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E-Book

Trost der Philosophie

Consolatio philosophiae

AutorAnicius Manlius Torquatus Severinus Boethius
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783738678109
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Gibt es Gott? Woher das Böse? - Gibt es Gott nicht? Woher das Gute? Gibt es Glück? Und warum ist dasselbe so oft auf der verkehrten Seite zu finden? Das Buch 'Trost der Philosophie' erörtert zentrale Fragen im Gespräch zwischen dem Autor selbst, Boethius und seiner Gesprächspartnerin, der (personifizierten) Philosophie. Die Consolatio philosophiae, der Trost der Philosophie ist das Hauptwerk des Boethius. Sie gilt als eines der letzten philosophischen Bücher der Antike und gleichzeitig eines der beliebtesten philosophischen Bücher des Mittelalters.

Boethius war mit 30 Jahren am Hofe des Ostgotenkönigs Theoderich zum Konsul ernannt worden. Dort fiel er jedoch in Ungnade und wurde wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Während der Kerkerhaft schuf er ein Werk, das als eines der schönsten in lateinischer Sprache verfassten Bücher gilt; Prosa wechselt sich ab mit Gedichten unterschiedlichster Formen.

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Leseprobe

Erstes Buch


Ich, der begeistert und frisch einst fröhliche Weisen geschaffen,

Muß nun, kummergebeugt, singen ein trauriges Lied!

Also geboten es mir die trostlos klagenden Musen;

Ach, mein eigener Sang lockt mir die Thränen hervor.

Denn nur die Musen allein verscheuchte das herbe Geschick nicht;

Treue Begleiter, wie sonst, folgen auch heute sie mir!

Sie, die mit Ruhm geschmückt die fröhliche, goldene Jugend,

Tröstenden trauernden Greis, jetzt, da das Glück ihn verließ!

Plötzlich brach es herein, von Leiden beschleunigt, das Alter,

Und es erschien die Zeit, welche den Schmerzen gehört.

Schneeige Weiße bedeckt zu früh die Haare des Hauptes,

Schlaff auch erzittert die Haut um den entkräfteten Leib!

Selig der Tod, wenn er nicht den Lebensfrohen dahinrafft,

Wenn er dem Trauernden naht, der ihn so oft sich gewünscht!

Wehe, wenn er mit taubem Ohr den Beladenen abweist,

Wenn er nicht schließen will, grausam, das thränende Aug'!

Trügendes Glück umschmeichelte mich mit flüchtigen Gaben:

Da, mit vernichtender Kraft, nahte die Stunde des Leids!

Jetzt, da, veränderten Blicks, so finster das Leben mich anschaut,

Zieht es, erbarmungslos, qualvoll unendlich sich hin!

Weshalb habt ihr so oft mein Schicksal gepriesen, o Freunde?!

Ach, wer im Unglück versank, stand auch im Glücke nicht fest!

Während ich solche Gedanken still für mich im Herzen bewegte und meine jammernde Klage mit dem Schreibgriffel aufzeichnete, da erschien mir zu Häupten eine Frauengestalt von ehrfurchtgebietender Hoheit, mit glühenden Augen von so durchdringender Kraft, wie sie sonst den Menschen nicht eigen ist. Frisch war ihre Gesichtsfarbe und unerschöpft ihre Körperkraft, obgleich sie schon ein so langes Leben hinter sich zu haben schien, daß man sie kaum noch unserem Zeitalter zurechnen konnte. Ihre Gestalt war eine wechselnde. Bald nämlich schrumpfte sie auf das gewöhnliche Maß der Menschen zusammen, bald wieder schien sie mit der Höhe des Scheitels die Wolken zu berühren. Hätte sie das Haupt noch höher erhoben, so wäre sie in den Himmel selbst eingedrungen und den Blicken der Menschen entschwunden. Ihre Kleider waren von den dünnsten Fäden, aber aus unverwüstlichem Stoff, mit der feinsten Kunstfertigkeit gewebt und zwar, wie sie mir später erzählte, das Werk ihrer eigenen Hände.

