Wie bereits einleitend angesprochen hat die Inklusionen eine herausragende gesamtgesellschaftliche Dimension, wie es besonders deutlich in der Haltung von Niklas Luhmann ersichtlich ist. Somit steht die Inklusion disziplinär in einer Einbindung in die Gesellschaftswissenschaften, wie der Politikwissenschaft und der Soziologie. Idealerweise aufgefasst wird die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Inklusion daher von dem Kerngedanken Luhmanns, der sich von allen vorherigen Soziologen unterscheidet durch die erstmalige Nichtbetrachtung des menschlichen Individuums im sozialen Raum und somit geradewegs die zentrale Verortung der Inklusion und ihres kommunikativen Bindungsgliedes vornimmt.
Die Welt ist, so Luhmann zu sehr komplex, dass sie durch soziale Systeme ihre Vereinfachung erfahren muss. Die Gesamtheit der in der Welt vorhandenen Ereignisse und Zustände ist ohne die Entstehung von Systemen nicht handelbar. Der Einzelne oder auch eine Gruppe von Individuen ist nicht in der Lage die Weltkomplexität zu lösen. Dazu braucht es Systeme, die durch ihre Funktionalität die Weltkomplexität reduzieren. Luhmann hält so die Systeme und nicht die Elemente, also Menschen, die darin enthalten sind, für die Lösung der Problematik der enormen Weltkomplexität. Die Systeme schränken und ordnen die enorme Weltkomplexität ein und schaffen die Mechanismen um konkrete Probleme in der Welt zu lösen.[35]
Auf die Frage was einzelne Bezugspunkte zu einem System werden lässt, verbindet, antwortet Luhmann mit der Funktion und Definition von Kommunikation.
„Sobald überhaupt Kommunikation unter Menschen stattfindet, entstehen soziale Systeme; denn mit jeder Kommunikation beginnt eine Geschichte, die durch aufeinander bezogene Selektionen sich ausdifferenziert, indem sie nur einige von vielen Möglichkeiten realisiert“[36]
Besondere Beachtung sollte an dieser Stelle die Schwerpunktsetzung Luhmanns geschenkt werden. Demnach ist die Entstehung eines Systems auf die Kommunikation als Ausgangspunkt zu sehen und nicht das Bestehen von Bezugspunkten, z.B. Menschen. Folgerichtig ist es das Wesen der Kommunikation, die das System, erst in einem sozialen Kontext bringt. Die Kommunikation wird so zu einem konstitutionellen Akt eines Systems. Ein weiterer Ansatzpunkt des Systems ist seine Abgrenzung zur Umwelt. Durch die interne Kommunikation findet eine Abgrenzung zur Umwelt statt, die von dieser internen Kommunikation nicht teilnimmt. Auch diese Abgrenzung stellt daher ein Definitionsmerkmal des Systems dar. Das System besteht durch ein „Innen“ und ein „Außen“, das keine Bezüge zum System hat.
„Aufgrund dieser Einsicht heißt das für Luhmann, dass der Begriff System nur denkbar ist als Gegenbegriff zur Umwelt. Gäbe es keine Umwelt, gäbe es auch kein System. Es gibt immer gleichzeitig auch eine andere Seite, die mit fungieren muss, um das Bestimmte als Bestimmtes sichtbar zu machen.“[37]
Im Resultat ist die Beziehung zwischen Umwelt und System von einer Abhängigkeit des Systems von der Umwelt geprägt, denn durch die Abgrenzung von der Umwelt definiert sich das System. Die Inhalte eines Systems stellen im Gegensatz dazu kein Definitionsmerkmal eines Systems dar. Dieses Merkmal ist für das Verständnis von Systemen von außerordentlicher Bedeutung. Ein soziales System ist laut Luhmann weder auf bestimmte Wertevorstellungen noch auf konkrete Strukturen angewiesen. Die wesentliche Bestimmung des Systems kommt aus ihm selbst heraus und geht auf eine sinnvolle Aufeinanderreihung der sozialen Handlungen im System zurück.[38]
Es macht die Systeme anpassungsfähig und reproduzierbar, denn es kann unter veränderten Inhalten in derselben Form und Funktionsmechanismus als System fortbestehen.
„Außerdem kann ein soziales System auf das Ausfallen bisheriger Leistungen durch Änderung seiner Struktur und seiner Bedürfnisse reagieren, die den Fortbestand unter veränderten Bedingungen ermöglicht [...]”[39]
Für ein Sozialgefüge ergibt sich daraus die Schlussfolgerung einer hoch einzuschätzenden Autonomie von Systemen, dies gilt sowohl für ihre Inhalte als auch für die Elemente, die sich im System befinden. Es ist das System, dass die Elemente selektiert und ordnet. Es ist das System, das an die Stelle einer individuellen Handlung tritt. Es sind seine Bestimmungsfaktoren, die über die Gestaltung des Systems bestimmen nicht einzelne Elemente. Das System ist autonom in seinen Bestimmungen und Identifikationen, die wiederum die Summe von Erwartungen, die sich an das System richten, darstellen.
