Die Reisen des Marco Polo
Im Jahre 1260 reisten die Brüder Maffeo und Nicolo Polo, zwei Kaufherren und Patrizier des damals sehr mächtigen Venedig, mit einem reich beladenen Kauffahrteischiff nach Konstantinopel, wo der Kaiser Balduin regierte. Von dort fuhren sie durch das Schwarze Meer nach der Krim und wurden durch Kriegswirren über die Wolga nach Buchara verschlagen, wo sie sich drei Jahre aufhielten. Ein Gesandter des Khans von Persien, der zum Grosskhan der Tataren Kublai reisen wollte, veranlasste sie wegen ihrer Sprachkenntnisse, ihn zu begleiten, und sie schlossen sich ihm an, da zurzeit wegen der Unsicherheit der Wege an eine Rückkehr in die Heimat doch nicht zu denken war.
Kublai, der inzwischen den Titel eines Kaisers von China angenommen und seine Residenz von Karakorum nach Peking verlegt hatte, empfing die Europäer sehr wohlwollend. Er beschenkte sie bei ihrer Rückkehr reichlich und gab ihnen eine Botschaft an den Papst mit, worin er diesen bat, ihm hundert kluge und in der Religion erfahrene Männer zu schicken, die das Christentum in China verbreiten sollten. Als Pass überreichte er den Reisenden eine goldene Platte mit dem kaiserlichen Wappen, die ihnen auch überall den Weg erleichterte. Immerhin wurden sie durch Ueberschwemmungen und andere Hindernisse häufig aufgehalten, so dass die Rückreise länger als drei Jahre dauerte.
Als die Gebrüder Polo nach neunjähriger Abwesenheit wieder in Europa anlangten, erfuhren sie, dass der Papst gerade gestorben war, und es dauerte fast zwei Jahre, bis Gregor X. zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Dieser gab ihnen Briefe und reiche Geschenke an den Grosskhan mit, aber statt der hundert gelehrten Männer nur zwei Mönche, die noch dazu in Armenien, als sie von einem kriegerischen Zuge des Sultans von Babylon hörten, den Mut verloren und umkehrten.
Die Polos aber, die diesmal Nicolos Sohn, den siebzehnjährigen Marco, bei sich hatten, schlugen sich mutig durch und erreichten nach drei und einem halben Jahr Peking, wo sie von Kublai wieder mit grossen Ehren empfangen wurden. Besonders zog Marco Polo die Aufmerksamkeit des Kaisers in so hohem Masse auf sich, dass ihn dieser zu seinem Ehrenbegleiter ernannte und ihm häufig die wichtigsten Gesandtschaften und Aufträge gab, die Marco alle zu grosser Zufriedenheit seines Herrn ausführte.
Auf seinen vielen Reisen erwarb sich Polo eine sehr genaue Kenntnis Chinas und der angrenzenden Länder, was ihm später für die Beschreibung seiner Erlebnisse zugute kam.
Endlich, als die Venezianer schon über zwanzig Jahr am mongolischen Hofe gewesen waren, baten sie um Erlaubnis, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Der Grosskhan wollte sie anfangs durchaus nicht ziehen lassen, willigte aber doch schliesslich in ihre Bitten ein, wobei er Marco den Auftrag gab, eine kaiserliche Prinzessin dem Khan von Persien als Braut zuzuführen.
Auf vierzehn, wohlbewaffneten viermastigen Schiffen reiste die Abordnung, die reiche Schätze mit sich führte, unter der Führung Marco Polos ab. Die Seefahrt war eine wahre Odyssee. Unter schweren Stürmen erreichten sie nach drei Monaten Java, wo sie durch widrige Winde fünf Monate zurückgehalten wurden. Endlich gelangten sie über Ceylon nach dem Persischen Meerbusen und begleiteten die Prinzessin an den Hof des Khans. Dann reisten sie zu Lande weiter und gelangten nach vielen Gefahren und Mühen nach Trapezunt am Schwarzen Meer, von wo sie über Konstantinopel im Jahre 1295 ihre Heimat wieder erreichten.
In Venedig waren sie inzwischen längst für tot gehalten worden und ihre Verwandten hatten sie schon beerbt und ihr Haus in Besitz genommen. Niemand wollte sie anfangs wiedererkennen, und es wird erzählt, dass sie erst durch ihre ungeheuren Schätze an Edelsteinen, die sie in China gesammelt hatten, die Venezianer überzeugen konnten. Jedenfalls wurden sie nachher wegen ihres Reichtums und ihrer Kenntnisse hoch geehrt, und als kurz darauf ein Krieg mit Genua ausbrach, erhielt Marco den Oberbefehl über eine Galeere. In der nun folgenden Seeschlacht wurde die venezianische Flotte geschlagen und Marco geriet in Gefangenschaft. Auch von den Genuesen wurde er sehr achtungsvoll behandelt und im Gefängnis zu Genua konnte er in aller Ruhe sein berühmtes Buch verfassen.
Marco Polos Reisebeschreibung ist das wichtigste Entdeckungswerk des Mittelalters. Leider ist es nicht ganz chronologisch angelegt; es vermischt persönliche Erfahrungen mit fremden Berichten und lässt durchaus nicht sicher erkennen, wie eigentlich die Reiseroute der Venezianer verlaufen ist. Dafür bringt es aber wirklich interessante Einzelheiten und schildert die einzelnen ostasiatischen Länder mit einer Genauigkeit, die für die damalige Zeit erstaunlich ist.