Äußerlich zeigten sie indes die Verschossenheit eines vernachlässigten Alters, verwitterten und bestaubten Gemälden vergleichbar.

Im untersten Saum war der griechische Buchstabe P, im obersten ein Th eingewirkt zu lesen und zwischen beiden wurden gewisse, in Form einer Treppe angeordnete Stufen sichtbar, mittelst deren, wie es schien, ein Aufstieg von dem unteren zu dem oberen Buchstaben stattfinden sollte. – Gewaltthätige Hände hatten übrigens das ganze Gewand zerrissen und einzelne Teile davon, deren sie habhaft werden konnten, mit sich fortgenommen.

In der rechten Hand, trug die Gestalt Bücherrollen, in der linken ein Scepter.

Als sie nun die Musen der Dichtkunst, die meinen Klagen die Worte liehen, an meinem Lager stehen sah, da begann sie erregt zu werden und sprach mit finster funkelnden Augen: »Wer hat diese Theaterdirnen zu diesem Kranken zugelassen, um seine Leiden nicht nur durch kein Heilmittel zu lindern, sondern durch süßes Gift nur noch mehr zu entfachen? Denn sie sind es, die mit den unfruchtbaren Dornen der Affekte die fruchtschwangere Saat der Vernunft töten und den Geist der Menschen an die Krankheit gewöhnen, statt ihn davon zu befreien! Erträglicher würde mir ihre Missethat noch erscheinen, wenn sie, wie gewöhnlich, irgend einen untergeordneten Geist durch ihre Lockungen auf Abwege gebracht hätten. Aber nun diesen Mann, der in eleatischen und akademischen Studien aufgezogen ist!

Nun aber fort mit euch, ihr Sirenen, die ihr eure Opfer bis an den Rand des Verderbens so süß umschmeichelt! Überlaßt diesen Mann mir und meiner Muse zur Pflege und zur Heilung!«

So gescholten senkte der Chor der Musen traurig das Antlitz zur Erde und als diese falschen Trösterinnen die Schwelle verließen, zeugte ihr Erröten von ihrer tiefen Beschämung.

Ich aber, dessen Gesicht noch von den strömenden Thränen verdunkelt war, so daß ich noch nicht erkennen konnte, wer denn dieses Weib von so majestätischer Hoheit sei, ich erwartete staunend, mit zu Boden gesenktem Blick, was sie nun weiter beginnen werde.

Sie aber trat näher herzu, ließ sich auf dem äußersten Ende meines Lagers nieder, blickte mir in das tieftraurige, von Schmerz zu Boden geneigte Antlitz und beklagte dann in folgenden Versen die Verwirrung meines Geistes:

»Wehe, wie tief hinab sank in den Abgrund

Dein umdüsterter Geist, blind für das eigne

Licht, und in dunkle Nacht will er sich senken,

Wenn, von des Lebens Sturm mächtig entfesselt,

Ins Unendliche wächst nagende Sorge?!

Du, dem der Himmel einst offen erstrahlte!

Der durch den Äther frei pflegte zu schweifen!

Der du die Sonne sahst, rosigen Scheines,

Der du geschaut des Monds eisige Klarheit!

Auch die schweifende Bahn aller Gestirne,

Die am Himmelsgezelt ziehn ihre Kreise,

Hat dein siegender Geist sicher berechnet!

Auch die Gründe, warum pfeifende Stürme

Wild bewegendes Meers ruhige Fläche;

Welche Gewalt im Kreis schwinge den Erdball,

Wie sich in roter Glut Phöbus erhebe,

Um in hesperische Flut niederzutauchen;

Wer denn dem Lenz verliehn mildere Lüfte,

Daß er mit blumiger Pracht schmücke die Erde:

All dies hast du erforscht, und die verborgnen

Kräfte der reichen Natur hast du erkundet!

