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1.
Der Natur-Typ:
Gott in seiner Schöpfung lieben
Am Nachmittag eines Heiligen Abends habe ich mich einmal davongestohlen, um einen Spaziergang durch die von mir so geliebten Wälder am Rand von Manassas in Virginia zu machen. Die Ruhe und Unberührtheit dort waren eine willkommene Abwechslung zu dem Gedränge und Gewühle in den Supermärkten und Einkaufszentren. Die Stille weckte in mir ein Gefühl der Erwartung auf die Geburt Jesu, das weit entfernt war von der hektischen Betriebsamkeit, die überall herrschte.
Plötzlich öffnete sich der Wald zu einer Lichtung. Ich hüllte mich enger in meinen Mantel, denn der kalte Wind ging mir unter die Haut. Die Windböen tanzten um mich herum, sammelten einen Moment lang Kraft und stürzten sich dann in den Schnee. Ich zog meine Kapuze über, um meinen Nacken zu schützen, wandte dem beißenden Wind meinen Rücken zu und beobachtete dann, wie er den Schnee am Boden entlang wirbelte. Erst nach einer ganzen Weile ließ er ihn wieder los. Ich hatte das Gefühl, mein Herz müsste mir beim Anblick dieser wunderbaren Schönheit stillstehen. Nur ein paar Augenblicke währte diese Pracht. Aber meine Frau, nur ein paar Meilen entfernt zu Hause, sah nichts davon. Diese wenigen, unendlich kostbaren Augenblicke haben mehr dazu beigetragen, mich in Gedanken dem Christuskind näher zu bringen als all die Wochen zuvor, die ich in Supermärkten, auf Postämtern und in festlich geschmückten Räumen verbracht hatte.
Diese Erfahrung war einschneidend: Sie brachte mich dazu, die Schöpfung als Tempel Gottes zu betrachten. Ich verbringe auch weiterhin den Großteil meiner täglichen Gebetszeiten drinnen, aber viele von ihnen sind geprägt von der Erinnerung daran (und dem Vorgeschmack darauf), Gott im Freien zu loben und zu preisen – draußen in seinem Tempel. Solche Erinnerungen können machtvoll sein und uns noch lange begleiten, nachdem der erste Eindruck verblasst ist. Franz von Assisi hat den berühmten »Sonnengesang« – wahrscheinlich das christliche Gedicht überhaupt zum Thema Schönheit und Herrlichkeit der Schöpfung – geschrieben, als er durch eine Infektion der Augen beinahe blind geworden war.9
Beim Lesen der Lebensgeschichten anderer Christen habe ich herausgefunden, dass ich nicht allein bin mit meinem Wunsch, Gott in der Natur zu loben und dort von ihm zu lernen. Als junger Mann schrieb der große Erweckungsprediger Jonathan Edwards eine Monographie über die fliegenden Spinnen in den nordamerikanischen Wäldern. Viele Jahre später benutzte Edwards in einer der berühmtesten Predigten, die je auf amerikanischem Boden gehalten wurden, das Bild der Spinne, die an einem dünnen Seidenfaden hängt, um das Dilemma eines uneinsichtigen Sünders in den Händen eines zornigen Gottes zu beschreiben. Edwards ist nur einer Der Ort, an dem wir Gott anbeten, kann einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität unseres Gebetes haben. unter vielen Christen, die gelernt haben, Gottes Schöpfung zu nutzen, um den Schöpfergott und seine Wege mit uns Menschen zu verstehen.
Der Ort, an dem wir Gott anbeten, kann einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität unseres Gebetes haben. Den Natur-Typ drängt es, architektonische Kunstwerke und gepolsterte Kirchenbänke zu verlassen, um eine völlig neue »Kathedrale« zu betreten, einen Ort, den Gott selbst geschaffen hat: die Natur.
Jeder Ort, an dem ein paar Bäume stehen oder ein Bach fließt – oder an dem man wenigstens ein bisschen Himmel sehen kann –, ist eine solche Kathedrale Gottes. Naturverbundene Christen haben entdeckt, dass leere Herzen buchstäblich überflutet und verhärtete Seelen weich werden, wenn man hinaus ins Freie geht. Für die meisten Gemeinden ist es sicherlich unpraktisch, sich regelmäßig im Freien zu treffen. Einzelne Christen oder auch kleine Gruppen können es jedoch als sehr bereichernd empfinden, sich einmal zu einem stillen Ort aufzumachen, um Gott in der Natur zu begegnen.
Naturverbundene Menschen in der Bibel
Eines ist mir klar geworden, auch wenn es mir die Bequemlichkeiten der heutigen Zeit so lange verborgen haben: Die Bibel ist dazu da, draußen gelesen zu werden. Viele Bilder und Anspielungen im Alten Testament und in den Evangelien beziehen sich auf die Natur, und nur im Kontext der Natur gewinnen sie ihre Bedeutung und ihre Kraft zurück. Der Begriff »Strom des Lebens« entwickelt seine überwältigende Kraft erst richtig, wenn Sie am Ufer eines schnell dahinfließenden Flusses stehen. »Grüne Auen« kann sich nach Postkartenidylle anhören, bis man eine unberührte Wiese betritt, die weit weg ist vom Lärm der Autobahn, des Radios und grölender Fußballfans.
