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E-Book

Vergiftet und alleingelassen

Die Opfer von Giftstoffen in den Mühlen von der Industrie und Justiz

AutorAntje Bultmann
VerlagJim Humble Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl215 Seiten
ISBN9789088791390
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Immer öfter lösen vom Menschen verursachte Umweltschäden Gesundheitsgefahren aus. Die Opfer all der Schadstoffe in unserem Alltag tragen nicht nur bleibende körperliche Schäden davon. Sie werden von vielen Ärzten, Gutachtern, Anwälten und Richtern auch noch gnadenlos bekämpft, denn jeder gewonnene Prozess könnte eine Lawine von weiteren Schadenersatzansprüchen auslösen.

Um das zu verhindern, ist der Industrie nahezu jedes Mittel recht: Das Spektrum der Maßnahmen reicht von Psychiatrisierung über Prozessverschleppungen bis zu handfesten Einschüchterungen. Betroffene und Experten schildern in diesem Buch aber nicht nur solche skandalösen Praktiken, sondern berichten auch davon, wie die übermächtige Allianz aus Wissenschaft und Industrie besiegt werden kann. Eine Risikoliste der wichtigsten Gefahrenstoffe und ihrer Symptome, Tipps für den Umgang mit Behörden und Gerichten machen dieses Buch zu einem wichtigen Ratgeber für alle Betroffenen.

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Leseprobe

EINLEITUNG

Unser tägliches Gift

Antje Bultmann

Erdbeeren unterm Weihnachtsbaum

Kein Mensch weiß, weshalb Erdbeeren mit Aromastoffen und Farbstoffen geimpft werden. Ist es wirklich notwendig, in das Grundnahrungsmittel Brot Gips hineinzubacken, Weizen zu bestrahlen oder der Wurst Umrötungsmittel beizufügen? Und weshalb müssen Teppiche oder das Holz in einem Pferde- oder Kuhstall noch mit Gift behandelt werden? Solche Fragen ließen sich beliebig vermehren. Allein Spezialbedürfnisse anspruchsvoller Konsumbürger können hier nicht ausschlaggebend sein. Schmecken doch Kartoffelchips ohne Aromastoffe genauso gut, sind doch Plüschtiere ohne Azofarben mit krebserzeugenden aromati-schen Aminen oder Männerhemden ohne Formaldehyd ebenso schön und riechen doch frischgelüftete Räume (vor allem auf die Dauer!) besser, als wenn man sie mit Hilfe von Duftsprays parfümiert.

Chemie bestimmt unser ganzes Leben. Ihr ist es zu verdanken, dass Erdbeeren auch unterm Weihnachtsbaum liegen, Motten die Teppiche meiden, Lebensmittel lange halten. Doch das Chemiewunder hat seine Kehrseite, die nicht unmittelbar wahrnehmbar ist: Dioxine, Schwermetalle, Hormone, Antibiotika, Pestizide verseuchen Luft, Wasser und Boden.

Angst vor dem mündigen Verbraucher?

Weshalb werden nicht auf allen Waren, Bauteilen, Möbeln, Kleidungsstücken und Nahrungsmitteln usw. die chemischen Zusatzstoffe offen deklariert? Darauf gibt es nur eine Antwort: Bedenken könnten den Konsumenten veranlassen, eine Ware nicht zu kaufen. Das hätte wirtschaftliche Einbußen zur Folge. Wenn der Trend allerdings so weitergeht wie bisher und immer mehr Gift in die Nahrung, Kleidung, Möbel usw. gelangen, wird es später immer schwieriger, Kontrollen einzuführen. Man wird nicht wissen, wonach zu suchen ist.

Über die Frage, ob eine Ware chemisch bearbeitet werden muss oder nicht, könnte gegebenenfalls noch diskutiert werden. Nicht allerdings darüber, dass jeder Bürger ein Recht darauf hat, sich zu informieren und sich die Waren auszusuchen, die er für richtig hält. Desinformationskampagnen über bestimmte Chemikalien seitens der Industrie machen die Sache noch komplizierter.1 Wenn die Informations- und Entscheidungsfreiheit des Bürgers sabotiert wird, ist das eine Bankrotterklärung unserer Demokratie.

