1 »Ein großer böser Mann«
Richard Nixon sah sich selbst als großen Staatsmann, als Giganten der Weltgeschichte, als General mit einem globalen Auftrag, als Kriegsstrategen und als Führer nicht nur der freien Welt, sondern als »den Führer der Welt«.[3] Zugleich war er süchtig nach jener schmutzigen Politik, die ihn zugrunde richtete. Er war, was ein englischer Graf einmal über den Kriegsherrn Oliver Cromwell sagte: »ein großer böser Mann«.
In seiner ersten Rede zur Lage der Nation erklärte Nixon, er sei getrieben von »einem unerklärlichen Geist – der Kraft eines inspirierenden Traums, der Amerika von Anfang an zu einer Hoffnung für die Welt gemacht hat«. Er versprach dem amerikanischen Volk »die besten Aussichten seit dem Zweiten Weltkrieg, eine ganze Generation lang in dauerhaftem Frieden zu leben«.[4]
Richard Nixon selbst befand sich jedoch nicht im Frieden. Er war von einem dunkleren Geist beseelt, einem bösen und gewalttätigen Geist, und er war getrieben von Wut und unstillbaren Rachegelüsten. In seinen schlimmsten Momenten stand er am Rand des Wahnsinns. Die Welt, so glaubte er, habe sich gegen ihn verschworen. Er sah überall Feinde. Seine Größe mutierte zu arrogantem Größenwahn.
Aus Erfahrung zutiefst misstrauisch, aus Instinkt ein notorischer Lügner, wurde er den Spitznamen Tricky Dick nie mehr los. Kein Geringerer als Martin Luther King, der aufstrebende Führer der Bürgerrechtsbewegung, erkannte schon bei seiner ersten Begegnung mit ihm, dass sich hinter seiner Fassade ein Monster verbarg. »Nixon hat das geniale Talent, einen davon zu überzeugen, dass er aufrichtig ist«, schrieb er 1958. »Wenn Richard Nixon nicht aufrichtig ist, ist er der gefährlichste Mann Amerikas.«[5]
Nixon besaß dieses Talent, und er war ehrlich überzeugt, die Welt verändern zu können. Er war ein sehr gefährlicher Mensch.
Sein gesamtes politisches Leben hatte er dem Kampf gegen den Kommunismus gewidmet, doch dann prostete er den führenden kommunistischen Tyrannen in China und Russland zu. Er setzte auf ihre Gutgläubigkeit und hegte die Hoffnung, dass sie ihm helfen würden, aus Vietnam herauszukommen. Diese Wette verlor er. Hätte er sie gewonnen, hätte er vielleicht die politische Weltkarte neu gestalten können. Wenn überhaupt, profitierte Amerika allenfalls langfristig davon, dass Nixon die Hauptstädte des Weltkommunismus besucht hatte. Er kam zurück mit Verträgen und Erklärungen, die Einvernehmen und Koexistenz signalisierten, aber diese Bindungen waren fragil. Es handelte sich um politische Kommuniqués, nicht um Friedensverträge. Russland und China waren damals Amerikas größte Feinde; sie sind bis heute Amerikas stärkste Gegner.
Was die Beziehungen zu ihnen betraf, war Nixon realistisch. »Wir haben es nach wie vor mit Regierungen zu tun, die uns im Grunde feindlich gesinnt sind«, sagte er im Mai 1971 im Oval Office, wobei seine Worte auf Tonband aufgezeichnet wurden. »Die Chinesen sind darauf aus, mich niederzumachen.« Die russische Führung bezeichnete er als Gangster. Er prophezeite, gegenseitiges Misstrauen werde die Oberhand behalten. »Vor allem mir werden sie nicht glauben. Die halten mich wirklich für einen hinterlistigen Bastard. Und sie haben recht.«[6]
Doch Nixon wollte sein Versprechen halten, das er dem amerikanischen Volk gegeben hatte: den Vietnamkrieg ehrenvoll zu beenden. Dann, so seine Hoffnung, würde er mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt werden, was die politische Landschaft Amerikas für immer verändern würde. Das ist der Grund, warum Nixon nach China ging.
Seine geostrategischen Schachzüge kamen bei der Mehrheit der Amerikaner bestens an. »Nixon ist nach China gegangen« ist bis heute eine Metapher für Politik als Kunst des Möglichen. Wenn sich Amerikas oberster Kalter Krieger für Entspannung einsetzen und die Konflikte mit den atomar bewaffneten gegnerischen Staaten Amerikas entschärfen konnte, dann war alles möglich.
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Die politischen und sozialen Krisen, mit denen Nixon konfrontiert war, sind bis heute nicht vollends gelöst. Er begegnete ihnen, indem er sein Talent einsetzte, aufrichtig zu erscheinen.
Gleichheit vor dem Gesetz, ein Versprechen, das über dem Eingang des Obersten Gerichtshofs eingemeißelt ist, war ein schwer erreichbares Ideal. Die Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre waren kaum vier Jahre alt. Privat neigte Nixon zu rassistischen Bemerkungen. Er versuchte mit aller Macht, die neuen Bundesbehörden, die Rassengleichheit und soziale Gerechtigkeit durchsetzen sollten, zu demontieren. Theoretisch befürwortete er die Aufhebung der Rassentrennung, weil der Oberste Gerichtshof dies forderte, in der Praxis und im Einzelfall war er dagegen.
