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Alles oder Nix

Bei uns sagt man, die Welt gehört dir. Die Autobiografie des Rappers und Unternehmers Xatar. Die Buchvorlage zum Film Rheingold von Fatih Akin. SPIEGEL-Bestseller

AutorXatar Giwar Hajabi
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783959710046
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Der Bestseller zum Film »Rheingold« von Fatih Akin Vom Knast an die Spitze der Charts: Giwar Hajabi alias Xatar ist Deutschlands einziger Gangsta-Rapper, der wirklich zum Gangster wurde. Und der wirklich gelebt hat, worüber er rappt. Aufgewachsen im Bonner Ghetto, macht sich Hajabi auf der Straße schnell einen Namen. Mit den Jahren wurden die Geschäfte größer und die Liste seiner Vorstrafen länger: Diebstahl, Raub, Körperverletzung. Nach einem spektakulären Überfall auf einen Gold-Transporter wurde er schließlich zum international gesuchten Kapitalverbrecher. Er tauchte im Irak unter, wurde monatelang gefoltert - und zurück in Deutschland schließlich zu acht Jahren Haft verurteilt. Von dem Gold fehlt bis heute jede Spur. Nach seiner Entlassung stürmt Xatar schließlich die Spitze der deutschen Charts. Er ist nun endgültig der Pate des deutschen Gangsta-Rap. Die Geschichte von Xatar ist eine Geschichte zwischen Armut und Reichtum, zwischen Partys in der Playboy-Mansion und Folterknast, zwischen Prominenz und Mafia-Paten. Zum ersten Mal erzählt Xatar seine Geschichte selbst. Die wirklichen Gründe für seinen Raub. Und eine Wahrheit, die niemand bis heute jemals erfahren hat.

Am 24. Dezember 1981 wird Giwar Hajabi in einem Dorf nahe der iranisch-irakischen Grenze geboren. Seine Eltern sind kurdische Freiheitskämpfer. Nach einer langen Internierung durch irakische Sicherheitskräfte kann die Familie schließlich nach Deutschland fliehen. Mit fünf Jahren landet Hajabi in Bonn. Auf der Straße macht er sich schnell einen Namen als Drogendealer und Kleinkrimineller. Seine Erfahrungen verarbeitet er in der Musik. Er wird Gangsta-Rapper, gründet sein eigenes Label und nennt sich Xatar. 2008 veröffentlicht er mit Alles oder Nix sein erstes Album. Es landete auf dem Index. Ein Jahr später wird er wegen einem millionenschweren Goldraub zu acht Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis nimmt er heimlich sein zweites Album auf - und erreicht damit die Top 20 der deutschen Charts. Auf seinem Label verpflichtet er mit SSIO und Schwesta Ewa zwei von Deutschlands populärsten und erfolgreichsten Rappern. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung erscheint sein drittes Studioalbum Baba aller Babas und erklimmt auf Anhieb Platz 1 der deutschen Albumcharts.

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Leseprobe

TEIL 1
Freiheit


Kapitel 1


Die ersten Erinnerungen meines Lebens sind Erinnerungen an den Knast. Meine Eltern waren kurdische Freiheitskämpfer. Sie hatten einen Traum – und für diesen Traum waren sie bereit, in den Krieg zu ziehen. Sie träumten tatsächlich von einem autonomen Kurdistan. Von einem Land, in dem die Kurden ihre Flagge hissen und ihre Sprache sprechen können.

 

Als meine Eltern sich im Iran kennenlernten, hätten sie wohl nie gedacht, dass ihr Traum sie mal in eine Gefängniszelle führen würde. Mein Vater ist Musiker. Ein Freigeist, der seine Tage und Nächte damit verbrachte zu komponieren. Meine Mutter unterrichtete neben ihrem Studium an einer Grundschule. Die beiden waren keine Kämpfer. Aber sie lernten sich in einer Zeit kennen, in der das politische Klima im Iran extrem aufgeheizt war. Alle Zeichen standen auf Revolution. Es war eine Zeit, in der viele Kurden die Hoffnung hatten, ihre Träume von einem eigenen Staat endlich umsetzen zu können. Meine Eltern wollten diese Chance nutzen. Sie schlossen sich der Kurdischen Demokratischen Partei an und griffen für ihren Traum zu den Waffen. Sie kämpften an der iranisch-irakischen Grenze für die Freiheit ihres Volkes.

 

Als ich drei Jahre alt war, wurde aus dem Traum ein Albtraum. Meine Eltern wurden von irakischen Sicherheitskräften verhaftet. Sie wurden nach Samawa gebracht, eine kleine Stadt südlich von Bagdad. Und ich wurde von den Soldaten gleich mitgenommen. Das Gefängnis von Samawa war kein normales Gefängnis. Die Gefangenen hier sollten nicht bloß ihre Strafe absitzen. Die Menschen, die nach Samawa gebracht wurden, sollten ­sterben.

