2.7 Präsenzhandel versus Online-Handel
Die guten, stabilen Umsatzzahlen im Buchhandel sind der beste Beweis: Man muss angesichts der Online-Konkurrenz, in diesem Fall insbesondere des US-Online-Anbieters Amazon, keineswegs kampflos die Waffen strecken. Gefragt sind eine Rückbesinnung auf die typischen Stärken des Präsenzhandels und der Ausbau eben dieser Stärken, aber auch neue, innovative Ideen wie zum Beispiel Multi-Channel-Marketing, bei dem verschiedene Vertriebswege sinnvoll miteinander kombiniert und vernetzt werden. Das Ladengeschäft ist dabei nicht mehr alles, sondern nur noch ein (wichtiger) Teil des Systems. Wenn die Fach- und Einzelhändler die Stärken des stationären Handels gezielt ausbauen und ausspielen, dann muss ihnen beim Gedanken an den Online-Handel nicht angst und bange werden. Denn die neuen Medien eröffnen auch ihnen neue Möglichkeiten, Kunden emotional an sich zu binden.
Es lässt sich jedoch kaum bestreiten, dass der Online-Handel dem stationären Handel in den kommenden Jahren immer mehr Umsätze wegnehmen wird. Viele Geschäfte, vor allem in den Mittelstädten und in eher schlechten Lagen, werden ihre Pforten schließen. Das prognostizieren zahlreiche Experten, und vieles weist bereits darauf hin. So klagten laut Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) 2013 über 60 Prozent der Fach- und Einzelhändler über sinkende Besucherzahlen, und während im Weihnachtsgeschäft beim stationären Handel die Umsätze stagnierten, schnellten sie bei den Online-Händlern um mehr als 50 Prozent nach oben. Die entscheidende Frage ist: Steht der klassische Präsenzhandel also vor dem Aus?
Ist das konventionelle Kaufen und Verkaufen face to face bald passé? Viele Fachhändler befürchten das – vor allem weil ihnen eine Strategie fehlt, um sich gegen die scheinbar übermächtige, omnipräsente Online-Konkurrenz zu wehren. Denn Online-Händler haben einige klare Vorteile:
• Sie können die Ware oft günstiger anbieten, weil sie niedrigere Mieten und Löhne zahlen.
• Kunden können bei ihnen sieben Tage in der Woche, rund um die Uhr, bequem von zu Hause aus einkaufen.
• Die Ware wird den Kunden nach Hause oder an den Arbeitsplatz geliefert – was nicht nur jüngere Kunden anspricht.
Ist der Siegeszug des Online-Handels also doch nicht mehr aufzuhalten? Die Antwort lautet: Ja. Jede andere Antwort würde für Fachhändler bedeuten, sich etwas in die Tasche zu lügen. Die Kunden werden zukünftig ganz selbstverständlich auch online einkaufen. Daneben werden sie ebenfalls weiterhin stationär einkaufen. Also lautet die zentrale Frage nicht: Kann sich der klassische Handel gegen den Online-Handel behaupten? Sondern: Wie gut kann er sich auf Dauer gegen ihn behaupten? Oder genauer:
• Wie kann der Präsenzhandel einen möglichst großen Teil des Umsatzkuchens behalten?
• Zähle ich als Fachhändler wie viele meiner Kollegen zu den Verlierern des Wandels oder kann ich von der Marktveränderung eventuell sogar profitieren?
Diese Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten, und zwar unter anderem deshalb, weil es einen Unterschied macht, welches Produkt ein Händler verkauft. So wird zum Beispiel eine Eisdiele nie unmittelbar die Konkurrenz des Online-Handels spüren. Denn bis ein Online-Anbieter das Eis geliefert hätte, wäre es entweder schon geschmolzen oder dem Kunden wäre längst die Lust auf Eis vergangen.
Das Erlebnis Einkauf forcieren
Eisdielen müssen jedoch befürchten, dass zum Beispiel aufgrund der Online-Konkurrenz die umliegenden Kaufhäuser sowie die Textil- oder Optikergeschäfte schließen und die Innenstädte veröden, weshalb weniger Passanten bei ihnen vorbeiflanieren und spontan entscheiden, sich in die Sonne zu setzen und ein Eis zu essen. Ähnlich ist es bei anderen Geschäften. Fakt ist nämlich: In den Zentren der Großstädte florieren die meisten Läden. Viele Menschen genießen es, durch die Stadt zu schlendern, die Auslagen in den Schaufenstern anzuschauen und zum Beispiel zunächst hier und dann da Kleidung anzuprobieren. Das Einkaufen wird so zu einer Freizeitbeschäftigung, die vielen Menschen einen höheren sinnlichen Genuss bereitet als das Durchforsten von Online-Katalogen – und zwar auch deshalb, weil sie in den Innenstädten oft ein breiteres Warenangebot vorfinden. Das heißt: Der Standort wird künftig noch stärker als bisher über den Erfolg von Fachgeschäften entscheiden. Daher sind hier neben den Fachhändlern selbst auch die Stadtentwickler und Gewerbevereine gefragt. Sie müssen dafür sorgen, dass in den Städten Zentren entstehen, die wirklich zum Verweilen und Shoppen einladen.
