Teil II
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Generalsekretär in München – Geschäftsführender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag
Zwar war Franz Josef Strauß auf Vorschlag von Josef Müller und gegen den Widerstand des konservativen Flügels 1948 Generalsekretär geworden1, doch stand seit der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag 1949 sein Abgeordnetenmandat eindeutig im Vordergrund, seine parteiorganisatorische Tätigkeit aber in ihrem Schatten. Trotzdem war es für seine politische Laufbahn wichtig, dass Strauß neben seiner Bonner Aufgabe im Parteivorstand in München präsent blieb, auch wenn er als Generalsekretär keine durchschlagenden Erfolge aufweisen konnte. Allerdings lagen die Gründe dafür keineswegs in erster Linie an seinem Mandat in Bonn2, sondern vor allem in der Entwicklung seiner Partei, deren einstweiligen Abwärtstrend er nicht aufhalten konnte. Strauß selbst hielt aufgrund seiner dauernden Beanspruchung in Bonn die Ernennung eines »politischen Stellvertreters« des Generalsekretärs für notwendig und schlug dafür Josef Brunner vor, was auf die Zustimmung des neuen Parteivorsitzenden Ehard und des Fraktionsvorsitzenden der CSU im Bayerischen Landtag Hundhammer stieß.3
Seit der Währungsreform 1948 war die CSU praktisch mittellos und konnte seit dem 30. Juni 1948 keine Gehälter mehr zahlen. Schon aus finanziellen Gründen war an den Aufbau einer schlagkräftigen Parteiorganisation nicht zu denken, vielmehr wurde die bisherige Organisation stark geschwächt bzw. löste sich nahezu auf.4 Vergleichbar zur SPD sank die Mitgliederzahl seit 1947 rapide: Zählte die CSU damals 82 189 Mitglieder, so im Jahre 1956 nur noch 43 500, dies war der Tiefststand. Auf der anderen Seite nahm die Konkurrenzpartei auf der Rechten, die BP, zunächst bis 1949 zu, bevor auch sie bis Mitte der 1950er-Jahre Mitglieder verlor. Die Konkurrenzsituation beider Parteien blieb also ein Hemmnis für die Entwicklung der CSU, was auch inhaltliche Gründe hatte: Diese Konstellation verschärfte sich, weil der Hundhammer-Flügel in einigen grundsätzlichen Fragen, insbesondere in Bezug auf die Gestaltung des Föderalismus, die Überkonfessionalität und die Vertretung agrarischer Interessen der BP näherstand als dem progressiven CSU-Flügel um den »Ochsensepp« und Strauß.
Als Generalsekretär bemühte sich Strauß, zunächst die Finanzlage zu verbessern, und sandte am 6. Mai 1949 ein mahnendes Rundschreiben an die 130 der 176 Kreisverbände, die weniger als die Hälfte der fälligen Mitgliedsbeiträge abgeführt hatten. Ohne Umschweife drohte er denjenigen Kreisverbänden, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkämen, mit dem Ausschluss aus den Gremien der CSU.5
Der die Gründungsphase der CSU bestimmende Dauerstreit zwischen ihren Flügeln blieb mehr als ein Jahrzehnt virulent. Er wurde durch regionale Differenzen, ja sogar durch heftige Kämpfe einzelner Bezirksverbände untereinander verschärft. An diesem in den ersten Jahren sich verstärkenden Grundproblem einer Volkspartei, die sehr unterschiedliche Strömungen integrieren wollte, änderte die Ablösung Müllers als Parteivorsitzender und die Wahl von Ministerpräsident Hans Ehard kaum etwas, obwohl er viel ausgleichender wirkte als die kantigen Kontrahenten Hundhammer, Müller und Schäffer. Der von Hundhammer begünstigte Nachfolger als Bezirksvorsitzender Oberbayern der CSU, Fritz Schäffer, hatte gegen Müller und die zentrale Organisationsstruktur der CSU mit ideologischem Sendungsbewusstsein öffentlich einen Krieg inszeniert, der dem sozialen und überkonfessionellen Sammlungskonzept Müllers einen schweren Schlag versetzte. Um einem Ausschluss aus der CSU zuvorzukommen, war Schäffer im September 1948 aus der Partei ausgetreten6, 1949 aber wieder eingetreten7.
Trotz seiner Bemühungen um Ausgleich, die immerhin ein prekäres äußeres Gleichgewicht erreichten, war Ehard keine wirklich neutrale Instanz oberhalb der beiden Flügel, sondern stand dem konservativen näher. Er hatte keinerlei parteipolitische Erfahrung, sondern war hoher Beamter und Parlamentarier, die CSU führte er von der Staatskanzlei aus in der für ihn charakteristischen sachlichen Art als Verwaltungsjurist und nicht als Vollblutpolitiker, wie es Josef Müller getan hatte und später Franz Josef Strauß tun sollte. Der Persönlichkeit Ehards war das Amt des Ministerpräsidenten gemäß8, der Parteivorsitz aber »ungeliebt« (Thomas Schlemmer). Insofern hätte sich zwar das impulsive Temperament von Strauß als komplementär erweisen können, doch nur im Fall grundlegender Übereinstimmung der beiden durch ihre Parteiämter zur Führung verpflichteten Politiker. Obwohl sie fair miteinander umgingen, blieben ihre Vorstellungen von Parteiorganisation und Parteiführung zu verschieden: Aufgrund dieser Differenz konnten sie kaum gemeinsam ein Bollwerk gegen die zunehmende Schwächung der CSU bilden.
