1. Vorwort
Der Hipster ist in den letzten Jahren zum Gegenstand regelmäßiger Berichterstattung geworden. Sein Lebensstil, oder das, was man dafür hält, wird in Feuilletonartikeln seziert und in Internetblogs mit Spott überhäuft. Die Grundhaltung, die dabei an den Tag tritt, ist normalerweise eine kritische. Dem Hipster werden allerlei Übel der Gegenwart angelastet. Er verursacht die Gentrifizierung, ist ein willenloser Konsumzombie und ein elitärer Snob. Seine Ironie zerstört die Sphäre des Politischen, außerdem zersetzt er als oberflächlicher Eventfan, ohne echte Liebe zum Sport und nur am Spektakel interessiert, den authentischen, ehrlichen Fußball. Seine verspielten Tattoos sind so peinlich wie die ironischen T-Shirts und die engen Jeans, und seinen Vollbart finden wir ohnehin eklig.
Doch eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Hipsters findet kaum irgendwo statt. Das ist merkwürdig, denn selten wurde einer jugendlichen Subkultur so viel Ablehnung entgegengebracht wie dem Hipster. Jugendszenen waren immer schon verdächtig, vor allem für die Konservativen und die Etablierten. Verdächtig der Zersetzung der Gesellschaft, der Zerstörung des Wahren, Guten und Schönen, der Unterminierung echter Werte. Aus denselben Gründen haben ihnen die Progressiven aber gerade deshalb immer auch ein im positiven Sinne subversives, emanzipatorisches Potenzial zugesprochen. Aus ihrem Blickwinkel waren jugendliche Sub- und Gegenkulturen Horte des Widerstandes gegen das bestehende Gesellschaftssystem oder zumindest Rückzugsräume für junge Menschen, die ihnen dabei geholfen haben, sich vom Elternhaus zu lösen, mit unterschiedlichen Rollenmustern zu spielen und im Austausch mit gleichaltrigen Gleichgesinnten die Welt zu reflektieren und damit ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden.
In der zeitgenössischen Jugendforschung gelten Jugendszenen als zumindest wichtige, mitunter sogar zentrale Orte der Sozialisation. Kritische Stimmen werden nur dann laut, wenn wieder einmal ein Rapper einen sexistischen oder gewaltverherrlichenden Text auf einem Song untergebracht hat oder wenn gewalttätiges Verhalten auf den übermäßigen Konsum von Computer- und Videospielen zurückgeführt wird. Dass aber eine ganze junge Subkultur pauschal abgelehnt und kritisiert wird, kommt eigentlich nur mehr bei Szenen vor, die sich politisch am äußersten Rand positionieren. Derzeit sind das vor allem extremistische islamistische Gruppierungen, wobei zu fragen wäre, ob es sich bei ihnen um Jugendkulturen im klassischen Sinne handelt. Aber das ist eine andere Debatte. In diesem Buch soll es um den Hipster gehen. Und der mag alles sein, ganz bestimmt ist er aber kein Extremist.
Bevor wir uns den Gründen und den Methoden zuwenden, aus denen bzw. mittels derer dieses Buch entstanden ist, wollen wir zuerst einen kurzen Überblick darüber geben, was wir uns im Rahmen dieser Ausführungen unter dem Hipster vorzustellen haben. Da verbindliche Definitionen fehlen, werde ich an dieser Stelle einige zentrale Wesensmerkmale dieses Typus skizzieren, wie sie uns in der gegenwärtigen Debatte immer wieder begegnen. Diese Skizze wird notwendig oberflächlich sein. Mein Anliegen ist es, in meinen Ausführungen dem Phänomen näher zu kommen und zu versuchen, ein klareres, weiter in die Tiefe gehendes Verständnis des Hipsters zu ermöglichen. Aber zurück zu den Klischees.
Unter einem Hipster versteht man im Allgemeinen einen Angehörigen der gehobenen Schichten. Er ist Gymnasiast, studiert oder hat gerade ein Studium abgeschlossen. Hinsichtlich seines Alters können wir ihn im Segment der älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen verorten, das ist, annäherungsweise, die Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen. Der Hipster wird ganz überwiegend als Mann vorgestellt. Das ist auch der Grund dafür, warum ich in diesem Buch immer von dem Hipster, nicht aber der Hipsterin – für sie hat sich noch kein Begriff etabliert – spreche. Ich gehe aber davon aus, dass es grundsätzlich nicht weniger weibliche als männliche Hipster geben dürfte, deswegen ist, wenn ich vom Hipster spreche, gleichzeitig immer auch sein weiblicher Konterpart gemeint. Ohne selbst ein Künstler zu sein, umgibt sich der Hipster gerne mit einer Aura des Kreativen. Er möchte am liebsten »irgendwas mit Medien« machen oder in einer Branche der sogenannten »Kreativindustrien«, der Werbung, dem (grafischen) Design, der Kulturindustrie etc. arbeiten.
