Verkaufen! Was sonst?
»Mancher Kaufmann betrügt ohne Skrupel, aber stehlen würde er schlechterdings nicht.«
Arthur Schopenhauer
Schopenhauers Bild eines Kaufmanns ist offensichtlich nicht das beste, wie wir dem Eingangszitat entnehmen können. Immerhin differenziert er noch zwischen offenem Diebstahl und Betrug, aber die Richtung, in die er weist, ist klar: Weil Kaufleute auf einen Gewinn aus sind, sind sie per se von zweifelhafter Moral. Diese Meinung ist auch heute noch aktuell. Wer Gewinne anstrebt, steht unter Generalverdacht, nicht ganz koscher zu sein. Leider hat die Finanzkrise dazu beigetragen, genau dieses schlechte Bild noch zu verfestigen. Dabei wird übersehen, dass nicht das Streben nach Gewinn, ohne den kein Unternehmer auskommt, Auslöser dieser Entwicklung war, sondern die Gier nach noch mehr Gewinn. Wohin diese Gier, die übrigens schon in der Bibel als eine der sieben Todsünden beschrieben wurde, eine ganze Welt treibt, nun, das haben wir gesehen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass es keine Verkäufer waren, die eine der schlimmsten monetären Krisen in der Menschheitsgeschichte auslösten, sondern, mit Verlaub, Zocker, die mit geliehenem Geld und wertlosen Schuldverschreibungen Milliardensummen bewegten. Dennoch ist das Verkäuferimage nachhaltig beschädigt. Was andererseits überrascht, denn für viele Menschen gibt es doch kein größeres Glücksgefühl als einzukaufen. Ein Blick in die Wohnungen und die Schränke der Deutschen zeigt eindrucksvoll, wie gern wir kaufen. Mehr als 70 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich nur für Kleidung aus. Tendenz steigend. Also kann doch Kauf wie Verkauf nichts Schlechtes sein.
Wenn Studien2 zufolge Frauen 25.184 Stunden und 53 Minuten ihres Erwachsenenlebens (Basis: 63 Jahre) damit beschäftigt sind, Essen, Kleider und Co. einzukaufen, muss Kaufen etwas Schönes sein. Niemand würde sich fast drei Jahre seines Lebens freiwillig mit etwas beschäftigen, das ihm keinen Spaß macht. Wenn Menschen gerne kaufen, dann muss es auch Menschen geben, die helfen, das Gewünschte zu bekommen. Zieht der Kunde dann zufrieden von dannen, überwiegt auch beim Verkäufer das Glücksgefühl. Immerhin hat er soeben einen Menschen glücklich gemacht.
Es gibt nicht viele Verkäufer, die es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft haben. Einer von ihnen ist Joe Girard. Er ist als der erfolgreichste Autoverkäufer der Welt ausgezeichnet worden und hat sich so einen Platz in der Hall of Fame der Automobilindustrie erarbeitet. Auf die Frage nach seinem Erfolgsgeheimnis sagt er in einem Interview3:
»… Autos zu verkaufen ist wie eine Ehe: Die eigentliche Arbeit beginnt nach der Hochzeit. Die meisten Männer vergessen, dass man sich (dem anderen) jeden Tag aufs Neue verkaufen muss, beweisen muss, dass man der Richtige für sie ist. Genauso bestimmt das Verhalten nach dem Verkauf die Leute, die dich weiterempfehlen … Wenn Sie ein Auto bei mir kaufen, dann bekommen Sie zwei Dinge: ein wunderschönes Auto und mich! … Ich heirate Sie, auf immer und ewig. Wenn ich Sie nicht gut behandle, dann werden Sie sich scheiden lassen. Aber das werden Sie nicht, denn ich behandle Sie gut …«
Joe Girard sieht den größten Fehler der Verkäufer in ihrer Gier nach Geld. Die meisten, so sagt er, wollen nur das Geld ihrer Kunden. Haben sie es, dann lassen sie sie fallen. Deshalb verkauften seine Kollegen fünf Autos im Monat. Joe Girard verkaufte in seiner aktiven Zeit sechs Autos (!) am Tag, 174 im Monat, 1425 im Jahr. Joe Girards Erfolg beruhte auf der Strategie, nicht über den Preis, sondern über den Service zu verkaufen. Verkäufe, die nur über den Preis geführt werden, sind aus Kundensicht schnell vergessen. Oder erinnern Sie sich noch, wann und wo Sie ein benötigtes Teil übers Internet gekauft haben? Haben Sie dieses Teil in einem serviceorientierten Unternehmen gekauft, werden Sie sich sogar noch an die Gestik, Mimik und Stimme des Verkäufers erinnern.
Kunden erwarten so etwas wie »Business Excellence«, also eine herausragende Leistung, und zwar vor Vertragsabschluss (Pre-Sales) und nach dem Verkauf, insbesondere im Supportfall (After-Sales).
