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Zwischen Inklusion und Akademisierung - aktuelle Herausforderungen für die Berufsbildung

Ergebnisse der Fachtagung Bau, Holz, Farbe und Raumgestaltung 2015

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783741246272
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die 'Fachtagung Bau, Holz, Farbe und Raumgestaltung' hat das Rahmenthema der Hochschultage Berufliche Bildung 'Bedeutungswandel der Berufsbildung durch Akademisierung?' aufgegriffen und um eine zweite aktuelle Entwicklungslinie in der deutschen (Berufs-)Bildungslandschaft ergänzt, die Inklusion. Unter dem Titel 'Zwischen Inklusion und Akademisierung' werden dementsprechend die aktuellen Herausforderungen für die beruflichen Fachrichtungen Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung diskutiert. Eine zunehmende Akademisierung in einigen Berufsfeldern wirkt sich auf alle anderen aus und kann fachrichtungsspezifisch zu besonderen Herausforderungen führen. Und auch das mit dem Inklusionsgedanken verfolgte Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen an Bildung und Arbeit, unabhängig von einer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sozialen und ethnischen Herkunft, wird einen anderen Umgang mit Vielfalt in der beruflichen Bildung erfordern. Die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes befassen sich mit dieser Thematik und fokussieren dabei insbesondere auf drei thematische Schwerpunkte: -berufspädagogische Anforderungen im Kontext der Inklusion, -die Gestaltung von Übergängen, -Lehrkräftebildung und didaktische Fragen.

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Leseprobe

Hans-Jürgen Lindemann


Inklusion und die Rolle der beruflichen Schulen – Denkanstöße


1. Inklusion in der beruflichen Ausbildung – worum geht es?

Der Ausgangspunkt der aktuellen Diskussion ist die UN-BEHINDERTENRECHTSKONVENTION, die es umzusetzen gilt. In ihr wurde festgelegt: Menschen mit Behinderungen haben Zugang zu einer inklusiven freien und qualitativ hochwertigen Bildung und Ausbildung in der Grundschule sowie in der Sekundarstufe, auf gleicher Basis mit anderen der Gesellschaft, in der sie leben. Die Staaten sorgen für eine inklusive Bildung und Erziehung auf allen Ebenen des Bildungssystems (2008).

Der Charakter dieser Konvention ist im Unterschied zu Empfehlungen früherer Papiere als rechtlich bindend anzusehen. Die Konvention stellt somit eine verbindliche Grundlage für die Sozial- und Bildungspolitik dar, so die allgemeine Lesart. Es geht folglich um eine Politik, die Rechte beschreibt und damit den Fürsorgestatus verlässt. Diese Politik unterscheidet sich insofern von einer Politik der Integration bzw. geht über sie hinaus, als dass der Integration immer eine Separation vorausgeht bzw. vorausgegangen ist.

Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass Lösungen in dem komplexen System beruflicher Ausbildung mit den unterschiedlichen Systemkomponenten, Beteiligten, Lernorten und den verschlungenen Wegen der Finanzierung keinesfalls einfach sind. Die Strukturen sind in den vergangenen 120 Jahren gewachsen und folglich in den Traditionen von Sozialpartnern tief verwurzelt. Und, „last but not least“, die dualen Ausbildungssysteme in Europa führen heute weltweit zu den besten Übergangsquoten von der Schule in den Beruf. Darauf gegründete Beschäftigungsverhältnisse sind relativ stabil und nachhaltig, wie eine Analyse zur Jugendarbeitslosigkeit nach der Finanzkrise im Jahr 2008, wie sie der Schweizer STRAHM durchgeführt hat, zeigt. In der Zusammenstellung (s. Abb. 1) sind einige Länder mit dualen Ausbildungsformen (Deutschland, Schweiz, Österreich, Dänemark, Niederlande sowie Norwegen, das mit einem kooperativen Ausbildungssystem den Vorzügen des dualen Ausbildungssystem relativ nahe kommt) anderen EU-Ländern gegenübergestellt, die nicht über ein duales Ausbildungssystem verfügen. Ähnliche Untersuchungen gibt es inzwischen auch in Deutschland (2010).