Die persönliche Kundenbeziehung ausbauen
Doch die Lage ist nicht der zentrale Erfolgsfaktor. Eine Top-Lage erleichtert nur das Verkaufen. Immer wieder stößt man auch in eher schlechten Randlangen auf Geschäfte, die gut frequentiert sind. Analysiert man diese, dann zeigt sich meist: Sie haben sich auf eine sehr klar definierte Zielgruppe spezialisiert und tun alles, um diese Zielgruppe anzusprechen und zu begeistern – angefangen bei der Gestaltung der Schaufenster und des Sortiments bis hin zur Innenausstattung. Und, noch wichtiger: Ihre Besitzer (und Verkäufer) wissen, was die Vorzüge des stationären Handels gegenüber dem Online-Handel sind:
• Die Verkäufer begegnen den Kunden persönlich. Also können sie diese auch individuell beraten und eine persönliche Beziehung zu ihnen aufbauen.
• Der Kunde sieht die Ware und kann sie anfassen (und zuweilen sogar »ausprobieren«). Also kann der Verkäufer die Ware auch leichter »emotionalisieren«.
Diese zentralen Stärken des stationären Handels spielen die Geschäftsinhaber nicht nur aus, sondern bauen sie auch gezielt aus – zum Beispiel, indem sie bei der Personalauswahl darauf achten, dass die Verkäufer besonders kommunikative, sympathische und verbindliche Typen sind, oder indem sie den Verkäufern immer wieder vermitteln, was ihnen im Kundenkontakt wichtig ist und warum. Sie schulen ihre Mitarbeiter ganz gezielt darin, den Kunden das wichtige Gefühl zu vermitteln, im Laden willkommen zu sein und als Individuum wahrgenommen zu werden. Denn in diesen erfolgreichen Geschäften weiß man: Gerade im Internetzeitalter ist die persönliche Beziehung zum Kunden der ganz zentrale Erfolgsfaktor im stationären Handel – und sein größter USP!
Doch wer gestaltet diese Beziehung? Der Verkäufer! Genau deshalb gewinnt seine authentische Persönlichkeit, sein souverän-sympathisches Auftreten und seine die Kauflust weckende emotionale Kundenansprache und -beratung immer mehr an Bedeutung. Wer schlau ist, der spielt diese Trumpfkarte auch aus.
Die neuen Medien zur Kundenbindung nutzen
Die Beziehung von Mensch zu Mensch wird im Internetzeitalter immer wichtiger. Das wissen pfiffige Fachhändler. Deshalb klagen sie in der Regel nicht darüber, wie schlecht die Zeiten sind. Sie fragen sich vielmehr, wie sie die neuen Informations- und Kommunikationsmedien nutzen können, um die persönliche Beziehung zu ihren Kunden zu festigen und auszubauen. So wie zum Beispiel eine Gärtnerei in Mittelhessen. Sie hat auf ihrer Website einen Blog eingerichtet, in dem der Inhaber der Gärtnerei sowie des Gartenbaubetriebs individuelle Fragen seiner Kunden zu Gartenthemen beantwortet. Außerdem können die Kunden auf der Website einen vierteljährlich erscheinenden Online-Newsletter abonnieren mit Tipps von »ihrem Gärtnermeister«. Selbstverständlich wird darin auch Saisonware angeboten.
Zudem können die Kunden auf der Website Ware bestellen, die die Gärtnerei immer freitags – also rechtzeitig zum Wochenende – ausliefert. Gerade bei Torf, Blumenerde und Dünger nutzen Kunden dieses Angebot sehr gerne, während sie zum Beispiel ihren neuen Rhododendron oder Rosenstrauch lieber selbst in der Gärtnerei aussuchen. Der Lieferservice hat für den Gartenbaubetrieb einen weiteren Vorteil: Sein Inhaber lernt so die Gärten seiner Kunden kennen. Wenn er vor Ort mit ihnen darüber plaudert, dann kann er ihnen oft noch weitere Produkte und Leistungen seines Unternehmens verkaufen – Bäume oder Büsche oder auch das Anlegen eines Teichs oder Wegs.
Eine ähnliche Strategie verfolgt die Inhaberin einer Nobel-Boutique. Trifft neue Ware bei ihr ein, stellt sie ausgewählte Teile nicht nur auf ihre Website, sondern informiert ihre Stammkundinnen auch per Mail und Facebook darüber, verknüpft mit der Aufforderung »Schau doch mal auf ein Glas Sekt vorbei«. So gelingt es ihr immer wieder, ihr Geschäft zu füllen, obwohl dieses völlig abgelegen ist. »Ich gehe mal eben kurz zur Liz« – das ist ein geflügeltes Wort unter ihren Kundinnen, das deren Männer schon regelrecht fürchten. Denn sie wissen: Irgendetwas (das sie eigentlich nicht braucht) hat die Ehefrau immer dabei, wenn sie von Liz nach Hause kommt. Und das ist auch gut so.
Die Strategie der neuen Situation anpassen
Beide eben beschriebenen Fachhändler haben erkannt, dass die persönliche Beziehung zum Kunden heute der entscheidende Erfolgsfaktor ist und dass Emotionen im Verkauf eine zentrale Rolle spielen. Beide nutzen moderne Kommunikationsmedien als Hilfsmittel, um die emotionale persönliche Beziehung zu ihren (Stamm-)Kunden auszubauen, und versuchen so, sich eine Fan-Gemeinde zu schaffen. Wenn Fachhändlern diese Zusammenhänge bewusst sind und sie zu ihren Zielkunden passende Kundenbindungskonzepte entwerfen, dann muss ihnen auch vor der Online-Konkurrenz nicht bange sein. Zugegeben, gewiss werden einige ihrer »Kollegen« die Segel streichen, doch sie nicht. Denn sie haben ihre Geschäftsstrategie längst den veränderten...