3.1 Das „Fohlen-Passspiel“ im Nachwuchsleistungstraining von Borussia Mönchengladbach – Konzeption und Praxisformen des mit drei Sternen ausgezeichneten TOP-Nachwuchsleistungszentrums der ersten Fußball-Bundesliga
„Aber es gibt Wichtigeres als Taktik. Spielintelligenz, technische Möglichkeiten, die richtigen Bewegungen, Beidfüßigkeit, Schnelligkeit mit den Gedanken und den Beinen.“
(Lucien Favre (Cheftrainer des Bundesligisten Borussia Mönchengladbach) im Gespräch mit Uwe Marx und Richard Leipold in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. November 2013, 272, S. 29)
Nachwuchsspieler bei Borussia Mönchengladbach.
Das Hervorbringen neuer Talente aus der Region und die Überführung in den Lizenzspielerkader waren bereits in den 1960er und 1970er Jahren das Markenzeichnen von Borussia Mönchengladbach. Darüber hinaus zeichnete und zeichnet es die „Borussia“ aus, Talente aus anderen Regionen und Nationen frühzeitig zu erkennen, aufzunehmen und zu Weltklassespielern zu formen (vgl. Hyballa & te Poel 2014): Stefan Effenberg, Lothar Matthäus und Sebastian Deisler sind neben den weltweit bekannten Spielern wie Heynckes, Vogts, Netzer, Bonhof, Schäfer etc. aus der Ära der Trainerlegende H. Weisweiler nur einige Belege für diese wirksame Fußballschule.
U 15-Nachwuchsspieler T. Meurer (Borussia Mönchengladbach) beim Passspiel gegen den 1. FC Nürnberg (25. 08. 2013).
Die Namen der Spieler, Mannschaften und Trainer (u.a. mit U. Lattek (†) und J. Heynckes) von Borussia Mönchengladbach wurden regional, national und international zumeist mit attraktivem Angriffsfußball in Verbindung gebracht. So entstand über Jahrzehnte hinweg das auch heute noch bekannte und verwendete Superzeichen „Die Fohlenelf“ (vgl. Hyballa & te Poel, 2014, S. 20-33).
Wie sieht es heute mit der Nachwuchssichtung und -förderung bei Borussia Mönchengladbch aus und welchen Stellenwert besitzt das Passspiel in der Ära L. Favre, R. Bonhof, M. Eberl und R. Königs. Borussia Mönchengladbach versucht auch heute noch, mit ihrem neuen Leistungszentrum im BORUSSIA-PARK Talente unter der Leitung von Roland Virkus (Direktor Amateure und Nachwuchs) und Lars Tiefenhoff (Jugendcheftrainer) aus Deutschland und anderen europäischen Ländern frühzeitig an sich zu binden, diese sportlich auszubilden und zu Persönlichkeiten zu entwickeln.
„Wir haben die jüngste Entwicklung im Fußball beachtet. Und da ist die Schnelligkeit – auf den Beinen wie im Kopf – ein sehr wichtiger Faktor gewesen“, sagt Eberl.
(Zitat aus Lustig, J. (2014). Aufbau West. kicker, 100, S. 18)
Daneben legt die Borussia ihr Hauptaugenmerk besonders auf die Eigenschaften Disziplin, Willen, Toleranz, Respekt, Lernbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit. In der fußballerischen Ausbildung liegt ein alters- und entwicklungsgerechter Ausbildungsplan vor, der die zukunftsfähigen Elemente des Fußballspiels beinhaltet und die Spielphilosophie des Vereins implementiert: ballorientiert, offensiv, aktiv und kreativ.
Die gesamte Ausbildung verläuft in drei aufeinander aufbauenden Abschnitten. Der Basisbereich umfasst die Mannschaften von der U 9 bis zur U 14. Darauf folgt der Leistungsbereich, der die Teams ab der U 15 bis zur U 19 beinhaltet. Ein dritter Abschnitt stellt der Übergang in den Seniorenfußball dar, der Übergangsbereich, der eine Schnittmenge aus den Talenten der U 23, U 19 und teilweise auch U 17 bildet. Die Ausbildungskette der Borussia wird durch die U 23 geschlossen.
„Zu Eberls Philosophie zählt es, den Kader auf drei Säulen aufzubauen. Führungsspieler, Top-Talente aus In- und europäischem Ausland, sowie als dritten Baustein, der eigene Nachwuchs.”
(Lustig, J., 2014, S. 18)
Das basale Ausbildungsziel ist es, Nachwuchsspieler an ihr optimales Leistungspotenzial heranzuführen. Das bedeutet, dass bei der Borussia die Nachwuchsspieler individuell und fähigkeitsorientiert gefördert und gefordert werden. Die Ausbildung erfolgt demnach mannschaftsübergreifend: Herausragende Junioren müssen nicht wegen des Erfolges in der jeweiligen Jahrgangsmannschaft verweilen. Die Aus- und Weiterbildung des Talentes steht über dem Erfolg (Meisterschaften, Pokale) einzelner Mannschaften.
U 17-Nachwuchsspieler A. Scharwächter (Borussia Mönchengladbach) beim Torschuss-Pass gegen den 1. FC Köln (30.11.2013).
