Obwohl die Methode, Gemüse aus Sprossen anzuziehen und quasi „unreif“ zu ernten, nicht neu ist, so ist das Verfahren, das ich entwickelt habe, einzigartig und perfekt für die Anzucht im Haus geeignet. In diesem Kapitel stelle ich die Methode, und warum ich sie entwickelt habe, genauer vor.
Der Herbst und die dunkle Jahreszeit
Ich liebe Gärtnern und meinen Garten. Sie sind Hobby und Passion gleichermaßen und das seit vielen Jahren. Im Laufe der Zeit ist mir immer bewusster geworden, dass sich meine Stimmung gegen Ende des Jahres im Herbst eintrübt. Das Gartenjahr neigt sich dem Ende zu, die Beete sind abgeerntet und ein langer Winter steht vor der Tür.
Der winterliche Garten im Schnee. Es waren dieses triste Bild und die Vorahnung auf einen langen Winter, die mich zum Anbau von Sprossen im Haus inspirierten.
Es war in dieser Zeit, dass ich mir Gedanken darüber machte, wie ich die kalte, gartenlose Jahreszeit überbrücken könnte. Ich habe mich für frische, grüne Gemüse entschieden, weil sie in meinem Vorratskeller fehlten und meine Familie frischen Salat liebt. Wir konservieren viele Gemüse – eingemacht, getrocknet, eingefroren oder eingelegt – für den Winter, aber Salat kann man einfach nicht länger als ein paar Tage aufbewahren.
Ich habe mir die traditionellen Möglichkeiten für einen Anbau in der kalten Jahreszeit genau angesehen – Gewächshäuser, Folientunnel, Frühbeete – alles Optionen für den Garten. Da der Winter bei uns in Vermont jedoch meist von Oktober bis April dauert, kamen diese nicht in Betracht. Ein Gewächshaus überstieg unser Budget, und Folientunnel oder Frühbeet verlangen einfach zu viel Zeit für die tägliche Pflege. So kam ich recht schnell darauf, dass es besser ist, das Gemüse im Haus anzubauen, statt zu versuchen, die Anbausaison im Freien zu verlängern.
Als Nächstes wälzte ich Kataloge über Hydrokultursysteme, Pflanzenlampen und Bewässerungspumpen für den Anbau von Gemüse unter Kunstlicht und beschäftigte mich auch mit einfachen Keimapparaten. Die Hydrokultur klang anfangs vielversprechend, aber auch hier schreckten mich die Kosten und der hohe Platzbedarf ab, von den komplizierten Kulturverfahren und -regimen einmal ganz abgesehen. Die meisten Systeme schienen mir auch eher für den Anbau von Gurken oder Tomaten im Winter geeignet zu sein, als für einfachere Salate und Blattgemüse. Schließlich warf ich alles über den Haufen und beschloss, mir erst einmal darüber klar zu werden, was ich eigentlich von meinem „Wohnzimmergarten“ wollte. Diese Wunschliste half mir dabei, meine neue Methode zu entwickeln.
Im Herbst ist unsere Speisekammer voll mit eingemachtem Gemüse und Obst aus dem Garten. In den Körben lagern wir die Zwiebeln und Kartoffeln und auch die Tiefkühltruhen im Keller sind randvoll. Was bislang fehlte, waren frische, grüne Salate.
Gärtnern in der Wohnung – die Wunschliste
Nachdem ich meine Wunschliste etwas konkretisiert hatte – ich wollte nur frische Salate anbauen –, konnte ich die Ansprüche, die diese Blattgemüse haben, zusammenfassen. Aber der Reihe nach.
Als Erstes wollte ich einen ertragreichen „Garten“ haben, der mir zuverlässig eine ordentliche Menge an frischem Gemüse für den täglichen Verbrauch liefert. Dann sollte dieser Garten bzw. der Anbau nicht viel Geld kosten. Man mag das knausrig nennen, aber ich finde es nicht sinnvoll, viel Geld für etwas auszugeben, das mir am Ende einen oder zwei Salatköpfe pro Woche liefert.
Der dritte Faktor, den ich berücksichtigte, war die Zeit. Wäre es möglich, ein Anbausystem zu entwickeln, das nicht viel kostet und das nur wenige Minuten pro Tag an Zeit erfordert, genau wie der Nutzgarten im Sommer draußen? Und auch der vierte Aspekt war mir wichtig: Ist das Ganze unter Berücksichtigung biologischer Anbaumethoden möglich? Ich wollte auf keinen Fall chemische Dünger in der Wohnung einsetzen, von Pflanzenschutzmitteln ganz zu schweigen. Schließlich gärtnere ich auch im Freien seit Jahren biologisch.
Diese vier Punkte auf meiner Wunschliste galt es also zu berücksichtigen. Und natürlich musste ich an meine Familie denken, denn der Anbau sollte ja nicht nur in der Küche, sondern auch in anderen Räumen unseres Hauses möglich sein. Und natürlich sollte das Gemüse, das ich anbauen wollte, eine gewisse Abwechslung bieten und nicht nur roh als Salat, sondern auch zum Kochen oder Braten geeignet sein. Alles natürlich mit einer einfachen, leicht verständlichen und schnell erlernbaren Anbaumethode.
