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E-Book

Die erste Leiche vergisst man nicht

Polizisten erzählen

AutorVolker Uhl
Verlagdotbooks GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl215 Seiten
ISBN9783958243262
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Insider packen aus: 'Die erste Leiche vergisst man nicht', hrsg. v. Volker Uhl jetzt als eBook bei dotbooks. Der Moment, der dein Leben für immer verändert ... Am Beginn einer polizeilichen Laufbahn werden junge Polizeibeamte mit vielen Fällen zum ersten Mal konfrontiert: Der erste Verkehrsunfall, der erste Überfall - und die erste Leiche. Das sind Erlebnisse, die einen Polizisten sein ganzes Leben lang begleiten. In diesem Buch schildern 23 Beamte schonungslos und eindringlich ihre ersten Einsätze und zeigen dabei die Arbeit der Kripo mit all ihren Höhen und Tiefen. 'Es ist ein wichtiges Buch, das den Blick auf den Menschen in der Uniform des Polizeibeamten richtet.' Bundespräsident a. D. Horst Köhler 'Ein Manifest gegen den Verlust der Gefühle im Polizeiapparat.' Stuttgarter Zeitung 'Tatort Seele' - Nordbayrischer Kurier Jetzt als eBook kaufen und genießen: 'Die erste Leiche vergisst man nicht', hrsg. v. Volker Uhl. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks - der eBook-Verlag.

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Leseprobe

Lebenslänglich für Spur 3799


von Volker Uhl

Im Zeitraum von Mai 1984 bis Juli 1985 wurden im Bereich der Landkreise Heilbronn, Ludwigsburg und Rems-Murr drei Autofahrer erschossen, um in den Besitz ihrer Fahrzeuge zu gelangen. Diese dienten dem »Hammermörder« als Tatfahrzeuge für seine anschließenden Banküberfälle, bei denen er mit einem Vorschlaghammer das Panzerglas der Banken einschlug, um an die Beute zu gelangen.

Siegfried Ries{i} war für die Bearbeitung der Spur 3799 zuständig. Das Interview führte ich im November 2003.

Wann fand deine erste Begegnung mit der »Soko Hammer« statt?

Nach neun Jahren bei der Schutzpolizei beendete ich 1984 meine Ausbildung für die Kripo. Die »Soko Häldenmühle« bearbeitete den ersten Mordfall an Siegfried Pfitzner. Sie hatte ihren Sitz im feuchten Besprechungskeller der Kripo Ludwigsburg. Dort waren ebenfalls die Kollegen der Soko »Bianca Mann«{ii} untergebracht; ein junges Mädchen, das damals in Großbottwar ermordet worden war.

Der Täter überfiel am gleichen Tag die Bank in Erbstetten und schlug mit einem Vorschlaghammer das Panzerglas ein.

Am 28.12.1984 fand der Überfall auf die Raiffeisen- und Volksbank Cleebronn statt. Der Besitzer des Fluchtfahrzeugs, Eugene Wethey, wurde am 30.12.1984 tot aufgefunden.

Von da an begann ein anderes Leben. Ich kam als Kripo-Frischling zur »Soko Hammer«, die auf 40 Beamte aufgestockt wurde. Sie bezog ihren Sitz im Feuerwehrgerätehaus Großbottwar.

Nach zehn Jahren hatte ich mich gerade von meiner Freundin getrennt. Da kam die Soko gerade recht, musste ich mich nun nicht mehr um die zerbrochene Beziehung kümmern. Dienstbeginn war um 8.00 Uhr. Gearbeitet wurde in der Regel bis 20.00 Uhr.

Abends reichte es mir gerade noch auf ein Bier in die Kneipe mit meinen Kumpels.

Aber trotz allem war ich hoch motiviert, und es war ein gutes Gefühl, Mitglied bei der »Soko Hammer« zu sein, auch wenn ich hierbei viele Kollegen überprüfen musste.

Wieso richtete sich das Augenmerk der Ermittler auf Polizisten?

Am Tatort von Pfitzner wurde eine Patronenhülse 9mm aufgefunden. Von dieser Munition wurden nach Angaben des Herstellers acht Millionen Stück an die Polizei geliefert. Die Spuren an der Hülse deuteten auf eine P 38 oder P 5 hin. Weitere Hülsen am Tatort Wethey waren von sogenannter Syntox-Munition, wie sie in den Schießkellern der Polizei verwendet wurde.

