Vorwort
Der 1973 geborene britisch-österreichische Künstler und Schriftsteller Timothy Speed beschäftigt sich in seinen Essays, Performances, sozialen Projekten und literarischen Arbeiten mit der Rolle von selbstbestimmten, unangepassten und kreativen Menschen, in wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen. Er setzt sich mit Veränderungs- und Entwicklungsprozessen auseinander, löst diese mit ungewöhnlichen Ansätzen selbst aus, oder begleitet sie. Gerade in Zeiten, in denen Individualismus von Angst verdrängt wird und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis die kreativen Potenziale und notwendigen, krisenhaften Bewusstwerdungsprozesse verhindert, bekommt seine Kapitalismuskritik hohe Relevanz und Bedeutung.
Viele Jahre hat er die inneren Mechanismen von kreativen und freien Gesellschaftsordnungen untersucht und entwickelte 2003 in dem Buch »Gesellschaft ohne Vertrauen« eine eigene Theorie dazu, wie die Teilhabe vielfältiger, kritischer, unangepasster Menschen, in einem System gefördert werden kann und weshalb dies für die Realitätskompetenz und Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft entscheidend ist. Später präzisierte er seine Theorie in »Die Physik der Armen«, wodurch die natürliche Ordnung des Humanen und Kreativen gegenüber der Ordnung des Marktes neu legitimiert wurde.
Er zählt zu den Pionieren im Bereich der »systemkreativen« Gesellschaftsgestaltung und eines authentischen »Diversity-Managements«. In seinen Ansätzen wird die Gesellschaft nicht mehr aus von Eliten gesteuerten, halbbewussten, politischen Ritualen gestaltet, sondern in individuellen Prozessen ergründet und umfangreich diskutiert. Die Bedeutung kreativer und systemischer Intelligenz wird erlebbar. Dafür braucht es laut Speed IndividualistInnen und Menschen die sich subjektiven und inneren Impulsen hingeben, welche die Strukturen auf der Werte-, Wissens- oder Identitätsebene, durch neue Perspektiven oder Irritation ausreichend destabilisieren, um Entwicklung und echte, demokratische Prozesse zu fördern.
Darum spricht er von einem Recht auf Krise und fordert ein positives Verständnis von abweichendem Verhalten, um komplexere Ordnungen entstehen zu lassen.
Wirtschaftswachstum tauscht er gegen Gestaltungskraft, weil die Frage was Menschen individuell im Leben gestalten können mehr über den realen Wohlstand in einer Gesellschaft aussagt und negative Erfahrungen nicht entwertet, sondern integriert.
Bereits im Jahr 2000 analysierte er in »Verdammt Sexy« die Probleme für Wirtschaft und Gesellschaft, die aus zu viel Konformismus und Zwang zum Harmlosen und Glücklichen resultieren. Mit dem amerikanischen Medienforscher Neil Postman diskutierte er die Frage, mit welchem Recht die Medienmacher die Realität gestalteten. Schon hier zeigte sich seine Suche nach der authentischen Gestaltung einer Gesellschaft und nach neuen Strukturen, welche diese begünstigten.
Später entwickelte er mit dem Managerberater Markus Maderner eine der ersten Managementmethoden, welche bewusst die Komplexität nicht reduziert, um das Management scheinbar zu erleichtern, sondern die Vielfalt sucht und integriert, also lernt damit zu arbeiten. Dadurch kann näher an der Realität, näher am Menschen gestaltet werden und automatisierte Strukturen, die zu gigantischen Nebeneffekten, wie Umweltzerstörungen, Ignoranz oder sozialen Problemen führen, werden durch die in dem Buch »Inner Flow Management« entwickelten Haltungen, von einer bewussteren Form der Unternehmensführung abgelöst.
Speed zeigt auch auf, wie erst durch den Weg zum Amateurhaften, Persönlichen, Angreifbaren und Subjektiven echte Innovations- und Entwicklungsfähigkeit möglich wird, da die überprofessionalisierte Wirtschaft sich in ihrem Zwang zur Simplifizierung und zum normierten Verhalten selbst von der Quelle neuer und unmittelbar realistischen Einsichten abschneidet. Dies hat primitive Systemstrukturen zur Folge, die zunehmend Vielfalt entwerten und ausgrenzen. Für Bewegung notwendige Entwicklungsenergie geht in zu viel Ordnung verloren. Seine Arbeit entlarvt jene Spielart des Kapitalismus, die Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig zerstört und in einer falsch verstandenen Effizienzmanie mehr Freiheit, die Grundlage von Fortschritt, verhindert.
Aus diesen Überlegungen heraus versuchte Speed 2010 selbstbeauftragt, als Künstler das Unternehmen Red Bull umzugestalten. Er drohte vor der Zentrale in Fuschl einen Stier zu töten, um einen subjektiven Prozess auszulösen, in dem die Beziehung zwischen Unternehmen und Mensch neu verhandelt werden sollte. Er wollte sehen was passiert, wenn ein Individuum sich mit allen Aspekten der eigenen Persönlichkeit in die Wirtschaft einbringt, diese komplizierter, komplexer, vielfältiger macht und sich zugleich im Dienst der Innovations- und Realitätskompetenz weigert ein geschmeidiges, ein einordenbares Produkt zu werden. Weil er in der subjektiven Differenz, im Nicht- oder Missverstehen, im unangepassten Verhalten, die Chance der Erweiterung der Existenz und der Lebenswirklichkeiten sieht.