 

Die Zellen waren groß. Aber sie waren voll. Sie warfen einfach jeden rein, der hier ankam, vollkommen egal ob Männer, Frauen oder Kinder. Bis zu zwanzig Gefangene vegetierten in diesen Kerkern vor sich hin. Ängstlich und zusammengedrängt. Mütter kauerten in den Ecken und hatten ihre Kinder im Arm. Es war immer ruhig an diesem Ort. Aber es war eine bedrückende Ruhe. Niemand hat sich getraut zu sprechen. Jeder war nur damit beschäftigt, in diesem Drecksloch irgendwie zu überleben.

 

Das Schlimmste war aber nicht der Gestank. Nicht die Kakerlaken. Das Schlimmste war die Ungewissheit. Immer wieder kamen die Wärter und nahmen meinen Vater mit. Oft mehrmals am Tag. Meine Mutter und ich blieben in der Zelle zurück. Wir wussten nicht, was jetzt passieren würde. Wir wussten nicht, wie es weitergeht. Als die Wärter ihn ein paar Stunden später wieder in die Zelle zurückbrachten, war er ein anderer. Bis heute haben wir nie über das gesprochen, was genau passiert ist. Aber die Narben, die er auf seinen Armen trägt, erzählen mir mehr, als seine Worte es jemals könnten.

 

Ich glaube fest daran, dass unser Leben von Gott geschrieben ist. Und es gibt Momente, da werfen die Wendepunkte unserer Geschichte ihre Schatten weit voraus. Unsere Zeit in Samawa muss so ein Moment gewesen sein.

 

Irgendwann holte eine internationale Organisation unsere Familie aus dem Knast und brachte uns zunächst nach Paris.

Dort ging der Albtraum weiter. Wir kamen im tiefsten Winter an. Und nicht nur der Temperaturwechsel war ein Schock. Das Asylantenheim war eine Baracke. Wir lebten dort mit Hunderten anderer Menschen, unsere Matratzen waren voller Blut und Urin. Die Bettwäsche wurde nie gewechselt. Das Schlimmste aber war, dass wir zu dieser Zeit überhaupt kein Geld hatten. Wir bekamen nur Essensmarken vom Staat, mehr nicht. Das war eine Katastrophe. Mütter mussten für ihre Kinder Windeln klauen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Das war menschenunwürdig. In unserem Asylantenheim waren Familien, die alles taten, um ihre Kinder vor dem Krieg zu bewahren, die auf ein besseres Leben hofften. Und dann waren sie gezwungen, Windeln zu klauen. Was für ein abfuck.

Irgendwann lernten meine Eltern Ali Homam Ghazi kennen. Ghazi war ein einfluss­reicher Diplomat der iranischen Botschaft. Ein Kurde mit deutschem Pass und besten Beziehungen in höchste Regierungskreise. Er hat alles in seiner Macht Stehende getan, um die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden zu unterstützen. Und Hunderte von gefangenen Kämpfern aus dem Kriegsgebiet geschleust. Als er von unserer Familie hörte, wollte er helfen. Er wollte meinem Vater einen Job als Komponist in Deutschland verschaffen. Er holte uns nach Bonn. Das war im Jahr 1986 und ich war gerade einmal fünf Jahre alt.

AAA

Wir wohnten zunächst bei der Familie Ghazi. Sie hatten ein riesiges Anwesen mitten im Wald. Für mich war es das Paradies auf Erden. Gerade nach der Zeit im Irak und in Paris, wo wir gar nichts besaßen, lebten wir plötzlich im Überfluss. Für alles war gesorgt. Es gab eine Haushälterin, die sich um unsere Wäsche kümmerte. Es gab eine Putzfrau, die unsere Betten machte und für mich gab es jede Menge Spielzeug. Außerdem war der Kühlschrank immer gut gefüllt. Wir lebten sechs Monate dort.

Meine Eltern wollten die Gastfreundschaft von Ghazi nicht strapazieren. Sie wollten wieder auf eigenen Beinen stehen. Mein Vater bemühte sich um eine Wohnung für uns, aber das war nicht einfach, weil wir weder Deutsch konnten noch genügend Geld besaßen. Genau genommen hatten wir gar nichts. Die Stadt hat uns irgendwann eine Sozial­wohnung gestellt. Bonn, Brüser Berg. Celsiusstraße. Heute würde man sagen: Mitten im sozialen Brennpunkt. Aber diese Begriffe sagten uns damals nichts. Wir kamen aus einem Kriegsgebiet. Brennpunkte waren für uns etwas anderes.

