite in einer Weise, die es so noch nie gegeben hatte.

Diese Entscheidungen waren vor allem vom Wissen über die Fehler der Vorgänger beeinflusst. In den 1930er-Jahren unterlagen die Regierungen der Verführung des Protektionismus. Sie ließen sich von einem veralteten ökonomischen Dogma leiten, kürzten ihre öffentlichen Ausgaben zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und versuchten, ihre Budgets ins Gleichgewicht zu bringen, als stimulierende Investitionen notwendig gewesen wären. Es machte keinen Unterschied, ob die betreffenden Politiker Englisch sprachen, wie Herbert Hoover, oder Deutsch, wie Heinrich Brüning. Ihre Maßnahmen verschlimmerten nicht nur den Niedergang, sondern sie scheiterten sogar an der Aufgabe, das Vertrauen in die öffentlichen Finanzen wiederherzustellen.

Die Zentralbanker hielten an der Idee fest, dass sie nur so viele Kredite bereitstellen müssten, wie es für die legitimen Bedürfnisse der Unternehmen erforderlich war. Sie gewährten mehr Kredite, wenn die Wirtschaft expandierte, und weniger, wenn es einen Rückgang gab, womit sie Booms und Krisen noch verstärkten. Sie vernachlässigten ihre Verantwortung für finanzielle Stabilität und schritten nicht als Kreditgeber in Notfällen ein. Das Ergebnis war ein sprunghaftes Ansteigen von Bankenpleiten und ein verkümmerndes Kreditgeschäft. Man ließ zu, dass die Preise kollabierten und Schulden nicht mehr zu managen waren. Milton Friedman und Anna Schwartz geben in ihrem einflussreichen Werk über die Geschichte der Geldpolitik den Zentralbanken die Schuld an diesem Desaster. Sie kommen zu dem Fazit, die unfähige Politik der Zentralbanken sei mehr als jeder andere Faktor für die ökonomische Katastrophe der 1930er-Jahre verantwortlich gewesen.

Da die Verantwortlichen die Lektionen aus dieser früheren Episode gelernt hatten, gelobten sie, es diesmal besser zu machen. Wenn damals die Welt in Deflation und Depression gestürzt war, weil ihre Vorgänger weder die Zinsen gesenkt noch die Finanzmärkte mit Liquidität geflutet hatten, würden sie diesmal mit einer expansiven Geld- und Finanzpolitik reagieren. Wenn die Finanzmärkte zusammengebrochen waren, weil ihre Vorgänger panische Anstürme auf die Banken nicht verhindert hatten, würden sie auf ganz entschiedene Weise mit den Banken umgehen. Wenn Bemühungen, den Staatshaushalt auszugleichen, den Niedergang in den 1930er-Jahren verstärkt hatten, würden sie finanzielle Anreize schaffen. Wenn der Zusammenbruch der internationalen Kooperation die Probleme der Welt verschlimmert hatte, würden sie persönliche Kontakte und multilaterale Institutionen nutzen, um sicherzustellen, dass es diesmal eine angemessene Koordination politischer Maßnahmen gab.

Als Resultat dieser ganz anderen Reaktionen erreichte die Arbeitslosenquote in den USA 2010 einen Spitzenwert von 10 Prozent. Das war immer noch besorgniserregend hoch, aber die Quote lag doch weit unter den katastrophalen 25 Prozent während der großen Depression. Hunderte Banken gingen pleite, aber nicht Tausende. Es gab viele Verwerfungen an den Finanzmärkten, aber deren völliger und äußerster Kollaps wie in den 1930er-Jahren wurde mit Erfolg abgewendet.

Das war nicht nur in den USA so, sondern auch in anderen Ländern. Jedes unglückliche Land ist auf seine eigene Weise unglücklich und ab 2008 gab es unterschiedliche Grade der wirtschaftlichen Unzufriedenheit. Aber abgesehen von einigen fehlgeleiteten europäischen Ländern erreichte dieses Unglück nicht das Niveau der 1930er-Jahre. Weil die politischen Maßnahmen besser waren, fielen die sozialen Verwerfungen, die Schmerzen und das Leid geringer aus.

So sagt man jedenfalls.

Diese nette Geschichte ist leider zu einfach.

