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Philosophische Werke

Ideal einer vollkommnen Zeitung + Über den Begriff des in sich selbst Vollendeten + Das Edelste in der Natur + Götterlehre + Über die bildende Nachahmung des Schönen und mehr

AutorKarl Philipp Moritz
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl980 Seiten
ISBN9788026841210
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Philosophische Werke' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Inhalt: Über den Begriff des in sich selbst Vollendeten Das Edelste in der Natur Das menschliche Elend Über die bildende Nachahmung des Schönen Die Signatur des Schönen Über die Allegorie Grundlinien zu einer künftigen Theorie der schönen Künste Ideal einer vollkommnen Zeitung Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten Karl Philipp Moritz (1756 - 1793) war ein vielseitiger Schriftsteller des Sturm und Drang, der Berliner Aufklärung und der Weimarer Klassik, der auch der Frühromantik Impulse gab. Er hatte ein bewegtes Leben als Hutmacherlehrling, Schauspieler, Hofmeister, Lehrer, Redakteur, Schriftsteller, Spätaufklärer, Philosoph und Kunsttheoretiker. Zu den ästhetischen Schriften gehören der Aufsatz Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten, der in der Berlinischen Monatsschrift von März 1785 als offener Brief an Moses Mendelssohn erschien, das in Rom entstandene Manifest Über die bildende Nachahmung des Schönen, sowie die Abhandlungen Inwiefern Kunstwerke beschrieben werden können und Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente. Mit seinen ästhetischen Schriften wird Moritz zum Begründer der Weimarer Autonomie-Ästhetik.

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Leseprobe

Das Edelste in der Natur


Was gibt es Edleres und Schöneres in der ganzen Natur als den Geist des Menschen, auf dessen Vervollkommnung alles übrige unablässig hinarbeitet und in welchem sich die Natur gleichsam selbst zu übertreffen strebt.

Denn die Natur, welche den menschlichen Geist gebildet hat, genügt ihm zuletzt nicht mehr – er ruft in der Schöpfung, die ihn umgibt, eine neue Schöpfung hervor. – Die Bäume, die ihm Schatten gaben, müssen sich nun, ihres Schmucks beraubt und in Bretter und Balken verwandelt, zu künstlichen Wohnungen für ihn zusammenfügen; sie müssen sich zu einem Sitze krümmen oder ihre glatte Fläche vor ihm erheben, um die Speisen seinem Munde und die Arbeit seinen Händen und seinen Augen näher zu bringen.

Mitten im Schoße der Natur steigt zwischen Bergen, Tälern und Flüssen plötzlich eine Stadt empor mit Palästen, Statüen, Gemälden Tempeln, Schauspielen, Musik und Tanz.

Durch wen entstand dies große Zauberwerk?

Die gütige Natur schuf und bildete den menschlichen Geist und brachte das mittelbar durch ihn hervor, was sie selbst unmittelbar nicht würde hervorgebracht haben.

Sie ließ es sich wohlgefallen, daß der Mensch ihre Wälder zu Städten und Dörfern, ihre Felsenbrüche zu Palästen und Türmen umschuf. – Denn das Größte, was er unternehmen konnte, brachte noch keine Änderung in ihrem großen Plane hervor. – Warum sollte sie ihm nicht gönnen, in ihrem unermeßlichen Palaste sein Nest zu bauen?

Der schöpferische Geist des Menschen ahmt die große Natur im Kleinen nach, bestrebt sich, durch die Kunst ihre Schönheiten im verjüngten Maßstabe darzustellen, und wähnt wohl gar, sie zu übertreffen und zu verschönern aber die Natur sieht lächelnd seinem Spiele zu und läßt ihn eine Weile seine kleine Schöpfung anstaunen – dann verschwemmt sie, was er schuf, in dem Strome der Zeiten und läßt wieder neue Werke der Kunst unter fremden Himmelsstrichen emporsteigen, um sie auch dereinst wieder in Vergessenheit zu begraben. – Sie aber ist sich immer gleich und jugendlich – ihr sanfter Hauch erquickt mit jedem Frühling die Erde, ihr belebender Strahl weckt mit jedem Morgen die schlummernde Welt zu neuer Tätigkeit.

