Wir arbeiten. Wir haben noch nie nicht gearbeitet. Doch wie wir die Arbeit organisieren, welches Ansehen sie genießt, welchen Begriff wir uns von ihr bilden, das ändert sich fortwährend. Früher war unser Gegenüber die Natur. Sie forderte uns heraus und ernährte uns. An und mit ihr haben wir uns entwickelt. Heute ist unser Gegenüber vor allem die Technik. Sie fordert uns ebenfalls heraus und dient uns. In Zukunft stehen wir mehr und mehr uns selbst und dem Selbst der anderen gegenüber. Wir stehen all dem gegenüber, was wir nicht beherrschen oder berechnen können. Dass es dazu kommen wird, ist eine Erfolgsgeschichte der Arbeitsteilung.
Was heißt Arbeitsteilung? Arbeitsteilung heißt, dass keiner mehr alles alleine macht. Arbeitsteilung heißt, dass wir den Herstellungsprozess von Produkten und Dienstleistungen in einzelne Arbeitsschritte aufteilen. Dadurch können sich Fachkenntnisse bilden, und es wird möglich, produktiver zu arbeiten. Arbeitsteilung ist der Vorgang, der uns gesellschaftlich von der Selbstversorgung zur Fremdversorgung geführt hat.
In der Selbstversorgung habe ich für mich selbst gearbeitet. In der Fremdversorgung arbeite ich für andere. In der Selbstversorgung waren die Früchte meiner Arbeit für mich, meine Familie, meine Sippe. Das, was ich von der Jagd nach Hause gebracht habe, habe ich selbst gegessen. Das, was ich auf dem Feld geerntet habe, war für meinen eigenen Lebensunterhalt. Ich habe konsumiert, was ich zuvor produziert hatte.
Heute, in Zeiten weltweiter arbeitsteiliger Fremdversorgung, ist es anders: Ich arbeite für die anderen, nicht mehr für mich; und die anderen arbeiten für mich, nicht mehr für sich. Ich bin mit meiner Arbeit nur noch an einem kleinen Teil eines Produktes beteiligt. Ich bin vielleicht Personalverantwortlicher in einem großen Konzern und dort für Bewerbungsverfahren zuständig. Oder ich bin Lehrerin, bilde junge Menschen aus und bereite damit vor, was sie künftig tun werden. Vielleicht bin ich auch Lastwagenfahrer und helfe bei der Verteilung vieler Produkte, die ich täglich transportiere. In jedem Fall konsumiere ich nicht mehr direkt, was ich produziere. Das ist bezüglich der Arbeit die größte Wende der Menschheitsgeschichte.
Man könnte die Wirklichkeit der Arbeitsteilung strukturelle Nächstenliebe nennen. Wir brauchen nicht mehr die moralische Aufforderung, sozial zu sein und andere am eigenen Erfolg teilhaben zu lassen. Nein, es ist bereits so eingerichtet, dass wir immer für andere arbeiten. Sozialer geht’s nicht! Stattdessen meinen wir, wir würden für uns selbst arbeiten, weil wir für unsere Arbeit entlohnt werden. Wir meinen, der Lohn der Arbeit für andere sei die Beute, die wir von der Jagd nach Hause bringen. Wir verwechseln den Lohn mit dem Sinn der Arbeit. Gingen wir früher auf die Jagd, gehen wir heute auf den Arbeitsmarkt, packen uns dort den erstbesten Job und behandeln das Geld, das wir dafür erhalten, als Beute – wie einen Bären, den wir im Dickicht erlegt haben.
Was gilt es also zu verstehen? Es gilt zu verstehen, dass ich heute von dem lebe, was andere für mich leisten. Die anderen sind nicht mehr meine Feinde und Kontrahenten, sondern meine Freunde und Produzenten. Feinde konkurrieren, Freunde kooperieren. Würde niemand mehr für mich arbeiten, hätte ich nichts. Ich fiele in die Selbstversorgung zurück. Das ist die Gegenwart von gestern.
Was folgt daraus? Wenn ich davon lebe, was die anderen für mich leisten, bin ich gut beraten, dafür zu sorgen, dass sie sich freuen, für mich zu arbeiten. Wenn ich gute Produkte konsumieren will, habe ich dafür zu sorgen, dass sie unter guten Bedingungen hergestellt werden können. Ich habe dafür zu sorgen, dass die Menschen, die für mich arbeiten, dies bestmöglich tun können.
»Egoismus ist nicht eine andere Welt – nur eine kleinere«, so der Schweizer Schriftsteller Ludwig Hohl. Egoismus sei »nicht das Gegenteil vom Aufgehen in die Welt, sondern eine Vorstufe«.[1] Es hilft nichts, den Egoismus dieser Tage anzuprangern. Er muss nicht verteufelt, sondern verstanden werden. Dann wandelt er sich auch mental zu dem, was er faktisch längst ist: strukturelle Nächstenliebe.
Wir leben heute im Überfluss. Von den Jägern und Sammlern über die antiken Hochkulturen bis hin zum Mittelalter, der Renaissance, der Aufklärung, der industriellen Revolution, ja bis hinein in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – immer galt das Gebot des Mangels. Wenigen Mächtigen ging es gut, doch auch sie hatten noch kein fließendes warmes Wasser, keinen Privatjet und kein Smartphone.
