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Die englischen Klassiker der Nationalökonomie

Lehre und Wirkung

AutorJoachim Starbatty
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl178 Seiten
ISBN9783170256590
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
The English classics of the national economy gave economics its generally-accepted scientific foundation: They systematically measured connections of cause and effect and disclosed the interdependencies of economic activity. Confrontation with the English classics provides the reader with the necessary clarity regarding the spirit of the historical background of the Western economic order. Anyone concerned with economic developments and the economic effects of political activity can, and must, study the classics. The work is supplemented by a contribution of Professor Heinz Rieter on patterns of interpretation of classic national economy.

Prof. Dr. Joachim Starbatty, University of Tübingen (Economic Policy), is today involved in the politics of Europe. Prof. Dr. Heinz Rieter, University of Hamburg (Economics) does research on the history of economic science.

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Leseprobe

I.   Die englischen Klassiker in ihrer Zeit


 

 

1.         Wen wir zu den englischen Klassikern rechnen


Als Vertreter der englischen Klassik sind Adam Smith, Thomas Robert Malthus, David Ricardo und John Stuart Mill ausgewählt worden. Für diese Auswahl sprechen zwei Gründe: Der begrenzte Raum zwingt zur Konzentration auf Leitfiguren; der Aufstieg der Nationalökonomie zur Wissenschaft begann mit Adam Smiths »Wealth of Nations« und fand seinen Abschluss in John Stuart Mills »Principles of Political Economy«. Vorläufer und Zeitgenossen wie David Hume und Nassau W. Senior sind einbezogen, wenn sie Grundlegendes zum Ideengut der Klassiker beitrugen.

Im Folgenden skizzieren wir Lebenslauf und Lebensumstände der Klassiker und das, was sie ihren Zeitgenossen sagen wollten. Sie sollen dadurch für den Leser Profil gewinnen und diesen so für ihre Botschaft aufschließen. Aus Raumgründen wird nur Smiths Leben und Werk ausführlicher gewürdigt.

Die Klassiker waren ein »buntes Völkchen«:

•  Adam Smith lehrte an den Universitäten Edinburgh und Glasgow, war Reisebegleiter des Herzogs von Buccleuch; die danach gewährte Rente ermöglichte Smith, die Fron des Hochschullehrers abzuwerfen und sich ganz der Fertigstellung des »Wohlstands« zu widmen; den Lebensabend verbrachte er als Nutznießer einer Sinekure;1

•  Thomas Robert Malthus war Pfarrer, schrieb einen provozierenden Essay zur Bevölkerungsentwicklung, kam so zur Nationalökonomie und wurde auf einen Lehrstuhl für Geschichte und Nationalökonomie berufen; damit war er der erste »professionelle« Nationalökonom, d. h. der erste, der von der Nationalökonomie lebte;

•  sein sieben Jahre jüngerer Freund und Widerpart, David Ricardo, Sohn jüdischer Einwanderer aus Holland, verdiente sich seine ersten Sporen und sein Vermögen an der Börse, betrieb nationalökonomische Studien, nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte; im britischen Unterhaus war er ein allseits anerkannter Sachverständiger;

•  John Stuart Mill, Sohn des mit Ricardo befreundeten James Mill und Opfer dessen pädagogischer Experimentierwut, war leitender Mitarbeiter in der Verwaltung der East India Company; er steuerte neben seiner nationalökonomischen Forschung auf den Gebieten der Logik, Soziologie, Sozialphilosophie und der Staatslehre wegweisende Arbeiten bei; er liebäugelte mit sozialistischen Ideen; seinem Gastspiel im britischen Unterhaus war kein Glück beschieden.

Die Klassiker hatten auch eine unterschiedliche politische Heimat2: David Hume, der wichtigste Wegbereiter, war ein Tory (Konservativer); Adam Smith und Thomas Robert Malthus waren Whigs (Liberale); Ricardo und John Stuart Mill fühlten sich den »Philosophical Radicals« verbunden, einem literarischen Kreis um Jeremy Bentham.3 Die Klassiker verband jedoch ein gemeinsames Interesse an wirtschaftlicher Reform, das sich nicht so sehr in gemeinschaftlicher Unterstützung bestimmter Maßnahmen äußerte, sondern stärker in dem Glauben, dass die Anwendung gewisser Methoden der jüngst entdeckten Wissenschaft, der Politischen Ökonomie, berechtigtere Hoffnungen böte für das, was sie Besserung genannt haben würden.4 Sie teilten auch die Auffassung, dass es nicht Aufgabe der staatlichen Obrigkeit sei, für gesellschaftliche Harmonie zu sorgen. Sie vertraten jedoch keinen »Laissez-faire«-Standpunkt;5 sie hielten es für die Gesellschaft insgesamt für vorteilhaft, es dem Menschen innerhalb eines kunstvollen institutionellen Geflechts, das sich im Zeitverlauf für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder und für die Gesellschaft insgesamt als vorteilhaft herauskristallisiert habe, freizustellen, ihren eigenen Interessen nachzugehen. Innerhalb dieses Rahmens blieb der jeweiligen Regierung genug zu tun.