Nicht jeder spürt die schädlichen Auswirkungen der Umweltgifte. Den Betroffenen sieht man - soweit die Intoxikation (Vergiftung) noch nicht weit fortgeschritten ist - äußerlich oft kaum etwas an.

Schwerstbehinderte meiden den Kontakt mit der Öffentlichkeit. Viele Geschädigte verdrängen ihr Leiden, solange es irgend möglich ist. Etliche wollen die verseuchte Arbeitsstelle oder Wohnung nicht verlassen, obwohl ihnen bewusst ist, dass hier die Ursache für ihr Leiden liegt. Manche warten so lange, bis sie keine Chance mehr haben, wieder gesund zu werden. Und selbst in diesem Stadium gibt es Menschen, die die wirkliche Ursache nicht wahrhaben wollen. Ein Gärtner beispielsweise, den ich auf den immensen Pestizideinsatz in seiner Baumschule angesprochen hatte, verharmloste die Pflanzengifte und wehrte alles rundweg ab. Kurz darauf starb der Mann an Kehlkopfkrebs. Seine Familie macht trotzdem genauso weiter ….

Am Gift scheiden sich die Geister

Es wundert nicht, dass sich Außenstehende kein Bild machen können. Wer nicht betroffen ist, will sich die Stimmung nicht verderben lassen, urteilt oft vorschnell, ohne zu wissen, worüber er spricht. Andere meinen: „Alles ist halb so schlimm.“

Eigentlich sollten die vielen Berichte über Betroffene all jene warnen, die bisher verschont geblieben sind. Schließlich sitzen wir ja doch alle im gleichen Boot. Während früher in den Medien nur ab und zu über Umweltskandale berichtet wurde, vergeht heute kaum eine Woche ohne neue Meldungen. Als Reaktion darauf kommt es jedoch weder zu einer erhöhten Wachsamkeit, noch wird nach Lösungsmöglichkeiten gesucht.

Stattdessen spaltet sich die Öffentlichkeit in zwei Lager. Auf der einen Seite sind die Betroffenen und für die Sache engagierte Arzte, Rechtsanwälte und Wissenschaftler, die zwar äußerst sachkundig sind, jedoch oft wenig Einfluss haben. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die selbst keine entsprechenden Erfahrungen gemacht haben und deshalb skeptisch sind, oder solche, die ein bestimmtes Interesse daran haben, dass Informationen über Schadstoffauswirkungen unterdrückt werden; oft verfügen sie über viel Einfluss und Geld.

Auch der Spiegel lässt sich in einer Titelgeschichte „Feldzug der Moralisten“2 hämisch über Betroffene aus. Er bläst in das Horn der Ignoranten, spricht von „vermeintlichen Opfern“ und bezeichnet unliebsame Rufer in der Wüste als „Gutmenschen“ mit „moralistischem Größenwahn“.

Was sich da breitmache, sei eine „psychogene Massenreaktion“, zitiert der Spiegel den Münchner Toxikologen Thomas Zilker vom Klinikum rechts der Isar. In dem Artikel ist weiter die Rede von „Hysterie“, „Neurosen“ und „Depressionen“, die das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen in einer Studie als Ursache für Kopfschmerzen und Allergien festgestellt haben will. Nur waren die wenigen angewendeten klinischen Tests, mit denen die Gifte diagnostiziert werden sollten, völlig unzureichend. Hätten die Wissenschaftler (zwei Arbeitsmediziner, ein Psychologe, ein Psychosomatiker und ein Psychiater) u. a. Wohnung oder Arbeitsplatz auf Gifte untersucht und entsprechend den Ergebnissen die Blutuntersuchungen durchgeführt, wären sie sicher zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen. Allerdings wäre ein solches sogenanntes Umweltmonitoring (Analyse von Schadstoffen in der Umwelt) vermutlich auf den Widerstand der Arbeitgeber der Betroffenen gestoßen, die in der Regel nicht gern verraten, mit welchen Schadstoffen Arbeitsplätze belastet sind. Blut- und Urinuntersuchungen auf ein paar zufällige Gifte heißt, eine Stecknadel in einem Heuhaufen zu suchen. Im Übrigen sind viele Gifte weder im Blut noch im Urin, sondern nur in den Organen und im Fettgewebe nachweisbar. So verrät diese Studie allenfalls, dass es kaum Tests gibt, Umweltgifte nachzuweisen. Gerne hätte man auch gewusst, weshalb der Verfasser der Studie von vornherein die Fragestellung schwerpunktmäßig auf psychologische Probleme lenkte. Auf den ca. 25 Seiten des Leitartikels findet sich im Übrigen kein einziges plausibles Beispiel, das die These von den „Ökochondern“ belegt.

