Zur Einführung
Angesichts der heutigen Weltsituation ist der Dialog der Religionen ein dringendes Erfordernis, religionstheologisch, aber auch gesellschafts- und bildungspolitisch. Das ist mittlerweile von vielen begriffen worden. Dialogführen aber setzt Dialogkompetenz voraus. Das zeigen gerade die vier Pioniergestalten und Vordenker, deren Geschichte ich in diesem Buch erzähle: Martin Buber, Abraham Joshua Heschel, Louis Massignon und Hans Küng. Sie spiegeln die Welt von Judentum, Christentum und Islam und stehen für kühne Konzeptionen einer Theologie des Anderen, die sie oft gegen heftige Widerstände von innen und außen haben entwickeln und verteidigen müssen. „Dialog“ als Lebensform und Auftrag? Nichts war selbstverständlich. Im Gegenteil: Die Geschichte der drei monotheistisch-prophetischen Religionen wurde lange Zeit im Ungeist wechselseitiger Ausgrenzung, Verwerfung oder Überbietung geschrieben. Das Judentum? Von Christentum und Islam wurde es jahrhundertelang als „beerbt“ betrachtet, seinerseits oft nur auf sich selbst konzentriert, in die eigene Orthopraxie verschlossen. Das Christentum? Das Judentum als vorchristliche Offenbarungsreligion meinte man durch die Kirche „ersetzt“ und „überboten“ zu haben, den Islam als nachchristliche als häretisch verurteilen zu können. Der Islam? Judentum und Christentum sind zwar vom Koran her als legitime Buchreligionen anerkannt, aber, weil defizitär, durch den Islam als definitive, letztgültige Offenbarung Gottes abgelöst.
Dieser Geschichte haben die vier Vordenker sich gestellt und Neues zu denken gewagt. Nicht aus Zeitgeistreiterei oder einem vagen Toleranzgefühl heraus, sondern durch eine Neubewertung ihrer eigenen Heiligen Schriften, aus der Mitte ihrer großen Ur-Kunden und Überlieferungen heraus. Nicht also aus falsch verstandenem „Liberalismus“, sondern aus Gottesleidenschaft. Es waren die Erzählungen der Chassidim, die Martin Buber (1878–1965) als Erster aus dem Dunkel der Vergessenheit geholt und zu einem Schatz der Weltliteratur gemacht hatte, die ihn den Satz formulieren ließen: „Alle Menschen haben Zugang zu Gott, aber jeder einen anderen. Gerade in der Verschiedenheit der Menschen, in der Verschiedenheit ihrer Eigenschaften und Neigungen liegt die große Chance des Menschengeschlechts. Gottes Allumfassung stellt sich in der unendlichen Vielheit der Wege dar, die zu ihm führen, und von denen jeder einem Menschen offen ist. Als etliche Schüler eines verstorbenen Zaddiks zum ‚Seher‘ von Lublin kamen und sich darüber wunderten, dass er andere Bräuche als die ihres Lehrers hatte, rief er: ‚Was wäre das für ein Gott, der nur einen einzigen Weg hätte, auf dem man ihm dienen kann!‘ Aber indem jeder Mensch von seinem Punkt aus, von seinem Wesen aus zu Gott zu kommen vermag, vermag, auf allen Wegen vordringend, das Menschengeschlecht als solches zu ihm zu kommen.“
So wurde Buber zu dem Philosophen des Dialogs schlechthin, der mit seinen beiden Schriften „Ich und Du“ (1923) und „Zwiesprache“ (1930) Maßstäbe für dialogisches Denken gesetzt hat. Er selber hat es einmal auf die Formel gebracht: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ und sein Vermächtnis im Blick auf die Religionen so zusammengefasst: „Die geschichtlichen Religionen haben die Tendenz, Selbstzweck zu werden und sich gleichsam an Gottes Stelle zu setzen, und in der Tat ist nichts so geeignet, dem Menschen das Angesicht Gottes zu verdecken, wie eine Religion. Die Religionen müssen zu Gott und zu seinem Willen demütig werden; jede muss erkennen, dass sie nur eine der Gestalten ist, in denen sich die menschliche Verarbeitung der göttlichen Botschaft darstellt, –dass sie kein Monopol auf Gott hat.“
Es ist der in der Hebräischen Bibel verankerte Glauben an die Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen, unbeschadet aller Unterschiede von Rassen, Klassen, Kulturen und Religionen, die den großen jüdischen Denker Abraham Joshua Heschel (1907– 1972) zu einer Überzeugung brachte, die im Zeitalter der politischen und religiösen Spaltungen nach dem 2. Weltkrieg sein Vermächtnis wurde: „Keine Religion ist eine Insel. Wir alle sind miteinander verbunden. Verrat am Geist auf Seiten eines von uns berührt den Glauben aller. Ansichten einer Gemeinschaft haben Folgen für andere Gemeinschaften. Religiöser Isolationismus ist heute eine Illusion.“ Mit dieser Forderung nach einem vernetzten ökumenischen Denken wird Heschel einer der wichtigsten Gesprächspartner auch für Christen und Muslime. Davon erzähle ich im entsprechenden Kapitel ausführlich, auch von der Tatsache, dass kein jüdischer Denker vor Heschel je einen derart großen Einfluss auf den Text eines Konzils der Katholischen Kirche gehabt hat. Durch sein überragendes theologisches Werk ein hochangesehener Repräsentant des Judentums in den USA geworden, hatte Heschel durch seine Verbindung zum damaligen Chef des „Einheitssekretariates“ der römischen Kurie, Kardinal Augustin Bea, Einfluss auf eine Erklärung, die das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Judentum nach der Schoah auf neue Grundlagen stellen sollte. Bea hatte von Papst Johannes XXIII. genau diesen Auftrag erhalten und sich Beratung auch bei angesehenen Vertretern des Judentums geholt. Die dramatische Geschichte des Textes „über die Juden“, am Ende der Konzilsberatungen Abschnitt Nr. 4 in der epochalen „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ („Nostra aetate“), und die Rolle Heschels in diesem Prozess, ist Teil des hier vorgelegten Porträts.