Dementsprechend gibt die Borussia ihren auf höchstem Ausbildungsniveau arbeitenden Trainern kein einheitliches Spielsystem vor. Die situative Variabilität und die positionsübergreifende Schulung stehen im Zentrum der Basisausbildung, sie geht mit angemessenen Spielzeiten einher. Im Leistungsbereich (ab der U 15) werden verstärkt taktische Grundsätze mit den Spielpositionen inhaltlich gekoppelt, aber generelle Vorgaben (im Sinne von einheitlichen Spielsystemen) werden von der Borussia nicht vorgeschrieben.
Die Ausbildung von Borussia Mönchengladbach mündet somit in eine breit gefächerte Ausbildung, die es dem Talent, dem Trainer und dem Verein je nach sportlicher und personeller Situation ermöglicht, variabel (und damit multifunktional) auf und neben dem Platz zukunftsfähig zu handeln.
Im Zuge zahlreicher Interviews mit den Trainern im Leistungszentrum und Trainings- und Spielbeobachtungen im BORUSSIA-PARK konnten die Autoren einen „tiefen Einblick“ insbesondere in die Ausbildung des Passspiels bei der Borussia gewinnen. Dieser soll nachfolgend auf der didaktischen und methodischen Ebene durch eine zusammenfassende Darstellung für den Trainer/Lehrer „geschärft“ werden. Es folgen punktuelle und exemplarische Übungs- und Spielformen von den U 9- bis zu den U 23-Junioren (inklusive Übungen zum Torwart-Passen mit dem ehemaligen Bundesligatorhüter U. Kamps):
Das Passspiel besitzt für die befragten Trainer im heutigen Spitzenfußball eine herausragende Bedeutung, da es im Spiel zumeist um das Einnehmen, Anspielen oder Freilassen von Räumen geht.
Das Passpiel soll unterschiedlich gewichtet, situativ und mit vielen schnellen Richtungsänderungen verbunden werden und erfordert möglichst viele Passarten (vgl. Hyballa & te Poel 2014, Kap. 4). Das Flach-Passspiel wird favorisiert (vgl. dto., S. 128-165).
Das Training der Passarten erfolgt über isolierte, technisch-taktische, positionsspezifische, gruppenspezifische und mannschaftstaktische Formen. Hierduch soll eine permanente Variation in der Reizsetzung gewährleistet bleiben. Das Detail ist jedoch stets im Blick zu halten. Das soll am nachfolgenden Beispiel aus dem Basisbereich näher erläutert werden:
Im Basisbereich existieren bei Borussia Mönchengladbach im Ausbildungsplan (hier für das Angriffsspiel) sogenannte Algorithmen[7] beim Passspiel.
Abb. 18:Algorithmen beim Passpiel im Basisbereich von Borussia Mönchengladbach.
Wie die Abb. 18 zeigt, wird das Lernen des Passspiels über drei Ebenen entwickelt:
Ebenen der Technik, Individualtaktik und der Partnertaktik, das Passspiel in seiner Gesamtheit wird als partner- und gruppentaktischer Baustein eingeordnet.
Dieses Schema folgt der Ebenenstruktur der sogenannten Leistungsfaktoren und unterstreicht den spielsituativen Lösungsansatz mithilfe (hier) des Passspiels: „Wenn ich mit meinen Spielern im Basisbereich „Raum schaffen“ möchte, um störungsfrei, schnell und sicher Richtung gegnerisches Tor zu gelangen, müssen welche entsprechenden Techniken und Taktiken beherrscht werden?“ Damit dieses Schema auf dem Trainingsplatz flexibel aber auch stringent umgesetzt werden kann, legt der Ausbildungsplan, chronologisch geordnet, 10 Kriterien zur Entwicklung des Passspiels im Basisbereich fest:
Abb. 19:Erstes Kriterium: Der Passgeber ist passbereit!
Abb. 20:Zweites Kriterium: Passgeber und Passempfänger haben Blickkontakt!
Abb. 21:Drittes Kriterium: Passgeber und Passempfänger haben einen freien Passweg!
Das vierte Kriterium besteht aus grundsätzlich zwei Entscheidungen des Passempfängers:
Diagonales Freilaufen, d.h. der Passempfänger erhält den Pass in der Bewegung.
Frontales Freilaufen, d.h. dem Passempfänger wird der Pass in den Fuß gespielt.
Abb. 22:Fünftes Kriterium: Der Passempfänger, der Gegner steht im Rücken, dreht die erste Schulter nach vorne in eine „offene Spielstellung“.
Abb. 23:Sechstes Kriterium: Der Passempfänger sendet das Coachingvokabular „Ja!“, um den Pass zu erhalten.
Abb. 24:Siebtes Kriterium: Der Passgeber spielt einen Druckpass auf den schulterfernen Fuß.
Abb. 25:Achtes und neuntes Kriterium: Der Passgeber sendet das Coachingvokabular „Dreh!“/„Klatsch!“ und führt nach dem Pass die Anschlussbewegung Anlaufen des freien Raums mit Blick zum Ball durch (Laufen und Sehen).
Abb. 26:Zehntes Kriterium: Der Passempfänger zeigt mit dem Armeinsatz an, dass er den Ball haben...