Abb. 1: Arbeitslose Jugendliche in der EU (Quelle: STRAHM 2010, 60)

Ein behutsames Vorgehen ist angebracht, will man nicht die fragile Struktur dualer Ausbildung, die ja primär Marktgesetzen folgt, zerstören. Zu untersuchen ist zunächst einmal, wo es bereits inklusive Elemente im System gibt. Im Folgenden werden die Ebenen und Bereiche aufgezeigt, in denen Handlungsbedarf besteht, um anschließend erste Anregungen und Denkanstöße für Reformschritte geben zu können.

Bezogen auf die berufliche Bildung ist noch genauer zu betrachten, wo eine vertiefte inklusive Ausbildung überhaupt möglich und sinnvoll ist, will man nicht das ganze System ändern. Es ist auch zu fragen, welche Akteure die treibenden Kräfte werden können. Inklusion in der beruflichen Bildung zielt wie im gesamten Bildungssystem darauf ab, eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Statt einer defizitorientierten Ausrichtung des Ausbildungssystems betont die inklusive Bildung die aktive Beteiligung aller auch bei Beeinträchtigungen. Es geht um eine breite gesellschaftliche Verantwortung für die Teilhabe. In der beruflichen Bildung bedeutet dies präziser: Eine erweiterte Verantwortung von Unternehmen, Gewerkschaften und staatlichen Institutionen.

Beeinträchtigungen sind als Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von anatomischen, psychischen oder psychologischen und kognitiven Schädigungen bzw. Funktionsstörungen, die typische Alltagssituationen behindern oder unmöglich machen, zu verstehen. Dem müssen sich Ausbilder/-innen und Lehrkräfte stellen. Ich verwende den Begriff der Beeinträchtigungen, denn eine Beeinträchtigung wird erst durch die gesellschaftliche Organisation von Arbeit und Leben zu einer Behinderung. Es geht im Kern darum, mit Heterogenität besser umzugehen, als das bisher der Fall ist. In einer Verbesserung des Umgangs mit Differenz auf allen Ebenen liegt die große Herausforderung in der Aus- und Weiterbildung.

Die aktuellen Ausbildungspläne und Curricula, wenn auch vielfach im Umbruch begriffen, sind allerdings anders gestaltet. Sie zielen für alle Lernenden auf das gleiche Lerntempo, die gleichen Inhalte und gleiche Lernzeit. In einem (Aus-)Bildungsgang ist für alle der gleiche Abschluss vorgegeben, der in der Regel in einer festgelegten Anzahl von Ausbildungsjahren erreicht wird. Die Festlegung der Ausbildungsdauer gehört zu den Standards der dualen beruflichen Ausbildung. Abweichungen, wie eine verstärkte Förderung einzelner Lernender oder eine verkürzte Ausbildungsdauer, bedeuten nur ein sehr eingeschränktes Aufweichen dieser Prinzipien.

An dieser Stelle sind nun für die berufliche Bildung einige grundlegende Unterschiede gegenüber der Allgemeinbildung zu konstatieren, aus denen heraus der aktuelle Diskurs bestimmt wird. Der Kernbereich der beruflichen Ausbildung in Deutschland ist die duale Berufsausbildung. Eine Ausbildung kommt durch einen Ausbildungsvertrag zwischen dem Unternehmen und dem/der Auszubildenden zustande. Der Zugang zu den dualen Ausbildungsplätzen in vielfältige Berufswege ist ein differenzierter und hochselektiver Prozess. Ein inhaltlicher Einfluss des Gesetzgebers auf diesen Prozess ist nicht vorgesehen. Bereits auf der normativen Ebene regelt das Grundgesetz über Artikel 9 (3) die Koalitionsfreiheit der Tarifpartner, die sich jedem staatlichen Zugriff weitestgehend widersetzt. Die beiden Akteure der beruflichen Bildung, die Unternehmen und die öffentlichen berufsbildenden Schulen, haben somit einen sehr unterschiedlich großen Einfluss auf die Auswahl der Bewerber/-innen um einen Ausbildungsplatz:

