Theater über den Wolken
Willkommen an Bord! Von Deutschland aus dauert der Flug nach Tel Aviv rund vier Stunden. Entspannen Sie sich, Sie haben nichts vergessen. Den Reisepass mussten Sie ja schon beim Einchecken vorzeigen. Wenn Sie öfter in arabischen Ländern Urlaub machen, lohnt sich ein Zweitpass. Den stellen Ihnen die deutschen Behörden nach Ihrem dezenten Hinweis »Israelreise« aus. So hübsch die arabischen Schriftzeichen auch auf dem Papier aussehen, sie führen zu vielen Fragen, die keine Reise verschönern.
Wenn Sie einen Flieger der Gesellschaft El Al buchen, dann wird Ihnen die große Bühne geboten. Das Theaterticket ist quasi im Flugpreis enthalten. Mit der staatlichen Fluglinie Israels reisen Sie bei früher Buchung nicht teurer als mit den deutschen Konkurrenten. Und das, obwohl man sich viel mehr um Sie kümmern wird. Ob Sie wollen oder nicht.
Schon am deutschen Flughafen erwarten Sie El-Al-Sicherheitsmitarbeiter mit ihren Fragen zur anstehenden Reise. Vor einiger Zeit traf ich an einem Berliner Flughafen auf einen ehemaligen Kommilitonen, einen Israeli, der in Deutschland studiert hatte und jetzt für El Al arbeitete. Nun fragte er mich streng nach Protokoll aus, als ob wir uns noch nie zuvor gesehen hätten. Sicherheit geht vor! Oder mit einem El-Al-Werbespruch gesagt, der sicher anders gemeint ist: »Es ist nicht nur eine Fluggesellschaft. Es ist Israel.«
Im Flieger geht die Vorstellung weiter. Ein klarer Vorteil zu den Theatern unten am Boden ist hier oben: Sie dürfen während der Vorstellung essen. Alles ist koscher, und was das genau bedeutet und wieso koscher nicht gleich koscher ist, erfahren Sie bei den Diskussionen an Bord oder im Kapitel »Shrimps in Falafel«.
Bei der Essensausgabe beobachte ich: Nicht jeder Israeli freut sich über koscher. Nehmen wir die zwei jungen nicht religiösen Juden neben mir, offenbar noch erschöpft von der großen Berlin-Party. Missmutig stochern sie im vorgesetzten Essen herum. Vielleicht erinnern sich beide in diesem Moment an den einen oder anderen nicht so koscheren Genuss während des Urlaubs – oder in ihrem Tel Aviver Lieblingsrestaurant, wo man es auch nicht immer so genau nimmt. Dabei kann koscher sehr fantasievoll und lecker sein, wie der deutsch-israelische Spitzenkoch aus dem Rheinland Tom Franz im besagten Kapitel erklären wird.
Ach, ich träume bereits vom ofenfrischen Fladenbrot, getunkt in Olivenöl und Balsamico, in Meersalz getupft. Dazu Fisch, ins Netz geschwommen vor der Küste Jaffas. Diese Küste werden Sie übrigens sehen, wenn Sie in einigen Stunden über dem Mittelmeerstrand und den Hochhäusern von Tel Aviv zur Landung ansetzen. Hier wohnen immerhin rund 400 000 der rund acht Millionen im Land lebenden Israelis.
Weiter südlich werden Sie dann den Gazastreifen erahnen können, mit dem Flieger wären Sie in vier Minuten dort. Landen kann man da allerdings nicht mehr. Den Flughafen zerstörte das israelische Militär. Doch zum Konflikt kommen wir später noch ausführlich. Schauen Sie beim Anflug erst mal nach links und folgen dem Küstenstreifen. Keine 150 Kilometer weiter beginnt der Libanon. So groß Israel und Palästina in den Nachrichten wirken, so klein sind die beiden Länder geografisch: selbst zusammengenommen um einiges kleiner als die Schweiz.
Den orthodoxen Juden ein paar Reihen vor mir ist die so sorgsam verpackte Speise hingegen nicht koscher genug; das falsche Zertifikat stamme vom falschen Rabbi und so weiter. Den mit schwarzen Mänteln bekleideten Religiösen habe ich bereits beim Verpacken ihrer großen Hüte zugesehen. Ihre schwarzen Hutkoffer passten wunderbar ins Handgepäck. Wohin mit dem Rest? Das gehört zu den ungelösten Problemen der Luftfahrt.
Zähe Verhandlungen mit dem Bordpersonal führten zu meterweiten Verschiebungen des Handgepäcks in die vorderen Reihen und wieder zurück. Was für ein wundervolles Schlamassel über den Wolken! Zuschauen lohnt sich schon allein deswegen, damit Sie später Ihre Sachen wiederfinden. Und vielleicht hören Sie auch einen Orthodoxen selbst von »Schlamassel« sprechen, das Wort kommt schließlich aus dem Jiddischen.
Diese alte, dem Deutschen verwandte Sprache beherrscht noch so mancher Israeli, vor allem die Orthodoxen. Ansonsten wird immer das Neuhebräisch gesprochen – in Palästina Arabisch. Sollten Sie Fragen zur Sprache und überhaupt zur bevorstehenden Reise im Land haben, wenden Sie sich am besten an Ihre Sitznachbarn auf den Plätzen vor und hinter sich.