„An die Stelle eines Bildes, das die Differenzierung von Inklusion/Exklusion als Primärdifferenzierung der Weltgesellschaft denkt, tritt ein Bild einer Weltgesellschaft, die auf globalisierten, auf Inklusion basierenden Funktionssystemen aufruht. In diese Weltgesellschaft ist eine Vielzahl von einzelnen Exklusionsbereich eingebettet, die untereinander nicht global vernetzt sind.“[40]
Die globale Perspektive, die sich ausgehend von der Systemtheorie Luhmanns leicht auf die Dimension der Weltgemeinschaft in Bezug auf Inklusion und Exklusion einnehmen lässt, findet sich in Formulierungen der Vereinten Nationen zur Inklusion wieder. Im Zentrum steht jedoch wiederholt der pädagogische Aspekt der Inklusion von behinderten Kindern in ein reguläres Bildungssystem.
„Aus diesen Formulierungen der UN-BRK geht hervor, dass die Vereinten Nationen davon ausgehen, dass alle Kinder mit Behinderungen ein Recht haben, innerhalb eines allgemeinen, inklusiven, kostenlosen, wohnortnahen und auf Diversität setzenden Bildungssystems aufzuwachsen und dabei die nötige Unterstützung erhalten. Die UN-BRK gibt den Vertragsstaaten nicht vor, wie sie diese Ziele umsetzen. Sie verlangt aber „angemessene Vorkehrungen“ zur Verwirklichung.“[41]
Die pädagogische Bedeutung der relativ neuen Begriffsbestimmung der Inklusion statt der Integration, sollte nach dem Verständnis von Hinz, nicht dazu führen, dass einfach ein nicht mehr unbedingt positiv besetzter Begriff durch einen anderen, noch unverbrauchten Terminus abgelöst wird. Vielmehr sollte die qualitative Veränderung, die die Hinwendung zur Inklusion in Schulen bedeutet, verdeutlicht und unterstrichen werden.[42]
„Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen steht in einem engen Zusammenhang mit anderen schulpädagogischen, bildungspolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, z.B. mit dem Anspruch an verstärkte individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler, dem Umgang mit Heterogenität in der Klasse, mit neuen Steuerungsinstrumenten bei der Schulentwicklung und nicht zuletzt mit den Veränderungen in familiären Erziehungsstilen, Erwartungen und materiellen Rahmenbedingungen.“[43]
Terminologisch besonders schwierig scheint unter den Realitäten des Bildungssystems eine klare Definition der Erneuerung für den pädagogischen Alltag bezogen auf die Inklusion. Aktuell, stellt zumindest Hinz fest, steckt die Inklusion in Deutschland in einer Phase der Desegregation fest. Während bisher Kinder für den Schulunterricht in homogene Einheiten segregiert wurden, wird jetzt versucht diese Segregationen wieder rückgängig zu machen. Ob es sich aber tatsächlich um einen Inklusionsprozess dabei handelt sieht Hinz mit Skepsis entgegen. Mehr betont er die zunehmende Tendenz der Schulinstitutionen sich gegenseitig mit Inklusionsquoten zu überbieten, wie das auch bereits früher schon mit Integrationsquoten getan wurde. Schulen, Kommunen, Städte, Landkreise und Bundesländer stehen im Wettbewerb möglichst hohe Quoten, d.h. Anteil an der Gruppe der lerngeförderten Kinder, von behinderten Kindern in Regelschulen zu beschulen. Das kennzeichnet eine Praxis die vollständig im Gegensatz zur Grundidee der Inklusion steht.[44]
„Zum anderen verkennt der hiesige Diskurs oft, dass es bei der Behindertenrechtskonvention nicht um besondere Rechte für eine besondere Gruppe von Menschen geht, sondern lediglich darum, dass allgemeine Rechte für eine spezifische Gruppe nochmals betont und konkretisiert werden, weil es offensichtlich notwendig ist.“[45]
Die meisten Definitionen, aber auch international unterschiedliche Gewichtungen und Verwendungen der Inklusion führen nicht selten dazu, dass mit der Inklusion nicht grundsätzlich eine neue Auffassung von der pädagogischen Praxis an deutschen Schulen abgeleitet werden kann.[46] Für die Wahrnehmung der Bedeutung der Inklusion für den pädagogischen Bereich empfiehlt sich daher weniger eine Suche nach innovativen Elementen, die der bisherigen Integration fehlten, sondern die Herausstellung...