Von Aristoteles’ Hauswirtschaftslehre bis hin zu den modernen Vordenkern der Nationalökonomie wie Adam Smith, David Ricardo oder Léon Walras – stets ist der Mangel die Voraussetzung ihrer Theorien gewesen. Heute leiden immer noch viele Menschen darunter, nicht mit dem Lebensnotwendigen ausgestattet zu sein. Doch der Mangel hat längst seine Notwendigkeit eingebüßt. Er ist inzwischen, wie der Überfluss, unser Werk.[2]
Wenn wir mehr Menschen ernähren könnten, als derzeit auf der Erde leben, und dennoch Unzählige Hunger leiden, dann liegt das daran, dass wir den Reichtum so behandeln, als wäre er mangelhaft. Ein knappes Gut. Eine begrenzte Ressource. Was uns fehlt, ist die Fähigkeit, mit dem real existierenden Überfluss angemessen umzugehen.
Die Übung, die der Überfluss von uns fordert, ist Großzügigkeit. Wer sich darauf nicht versteht, wird gierig oder geizig – zwei Verhaltensweisen angesichts des Mangels. Das Grundeinkommen nimmt den objektiv nicht mehr bestehenden Mangel ernst – und ermöglicht, ihn subjektiv nicht mehr an der falschen Stelle spüren zu müssen. Wer sich permanent durch materiellen Mangel bedroht sieht, rennt wie ein Tier auf Nahrungssuche durch die Welt. Er jagt entweder seinen Artgenossen die Beute ab oder frisst seinem Herrchen willig aus der Hand.
Das Grundeinkommen lässt die animalische Selbstversorgungsattitüde auffliegen. Nur der Mensch ist zur umfassenden Fremdversorgung fähig. Natürlich gibt es Arbeitsteilung auch im Tierreich. Doch einzig der Mensch ist in der Lage, die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse ausnahmslos in die Hände seiner Mitmenschen zu legen. Ein Umstand, der durch die Industrialisierung selbstverständlich werden konnte.
Der Soziologe Georges Bataille war einer der Ersten, die eine Theorie des Überflusses formulierten. Überfluss, so Bataille, äußere sich in zweifacher Form: entweder verschwenderisch, wie etwa in der Kunst, oder zerstörerisch, wie bei einem Terroranschlag.[3]
Das Grundeinkommen ermöglicht, dass sich Überfluss nicht bloß verschwenderisch oder zerstörerisch, sondern auch fruchtbar äußern kann. Denn letztlich sind Mangel und Überfluss zwei Formen der Verlegenheit: Der Mangel weiß nicht, woher die Dinge nehmen, der Überfluss nicht, wohin mit ihnen.
Der Philosoph Peter Sloterdijk schildert das bedingungslose Grundeinkommen als einen Ansatz, »mit dessen Hilfe die moderne Gesellschaft das ancien régime des Mangels und der künstlich erzeugten Knappheiten hinter sich lassen sollte«.[4] Wenn das gelingt, sind wir aus freien Stücken großzügig geworden.
Wer im Überfluss lebt, für den ist nicht das Herstellen, sondern das Verkaufen problematisch. Die Regale sind voll. Alles ist da. Damit es auch verkauft wird, ist Werbung zu einem großen Wirtschaftszweig geworden. Überall wird nach Absatz gesucht – mit allen Mitteln. Wie gewinnen wir noch mehr Kunden? Wie binden wir sie besser? Wie können wir ihnen noch mehr verkaufen? Niemand spricht von Produktionsproblemen.
Rezession ist nicht, wenn wir weniger herstellen, sondern wenn wir weniger kaufen können. Selbst beim neuen iPhone ist der Bedarf nur einige Stunden oder Tage größer als das Angebot. Und auch das ist nur ein Werbetrick, indem eine Verknappung inszeniert wird. Niemand sagt: Wir haben ein unlösbares Problem, weil die Nachfrage zu groß ist. Wir haben vielmehr Angst, dass die Nachfrage nachlässt, als dass wir ihr nicht gerecht werden können.
Von etwas mehr herzustellen, ist kein Problem. Von etwas weniger herzustellen, schon eher. Am schwierigsten ist es für Unternehmen, zu schrumpfen. Solange die Nachfrage größer als die Produktion ist, kann man sich dem meist schnell und ohne großes Risiko anpassen. Man wächst. Lässt jedoch die Nachfrage nach, ist es unternehmerisch durchaus anspruchsvoll, die Produktion herunterzufahren, ohne dabei Verluste zu verbuchen.
Wir tun so, als ob wir im Mangel leben würden. Dabei gibt es von vielem viel zu viel! Wirtschaftskrise ist, wenn wir zu wenig Geld zum Konsumieren haben. Nicht die Arbeitslosigkeit ist das Problem, sondern die Einkommenslosigkeit. Die Negativspirale der Wirtschaftskrise beginnt beim fehlenden Absatz. Fehlt der Absatz, verlieren viele ihren Arbeitsplatz, und die Folge ist, dass viele noch weniger konsumieren können, weshalb noch mehr ihren Arbeitsplatz verlieren. Einkommenslosigkeit ist ihr Los.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist in einer solchen Situation ein wirksames Konjunkturprogramm. Es würde die lahmende Wirtschaft Spaniens, Griechenlands, Portugals, Italiens oder Frankreichs sofort beflügeln. Sobald jemand genügend Geld hat, um zu konsumieren, stimuliert er die Produktion. Der Konsument ist der Auftraggeber der Wirtschaft. Schwächelt der Konsument, schwächelt die Wirtschaft. Wer nicht zahlen kann, ist wirtschaftlich wertlos. Wer kein Geld hat, schadet der Wirtschaft. Die Wirtschaft würde zusammenbrechen, wenn sich eine politische Bewegung formierte, die erfolgreich...