Das größte Problem, das sich mir anfangs stellte, war die Wachstumsgeschwindigkeit. Selbst die vier Wochen, die Schnittsalat von der Aussaat bis zur Ernte braucht, schienen mir zu lang und verbesserungswürdig. Außerdem sollte mein neuer Garten in der Wohnung denselben Erholungseffekt haben wie der Garten draußen und Teil meiner Entspannungs-Routine nach der Arbeit im Büro werden. Ich lebe mit meinem Garten in einer Art Symbiose: Ich kümmere mich und pflege ihn und fühle mich danach selbst erholt und gepflegt.
Das ist das Ergebnis aller meiner Überlegungen, meine Wunschliste:
1. Ein produktiver Garten, keine Spielerei
2. Günstig und nicht zu aufwändig
3. Pflegeaufwand in Minuten, nicht Stunden
4. Biologischer Anbau wie im Garten draußen
5. Geringer Platzbedarf
6. Viele verschiedene Sorten
7. Gemüse auch zum Kochen
8. Einfache Anbautechnik
9. Schnelles Wachstum, in Tagen, nicht in Wochen gemessen
10. Nährstoffversorgung wie im Garten, keine Chemiedünger
Wenn ich mir rückblickend die Aufzählung anschaue, dann erscheint sie mir wie eine unerfüllbare Wunschliste und ich frage mich heute noch, wie das alles wahr wurde.
Die Checkliste oder Wie Wünsche wahr werden
Die Antworten und Lösungen auf alle meine Fragen und Herausforderungen, die sich aus der Liste ergaben, sind das Ergebnis vieler Versuche und Irrtümer. Unser Haus glich über Monate einer gärtnerischen Versuchsstation mit unterschiedlichen Aussaatschalen und -gefäßen sowie Säcken von Substraten und Erdmischungen, die für die unterschiedlichen Anbauversuche gebraucht wurden. Ich begann mit verschiedenen Salatmischungen, die ich aus dem Garten kannte, und Radieschen, die wohl das am schnellsten wachsende Gemüse überhaupt sind. Am Ende nutzte ich eine Technik, die ich viele Jahre zuvor gelernt hatte, nämlich die Samen in flachen Schalen mit Substrat auszusäen, im Gegensatz zum üblichen Antreiben von Keimsprossen wie Alfalfa. Bei diesen „neuen“ Sprossen werden die Stiele und die ersten Blätter verzehrt. Wichtig sind also ein schnelles Wachstum der Sämlinge und große Keimblätter – es eignen sich daher nur bestimmte Pflanzenarten. Wenn man die Kriterien meiner Wunschliste betrachtet, sieht man, wie ich genau das, was ich erreichen wollte, auch bekommen habe:
Von dieser Fläche in der Größe eines DIN-A4-Blattes, die die 8 kleinen Schalen einnehmen, können Sie pro Jahr 25 bis 32 kg frische Sprossen ernten! Hochgerechnet auf einen Hektar entspricht das einer Menge von 13 000 Tonnen Gemüse. Lassen Sie sich also nicht von den kleinen Schalen irritieren.
Der Sprossenanbau in Zahlen
Mit acht kleinen Schalen können Sie etwa alle zehn Tage gut dreiviertel bis ein Kilo Sprossen ernten, je nachdem, welche Pflanzenart Sie ausgesät haben. Das entspricht einem jährlichen Ertrag von gut 25 bis 32 kg von diesen acht Schalen! Und meine Schalen sind nur 7,5 × 15 cm groß! Meine normale Zimmerfarm besteht aus fünf solchen Schalen, die jeden Tag mit fünf verschiedenen Gemüsen besät werden, jeweils eine Sorte pro Schale.
Aus diesen fünf Schalen ernte ich ca. 350 bis 450 g pro Tag. Alle zehn Tage abgeerntet, summiert sich das auf knapp 15 kg Sprossen pro Jahr. Da ich aber jeden Tag fünf Schalen aussäe, sind das gut 75 kg pro Jahr!
Das macht diese Schalen wohl zu einer der produktivsten Anbauflächen überhaupt. Was aber viel beeindruckender ist, ist die Tatsache, dass zum Anbau dieser Menge kein Ackerland, kein Gewächshaus, kein Kunstlicht oder schwere Traktoren nötig sind. Alles, was Sie brauchen, sind ein paar kleine Schalen, etwas Erde, Wasser und Samen.
Wenn man die erzielte Menge auf die üblichen Angaben zur Erntemenge in der Landwirtscha? umrechnet, kommt man auf die unglaubliche Zahl von 1300 kg/m2 pro Jahr oder 13 000 t/ha pro Jahr! Natürlich könnte niemand eine solche Menge an Schalen aussäen oder pflegen, aber dieses Rechenbeispiel veranschaulicht, wie produktiv ein solcher Schalengarten im Vergleich zu einem normalen Garten oder gar einem kommerziellen Gemüseanbaubetrieb ist.
Daraus ergibt sich die Frage, wie viele Menschen notwendig wären, um einen hypothetischen Schalengarten zu bestellen? Die Antwort lautet: erstaunlich wenige! Nicht einmal 2500 Menschen...