Das Kirchenrecht
Aussagen des CIC 1983
Die klare Aussage im Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983 lautet, dass die wiederverheirateten Geschiedenen nicht mehr rechtlich von der Kommunion ausgeschlossen sind (Canon [= c.] 915 u. a.). Im neuen Handbuch zum Kirchenrecht von Sabine Demel3 gibt es die gleiche gute Aussage. Immer wieder wird zwar das Gegenteil dessen behauptet, doch dem ist nicht so.
Die Strafbestimmung des c. 2356 von 1917 ist in der Ausgabe von 1983 weggefallen. Infolgedessen sind auch die wiederverheirateten Geschiedenen rechtlich nicht mehr von der Kommunion ausgeschlossen. Da sie nicht mehr ausgeschlossen sind, können sie zur Kommunion gehen, wenn sie in ihrer Ehe trotz aller Bemühungen gescheitert sind, also wenn sie sich keiner schweren Schuld bewusst sind. Hierfür gilt dann c. 916, der die persönliche Gewissensentscheidung – den Kommunionempfang betreffend – regelt. Die Exkommunikation war schon 1966 aufgehoben worden.
Die Folgerung daraus:
Jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran gehindert ist, kann und muss zur heiligen Kommunion zugelassen werden (c. 912 im CIC 1983).
Das ist großartig, wie ein Wunder. Das Kirchenrecht einschließlich der positiven Ausführungen in den Einleitungen zum CIC von 1983 ist in weiten Teilen eine gute Antwort auf das Zweite Vatikanische Konzil. Es macht in rechtlicher Hinsicht das Versprechen wahr, das Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika ›Familiaris Consortio‹ (1981) gegeben hatte. »Die Kirche wird sich unablässig bemühen, diesen Menschen ihre Heilsmittel anzubieten!« Schon zwei Jahre später löste der Papst das Versprechen ein; das Kirchenrecht wurde geändert. Aber: Die nach 1983 geübte Praxis hat sich nie am CIC von 1983 ausgerichtet! Wenn Lehre und Praxis mit den Aussagen des CIC von 1983 übereinstimmen, hat auch die Bischofssynode 2015 ihre Aufgabe erfüllt: alle Getauften in gleicher Weise zum Abendmahl einzuladen.
Gottes höchste Eigenschaft ist seine Einfachheit. Die Wahrheit ist einfach. Hält sich die Kirch an c. 915 f. des CIC 1983, ist das Problem gelöst.
Kommunionempfang ist aber letztlich keine Frage des Kirchenrechts. »Das Recht kann nicht Moral erzwingen wollen, es muss stets vor dem Gewissen der Menschen, die seinem Hoheitsbereich unterstellt sind, Achtung haben. Der Maßstab des Rechts ist die Kardinaltugend der Gerechtigkeit, das Prinzip der Sittlichkeit ist wenigstens im christlichen Verständnis die Liebe.«4
»Das kirchliche positive Gesetz kann sich nicht rechtmäßig über das Gesetz Christi stellen […] Das persönliche religiöse Leben wird besser nicht mehr unter das Gesetz gestellt. Es sind Hilfen zu bieten, dass die Menschen selbst zu verantworteten Entscheidungen kommen.«5
Matthäus Kaiser hat sich in einer Abhandlung über Ehescheidung und Wiederheirat mit der Fragestellung beschäftigt, ob die in der Enzyklika »Familiaris Consortio« (FC) vorgetragenen Lösungsmöglichkeiten (»probata praxis Ecclesiae in foro interno«) dem konziliaren Eheverständnis entsprechen. Denn obgleich dieser Ausweg aus kirchenrechtlicher Perspektive insofern von Bedeutung ist, als er einen Weg zum Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene öffnet, müssen wir uns doch vor Augen halten, dass es in der Pastoral vor Ort vielfach auf große Schwierigkeiten und mangelndes Verständnis stoßen wird, wenn man Betroffenen deutlich machen muss, dass sich die Frage der Zulassung zum Sakramentenempfang einzig und allein an ihrem Intimleben entscheidet. Kaiser hat in seinen Ausführungen deutlich und einsichtig gemacht, dass die in FC formulierte Anforderung des enthaltsamen Lebens letztlich auf die vorkonziliare, vertragsorientierte Ehetheologie zurückgeht.
Dieses Ergebnis ist umso aufrüttelnder, als das Schreiben des Papstes aus der nachkonziliaren Zeit stammt und die Ehetheologie des Zweiten Vatikanums rezipieren sollte. Seien wir kritisch!6
In dem zitierten Aufsatz heißt es (S. 260): »Während nämlich c. 915 Kriterien für die kirchenamtliche Nichtzulassung zum Kommunionempfang nennt, bezieht sich c. 916 auf die Gewissensentscheidung des Einzelnen, ob er genügend disponiert ist, um zum Eucharistieempfang hinzutreten zu dürfen […]. C. 916 vertraut auf die Gewissenentscheidung des einzelnen Gläubigen, die letzten Endes rechtlich nicht normierbar ist.« Siehe auch 1 Korinther 11,28 f. Dort steht: Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt.
Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils (»Gaudium et Spes« [GS]) ist die eheliche Sexualität integriert in das personale Eheverständnis. Im Alten Recht ist die eheliche Sexualität Vertragsgegenstand. Wenn Papst Johannes Paul II. die »Enthaltsamkeit und ein Leben wie Bruder und Schwester« den wiederverheirateten Geschiedenen als Lösung für den Kommunionempfang empfiehlt, so vollziehen er und seine Mitarbeiter an der Enzyklika »Familiaris Consortio«, dem nachkonziliaren Schreiben zur Rezeption der neuen Ehelehre des Zweiten Vatikanums, einen gewaltigen Fehltritt! Wir erinnern uns noch daran, wie man mit einer geradezu »heiligen Gewalttätigkeit« auf der Enzyklika FC bestanden hat.7
Biblischer Maßstab für Kirchenzucht, biblische Gemeindeordnung
Was sagt die Heilige Schrift zu Kirchenzucht, Lehrzuchtverfahren, Strafverhängungen usw.?
Was dort steht, ist maßgebend für die gesuchte Lösung. Der Matthäuskommentar von Meinrad Limbeck8 gibt uns eine hochinteressante, wissenschaftliche Antwort auf die Frage der ›Kirchenzucht‹, die längst nicht nur die Vergangenheit betrifft. In den langen Zeiten, in denen man von »Rom« oder von den (meist gleichgeschalteten) Ordinariaten keine Antwort auf drängende Fragen erwarten konnte, haben wir Katholiken uns umso mehr an unsere akademischen Lehrer gehalten, die wir wie ›Propheten‹ erfahren haben. »Die Kirche ist aufgebaut auf dem Grund der Apostel und Propheten.« In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass die ›Visionäre‹ auch als ›Propheten‹ erfahren werden.
Denkt um! Dann seht ihr mit neuen Augen!
Zu den »anstößigen« Texten des Matthäusevangeliums gehören auch die folgenden vier Verse (Mt 18,15-18):
»Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Brüder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein« (V. 15-18).
Wenn wir diesen Versen gerecht werden wollen, müssen wir uns zuerst über ein Doppeltes klar werden:
(1) Die Verse 15-17 stammen mit Sicherheit nicht vom irdischen Jesus, da Jesus sich sonst selbst durch sein Tun widerlegt hätte: Er, der sich bedenkenlos mit Sündern und Zöllnern an einen Tisch setzte (vgl. 9,9-13): er, der sich deshalb sogar einen »Freund von Zöllnern und Sündern« (11,15) heißen lassen musste – wie hätte er plötzlich »die Zöllner« als Beispiel für solche Personen anführen können, mit denen seine Jünger keine Gemeinschaft pflegen sollen?
(2) Die Zurechtweisung des Bruders hatte im Judentum bereits eine lange Tradition, heißt es in der Tora doch ausdrücklich:
»Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden« (Lev 19,17):
Weil jedes Vergehen für den Täter und für die Gemeinschaft negative Folgen hat; ja weil der einzelne durch sein Vergehen geradezu zum Widersacher Gottes wird, der eine heile Welt will, handelt (nach jüdischer Überzeugung) auch der verantwortungslos, der zum Vergehen, zur Sünde seines Bruders schweigt.
Ziel der vom Gesetz geforderten Zurechtweisung war nicht die Verurteilung sondern die Zurückgewinnung des Bruders und damit auch die Wiederherstellung der gottgewollten Ordnung. Keiner sollte deshalb den anderen im Zorn zurechtweisen:
Wie müssen wir also Mt 18,15-17 verstehen? Nun, wenn wir beide eben genannten Punkte ernst nehmen, kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass wir in der hier aufgestellten Regel einen der ersten für uns greifbaren Versuche bestimmter urchristlicher Gemeinden vor uns haben, den Heilswillen Gottes (Mt 18,14!) in Anlehnung an bisherige Gemeindepraktiken für die eigene Gemeinschaft rechtlich zu fixieren – bis hin zu einer auf vor Gott und für Gott verbindlichen Aufhebung der Gemeinschaft: denn »was immer ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein …« (V. 18).
Wie »verarbeitetet« Matthäus dieses Gemeinderecht als Teil seines Evangeliums? Zwei Dinge sind hier wichtig:
… in Jesu Namen!
Auch für Matthäus gilt als Ausgangspunkt, als Überschrift über dieses Stück Gemeinderecht. »So will euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Kleinen verlorengeht« (18,14). Doch eben deshalb kann für ihn der Hinweis auf die Rechtsvollmacht der Gemeinde nicht das letzte Wort sein. Gewiß, er bestreitet ihr das Recht zum Binden und Lösen nicht. Sie hat dieses Recht. Aber er erinnert sie dann auch noch an ein weiteres Wort Jesu:
»Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten« (V. 19).
Das aber bedeutet: Die zeitweilige oder endgültige Aufhebung der (Tisch-) Gemeinschaft ist keinesfalls das letzte...