Nun aber liegst du da, Nacht vor den Augen!

Auf deinem Nacken ruht lastende Fessel,

Beugt dir nieder das Haupt, und an der toten

Erde haften, o Schmach, starr deine Blicke!«

»Doch nicht zu klagen ist es jetzt an der Zeit,« fuhr sie fort, »sondern zu heilen!« Und nun richtete sie den vollen Blick ihrer Augen auf mich und fragte: »Bist du denn wirklich derselbe, der, mit meiner Milch gesäugt, mit meiner Kost aufgezogen, zur Vollkraft männlichen Geistes emporgestiegen ist? Und habe ich denn nicht wahrlich solche Waffen bereitet, die dich sicher in unbesiegter Festigkeit geschützt hätten, wenn du sie nicht selber vorschnell von dir geworfen hättest?!

Erkennst du mich denn nicht? Warum schweigst du? Aus Scham oder aus ratloser Bestürzung? Ich wünschte wohl, aus Scham, aber ich sehe, es ist eine tiefe Bestürzung, die dich gebannt hält!« – Als sie mich aber auch hieraus nicht nur schweigend, sondern völlig sprachlos und stumm sah, da berührte sie mit der Hand leicht meine Brust und sprach:

»Es hat keine Gefahr! Er leidet an der allen enttäuschten Gemütern gemeinsamen lethargischen Krankheit! Er hat sich selbst ein wenig vergessen, aber die Erinnerung wird ihm schon zurück-kommen, wenn er nur mich erst wieder erkannt hat. Damit er das kann, will ich seine Augen ein wenig aufhellen, denn der Nebel irdischer Dinge hält sie umdüstert!« – So sprach sie und mit der Falte ihres Gewandes trocknete sie meine in Thränen schwimmenden Augen.

Siehe, da riß der Schleier der Nacht, es hob sich das Dunkel,
Wieder wie früher erstarkte das Augenlicht!

Wie wenn der schnelle Nordwest in Haufen die Wolken versammelt,
Nebel und Regen umdüstern das Himmelszelt,

Wenn sich die Sonne verhüllt, kein Stern am Himmel erglänzet,
Finstere Nacht überflutet das Erdenrund:

Wenn dann, verjagend die Nacht, aus thrakischer Grotte der Nordwind
Fährt, und befreit den Tag, den gefesselten:

Siehe, da leuchtet auf einmal hervor die funkelnde Sonne!
Staunend gewahrt ihre Strahlen der Schauende!

Ganz ebenso löste sich nun auch der Nebel meines Kummers und ich faßte Mut, das Antlitz derer, die mich heilen wollte, zu erkennen zu suchen. Und so erkannte ich sie denn auch, als ich meine Augen ihr zuwandte und sie genau betrachtete, sie, meine Pflegerin, in deren Hause ich von Jugend auf heimisch gewesen war, die Philosophie!

»Warum aber,« fragte ich sie nun, »bist du, o Lehrerin aller Tugenden, aus den oberen Regionen in die Einsamkeit meines Verbannungsortes herabgekommen? Etwa, damit auch du, gleich mir, angeklagt und mit falschen Beschuldigungen verfolgt werdest?!« Sie antwortete: »Sollte ich denn dich, meinen Schüler, im Stich lassen und dir nicht die Bürde tragen helfen, die du um der Verhaßtheit meines Namens willen auf dich genommen hast? Wahrlich, nicht ziemt es mir, der Philosophie, den Unschuldigen unbegleitet seinen Weg gehen zu lassen, als ob ich eine Verletzung meiner selbst fürchtete und Angst empfände wie vor etwas ganz Neuem und Unerhörtem! Du glaubst doch nicht, daß die Weltweisheit jetzt zum erstenmal unter sittenverderbten Menschen von Gefahren bedrängt ist? Habe ich nicht schon bei den Alten, noch vor der Zeit unseres Platon, schwere Kämpfe...

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