Von ähnlicher Dramatik ist die Geschichte eines weiteren Abschnittes von „Nostra aetate“: des Abschnitts Nr. 3 über den Glauben der Muslime. Noch nie in ihrer Geschichte hatte sich die Katholische Kirche in Gestalt ihres höchsten Lehramtes zum Islam geäußert. Die Abwehrreflexe und theologischen Vorbehalte sind – historisch bedingt – noch zur Konzilszeit beträchtlich. Die politischen Widerstände gegen eine respektvolle, theologisch konstruktive Erklärung über den Islam gerade auch von Kirchen aus dem Nahen Osten sind gewaltig. Aber auch hier ist es einem großen Vordenker und seinen Schülern zu verdanken, dass man den Islam erstmals theologisch überhaupt hat würdigen können. Konzilstexte entstehen bekanntlich nicht „spontan“, sind nicht Einfälle des Augenblicks. Sollen sie mehrheitsfähig sein, braucht es dafür seriöse, theologisch fundierte Vorarbeit. Die hatte denn auch im Blick auf den Islam der französische Islamwissenschaftler Louis Massignon (1883–1962) geleistet, der durch seine überragenden Arbeiten zur islamischen Mystik („Sufismus“) in West und Ost großes wissenschaftliches Ansehen erworben hatte.
Massignon war einer der Ersten, der die abrahamische Wurzel von Judentum, Christentum und Islam freigelegt und daraus Konsequenzen für eine „kopernikanische Wende“ im Verhältnis von Judentum, Christentum und Islam gezogen hat. Dass alle drei monotheistisch-prophetischen Religionen in Abraham den „Stammvater“ ihres Glaubens verehren, war für Massignon nicht nur eine schöne Erinnerung an eine erbauliche Geschichte, sondern ein Auftrag für Gegenwart und Zukunft. Die Berufung auf Abraham kann nicht folgenlos bleiben, sie verpflichtet. Juden, Christen und Muslime sind in einer Art „abrahamischen Ökumene“ verbunden. Wer das ernst nimmt, bekämpft den Ungeist von Judenfeindschaft, Christendiskriminierung und Antiislamismus und tritt für einen Geist der Geschwisterlichkeit ein. Ist Abraham doch für Juden, Christen und Muslime „unser aller Vater vor Gott“. Auf diesen Einsichten habe auch ich später aufbauen können, als ich 1994 mein Buch „Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt und was sie eint“ schrieb und hierin den Entwurf einer Theologie der „abrahamischen Ökumene“ vorgelegt habe. Ich habe seither ein trilateral vernetztes Denken zwischen Juden, Christen und Muslime gefordert, das ich dann noch einmal vertieft habe durch eine „Theologie des Trialogs“ auf biblischer und koranischer Grundlage in meinem Buch „Juden – Christen – Muslime: Herkunft und Zukunft“ (2007).
Dabei konnte auch ich mich auf Geist und Buchstaben der Konzilserklärung „Nostra aetate“ berufen. Aber ohne Massignons entscheidende Einsichten in die von Abraham ausgehende spirituelle Kraft von Gastfreundschaft und Gebet, ja ohne seine theologische Neubewertung der Bedeutung des Abraham-Sohnes Ismael, Urvater des Islam, schon in der Hebräischen Bibel (Gen 16,17 u. 21) sind Sätze des Konzils wie die folgenden undenkbar. In der „Dogmatischen Konstitution“ des Konzils „über die Kirche“ („Lumen Gentium“) heißt es: „Die Heilsabsicht Gottes umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die, indem sie...