Eine Erkenntnis, die so neu nicht ist. Bereits 1999 schrieb der bekannte US-Managementtrainer Tom Peters in seinem Buch4 »Der Innovationskreis«:
»70 bis 90 Prozent der Entscheidungen, ein bestimmtes Produkt nicht mehr zu erwerben, sind nicht auf das Produkt oder dessen Preis zurückzuführen. Sie hängen in irgendeiner Weise mit dem Service zusammen.«
Der Vergleich von Joe Girard, eine Kundenbeziehung sei wie eine Ehe, hinkt somit keinesfalls. Er sagt, dass nach dem Verkauf die eigentliche Arbeit beginnt. Hier müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Wann immer Sie etwas gekauft haben, beschleicht Sie danach ein »ungutes Gefühl«. Plötzlich tauchen Fragen auf, mit denen Sie nicht gerechnet haben: War das die richtige Entscheidung? Habe ich alles richtig gemacht? Hätte ich noch warten sollen? Diese Selbstzweifel verstärken sich sogar, sobald wir jemandem von unserem Kauf erzählen. Freunde und Bekannte, die sich ansonsten nur selten zu Wort melden, schauen uns mitleidsvoll an. Hätten wir sie gefragt, wir hätten dieses oder jenes doch viel besser oder günstiger bekommen können, belehren sie uns. Dadurch verstärken sich unsere Zweifel und wir fühlen uns plötzlich ganz allein auf der Welt.
TopSeller kennen diese Situation, deshalb halten sie nach dem Kauf Kontakt zum Kunden, um ihn in seiner Entscheidung zu bestätigen. Sie geben ihm das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Kurzum: Sie sind an der Seite des Kunden und handeln nach der Devise von Fußballtrainer Sepp Herberger, der mit »seiner« Mannschaft 1954 die Fußballweltmeisterschaft gewann: »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel«, sagte er einst. So schön ein gewonnenes Spiel auch ist, das nächste Spiel wartet, und alle müssen wieder vollen Einsatz bringen, um zu gewinnen. Wer sich ausruht, wird verlieren. TopSeller freuen sich über den Verkaufsabschluss genauso wie ein Fußballer, der das Tor trifft. In beiden Fällen gibt es etwas zu feiern, wobei der TopSeller den Verkaufserfolg nicht als den krönenden Abschluss eines Gesprächs sieht, sondern als Aufforderung, den Kunden im sprichwörtlichen Sinne nun an die Hand zu nehmen.
Das Phänomen der Selbstzweifel nach einer Entscheidung bezeichnen Psychologen als kognitive Dissonanz. In allem, was wir tun, legen wir unbewusst Rechenschaft über unser Verhalten ab. Bevor wir eine Kaufentscheidung treffen, sammeln wir im Vorfeld Informationen, um rationale Gründe dafür zu finden, richtig zu handeln. Das klingt nachvollziehbar, schließlich wollen wir auf Nummer sicher gehen. Tatsächlich aber treffen wir später nicht immer eine rationale Entscheidung, sondern eine, die uns und den Menschen in unserem Umfeld als eine solche erscheint. Unsere Wahl für ein Produkt ist weniger rational. Das heißt, unsere Kaufentscheidung steht nicht im Widerspruch zu unserer Meinung, zu unseren Überzeugungen oder zu unserem Wissensstand. Mögen die rationalen Gründe zu einer anderen Bewertung kommen, so handeln wir selten danach. Wir mögen keinen Konflikt zwischen unserem Handeln und unseren Überzeugungen, weshalb wir fast immer eine Kompatibilität zwischen unserer Entscheidung und unserem Denken anstreben.
TopSeller kümmern sich nach dem Kauf intensiver um ihre Kunden. Sie verhindern dadurch zum einen eine kognitive Dissonanz und zum anderen festigen sie damit das Vertrauensverhältnis. Durch dieses Verhalten wird das positive Image eines Verkäufers und damit auch des Verkäuferberufs gestärkt. Verkäufer, die nach der AUA-Methode arbeiten – Kunden (A)nhauen, (U)mhauen, (A)bhauen –, haben kein Interesse an einer echten Beziehung zum Kunden. Sie bringen sich damit nicht nur um weitere lukrative Aufträge, sondern »beschmutzen« überdies den ehrenwerten Beruf des Verkäufers.
Fazit: Verkäufer, die sich nicht um ihre Kunden kümmern, legen weiterhin die Saat für ein schlechtes Image dieser Zunft!
Die Schuld der anderen
»Wenn etwas missglückt, fragen die Unschuldigen ›Weshalb?‹ und die Schuldigen ›Wer war es?‹«
Wieslaw Brudzinski
Man macht es sich zu einfach, will man nur die schlechten Verkäufer als Auslöser für das schlechte Image dieses Berufs ins Feld führen. Wie eingangs schon erwähnt, haben wir es mit Menschen zu tun, die alles andere als berechenbar sind.
Ein »klassisches« Verkaufsgespräch setzt sich aus mindestens zwei Parteien zusammen: Käufer und Verkäufer. Der Verkäufer möchte eine höchstmögliche Provision (und einen zufriedenen Kunden). Der Käufer will ein hochwertiges Produkt preiswert (seinen Preis wert) einkaufen. Die Kunst liegt nun darin, beide Absichten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, damit beide Seiten zufrieden sind. Ist einer von beiden unzufrieden, fangen die Probleme an, weil es ihn nicht gibt, den rein rational handelnden Homo oeconomicus. Bei allem, was wir Menschen tun, sind Gefühle im Spiel. Was zum Zeitpunkt des Verkaufsgesprächs ein gutes Gefühl war, kann zwei Wochen nach Vertragsunterzeichnung ins Gegenteil umgeschlagen sein. Verträge sind bindend. Wer nun versucht, im Nachhinein Verträge zu stornieren, also außerhalb gesetzlicher Widerrufsfristen, erhält für gewöhnlich eine Absage. Das eigene Versagen wird ausgeblendet und ein Schuldiger ausgemacht: der böse Verkäufer, weil der – falsch – beraten hat.
Besonders deutlich hat das die Finanzkrise gezeigt. Millionen von Anlegern lecken...