1. Grundsätzlich verläuft die Auswahl von Jugendlichen für eine Ausbildung in Großunternehmen anders als in Klein- und mittelgroßen Unternehmen (KMU). In Großunternehmen wie z.B. Daimler-Benz bewerben sich 400 junge Menschen auf 40-50 Ausbildungsplätze in unterschiedlichen Ausbildungsberufen (diese Größenordnung ist z.B. in Werken wie Marienfelde in Berlin oder Ludwigsfelde in Brandenburg gegeben). In einem mehrstufigen Selektionsprozess entscheidet sich das Unternehmen für die Bewerber/-innen, die entsprechend ihrer Eignung und Leistung einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Die Kriterien sind von der Geschäftsleitung festgelegt und bedürfen nur dahingehend einer Kontrolle durch den Betriebsrat (die Beschäftigtenvertretung), um eine Gleichbehandlung aller Bewerber/-innen sicherzustellen. Es bleibt dem Unternehmen überlassen, die gewünschten Profile festzulegen und die Anzahl der angestrebten Ausbildungsverhältnisse zu bestimmen. Es unterliegt dem Ermessensspielraum der Unternehmen, eine Auswahl unter mehreren, prinzipiell als geeignet angesehen Bewerber/-innen zu treffen. In klein- und mittelgroßen Unternehmen ist die Auswahl hinsichtlich der Bewerberlage meist nicht so groß. Gerade in den letzten Jahren, in denen viele junge Menschen ein Studium aufnehmen und somit die Gruppe der Bewerber/-innen kleiner wird, müssen diese Unternehmen sich aktiv um Auszubildende bemühen. Insgesamt ist der Zustrom zum Ausbildungsmarkt von mehreren Faktoren abhängig (Konjunktur, Fachkräftebedarf, Zahl der Schulabsolventen/-innen, Studierendenzahl etc.), vor allem aber den Schwankungen des Arbeitsmarktes. Die Vergabe von Ausbildungsplätzen ist in Deutschland primär marktgesteuert. Dies trifft Menschen mit Beeinträchtigungen besonders stark, die kaum die gleichen Chancen haben, in ein Regelausbildungsverhältnis zu gelangen.

Abb. 2: Der Preis des beruflichen Aufstiegs sind die Stufen einer Treppe.

2. Die Berufsbildungszentren (in Berlin Oberstufenzentren) bekommen von den Kammern eine Mitteilung, wer in die Ausbildungsklassen der jeweiligen Berufe aufzunehmen ist. Eine wie auch immer geartete Beteiligung an der Entscheidung, wer in einem Unternehmen einen Ausbildungsvertrag bekommt und wer nicht, steht weder den Berufsbildungszentren noch der Bildungsverwaltung zu.

Festzuhalten ist, dass der Kernbereich beruflichen Lernens, die duale Berufsbildung, ausgesprochen differenziert und hochselektiv angelegt ist. Der Zugang zur beruflichen Bildung ist begrenzt. Eine Teilhabe im Sinne der UN-BEHINDERTENRECHTSKONVENTION, die Möglichkeit einer staatlichen Einflussnahme und damit ein Hinwirken auf die inklusive Teilnahme aller Personengruppen ist bislang nur eingeschränkt umsetzbar. Umgekehrt gilt, dass aus den dargelegten Gründen eine inklusive duale Berufsausbildung primär von der betrieblichen Seite her zu denken ist. Hier gibt es inzwischen eine ganze Reihe von neuen Ansätzen. Auch die Gewerkschaften haben Vorstellungen zur Inklusion entwickelt. So gibt es z.B. die Forderung, jedem/r Jugendlichen einen qualifizierten Ausbildungsplatz anzubieten. Demnach habe Inklusion bereits an der Schwelle Schule – Ausbildung stattzufinden.

2. Zur beruflichen...

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