2.         Smiths frohe Botschaft: Ihr könnt es schaffen!


a)         Lebenslauf und Einflüsse


Joseph Schumpeter hat den Nationalökonomen Adam Smith nicht gemocht. Adam Smiths Hauptwerk, der »Wealth of Nations«6, enthielt nach seiner Meinung kein einziges neues analytisches Element.7 In der Tat fand Smith die Bausteine für sein System vor. Aber niemand, der den »Wohlstand« vorurteilsfrei auf sich wirken lässt, wird leugnen, dass hier eine neue Melodie erklingt. Jeder Komponist bedient sich allgemein bekannter Noten und Techniken und schafft doch noch nie Dagewesenes.8

Der »Wohlstand« lehrte die Menschen verstehen, warum die Dinge so waren, wie sie waren, und was man ändern könnte und müsste, um den Wohlstand der Nation zu heben und damit gerade den Ärmsten, den »labouring poor«, zu helfen. Der »Wohlstand« leitete ein umfangreiches reformerisches Gesetzgebungswerk ein und war für alle nachfolgenden Nationalökonomen eine unerschöpfliche Quelle wissenschaftlicher Inspiration und Auseinandersetzung.

Adam Smith führte ein geordnetes Leben.9 Geboren wurde er am 5. Juni 1723 in Kirkcaldy, einer kleinen schottischen Seehandelsstadt. Abgesehen von einem dramatischen Zwischenspiel – Zigeuner hatten den sechsjährigen Adam in einem Pferdekarren entführt, sein Onkel ritt im Galopp hinterher und befreite ihn – verlief seine Jugend ruhig. Bereits als Vierzehnjähriger bezog er die Universität Glasgow, wo er vor allem den Moralphilosophen Francis Hutcheson hörte, dessen Ethik und Naturrechtslehre ihn prägten. Im Jahre 1740 erhielt er ein gut dotiertes Stipendium der Universität Oxford. Dort hielt er sich jedoch mangels geeigneter Lehrer vornehmlich in der Bibliothek auf und vertiefte sich in alte Sprachen, Literatur und Philosophie. Dies verschaffte ihm die universelle Bildung, die es ihm ermöglichte, mit leichter Hand ökonomische Probleme seiner Zeit zum Beispiel mittels detaillierter Kenntnisse aus der Antike zu erhellen.

Nach Abschluss seines Studiums durch die Promotion zum Bachelor of Arts im Jahre 1746 verbrachte er zunächst zwei Jahre im heimatlichen Kirkcaldy, hielt dann an der Universität Edinburgh – aber außerhalb des normalen Vorlesungskanons – Vorlesungen über englische Literatur und Ästhetik (!), später auch über Politische Ökonomie. Er machte sich einen Namen und wurde im Januar 1750 zum Professor für Logik an der Universität Glasgow gewählt. Kurz darauf tauschte er diesen Lehrstuhl mit dem für Moralphilosophie und wurde damit Nachfolger seines Lehrers Hutcheson. Er las über Moralphilosophie (natürliche Theologie, Ethik, Naturrechtslehre sowie Politik), Logik (einschließlich Rhetorik) und Metaphysik (einschließlich Psychologie). Die Frucht dieser Vorlesungsreihe legte er der Öffentlichkeit im Jahre 1759 in der »Theory of Moral Sentiments« vor. Diese Veröffentlichung rückte ihn in die erste Reihe der zeitgenössischen Schriftsteller.

Smith befasste sich immer stärker mit Politischer Ökonomie, die er durch Fühlungnahme mit Praktikern in der Glasgow Economic Society anzureichern und zu vertiefen wusste. Womöglich haben ihm hier die Kaufleute nach Schluss des offiziellen Teils der Sitzungen der Gesellschaft über einem oder mehreren Gläsern Wein verraten, was sie mit den Preisen anstellten, wenn sie sich ungezwungen zum Frühstück trafen.10 In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit David Hume, aus der sich ein reger brieflicher und mündlicher Gedankenaustausch und eine herzliche Freundschaft entwickelten, die bis zum Tode Humes (1776) anhielt.