Sein Äußeres ist bohemienhaft, sein Habitus der des Intellektuellen. Man erkennt ihn an einem Vollbart, wenn er ein Mann ist, und an einer asymmetrischen Stirnfransenfrisur, wenn sie eine Frau ist. Das stereotype Accessoire des Hipsters ist ein Jutebeutel, den er anstatt einer Tasche, eines Rucksackes oder eines anderen Behältnisses zum Transport verwendet. Seine Kleidung und sein Styling sind nur scheinbar nachlässig. Tatsächlich achtet der Hipster sehr genau darauf, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Trotz seines bohemienhaften Auftretens ist der Hipster kein Rebell. Er hat sich mit den herrschenden Verhältnissen ganz gut angefreundet und arrangiert. Er ist der Auffassung, dass ihm die gegenwärtige Gesellschaftsordnung alleine das ermöglichen kann, was für ihn am wichtigsten ist: die Verwirklichung der eigenen Individualität. Es lässt sich durchaus eine Brücke zwischen dem Bohemien vergangener Tage und der Hipster der Gegenwart ziehen.
Der Antikonformismus des Hipsters wird vor allem auf einer kulturellen Ebene spürbar, sie äußert sich kaum jemals politisch. Der größte Gegner des Hipsters ist der kulturelle Mainstream. Von ihm gilt es, sich um jeden Preis abzusetzen bzw. auch symbolisch abzugrenzen. Der Mainstream ist für den Hipster die Quelle der Banalität, diesem setzt er ein avancierteres Kulturverständnis entgegen, was ihm als Elitismus und Arroganz ausgelegt wird, während er sich selbst eher als einen Connaisseur ansieht. Dieses Kulturverständnis deckt sich aber nicht mit jenem des etablierten Bildungsbürgertums, das als verstaubt und spießig gilt, sondern ist in Richtung der alternativen und der Offkultur orientiert. So viel zu dem Klischeehipster, den man vor Augen hat, wenn man die Berichterstattung in den klassischen Medien verfolgt oder die eine oder andere Darstellung des Hipsters irgendwo im Internet gelesen oder gesehen hat. Dieser Typus begegnet uns in den Szenevierteln der Großstädte, in den Programmkinos, in den Galerien oder auf Indierock-Konzerten. Er ist ein fester Typus auf der Bühne des modernen urbanen Lebens.
Andere Quellen als unsere Alltagswahrnehmung und die tendenziöse Berichterstattung in den Medien gibt es aber nicht. Zu sagen, der Forschungsstand über den Hipster nähme sich ungenügend aus, wäre noch eine Untertreibung. Tatsächlich gibt es kaum halbwegs differenzierte Literatur, auch wenn der Hipster als Gegenstand von Untersuchungen an Bedeutung gewinnen dürfte. Zumindest haben den Autor bislang mehrere Anfragen von Studierenden erreicht, die sich im Rahmen von Haus-, Bachelor- oder Masterarbeiten mit dem Hipster beschäftigen wollen und deswegen verzweifelt auf der Suche nach Literatur sind. Ein Grund für dieses Buch liegt daher erstens in dem unzureichenden Forschungsstand zum Hipster. Offenbar ist er, das ist der zweite und wohl auch wichtigere Grund, ein Phänomen, das aus Gründen für Aufsehen sorgt, die bis jetzt noch nicht ganz ersichtlich sind. Denn das Kommen und Gehen von jugendlichen Subkulturen verläuft normalerweise unter der Wahrnehmungsschwelle, während der Hipster Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen ist. Ich vermute und möchte dies im Laufe meiner Ausführungen vertiefen, dass der Hipster eine Figur ist, die nicht nur eine Subkultur unter vielen ausmacht, sondern dass sich in ihm eine Reihe von Merkmalen unserer Gesellschaft idealtypisch verkörpern. Das macht ihn so interessant. Vor allem aus diesen beiden Gründen ist er als Gegenstand eines Buches von einigem Interesse.
Wie nähert man sich nun aber einem Phänomen, das bislang kaum erforscht ist? Und das, ohne allzu sehr ins Spekulative abzudriften oder auf der Ebene rein oberflächlicher Beschreibung hängen zu bleiben? Ich stelle mir, als astronomischer Laie, meine Herangehensweise in etwa so vor wie jene der Erforschung eines Himmelskörpers. Dafür stehen mir unterschiedliche Instrumente und Methoden zur Verfügung. Ich kann den Himmelskörper von der Erde aus betrachten – indem ich dessen Strahlung messe, mathematische Modellierungen durchführe oder ihn aus der Ferne bei klarem Himmel mit einem Teleskop betrachte. Außerdem kann ich einen Satelliten hinschicken, der den Planeten umkreist und aus der Umlaufbahn Bilder von dessen Oberfläche macht. Schließlich steht mir noch die Möglichkeit offen, eine Landesphäre zu starten, die auf der Oberfläche des Planeten aufsetzt, um dort Proben zu nehmen, die dann genauer analysiert werden können. Außerdem wird mich die Geschichte des Himmelskörpers interessieren, die mir möglicherweise Aufschluss über ein größeres Ganzes, wie die Entstehung des Universums, verraten kann. Diese Prinzipien möchte ich auf meine kultursoziologische Perspektive übertragen.
Erstens stehen mir theoretische Mittel zur Verfügung, die mir bei der Erforschung anderer Planeten als dem des Hipsters genauso hilfreich sein können und die dazu beitragen, das Phänomen Hipster in einem größeren Rahmen zu verorten. Das sind, im Falle des vorliegenden Buches, anders als beim Astronomen, keine mathematischen oder empirischen Verfahren. Um ein Phänomen wie das der Hipsterkultur angemessen zu verstehen, gebe ich in Kapitel 2 einen theoretischen Überblick über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die dazu geführt haben, dass ein Typus wie der Hipster überhaupt...