Vielleicht lernen Sie vorab schnell noch ein paar schöne Worte zum Einstieg. »Manischma?« bedeutet »Wie geht’s?« auf Hebräisch. Und locker auf Arabisch an Palästinenser gerichtet: »Kief il-hal?« – frei übersetzt: »Wie läuft’s?« Oder legen Sie mit Händen und Füßen und anderen Fremdsprachen los. Einziges Problem, die Kommunikation könnte etwas einseitig ausfallen, denn Palästinenser werden Sie in diesem Flugzeug kaum finden. Die müssen aufgrund von israelischen Bestimmungen über Jordanien einreisen. Dort landen sie in Amman und fahren mit Bussen weiter in die Westbank, die auf Deutsch Westjordanland heißt, weil es westlich des Jordans liegt, des Grenzflusses zu Jordanien.
In der Westbank leben rund drei Millionen Palästinenser, im Gazastreifen sind es etwa zwei Millionen. Wer von den Gaza-Palästinensern reisen darf, macht das natürlich nicht über Jordanien, sondern über das angrenzende Ägypten. Andersherum können Entwicklungshelfer, Journalisten, Politiker und Ärzte nach Antragstellung bei israelischen Behörden in den Gazastreifen einreisen.
So sehenswert die Region ist und besuchenswert ihre Bewohner sind, eine Reise dorthin benötigt eine Gebrauchsanweisung für sich. Der Gazastreifen ist ein Krisengebiet, das immer wieder unberechenbar und schnell zum Kriegsgebiet wird. Daher werde ich in diesem Buch nur selten auf den Gazastreifen eingehen. Wenn auch vieles, was ich über Kultur, Religion und Gesellschaft sage, auf beide Teile Palästinas zutrifft.
Doch zurück an Bord: Selbst wenn sich also kein Palästinenser unter Ihren Mitreisenden befinden sollte, entdecken Sie bestimmt den ein oder anderen »arabischen Israeli« – der sich vielleicht selbst eher »palästinensischer Bürger Israels« nennen würde. Was das nun wieder zu bedeuten hat, werde ich Ihnen auch später erklären.
Die meisten Araber, die ich kenne, meiden El Al wegen der zähen Fragerei zu ihrer Herkunft bereits vor dem Abflug. Doch egal, mit welcher Gesellschaft sie reisen, am Flughafen in Tel Aviv werden sie dennoch häufig stundenlang ins Kreuzverhör genommen. Eine deutsche Freundin mit palästinensischen Wurzeln musste das einmal einen halben Tag lang über sich ergehen lassen, bevor sie mit ihrer kleinen Tochter einreisen durfte.
Aber keine Sorge, dieser Flughafen mit all seinen Herausforderungen liegt noch in weiter Ferne. Ihre Fragen beantwortet man derweil an Bord sicher gern. Israelis und Palästinenser sind Deutschen gegenüber sehr offen. Und sie freuen sich oftmals über Kontakt mit ihnen. Gefühlt kenne ich weit mehr Israelis als Deutsche, die schon mal in Berlin waren. Aufgrund unserer Geschichte können natürlich auch ganz andere Situationen und Gespräche entstehen.
Bestimmt stoßen Sie bei Ihrer Kontaktaufnahme im Flieger auch auf andere Reisende, also weder Israelis noch Palästinenser. Meine unvollständige Liste dieser Personengruppe ist sehr lang: von Neurodermitis geplagte Kurgäste auf dem Weg ans heilsame Tote Meer, stets gut gelaunte und gesellige Pilger, Kulturfreunde aus aller Welt, Städtebummler und Wüstenwanderer.
Ganz oben stehen jedoch die vom Liebeskummer Geplagten. Liebeskummer nach der israelischen oder palästinensischen Partnerin oder dem Partner oder den Partnern. Liebeskummer nach Meeresstrand oder Wüstensand, nach Hummus oder Falafel, nach dem heiligen Jerusalem oder dem weltlichen Tel Aviv; manchmal auch einfach nur Liebeskummer nach Israel oder Palästina. Selten nach beidem – doch das wird sich hoffentlich irgendwann ändern.
Ihre unterhaltsamen Stunden über den Wolken werden höchstens durch das Serviceangebot der El-Al-Flugbegleiter unterbrochen. Für das bargeldlose Zahlen benötigen Sie wie immer im Flieger eine Kreditkarte. Und auch nach der Landung ist das Plastikteil wichtig: für die Reise durch Israel und Palästina geradezu unerlässlich! An nicht allen Bankautomaten erhalten Sie mit einer einfachen EC-Karte Geld. Und Sie können damit auch keinen Wagen ausleihen oder eines der erholsamen Hotelbetten bezahlen.
Zudem lohnt es sich nicht, in Deutschland Geld zu wechseln. Am Flughafen in Tel Aviv lassen sich bei den Automaten unmittelbar neben den Gepäckbändern oder am Ausgang israelische Schekel abheben. Der Schekel ist ebenso in Palästina die vorrangige Währung. Wenn auch manch einer im Geldbeutel dort zusätzlich jordanische Dinar und US-Dollar aufbewahrt.
Egal, was Sie vorhaben, Städtetrip oder Naturidylle, Automaten finden Sie in jeder israelischen Kleinstadt. In Palästina werden Sie nur in größeren Städten wie Ramallah, Nablus, Bethlehem oder Hebron fündig. Überhaupt bietet sich bei einer Reise ein Mix aus Stadt und Land an. Sie reisen durch drei sehr unterschiedliche Klimazonen, je nachdem, ob Sie in den Bergen, am Mittelmeer oder in der Wüste unterwegs sind. Die Natur ist dementsprechend vielfältig. Ich denke da an die schwer von den Ästen hängenden Granatäpfel, die Zitronen-, Oliven- und Mandelbäume, die Bananenstauden und Dattelpalmen.
Kurz vor der Landung ist Ihr Adressbüchlein voll. Vielleicht knüpften Sie auch erste Geschäftskontakte, handeln alsbald mit...