Meine Eltern waren froh, dass wir wieder unsere eigenen vier Wände hatten. Zwei kleine Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Küche. Und ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben mein eigenes Zimmer. Das war für mich purer Luxus. Es half mir dabei, über andere hygienische Missstände hinwegzusehen, die sich nach und nach in unserem kleinen Reich offenbarten. Zum Beispiel die Sache mit den Kakerlaken. Ich hatte ja nichts Grundsätzliches gegen die Dinger. Aber unsere ganze Wohnung war voll mit den Viechern.

Wenn ich morgens die Cornflakes aus dem Schrank holte, krabbelten ganze Horden quer durch die Küche. Wenn wir vom Einkaufen zurückkamen und die Tür öffneten, flüchtete eine Armada von bunten Käfern vor uns. Für mich war das nichts Besonderes. Und es störte mich auch nicht, denn ich wusste, dass die Dinger zuverlässig nach ein paar Minuten wieder hinter den Wänden verschwanden und mich nicht weiter belästigten. Ich wuchs im Iran auf. Als Kleinkind spielte ich in den Bergen mit Skorpionen. Mich konnten ein paar Kakerlaken nicht schocken. Erst als mich mein bester Kumpel Raffy besuchte und mir sagte, dass es krass eklig wäre, so viel Ungeziefer in der Wohnung zu haben, und er sich dann auch noch weigerte, aus der Cornflakes-Packung zu essen, über die ein paar Insekten gekrabbelt waren, wurde mir bewusst, dass die Anwesenheit unserer kleinen Freunde wohl nicht zur Standardausstattung deutscher Wohnungen gehört.

Irgendwann haben wir dann herausgefunden, was die Käfer anlockte. Die Wände hinter den Küchenschränken waren komplett verschimmelt. Der Pilz hatte richtige Löcher in den Putz gefressen. Meine Eltern haben das nicht wahrgenommen. Sie hatten auch gar nicht den Kopf dafür. Sie hatten Jahre im Krieg verbracht, waren monatelang im Gefängnis, wurden gefoltert und erlebten die Hölle auf Erden. In ihrer Welt waren Schimmel hinter den Küchenschränken und Kakerlaken auf der Cornflakes-Packung die kleinsten aller Probleme.

Wir waren mittlerweile zwar in Deutschland angekommen, aber der Krieg war für meine Eltern noch immer nicht vorbei. Es verging kein Tag, an dem bei uns nicht über Politik gestritten wurde. Mein Vater war ständig am Telefonieren. Er wollte auf dem Laufenden bleiben. Doch es waren meistens schlechte Nachrichten, die uns erreichten. Während eines Giftgasangriffs starb der Bruder meiner Mutter. Der Bruder meines Vaters wurde im iranischen Fernsehen öffentlich hingerichtet. Es war eine bedrückende Stimmung, die über unserem Leben lag: Ständig ist irgendwer irgendwo gestorben, immer ist irgendwann irgendwas passiert. Meine Familie ist zwar aus dem Kriegsgebiet rausgekommen, aber ich hatte oft das Gefühl, dass sie die Probleme der Heimat in ihrem Kopf und in ihrem Herzen mit nach Deutschland brachten.

Nach allem, was die beiden mitmachen mussten, ist das wahrscheinlich normal. Meine Mutter erzählte uns beinahe jeden Abend die Geschichten aus dem Krieg.

Sie erzählte mir von der Zeit, als sie mit mir schwanger war. Das war die Zeit, als sie zum ersten Mal verhaftet wurde. Sie erzählte mir von der Großraumzelle, in die man sie steckte. Von dem Dreck. Und von sadistischen Wärtern. Immer wenn eine Frau zum Tode verurteilt wurde, vergewaltigten die Aufseher die Frau, bevor sie sie hinrichteten. Damit sie nicht als Jungfrauen ins Paradies aufsteigen konnten. Jeden Morgen haben sie meine Mutter aus der Zelle geholt, um sie zu foltern. Und jeden Morgen haben sie ihr dann das immer gleiche Angebot gemacht: Verrat uns die Position der kurdischen Rebellen. Dann hören die Schmerzen auf. Dann lassen wir dich frei. Meine Mutter hat geschwiegen. Bis zuletzt.

Ihre Erzählungen klangen für mich damals wie Erzählungen aus einer anderen Welt. Und das tun sie noch heute.

AAA

Aber wir schauten nach vorne. Ein Jahr, nachdem wir nach Bonn kamen, wurde meine kleine Schwester geboren. Wir hatten uns mittlerweile arrangiert. Mein Vater arbeitete bei den Bonner Philharmonikern. Er sprach zwar noch kein perfektes Deutsch, aber die Musik war eine universelle...

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