Auf der Spur
Spricht man über den jagdlichen Einsatz der Teckel, kommen einem natürlich sofort die Baujagd auf den Fuchs sowie die Arbeit nach dem Schuss in den Sinn. Während sich Daisy bei der Schweißarbeit viele Male bewähren konnte, tendierten die Einsätze im dunklen, muffigen Untergrund eher gegen null. Das lag zum einen an der Struktur meines Waldrevieres. Dort gab es keine überschaubaren Knickkanten, aus denen man den Hund notfalls per Einschlag beziehungsweise Grabung hätte retten können. Stattdessen existierten zwei weitläufige, mehrstöckige Mutterbauten, die tief in das teils felsige Erdreich hineinragten. Hier fühlten sich die Dachse ganz besonders wohl. In großer Anzahl besiedelten sie diese sicheren Burgen und hätten jedem Eindringling einen lebensbedrohlichen Empfang bereitet.
Zum anderen genoss Daisy einen unanfechtbaren Status als allseits beliebter und geliebter Familienhund. Die Vorstellung, sie könne, von ihrem Widersacher verklüftet, einen grausamen Erstickungstod erleiden oder gar, schwer geschlagen, langsam in den verzweigten Gängen des unterirdischen Verlieses verbluten, weckte bei meiner Frau und unseren Töchtern die heftigsten Beschützerinstinkte. Allein die Ankündigung, gemeinsam mit Daisy den einen oder anderen Bau zu revidieren, führte zu heftiger Kritik sowie der Aufzählung wahrer Horrorszenarien, die selbst dem Hartgesottensten das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Ende vom Lied war – Sie werden es schon ahnen: Ich verzichtete auf derartige Übungseinheiten, obwohl ich Daisy damit sicherlich keinen Gefallen tat. Ihre Passion nämlich war gewaltig, und jeder Fuchs- oder Dachsbau, der nach ihrem Dafürhalten befahren war, zog sie magnetisch an. An den von der Familie als ungefährlich eingestuften Fuchsschleppen arbeitete sie leidenschaftlich und fand den abgelegten Fuchs mit hundertprozentiger Sicherheit. Um ihr eine besondere Freude zu bereiten, ließ ich Daisy die letzten Meter vor dem Ziel von der Leine. So schnell sie ihre kurzen krummen Beine nur tragen konnten, stürzte sie sich auf den Gegenstand ihrer Begierde und schüttelte den längst verendeten roten Freibeuter mit aller Kraft und Inbrunst.
Nur ein einziges Mal hatte unser so talentierter Teckel Gelegenheit, einen regulären Zweikampf mit einem Fuchs auszufechten. Wenn diese Episode auch eher in den Bereich der Nachsuchen gepasst hätte, erzähle ich Ihnen, in Ermangelung anderer Highlights in Sachen Fuchs, die Geschichte schon jetzt. Ich bitte um Vergebung.
Alles begann mit der Meldung der Polizei über einen Wildunfall. Ein rotes Tier sei an diesem frühen Samstagmorgen plötzlich vor einem Auto auf die Straße gesprungen, habe dessen Kotflügel touchiert, sich kurz überschlagen und sei dann in der angrenzenden Wohldkoppel, meinem kleinen Waldrevier, im Unterholz verschwunden.
Da die Fahrerin wegen der versicherungstechnisch wichtigen Bestätigung noch vor Ort wartete, fuhr ich, mit Daisy im Gepäck, sogleich zum Ort des Geschehens. Eine genaue Inspektion des Fahrzeuges ergab eine leichte Delle im Kotflügel, einige nicht näher definierbare Haare sowie wenige Tröpfchen Schweiß. Eine Befragung der aufgeregten Fahrerin über die mögliche Wildart führte auch zu keinen neuen Erkenntnissen. »Na, rot eben«, war die etwas hilflose Antwort.
Nach Erhalt der Versicherungsbestätigung über den Wildunfall rückte die Fahrerin sichtlich erleichterter ab, bedauerte noch einmal kurz das arme Tier und überließ mir vertrauensvoll alle weiteren Schritte, um das bemitleidenswerte Opfer vielleicht doch noch einer tierärztlichen Rettung zuführen zu können.
Mir fiel erst einmal nichts Besseres ein, als Daisy an der Leine an die Unfallstelle heranzuführen. Und siehe da, nach intensivem Bewinden des infrage kommenden Stückchens Asphalts hatte sie scheinbar ihre Schlüsse gezogen. Mit geblähten Nasenflügeln und, für mich verwunderlich, gesträubtem Nackenhaar führte sie mich zielstrebig in die junge Mischwaldkultur hinein. Da der Bestand kurz vorher das erste Mal durchforstet worden war, lagen überall kreuz und quer Zweige, Äste und junge Bäumchen umher, die die Arbeit für den kurzläufigen Teckel natürlich erheblich erschwerten. Doch Daisy ließ sich nicht beirren, weder von den Hürden und Hindernissen noch von einem Hasen, der knapp vor uns aus seiner Sasse fuhr und sein Heil in der Flucht suchte. Nur ich hatte meine Schwierigkeiten, die Leine schnell genug zu entwirren, wenn sie sich wieder in dem Geäst verfangen hatte. Ich wollte ja Daisy in ihrer Suche nicht bremsen. So konzentrierte ich mich viel zu sehr auf die vermaledeite Leine, die sich immer wieder verhedderte, anstatt auf das Terrain vor uns zu achten.