In ihrem mütterlichen Schoße erzieht sie ein Menschengeschlecht nach dem andern und bildet unzählige Geister zu höherer Vollkommenheit, deren sterbliche Hülle sie dann wieder mit dem Staube mischt, aus dem sie unaufhörlich Wachstum und neues Leben hervorruft.

Sollte nun die sonst so sparsame Natur mit so vielem Aufwande den menschlichen Geist gebildet haben, um Statüen, Tempel und Gemälde durch den menschlichen Geist hervorzubringen, weil sie ihn selbst eben durch diese Ausübung seiner schaffenden Kraft vollkommner machen wollte?

Sollte alle das Gewirre in der bürgerlichen Welt keinen Zweck haben als sich selbst – wer könnte dann diesen Knoten lösen?

Arbeitet die Natur nicht unaufhörlich auf Veredlung und Verfeinerung des gröbern Stoffes hin? – Ist Gold nicht edler als Silber und der Geist nicht edler als Gold?

Kann die Natur etwas Erhabeneres hervorbringen als einen Menschen, der sagen kann:

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,
Aber schöner ein froh Gesicht,

Das den großen Gedanken deiner Schöpfung noch einmal denkt!

Ist es nicht die Krone ihres Werks, von einem Wesen, das sie schuf und bildete, so angeredet – so gedacht zu werden?

Wer kann sie fassen, wer kann sie lieben als der Geist des Menschen?

O hier ist eine Goldgrube, reicher als alle Berge von Peru. – Hier bildet sich das edelste Metall von echtem innerem Gehalte, wogegen der Glanz des feinsten Goldes schwindet.

Ob nun gleich der Mensch so oft seinen Wert verkennt und über die Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse unter Arbeit und Sorgen sein geistiges Wesen ganz vergißt, so leitet ihn dennoch die gütige Natur durch alle das Gewirre der Geschäfte und die Krümmungen des Lebens unvermerkt dem großen Endzweck näher, wozu sie ihn schuf.

Jeder Stand, jede Beschäftigung im Leben gibt unvermerkt dem Geiste Nahrung, indem durch tausend zufällige Veranlassungen die Denkkraft der Seele geübt wird, Schlüsse, Entwürfe und Pläne zu machen, ihre Ideen zu ordnen, ein Ganzes zu übersehen und sich die Dinge in der Welt aus dem rechten Gesichtspunkte vorzustellen.

Ohne selbst daran zu denken, übt der Mensch stündlich und augenblicklich seine Denkkraft; und vom Könige, der sein Volk beherrscht, bis zum Hirten, der seine Herde weidet, ist von dieser immerwährenden Wohltat der Natur niemand ausgeschlossen.

Wenn das Messer nur scharf schneidet, was liegt denn an dem Steine, worauf es gewetzt ward?

Da nun aber der Geist des Menschen so sehr außer sich wirkt, daß er sich oft in den Dingen, die ihn umgeben, verschwimmt und anfängt, sie für höher als sich selbst und Wesen seiner Art zu halten, so ist es nötig, daß er auf alle Weise in sich selbst und auf seinen eignen Wert zurückgeführt werde.

Ernstes Nachdenken muß hier, wie die Arznei bei einer körperlichen Krankheit, der Natur zu Hülfe kommen und ihre Endzwecke zu befördern suchen.

Der Mensch muß es wieder empfinden lernen daß er um sein selbst willen da ist – er muß es fühlen, daß bei allen denkenden Wesen das Ganze ebensowohl um jedes Einzelnen willen als jedes Einzelne um des Ganzen willen da ist.