Sie lässt sich nicht mit der Tatsache in Einklang bringen, dass man die Risiken nicht antizipiert hat. Bei einem Besuch der London School of Economics 2008 hat Königin Elisabeth II. eine später berühmt gewordene Frage gestellt: »Warum hat das niemand kommen sehen?«, fragte sie die versammelten Experten. Sechs Monate später schickte eine Gruppe prominenter Wirtschaftswissenschaftler der Königin einen Brief und entschuldigte sich für »den Mangel an kollektiver Fantasie«.

Es mangelt ja nicht an Parallelen. In den 1920er-Jahren gab es in Florida einen Grundstücksboom und auch einen Boom im Bereich der Gewerbeimmobilien im Nordosten und im mittleren Norden der USA, die eine starke Ähnlichkeit mit den enormen Preisanstiegen der Immobilien in den USA, Irland und Spanien im frühen 21. Jahrhundert aufwiesen. Es gab einen starken Anstieg der Aktienbewertungen bei Unternehmen aus dem Bereich der Informationstechnologie; Radio Corporation of America (RCA) in den 1920er-Jahren, Apple und Google 80 Jahre später. Es gab das explosive Kreditwachstum, das den Boom an den Immobilien- und Aktienmärkten noch verstärkte. Es gab die Entwicklung eines wachsenden Spektrums dessen, was man höflich als dubiose Praktiken im Banken- und Finanzsystem bezeichnen könnte. Und es gab die Funktionen des Goldstandards nach 1925 und des Euro-Systems nach 1999, welche die Probleme verstärkten und in andere Länder übertrugen.

Vor allem aber gab es den naiven Glauben, die Politik habe die Wirtschaftszyklen gezähmt. In den 1920er-Jahren hieß es, die Welt sei durch die Schaffung der Federal Reserve und unabhängiger Zentralbanken in anderen Ländern in eine »neue Ära« der ökonomischen Stabilität eingetreten. Die Phase vor der großen Rezession galt als »große Mäßigung«, in der die Volatilität der Konjunkturzyklen durch Fortschritte des Zentralbankwesens eingedämmt worden sei. Ermutigt durch den Glauben, es gebe keine extremen Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivitäten mehr, verschuldeten sich die Geschäftsbanken stärker und die Investoren gingen höhere Risiken ein.

Man könnte annehmen, dass jeder, der halbwegs etwas über die Große Depression wusste, die Parallelen und ihre Implikationen erkennen musste. In der Tat gab es einige Warnsignale, aber nicht viele. Und sie waren nicht besonders deutlich. Robert Shiller, Professor an der Yale University, hatte die Immobilienmärkte der 1920er-Jahre studiert und wies darauf hin, dass sich nun eine ausgewachsene Immobilienblase entwickelte. Aber nicht einmal Shiller sah die katastrophalen Folgen des Platzens dieser Blase voraus. Nouriel Roubini, der als Student in Harvard mindestens ein Seminar über die Geschichte der Großen Depression absolviert hat, wies auf die Risiken eines immer größer werdenden US-Budgetdefizits und der Akkumulation von Auslandsschulden in US-Dollar hin. Aber die Krise, vor der Roubini warnte, nämlich ein Zusammenbruch des Dollar, war nicht die Krise, die dann folgte.

Man muss dazu bemerken, dass Experten auf dem Gebiet der Geschichte und Ökonomie der Großen Depression auch nicht besser abschnitten. Und in Kreisen von Wirtschaftswissenschaftlern wurden insgesamt nur gedämpfte Warnungen geäußert, dass eine Katastrophe bevorstünde. Sie glaubten an die frohe Botschaft von der großen Mäßigung. Die Politiker waren mit sich selbst zufrieden, wurden von den Märkten bestätigt und taten nichts, um sich auf das bevorstehende Desaster vorzubereiten.

Vielleicht ist es zu viel verlangt, wenn man von Analysten die Vorhersage finanzieller Krisen erwartet. Krisen entstehen nicht nur durch Kreditbooms, Asset-Blasen und den Irrglauben, die Marktteilnehmer hätten gelernt, Risiken sicher zu managen, sondern auch durch Zusammenhänge, die niemand vorhersagen kann. Sei es der gescheiterte Versuch eines deutschen Bankenkonsortiums 1931, die Danatbank zu retten, eine deutsche Finanzinstitution, oder die Weigerung der britischen Finanzaufsichtsbehörde, Barclays die Abgabe eines Übernahmeangebots für Lehman Brothers zu erlauben, die an einem schicksalhaften Wochenende 2008 zustande kam. Wie der Erste...

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