Strauß selbst hatte noch versucht, Josef Müller zu »retten«, und zwei gleichberechtigte Landesvorsitzende, Müller und Ehard, vorgeschlagen, doch wurde Ehard mit 396 zu 151 Stimmen gewählt.9 Tatsächlich begnügte die CSU-Führung sich in diesen Jahren aber damit, ihre innere Zerrissenheit halbwegs auszutarieren, ohne eine grundlegende Reorganisation bzw. überhaupt erst den Aufbau einer neuen Parteiorganisation zu erreichen. Wie die Wähler- und Mitgliederverluste zeigen, verlor die CSU immer schneller den Charakter einer Volkspartei, vielmehr bildete sie sich in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre zur »bürgerlichen Honoratiorenpartei« zurück.10
Selbst die schwere Wahlniederlage von 1950, als die CSU mit 27,4 Prozent sogar 0,6 Prozent hinter der SPD lag und die BP mit 17,9 Prozent aus dem Stand ihr bestes Wahlergebnis erreichte, führte nicht zu einem Aufbruch: Da Hans Ehard trotz des Wahlergebnisses sein drittes Kabinett bilden konnte, verkannte ein Großteil der Partei die dramatische Lage der CSU. Erst der Verlust der Regierungsbeteiligung 1954 bewirkte nach schweren Erschütterungen innerhalb der Partei die im Ergebnis heilsame Krise, die schließlich konstruktive Therapien provozierte: Für sie standen der neue Parteivorsitzende Hanns Seidel sowie Friedrich Zimmermann, der als der erste wirklich starke Generalsekretär eine straffe und wirkungsvolle Organisationsstruktur der CSU schuf, die die Grundlage künftiger Erfolge bildete.
Strauß selbst hatte allerdings schon früher verschiedentlich auf die Defizite der Parteiorganisation hingewiesen und auf der Landesversammlung der CSU am 6. Juli 1952 in Regensburg unmissverständlich betont, dass er mit den »Methoden der Parteiführung« durch den Ministerpräsidenten Hans Ehard »nicht immer ein und derselben Meinung« sei.11 Selbst diese dezente Wortwahl konnte angesichts der damals noch eher zurückhaltenderen Sprache von Strauß schon als herbe Kritik des Generalsekretärs an seinem Vorsitzenden gelten – eine Kritik, deren besondere Pikanterie darin lag, dass Strauß selbst schon zu diesem frühen Zeitpunkt als Landesvorsitzender vorgeschlagen worden war. Wie berechtigt die Kritik von Strauß war, zeigt die defensive Reaktion von Ehard, der Mängel zugab, aber für das eigentliche Anliegen von Strauß – eine feste und effektive Parteiorganisation – keinen Sinn aufbrachte. Der Aktionsradius des Generalsekretärs blieb also begrenzt.
Diese Grenzen wurden auch deutlich, als Strauß verschiedentlich in den Sitzungen des Landesvorstands auf die Probleme hinwies und als einer der wenigen betonte, Politik, Organisation und Finanzen seien nicht zu trennen, auch sei zur Reorganisation der Partei die »Wiedereinführung eines hauptamtlichen Geschäftsführers« notwendig. Einmal mehr verlangte Strauß Geschlossenheit der CSU nach außen. Dazu gehörte seine Forderung, für die gesamte CSU müsse verbindlich eine Koalition oder Fusion mit der Bayernpartei ausgeschlossen werden.12
Obwohl immer wieder, zum Teil auf Initiative von Strauß, Organisationsprobleme thematisiert, Pläne entwickelt, Defizite benannt wurden, erklärte der Landesvorsitzende Ehard am 7. Januar 1950 bei einer Besprechung mit den Bezirksvorsitzenden: Das »Gespann Strauß-Brunner im Generalsekretariat der CSU hat sich seit Oktober 1949 als glücklich und erfolgreich erwiesen, so daß der Wunsch geäußert werden darf, unsere Freunde Strauß und Brunner möchten in diesem Jahr in gleicher Weise zusammenarbeiten und zusammenwirken«.13
Strauß kritisierte eine zunehmende Überalterung bei den Orts- und Kreisvorsitzenden, forderte Wahlkreissekretariate, erhöhte Aktivität der Abgeordneten, Pauschaleinnahmen bei der Finanzierung und weitere Maßnahmen, um die Schlagkraft der Partei zu erhöhen. Alle Vorstandsmitglieder stimmten mit ihm und Ehard überein, »daß die innere Kräftigung und Aktivierung der Partei in den nächsten Monaten die erste und dringlichste Voraussetzung für einen Erfolg bei den kommenden Landtagswahlen darstellt«.14 Doch gelang die notwendige Reorganisation ganz offensichtlich bis zur Landtagswahl...