Und schon passierte es! Daisy schlüpfte voller Tatendrang in einen aufgeschichteten Gestrüpphaufen hinein. Augenblicklich geriet das Buschwerk in stärkste Bewegung, begleitet von wildem Kampfeslärm und Gekecker. Reflexartig riss ich an der Leine und beförderte meine Hündin wieder ins Freie. Doch damit erschien nicht nur Daisy wieder in meinem Blickfeld, sondern auch ein Jungfuchs, in dessen Drossel sich der Teckel bereits heftig verbissen hatte und die er auf Gedeih und Verderb nicht gedachte loszulassen. Während mein mutiger Kampfdackel den Kontrahenten immer noch fast ekstatisch beutelte, hauchte dieser bereits sein junges Räuberleben aus, zuckte nur noch ein wenig mit Läufen und Lunte. Nach erstem Abliebeln »So, fein, mein Hund, so ist es recht!« folgten einige schärfere Worte, um Daisy dazu zu bewegen, dass sie von ihrer Beute abließ. Endlich konnte ich den Fuchs genauer betrachten.
Schnell wurde mir klar, warum diese Konfrontation so schnell und einseitig zugunsten des Teckels entschieden worden war. Dem armen Kerl war durch den Zusammenstoß mit dem Auto der gesamte Fang zertrümmert worden, sodass ihm jede Chance zu einer aktiven Gegenwehr von vornherein genommen war. Ein langsamer und schleichender Hungertod wäre unabwendbar sein Schicksal gewesen. Bei dem Anblick kam Bedauern in mir auf, aber auch Genugtuung, ihm diese Quälerei erspart zu haben. Daisy hingegen ließen derartige Gefühlsduseleien erkennbar kalt. Voller Stolz und schier überschwappendem Selbstbewusstsein lief und sprang sie neben mir her. Ich bin mir absolut sicher, aus Daisy wäre ein Bauhund par excellence geworden, hätte ich sie nur gelassen.
Doch nicht nur für die Arbeit im Untergrund, sondern auch für die hohe Jagd des Brackierens hätte sie sich begeistern können, hätte ihr Führer ihr nur die Gelegenheit dazu geboten. Das beweist die folgende kleine Begebenheit.
Für Daisys Teamkollegin, die Drahthaarhündin Anka, stand alsbald die Verbandsjugendsuche auf dem Programm, daher wurde eifrig geübt. Nun stellt bekanntlich die Hasenhetze, im Optimalfall mit Sicht- und Spurlaut, eine der wesentlichen Prüfungsaufgaben dar. Zu unserer großen Freude war Anka mit Feuereifer bei der Sache. Einmal an der Hasensasse angesetzt, folgte sie dem flüchtenden Langohr raketengleich und auf das Eifrigste Laut gebend über die weitläufigen Äcker und Felder bis an den Horizont.
Zwar konnten wir auch in unserer Wohldkoppel mit einem guten Hasenbesatz aufwarten, doch verzichtete ich vorsichtshalber in diesem unübersichtlichen Waldrevier auf etwaige Trainingseinheiten. Zu groß schien mir das Risiko, dass der Hund auf die Fluchtfährte eines anderen Tieres wechseln könnte, ohne dass wir überhaupt etwas davon bemerkten. Verfolgt der Hund in einem derartigen Fall auch noch Rehwild, ist die Wandlung zum jagdlich unbrauchbaren Hetzer und Changierer komplett.
Um dieses Risiko von vornherein auszuschließen, blieb Anka also fein an der Leine, wenn es durch den Wald ging. Daisy indessen, der wir solche Aktionen allein aufgrund ihrer Anatomie nicht im Geringsten zutrauten, trottete dann häufig treu und brav – diesen Eindruck verstand sie jedenfalls glänzend zu vermitteln – nebenher.
Sie ahnen sicherlich schon, was jetzt kommt, kommen muss. Natürlich liefen wir direkt einen sich in seiner Sasse drückenden Hasen an, und natürlich stand dieser nur wenige Meter vor uns auf, um das Hasenpanier zu ergreifen.
Während ich die einspringende Drahthaarhündin mit scharfen Worten und einer ganzen Portion Kraft im letzten Moment an der weiteren Verfolgung des strammen Waldhasens hindern konnte, nutzte Daisy diese verführerische Gelegenheit und startete mit hitzigem Gebell ihre Offensive. Meine Töchter Annika und Freya und selbst ich, der erfahrene Jägersmann, pfiffen und riefen aus Leibeskräften, doch ohne jeden Erfolg. Hilflos und frustriert sahen wir zu, wie sich Jäger und Gejagter immer weiter entfernten und schließlich ganz im Wald verschwanden. Auch der Hetzlaut verklang irgendwann im Rauschen des Blattwerks, und nur das Zwitschern der Meisen unterbrach hin und wieder die aufkommende Stille. In Gedanken verfluchte ich mein inkonsequentes Verhalten bei den vergangenen Gehorsamsübungen, denn, ich gebe es zu, so einem kleinen Teckel lässt man doch leichter etwas durchgehen als einem größeren Hund.
Doch alle Selbstvorwürfe und alle Verärgerung nützten nichts. Daisy war verschwunden, hinterherlaufen war sinnlos. Also hieß es stehen bleiben, abwarten und auf eine baldige Rückkehr hoffen. Auch Annika und Freya bangten um ihre kleine Daisy, das war nur allzu deutlich von ihren Gesichtern abzulesen.
»Du, Papa«, sagte Freya plötzlich leise, »hoffentlich stößt Daisy nichts zu.«
»Ein Teckel weiß sich immer zu helfen«, antwortete ich optimistisch, »was soll ihr denn passieren?«
»Na ja, vielleicht wird sie ja auch von einem Habicht gefressen«, mutmaßte Freya mit belegter Stimme.
Diese Feststellung kam nicht von ungefähr, denn wenige Wochen...