Ich würde das künstliche Licht eines Overheadprojektors jederzeit eintauschen gegen den Anblick einer aufgehenden Sonne. Ich höre viel lieber das Heulen des Windes, der über die Erde fegt, als das Klicken der Heizung während der Predigt. Wenn wir uns in unseren Häusern einschließen, dann lassen wir einen Teil von Gottes Schöpfung – und daher auch einen Teil von uns selbst – außen vor. Künstlich produzierter Komfort hat seinen Preis.
Viele der Erscheinungen Gottes im Alten Testament ereigneten sich in der Wildnis.10 Gott begegnet Hagar in der Wüste, Abraham auf einem Berg, Jakob an einer Flussmündung und Mose in einem brennenden Busch. Es geschah wesentlich seltener, dass Gott jemandem im Zentrum einer Stadt begegnete.
Auch Jesus hat für sich nach der Schönheit der Schöpfung gesucht. Am Anfang seines Wirkens hat er Nazareth verlassen, um in Kapernaum am Meer zu leben (Matthäus 4, 13). Und zur Berufung einiger seiner Jünger wanderte er am See Genezareth entlang (Matthäus 4, 18).
Jesus hat oft im Freien gelehrt, vielleicht weil er dort direkt zeigen konnte, was er mit seinen Bildern meinte. Wer weiß, ob nicht die Vögel über seinem Kopf kreisten, als er von Gottes Fürsorge für diese Geschöpfe erzählte. Oder ob er nicht auf echte Blumen zeigen konnte, als er von ihrer Schönheit sprach. Es ist schade, dass wir die Taufe vom Fluss weg in das Becken neben dem Altar verlegt haben. Wir hören den Pastor die Bergpredigt lesen – und er steht auf teppichbelegten Treppenstufen, statt auf einem grasbedeckten Hügel zu sitzen. Unser Gottesdienst ist vom Berg Sinai mit all seiner Aussicht, seinen Geräuschen und seinen Als Gott für den ersten Mann und die erste Frau das Paradies schuf, baute er ihnen da ein Erholungsheim? Ein ausgefallenes Motel? Einen wunderschönen Palast? Nein, Gott entschied sich dafür, mit Adam und Eva in einem Garten zu wandeln. Gerüchen in einen schön gestrichenen Raum umgezogen, der uns »schützen« soll vor den Ablenkungen von draußen.11 Und wir haben monatelang die Spendenaufrufe des Bauausschusses ertragen, um diesen »Fortschritt« zu erzielen.
Als Gott für den ersten Mann und die erste Frau das Paradies schuf, baute er ihnen da ein Erholungsheim? Ein ausgefallenes Motel? Einen wunderschönen Palast? Nein, Gott entschied sich dafür, mit Adam und Eva in einem Garten voller Bäume und mit einem Fluss zu wandeln, der vier Quellen hatte.
Geistliche Lektionen für den naturverbundenen Typ
Die Naturtypen unter den Christen lernen am meisten, wenn sie von Gottes Schöpfung umgeben sind. Ich denke vor allem an drei Lektionen: Sie haben geistliche Wahrheiten sichtbar vor Augen; sie sehen Gott klarer; und sie lernen es, in ihm Ruhe zu finden.
Geistliche Wahrheiten sichtbar vor Augen
Es war Januar, und ich ging bei einem meiner Spaziergänge über eine große Weide. Obwohl ein großer Teil der umliegenden Wälder kahl war, hatte das hohe Gras eine rötliche Farbe. Ich untersuchte einen einzelnen Grashalm und stellte fest, dass er grau-braun und hässlich war – alle Halme zusammen aber bildeten eine wunderschöne rostbraune Fläche. Sofort drängte sich mir ein Vergleich auf: Die einzelnen Grashalme sind ein Bild für uns einzelne Christen, die ganze Wiese gleicht der Kirche, die ein Spiegel der Herrlichkeit Gottes ist.
Mein Weg führte mich weiter auf einen kleinen Hügel. Oben angekommen, erwartete mich ein klarer Blick über die Landschaft Virginias mit ihren sanften Hügeln und weiten Wiesen. Ich dachte zurück an die Zeit, in der ich im Staat Washington gelebt hatte. Die Landschaft dort ist geprägt von schneebedeckten Bergen, Nadelwäldern und großen Flüssen und Wasserfällen. »Was ist wohl schöner?«, fragte ich mich. Würde ich mich für die Wiesen, die sanften Hügel und die schmalen Bäche Virginias entscheiden oder für die immergrünen Wälder Washingtons mit ihren farnbedeckten Böden und den imposanten Bergen, deren unverrückbare Felsen den Verlauf der Autobahnen bestimmen? Ich konnte es nicht sagen – und habe dabei mitten in der Natur eine weitere wertvolle Lektion gelernt: Gottes Schönheit kennt keine Grenzen. Wie anders ist diese Schönheit, dachte ich, als all die Hollywood-Schönheit, die wir zu sehen bekommen: Die weiblichen Stars müssen alle die gleiche Haarfarbe und mehr oder weniger gleiche Figur haben, und die Männer müssen sich einen bestimmten Körperbau antrainieren und die gleiche, leicht grimmige Miene aufsetzen.
Dieses Erlebnis ließ mich für einen kleinen Moment den Unterschied zwischen einem unendlich großen Gott und uns endlichen Menschen begreifen. Dieser Augenblick war eindrucksvoll genug, um demütig meine eigenen Grenzen zu sehen und mir Mut zu machen für die grenzenlosen Möglichkeiten Gottes.
Es ist jeden Tag möglich, von der Natur zu lernen. Jonathan Edwards liebte diese Schöpfungsanalogien. Eine seiner Tagebucheintragungen trägt den Titel: »Die Sprache der Natur...