Eine Wendung in Smiths Leben ist sein Entschluss, der Universität den Rücken zu kehren und ein Angebot des Herzogs von Buccleuch anzunehmen, ihn bei seiner Reise auf den alten Kontinent zu begleiten. Zweierlei reizte Smith wohl an diesem Angebot: die Chance, die eigene Weltsicht in der Konfrontation mit dem Geist auf dem Kontinent zu erproben, und die großzügige Dotierung in Form einer nach Ende der Reisebegleitung ausgesetzten Lebensrente in Höhe von 300 £ jährlich, was einer Verdoppelung seines Professorengehaltes gleichkam.

Auf diesen Reisen lernte Smith die führenden Geister der französischen Aufklärung kennen. In den Begegnungen und Gesprächen ist Smith wahrscheinlich mehr Nehmender als Gebender gewesen – so jedenfalls die von Rae mitgeteilte Anekdote: Du Pont de Nemours, neben Mirabeau eifrigster Propagandist physiokratischer Ideen, habe J. B. Say mitgeteilt, dass man Smith häufig in physiokratischen Zirkeln angetroffen und für einen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Vorwort6
Inhaltsverzeichnis10
EINLEITUNG:WARUM DIE BESCHÄFTIGUNG MITDEN ENGLISCHEN KLASSIKERN LOHNT!14
I. Die englischen Klassiker in ihrer Zeit16
1. Wen wir zu den englischen Klassikern rechnen16
2. Smiths frohe Botschaft: Ihr könnt es schaffen!17
3. Malthus‘ und Ricardos düstere Welt: Ihr könnt es nicht ändern!22
4. Mills Botschaft: Ihr könnt es ändern!28
II. Die Ordnungselemente des Systems der natürlichen Freiheit34
1. Die Grundidee: Die Steuerung menschlichen Verhaltens durch das institutionelle Arrangement34
2. Privateigentum – von der naturrechtlichen zur utilitaristischen Interpretation36
3. ›Trial and error‹ als ordnungspolitisches Prinzip39
III. Die Aufgaben des Staates und deren Finanzierung45
1. Smiths Politikerbild45
2. Die Felder staatlicher Tätigkeit47
3. Die Finanzierung der Staatstätigkeit53
IV. Die klassische Wert- und Preislehre63
1. Die neue Perspektive63
2. Auf der Suche nach dem »wahren Maßstab« zur Ordnung des Güterkosmos63
3. Malthus‘ und Mills abweichende Auffassung70
4. Allokation und Arbitragegleichgewicht71
V. Die unterschiedlichen verteilungstheoretischen Perspektiven der englischen Klassiker76
1. Smiths optimistische Perspektive76
2. Malthus‘ Bevölkerungsgesetz, Änderung der Verteilungsquoten und Stagnation80
3. Die Irritationen der Lohnfondstheorie83
VI. Utilitaristische Ethik, gesellschaftliche Wohlfahrt und Außenhandel89
1. Vorurteile89
2. Utilitaristische Ethik und gesellschaftliche Wohlfahrt90
3. Umverteilung und Kapitalbildung94
4. Die Einstellung gegenüber den Fabrikgesetzen96
5. Über Freihandel zur gesellschaftlichen Wohlfahrtssteigerung97
VII. Zins, Wachstum und Konjunktur104
1. Zins als Entgelt für Abstinenz104
2. Das »Sparen-gleich-Investieren-Theorem«107
3. Die Vorstellung einer gleichgewichtigen wirtschaftlichen Entwicklung108
4. Wachstum – wozu?113
VIII. Von der Zettelbank zur Zentralbank117
1. Geld als reales Phänomen117
2. Die theoretischen Positionen120
3. Der ›Bank Restriction Act‹ von 1797 und die »Bullion-Kontroverse«124
IX. Bemerkungen zum methodischen Vorgehen der englischen Klassiker130
1. Wenig Neigung zur Methodologie130
2. Smiths Modell der arbeitsteiligen Tauschgesellschaft131
3. Ricardos klare Welt und sein »Laster«132
4. Malthus‘ unsicherer Stand136
5. Mill ist auf Malthus‘ Seite138
Heinz Rieter: Deutungsmuster Klassischer Nationalökonomie141
Literaturverzeichnis165
Personenregister173
Sachregister177

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