Das Buch berichtet zunächst von verschiedenen Völkerschaften Armeniens und erwähnt den Berg Ararat. Auf diesem hohen Berge war es, wo nach dem allgemeinen Glauben des Mittelalters, den auch Polo teilt, Noahs Arche nach dem Verströmen der Sintflut stehen blieb. Dann berichtet er offenbar von einer Petroleumquelle: Nördlich von dem Lande findet man eine starke Quelle, aus welcher eine Flüssigkeit, dem Oele ähnlich, hervorströmt. Sie ist nicht zum Genuss geeignet, aber sehr verwendbar zum Verbrennen und zu manchem anderen Gebrauche. Von Zeit zu Zeit kommen benachbarte Völker hierher und versehen sich in solchen Mengen damit, dass sie ganze Schiffe damit anfüllen. Trotzdem kann die Quelle durch diesen Abgang nie erschöpft werden.
Südlich vom Kaspischen Meer, westlich vom heutigen Teheran, kam er an die Residenz des berühmten und gefürchteten Alten vom Berge, des Grossmeisters der Ordensverbindung der Assassinen. Man hat lange Zeit die Angaben Polos für ein Märchen gehalten, neuere Forschungen haben sie aber bestätigt. Er erzählt über den Alten der Gebirge: Dieser Fürst mit allen seinen Untertanen verehrte den Mahomed und beging ganz eigene Niederträchtigkeiten. Er versammelte allerlei Banditen, die man gewöhnlich Totschläger hiess, und durch diese rasenden Halunken liess er alle diejenigen töten, deren Dasein ihm ein Anstoss war. Auf diese Art brachte er oft die ganze Gegend in Furcht und Schrecken. Auf eine sonderbare Art verstand er es auch, seine Anhänger oder Würgeengel sich ergeben zu machen. Er besass ein sehr schönes, zwischen hohen Bergen verstecktes Tal. Dieses liess er in einen bezaubernden Garten, reich an allen Früchten und Bäumen, verwandeln. Wundervolle Paläste standen darin, die mit dem kostbarsten Hausgerät und den seltensten Gemälden ausgeschmückt waren. Springbrunnen gab es, die von Wein, Milch und Honig strömten. Man vernahm überall die lieblichste Musik, und erlebte die herrlichsten Tänze und Freudespiele. Mit einem Wort, es fehlte an nichts, um diesen Ort für den schönsten der Erde, für das Paradies selbst zu halten. Wenn nun der Alte, dessen Name Ala-Eddin war, Jünglinge für seinen Dienst begeistern wollte, so liess er sie durch einen Schlaftrunk betäuben und in den Garten bringen, wo sie einige Tage in einem Uebermass der Lust verlebten. Dann wurden sie aufs neue betäubt und zurückgebracht und konnten sich nun kaum über den Verlust des Paradieses trösten. Das war der Augenblick, den der Alte erwartet hatte. Er machte die Betrogenen glauben, dass er ein Prophet Gottes sei. »Hört mich an«, rief er ihnen zu, »und beruhigt euch! Wenn ihr bereit seid, euch furchtlos allen Gefahren des Todes preiszugeben, wenn ihr alle meine Befehle treulich erfüllt, dann verspreche ich euch, dass ihr bald und auf immer diese Freuden geniessen sollt, von denen ihr schon einen Vorgeschmack erhalten habt.« Auf diese Art betrachteten diese Elenden den Tod als ein wahres Gut und waren gern bereit, sich dem Tyrannen aufzuopfern. Dieser aber benutzte sie, um ganze Gegenden zu verheeren und den Einwohnern Entsetzen einzujagen. Um solchen Schrecken zu entgehen, unterwarfen sich ganze Völker mit ihren Fürsten dem Alten vom Berge.
Diese Assassinen, die auch auf dem Libanon hausten und von dort aus die Kreuzfahrer in Schrecken setzten, wurden dann von den Tataren besiegt und zu vielen Tausenden mit ihrem letzten Fürsten Rocu-Eddin, dem Sohn des Alten vom Berge, hingerichtet. Der mörderische Orden verschwand dann allmählich, aber man sieht heute noch die Ruinen ihrer Schlösser.
Von Nordpersien aus zogen die Reisenden durch die Bucharei nach der Pamir-Hochebene. Unterwegs kamen sie durch ein Land Balascia, wo es ausserordentlich viele Ballasrubinen und Lapislazuli gab. Die dortigen Fürsten hielten sich für Nachkommen Alexanders des Grossen. Sie hatten eine besondere Pferderasse, die man wegen ihrer harten Hufe selbst auf dem felsigsten Boden nie zu beschlagen brauchte und die von Buzephalus abstammen sollten.
Auf dem Pamir-Plateau gab es zahlreiche wilde Schafe von besonderer Grösse, aus deren langen Hörnern die Hirten alle Arten von Schüsseln und Gefässen anfertigten. Auch war es so kalt, dass das Feuer gar nicht hell brannte und es sehr schwer war, Speisen zum Kochen zu bringen. Diese Beobachtung Polos ist übrigens auch durch moderne Forscher bestätigt worden.
Als er von diesen unwirtlichen Höhen heruntergestiegen war, sah er nach dem Mittelpunkt von Asien hin die fruchtbaren und blühenden Ebenen von Kaschgar, ein dem grossen Khan unterworfenes Königreich. Die Hauptstadt Samarkand war damals ausserordentlich reich, mit festen Schlössern besetzt und von herrlichen Gärten und Ländereien umgeben, in welchen Wein und Früchte edelster Art wuchsen.
Die Polos aber wandten sich nach Osten und gelangten nach vielen Mühseligkeiten an den Rand der Wüste Gobi, wo damals eine grosse Stadt Lop lag. Hier pflegten die Reisenden Maultiere und Kamele für den Transport durch das Sandmeer...