Zudem stellt sich die Frage, weshalb der Spiegel zu dieser wichtigen Frage ein Institut (ohne es ausdrücklich zu nennen) zitiert, dessen Leiter, Professor Dr. Gerhard Lehnert, er an anderer Stelle scharf kritisiert hat.3 Dort schreibt er unter anderem: „Das Hamburger Sozialgericht bescheinigte dem Gutachter (gemeint ist Lehnert, die Hrsg.) 1989 in einem Prozess, den die Witwe eines durch Dioxin vergifteten Boeringer-Arbeiters gegen die Chemie-Berufsge-nossenschaft angestrengt hatte, ,eine Interessengebundenheit‘.“ Lehnert hatte die Beschwerden des von Chlorakne, Speiseröhrenkrebs, Muskelschwäche, Nervenleiden und Gehirnschwund gezeichneten Mannes nach Aktenlage als „alters- bzw. Gefäßsklerosebedingt, beurteilt“. Lehnert, der mit der Holzschutzmittelfirma Desowag einen Beratervertrag habe, sei bekannt für seine Industriefreundlichkeit …

Man muss kein Nobelpreisträger sein, um zu erkennen, dass die oben zitierte Studie ganz auf der Linie seines Instituts liegt. Das sah auch der Verfasser, der Arbeitsmediziner Thomas Kraus, so. Er widmete einen Sonderdruck der Studie seinem Chef zum 65. Geburtstag.

Unterstützt wird diese Sichtweise, die alles auf die Psyche reduzieren will, durch plausibel klingende Theorien, denen zufolge jedem körperlichen Leiden ein seelischer Konflikt zugrunde liegt. Danach führen verdrängte Wünsche und unbefriedigte Bedürfnisse - so meinen etliche Psychosomatiker und Psychiater - zu Symptomen wie Migräne, Bluthochdruck, Bauchschmerzen, Krebs usw. Besonders geeignet, diese Theorie zu stützen, sind Krankheiten, deren Ursache unklar ist und die zunächst mit herkömmlichen naturwissenschaftlichen Methoden nicht nachzuweisen sind. Man denke zum Beispiel daran, wie lange Magenschleimhautentzündung fast immer als psychisch bedingt angesehen wurde. Die Aufwertung des Psychischen in unserer Zeit mag sicher berechtigt sein. Das sollte jedoch nicht dazu missbraucht werden, Umweltsünden wegzudiskutieren.

Nebelkerzen inmitten der Naturwissenschaft

Wie sich beispielsweise nach dieser Neurosethese die Zunahme von Allergien oder der Neurodermitis bei Neugeborenen erklären lässt, ist höchst fraglich. Soll man vielleicht davon ausgehen, dass Mütter ihre Babys bereits im Mutterleib telepathisch mit ihren Ängsten psychogen indoktrinieren? Ein anderes Beispiel bringt der Mainzer Medizinstatistiker Jörg Michaelis. Der Wissenschaftler verbreitete allen Ernstes, dass eine „Radiophobie“, sprich eine eingebildete Angst vor radioaktiven Strahlen, zu Leukämie führen kann. Er will nämlich eine erhöhte Leukämierate dort beobachtet haben, wo ein Kernkraftwerk erst in der Planung war.4

Auch wenn es an den Haaren herbeigezogen ist: Immer wieder taucht in Gutachten über Vergiftungsfälle die Beurteilung „demonstrative Symptomatik infolge konversionsneurotischer Fehlentwicklung“ auf.5 Es sei hier unbestritten, dass es in Ausnahmefällen auch psychogen bedingte Allergien gibt. Um solche Fälle geht es in diesem Buch nicht. Manche Patienten haben jedoch neben einer psychischen Krankheit auch noch eine Allergie. Vor allem aber gibt es viele Menschen, die vergiftet sind und, aus der...

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