Die Natur gibt uns also selbst den besten Fingerzeig, wo wir das wahre Edle und Schöne aufsuchen und befördern sollen. – Alles, was sie hervorbringt, erreicht erst dann den höchsten Gipfel seiner Vollkommenheit, wenn es sich irgendeinem menschlichen Geiste darstellt, der imstande ist, diese Vollkommenheit zu begreifen.

Wir haben also nun einen festen Gesichtspunkt, auf welchen wir alles beziehen können – es kömmt nur insofern auf die Veredlung und Verfeinerung der schönen Kunstwerke an, als der menschliche Geist durch die Betrachtung dieser Kunstwerke veredelt und verfeinert werden kann.

Alle Wissenschaften und Künste, die seit Jahrtausenden erfunden sind, müssen sich in diesen Punkt vereinigen.

Und es ist wohl einmal Zeit, daß der Mensch das hin und her Zerstreute, bisher so oft Vernachlässigte und Gemißbrauchte in diesem einzigen erhabenen Gesichtspunkte zusammenfasse und es darnach schätzen lernte.

Es muß notwendig ein gemeinschaftlicher Faden durch alle das Mannigfaltige, was in den Köpfen von Millionen Menschen zerstreut ist, durchlaufen, um es zu einem gewissen festen Endzwecke zusammenzuknüpfen und es nach seinem verhältnismäßig größern oder geringern Einfluß auf die allgemeine Bildung des menschlichen Geistes zu ordnen.

Der einzelne Mensch muß schlechterdings niemals als ein bloß nützliches, sondern zugleich als ein edles Wesen betrachtet werden, das seinen eigentümlichen Wert in sich selber hat, wenn auch das ganze Gebäude der Staatsverfassung, wovon er ein Teil ist, um ihn her wegfiele.

Der Staat kann eine Weile seine Arme, seine Hände brauchen, daß sie wie ein untergeordnetes Rad in die Maschine eingreifen – aber der Geist des Menschen kann durch nichts untergeordnet werden, er ist ein in sich selbst vollendetes Ganze.

Baumstämme mögen sich behauen und beschneiden lassen, um zu dem Ganzen eines Gebäudes ineinandergefugt zu werden. – Der Mensch soll keinen Gran von den Vorzügen seines Wesens verlieren, um in irgendein Ganzes, das außer ihm ist, gepaßt zu werden, da er selbst für sich das edelste Ganze ausmacht.

Daß ich denke und den Wert meines Daseins fühle, will ich nicht dem Zufall danken, der mir gerade unter dem Teile des Menschengeschlechts einen Platz anwies, der sich den gesitteten Teil nennt – ich stelle mich auf die unterste Stufe, worauf mich der Zufall versetzen konnte, und gebe keinen von meinen Ansprüchen auf die Rechte der Menschheit auf. Ich fordre so viel Freiheit und Muße, als nötig ist, über mich selbst, über meine Bestimmung und meinen Wert als Mensch zu denken.

Eins der größten Übel, woran das Menschengeschlecht krank liegt, ist die schädliche Absonderung desselben, wodurch es in zwei Teile zerfällt, von welchen man den einen, der sich erstaunliche Vorzüge vor dem andern anmaßt, den gesitteten Teil nennt.

Dieser Teil scheint sich für den Zweck der Schöpfung und alle übrige Menschen für untergeordnete Wesen zu halten, die deswegen im Schweiß ihres Angesichts die Erde bauen, damit es Rechtsgelehrte, Staatsmänner, Priester, Künstler, Dichter und Geschichtsschreiber geben könne, von deren geistigen Beschäftigungen und verfeinerten Vergnügungen jene Bebauer des Feldes nicht einmal die Namen wissen.

Aber auch selbst in den gesitteten Ständen betrachtet immer ein Teil den andern mehr als bloß brauchbare und nützliche Wesen – so denkt man sich immer einen Teil von Menschen, als ob er bloß um des...

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