Einen Ermittlungsschwerpunkt bildete daher die Überprüfung von Kollegen, deren Waffe abhanden gekommen war beziehungsweise als verloren gemeldet wurde. Einmal mussten wir hierzu ein Waldstück durchsuchen lassen. Ergebnislos.

Auch in der Diensthundeführerstaffel Stuttgart, wo Poehlke Dienst verrichtete, war eine Waffe verschwunden. Daher wurden diese Kollegen besonders überprüft. Dafür war ich jedoch nicht zuständig.

Welche Hinweise lieferten die Spuren an den Tatorten?

Am Tatort Häldenmühle fanden wir lediglich eine Patronenhülse, 9mm Parabellum. Das Geschoss zur individuellen Zuordnung fehlte. Eines Morgens ließen wir 27 Tonnen Erde abtragen und zu einer Firma nach Heilbronn bringen. Wir durchforsteten die Erde mit Metallsuchgeräten. Hierzu wurde die Erde immer in kleinen Mengen auf Holzplanken ausgebreitet. Die Auflage durfte nicht höher als fünf Zentimeter sein. Fünf Samstage lang haben wir uns in freiwilligen Sonderschichten durch die Erde gewühlt. Außer Hufnägeln aus dem letzten Jahrhundert, Kronkorken und sonstigen Metallteilen wurde nichts aufgespürt.

Erst beim dritten Mord konnte ein Projektil sichergestellt werden.

Bei einem Überfall hatte sich der Täter an der eingeschlagenen Scheibe geschnitten. Daher konnte in der Bank und im Fluchtauto Blut gesichert werden. Während heute bereits eine Körperzelle zur individuellen DNA-Bestimmung ausreichend ist, war die Blutauswertung damals noch eine komplizierte und langwierige Sache. Daher waren wir bestrebt, zum Beispiel durch Nachfragen bei der Bundeswehr, in Krankenhäusern oder bei Ärzten die Blutgruppen der überprüften Personen zu erfragen, um eine rasche Ein- oder Ausgrenzung vornehmen zu können.

Dies erklärt dann auch die geringe Anzahl von Blutauswertungen.

Insgesamt gab es 4 482 Spuren. Und viele dieser Spuren waren mit einer Person verknüpft. Es wurden nur sehr wenige Proben, insgesamt 157, erhoben und untersucht.

Wie hätte mit dem Geschoss und der Waffe ein Tatnachweis geführt werden können?

Beim Bundeskriminalamt (BKA) wurden Tausende von Waffen beschossen, wodurch ein Vergleich mit dem Tatprojektil möglich war. Sonderschichten wurden gefahren zur Durchführung von Geschossvergleichen. Pro Waffe waren hierfür etwa 30 Minuten erforderlich.

Lag auch eine Personenbeschreibung vor?

Natürlich. Es wurden mehrere Phantombilder erstellt. Wir hatten die ungefähre Größe. Der Täter wurde als glatt rasiert beschrieben. Eine Bankangestellte oder Kundin gab an, dass der Täter »rehbraune Augen« hatte. Diese Daten flossen dann in ein Täterraster ein.

Was muss ich mir unter »Spurenbearbeitung« vorstellen?

Aus den eingehenden Hinweisen und Erkenntnissen aus anderen Spuren ergeben sich Ermittlungsansätze, die dann in Form von »Spuren« erfasst und bearbeitet werden. Zum Beispiel hatte ich die Spur »Herkunftsermittlung der Vorschlaghämmer«. Wir hatten ja einen gebrauchten Vorschlaghammer vom ersten Überfall und einen neuwertigen beim zweiten Überfall sichergestellt, mit dem er das Panzerglas der Banken eingeschlagen hatte. Ich schrieb Eisenwarenhändler im weiten Umkreis an, fand so heraus, dass der zweite Hammer über OBI vertrieben wurde, suchte die Märkte auf, durchkämmte Berge von Verkaufsbelegen, versuchte nachzuvollziehen, ob sich eine Verkäuferin noch an einen Käufer erinnern konnte.