Zitat Speed: »Für eine Woche waren die Leute bei Red Bull gespalten. Sie wussten nicht, ob sie als Mensch oder als Funktion auf mein Handeln reagieren sollten. Ich hatte das Gefühl, dass der Mensch in ihnen mit mir den Stier töten wollte, während der Anwalt, der Milliardär, der Manager, der aus ihnen sprach, dies um jeden Preis verhindern musste. In dieser Woche gehörte das Unternehmen allein dem an der Welt zweifelnden Menschen. Der Gewissheit, dass jeder von uns einen Konzern bezwingen, gestalten und verändern kann.«
In einer Welt, in der sich Firmen durch einseitige Kommunikation in der Werbung und hierarchischen Machtstrukturen dem Bewusstwerden jener Verstrickungen, jener verborgenen Zusammenhänge, jener Auswirkungen verweigern, an denen immer mehr Menschen leiden, kann Arbeit, Staat und Gesellschaft vom Persönlichen nicht mehr getrennt werden, ist alles mit allem in Beziehung. Hier lebt Speed eine Form radikaler Beziehungsfähigkeit mit der Gesellschaft und den Unternehmen und stellt sich den sensiblen Wahrnehmungen, dem persönlichen Schmerz. Dabei entstehen neue Lebensräume aus subjektiver Kommunikation, in Welten kommerzieller Gleichschaltung. Für ihn die Grundlage innovativer Wertschöpfung, Authentizität und Menschlichkeit.
Somit wird durch die eigene Sperrigkeit mehr Entwicklungspotenzial in der Wirtschaft vorgelebt, als Grundlage neuer Märkte.
Speed forderte den Konzern heraus, sich durch den Menschen hindurch komplexeren und freieren Ordnungen, Weltbildern, Möglichkeiten zu stellen. Er zeigt wie Prozesse richtig umgesetzt werden, damit beispielsweise auch die einzelne Person im individuellen Schmerz sein darf, sich nicht in der Anpassung als innovative und die Wirklichkeit reflektierende Ressource selbst zerstört und daraus neue Bedürfnisse und Märkte nicht entstehen können, die sich in einem bewussten Zusammenspiel zwischen Individuum, Struktur und Umwelt herausbilden würden. Das aber braucht Zeit und Raum. Eine Verantwortung der wir uns stellen müssen, wollen wir nicht die Krisen der Vergangenheit wiederholen. Zwanghaft festhalten an jetzt schon nicht mehr funktionierenden Strukturen.
Später schrieb Speed den Roman »Stieren des Weltdesigners«, in dem eine Gruppe von Individualisten in einem Bus zu Red Bull fahren, um selbst zur Krise zu werden. Damit sie wieder selbstbestimmt ihr Leben gestalten können, sich durch sie hindurch eine komplexere, vielfältigere Ordnung ausdrücken kann, in der auch Probleme sichtbar und Beziehungen gestaltbar werden. Sie eben nicht in Kommerzwelten ihre Integrität verlieren und von einer vermeintlichen Krise vor sich her getrieben werden.
2014 wurde der Roman aus Angst vor Red Bull vom Verlag zensiert und aus dem Buchhandel entfernt.
Timothy Speed entspricht in seiner Arbeit nicht traditionellen Vorstellungen von Literatur. Er lebt in literarischen Kunstfiguren subjektive Beziehungen zu Unternehmen und Behörden, überhöht und verzaubert dadurch die Wirklichkeit und zeigt in seinen Texten die Zerrissenheit der menschlichen Seele, in Zeiten von Konformismus und dem Zwang zur Produkthaftigkeit. Im subjektiven Unbewussten entschlüsselt er tiefer liegende Zusammenhänge einer natürlichen Ordnung, auf der sich kreativere Wirtschaft und Gesellschaft begründen lässt. Speed erzeugt Irritation, entzieht sich üblichen Zuschreibungen von Kunst, lebt Themen subjektiv aus, macht sich angreifbar, um den Blick für das Neue und Unmittelbare zu schärfen. Da Speed mit seiner eigenen Existenz versuchte eine neue ArbeiterIn vorzuleben, die sich der Simplifizierung, Effizienzsteigerung verweigert, um die Zerstörung der Vielfalt zu stoppen, war es nur logisch, dass er dabei pleite ging und somit auch für den Staat zu positivem Sand im Getriebe wurde.
Vom Arbeitsamt schikaniert und völlig verarmt, schrieb er den Essay »Stärke in der Armut«, in dem er die zweifelhaften Hartz IV Gesetze im Namen der Kunstfreiheit aushebelte und seinen fehlenden Gehorsam zu einem Wirtschaftsförderungsprogramm erklärte. Damit brachte er die...