Unter vier Augen gab Nixon zu, dass er die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen stets über die Umwelt stellen werde. Als jedoch die Amerikaner erkannten, dass sie die Luft verpesteten, die sie atmeten, und das Wasser vergifteten, das sie tranken, gingen sie massenhaft für die Rettung der Erde auf die Straße. Daraufhin verabschiedete der Kongress die umfassendsten Umweltschutzgesetze der amerikanischen Geschichte. Zu Nixons Ehrenrettung sei gesagt, dass er kein Veto gegen diese Vorlagen sowie die Verordnungen und Bestimmungen zu ihrer Durchsetzung einlegte. Dennoch äußerte er, die Umwelt sei »ein Thema, um das wir uns den Teufel scheren«.[7]
Nixon erklärte immer wieder, tagesaktuelle innenpolitische Themen seien ihm absolut gleichgültig. Das Land brauche keinen Präsidenten, der sich um den politischen Kleinkram kümmert. Seine Wirtschaftspolitik war »langfristig … eine Katastrophe«, meinte sein Finanzminister George P. Shultz.[8] Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen in den Nixon-Jahren um fast das Dreifache, was zu der längsten Rezession seit 40 Jahren führte.
Seine Auseinandersetzungen mit den Gerichten hinterließen im politischen Gemeinwesen Amerikas bleibende Wunden. Er brachte dem Kongress eine beharrliche Geringschätzung entgegen und behandelte die meisten Mitglieder seines Kabinetts mit kalter Verachtung. Bei den Zusammenkünften mit Wortführern des Kongresses, Mitgliedern seines Kabinetts und des Nationalen Sicherheitsrates wurden Vorträge gehalten, und es blieb weder Raum noch Zeit, um politische Strategien zu entwickeln. Diese offiziellen Sitzungen waren eine Farce. Nixon hatte seine Entscheidungen auf Leben und Tod längst getroffen.
Er gab sich den Anschein, als höre er der militärischen, diplomatischen und geheimdienstlichen Führung zu, aber er wollte keine Ratschläge oder Anregungen, weder vom Pentagon noch von der CIA, wo Leute arbeiteten, die sich mit Vietnam beschäftigten, seit amerikanische Soldaten 1954 erstmals ihren Fuß auf den Boden dieses Landes gesetzt hatten. Das Schwert des Krieges und das Schild der nationalen Sicherheit sollten ihm allein vorbehalten bleiben.
»Nixon traute niemandem über den Weg«, meinte CIA-Direktor Richard Helms, eine von vielen Führungsfiguren der Nixon-Administration, die eine Haftstrafe riskierten, um den Präsidenten vor den Folgen seiner Geheimhaltungs- und Täuschungsstrategie zu schützen. »Er schwadronierte unentwegt, die Luftwaffe sei bei ihren Einsätzen in Vietnam völlig planlos, das Außenministerium sei nur ein Haufen Cocktails trinkender Diplomaten in Nadelstreifen und die CIA unfähig, in Vietnam einen Sieg herbeizuführen.«[9]
»Es war das immer gleiche Geschwafel«, erinnerte sich Helms. Nixon wetterte: »Das sind Blindgänger, das sind Schwachköpfe, die können dies nicht und jenes nicht.« Die amerikanischen Generäle, Geheimdienstchefs, Admiräle und Botschafter waren die Weichensteller in einem Krieg, der immer weniger zu gewinnen war. Nixons mangelndes Vertrauen in sie war durch nichts zu erschüttern, und letztlich beruhte es auf Gegenseitigkeit.
Sein Argwohn brachte ihn dazu, sein Kabinett, den Kongress und die amerikanischen Staatsbürger über den Verlauf des Krieges, wie er ihn plante, zu täuschen. Er betrachtete sich als Oberkommandierenden nicht nur der Streitkräfte, wie es die Verfassung vorsah, sondern des ganzen amerikanischen Volkes. Er war der Befehlshaber in einer globalen Schlacht, bei der die Zukunft des Landes auf dem Spiel stand. Seiner Ansicht nach hatten sich seine Feinde im Innern und im Ausland verschworen, um die Vereinigten Staaten in die Knie zu zwingen.
Nixon war felsenfest überzeugt, dass die amerikanische Antikriegsbewegung, die innerhalb eines Monats eine Million Menschen mobilisieren konnte, insgeheim von Sowjets, Chinesen, Nordvietnamesen und Kubanern finanziert wurde. Dabei waren diese Demonstranten ganz normale Bürger, keine durchgeknallten Bombenattentäter. Indes, während sich Nixon in seinem Amt als Präsident erst noch zurechtfinden musste, schloss sich eine Splittergruppe der amerikanischen Linken, ein paar hundert Leute, zu einer revolutionären Organisation mit dem Namen Weathermen zusammen. Die Demonstranten trugen Plakate, die Weathermen aber warfen Molotow-Cocktails. Sie zündeten Sprengsätze im Senat und im Pentagon; das FBI bekam die Bombenleger nie zu fassen. Die Weathermen erklärten der Regierung den Krieg, Nixon nannte sie Terroristen. Das Vorgehen, das er verlangte – eine Serie von Wohnungseinbrüchen und Lauschangriffen ohne richterliche Anordnung –, hatte zur Folge, dass die führenden Beamten des FBI vor Gericht gestellt...