Eine weitere Spur stellte beispielsweise eine am Tatort zurückgelassene Stofftasche dar. Wir erhofften uns, über Ermittlungen zu deren Herkunft näher an den Täter heranzukommen.

Im Schnitt hatte jeder zeitgleich bis zu 20 solcher Spuren zu bearbeiten. Viele dieser »Spuren« waren Personen, die einer engeren Überprüfung unterzogen wurden.

Was war das Besondere an der Spur 3799?

Sie wurde zu meiner Schicksalsspur. Mitten in eine groß angelegte Überprüfungsaktion in Bietigheim-Buch platzte am 28.9.1985 eine Mitteilung der Soko »Grosser« des BKA. Der Terrorist Grosser war nach einem Geldbotenüberfall in Ludwigsburg festgenommen worden. In diesem Zusammenhang wurden die Schließfächer am Bahnhof Ludwigsburg überprüft. In einem Schließfach wurden ein Diensthemd, Schulterklappen, die Verpackung einer Motorradunterziehhaube und eine Gerichtsladung für Poehlke gefunden. Unter den weiteren Gegenständen waren auch noch irgendwelche Schrauben oder Nägel.

Wir konnten uns keinen Reim darauf machen, daher wurde das Schließfach zunächst observiert. Als ein Stadtstreicher mit dem Schlüssel das Fach öffnen wollte, wurde er festgenommen. Ich führte die Vernehmung durch und ging davon aus, dass er die Uniformteile gestohlen hatte. Es stellte sich aber heraus, dass die Gebühr vom Fach von Postler-Rudi, so hieß der Stadtstreicher, abgelaufen war. Daher wurde es von Bahnhofsseite geleert, mit einem anderen Schloss versehen und Poehlke deponierte seine Sachen selbst dort.

Während ich mich mit Postler-Rudi beschäftigte, wurde Poehlke noch in der gleichen Nacht durch den Leiter des Einsatzabschnittes vernommen. Er gab an, dass er sich mit seiner Ehefrau am Bahnhof Ludwigsburg getroffen habe, um nach seiner Nachtschicht zu den Schwiegereltern zum Geburtstag zu fahren. Die Sturmhaube habe er für seinen bereits gebuchten Winterurlaub gekauft. Seine Waffe konnte er vorzeigen. Am nächsten Tag wurde er nochmals zur Vernehmung vorgeladen. Hier wurde ihm auch vorgehalten, dass er am 23.7.1985 nach dem versuchten Banküberfall in Spiegelberg eine Kontrollstelle passiert hatte. Poehlke erinnerte sich nicht daran und hielt einen Schwimmbadbesuch für wahrscheinlich.

Hast du Poehlke vernommen?

Nein, das war der Leiter des Einsatzabschnittes. Ich sah Poehlke nur beim Betreten des »Forsthofs«.

Nach dem dritten Mord am 22.7.1985 wurde die Soko auf nahezu 100 Beamte aufgestockt. Wir wechselten nun vom Feuerwehrgerätehaus in Großbottwar in den »Forsthof«, ein leer stehendes Hotel außerhalb von Großbottwar.

Poehlke trug eine kurze Hose, war vollbärtig und hatte einen Watschelgang wie ein Frosch. Jeder von uns sagte sich, dass uns der Täter von den Zeugen anders beschrieben worden war; schlank, sportlich, behände, einer, der er auf den Tresen in der Bank hochspringt. Scheinbar hatte Poehlke einen Rückenwirbel zuviel. Was wir nicht wussten, war die Tatsache, dass er Marathonläufer und daher nicht so unsportlich war, wie er wirkte. Ich sah ihn jedenfalls nur kurz vorbeihuschen.

Wie ging es mit Poehlke weiter?

Er wurde nach weiterer Vernehmung »unter dem Eindruck der Abschwächung des anfänglichen Tatverdachts entlassen und außerdem entsprach er dem Täterraster nur bedingt«. So lautete der Tenor einiger Entscheidungsträger. Trotzdem sollte von ihm eine Blutprobe erhoben werden, wenn er aufgrund der Blutgruppenermittlung über seinen Arzt nicht vorher schon auszuscheiden war. Ebenso wurde verfügt, dass die Dienstzeiten Poehlkes zu den jeweiligen Überfällen überprüft werden. Von ihm wurden...

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