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E-Book

Gesprächspsychotherapie

Verändern durch Verstehen

AutorEva-Maria Biermann-Ratjen, Hans-Joachim Schwartz, Jochen Eckert
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783170294141
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
This book presents an introduction to the client-centred psychotherapy developed by Carl Rogers. Many elements of this have found their way into other treatment approaches, but they often undergo a considerable change of meaning in the process. The elements include a positive view of human beings, resource orientation and the outstanding importance given to the therapeutic relationship. This tenth edition therefore once again emphasizes the presentation of the original conception of client-centred psychotherapy, concentrating on the therapeutically effective relationship in which clients feel that they are being accepted in their experience of themselves, sympathetically understood and not evaluated.

Dipl.-Psych. Eva-Maria Biermann-Ratjen, a clinical psychologist, is a former lecturer in the Department of Psychiatry at Hamburg-Eppendorf University Hospital. Dr. Jochen Eckert formerly taught at Psychology Institute III at the University of Hamburg. Emeritus Professor Hans-Joachim Schwartz formerly taught in the Department of Social Sciences at the College of Higher Education in Braunschweig/Wolfenbüttel.

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Leseprobe

Kapitel II Vergleich des Beziehungsangebotes Gesprächspsychotherapie mit anderen Formen psychotherapeutischer Einflussnahme


 

 

In diesem Kapitel wollen wir die Gesprächspsychotherapie mit der psychoanalytischen und der Verhaltenstherapie vergleichen. Das Ziel dieses Vergleichs ist eine Verdeutlichung dessen, was die Gesprächspsychotherapie ausmacht. Wir beschreiben die beiden anderen Therapieformen nicht um ihrer selbst willen und auch nicht umfassend, sondern nur als einen Hintergrund, vor dem die Gesprächspsychotherapie deutlich werden soll.

1.    Bei einem Vergleich der »Technik« des Therapeuten in der Gesprächspsychotherapie und in der Psychoanalyse werden wir herausarbeiten, dass ein wesentliches Merkmal der Gesprächspsychotherapie darin zu sehen ist, dass der Klientenzentrierte Therapeut seine Aufmerksamkeit auf die »unbedingte Wertschätzung« richtet, die er seinem Klienten gegenüber fühlt – oder manchmal auch nicht fühlt. Bei einem Vergleich der Modelle der Gesprächspsychotherapie und der Psychoanalyse werden wir herausarbeiten, dass sich die Gesprächspsychotherapie ursprünglich mit einem Therapieprozessmodell vorgestellt hat, während die Psychoanalyse zunächst schwerpunktmäßig ein entwicklungspsychologisches und psychopathologisches Modell war.

2.    In diesem Zusammenhang werden wir einen Vergleich von Gesprächspsychotherapie und Psychoanalyse aus psychoanalytischer Sicht referieren und die in diesem Vergleich enthaltene Relativierung der Gesprächspsychotherapie zurückweisen.

3.    Wir werden dann darlegen, dass auch die psychoanalytische Forschung zunehmend das Gewicht auf die Erforschung des Therapieprozesses legt und innerhalb dieses Prozesses auf die therapeutische »Beziehung«.

4.    Wir werden sodann Verhaltenstherapie und Gesprächspsychotherapie miteinander vergleichen und den nondirektiven Standpunkt der Gesprächspsychotherapie vor dem Hintergrund des direktiven Standpunktes der Verhaltenstherapie verdeutlichen. Ein Vergleich der Definition der sog. Therapeutenvariablen in Gesprächspsychotherapie und Verhaltenstherapie soll in diesem Zusammenhang verdeutlichen, dass in der Gesprächspsychotherapie Bedingungen für die Entwicklung eines therapeutischen Prozesses formuliert worden sind und nicht »Kernvariablen« im Sinne technischer Handlungsanweisungen an den Therapeuten.

5.    Wir schließen das Kapitel ab mit Überlegungen bezüglich der Möglichkeiten Klientenzentrierter vergleichender Psychotherapieforschung.

1          Vergleich der »Ratschläge« für den Therapeuten bei der gesprächspsychotherapeutischen und bei der psychoanalytischen Behandlung


Rogers hat in seinem viel zitierten und im ersten Kapitel dieses Buches ausführlich dargestellten Artikel von 1957 die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Persönlichkeitsveränderung durch Psychotherapie beschrieben (»The necessary and sufficient conditions of therapeutic personality change«) und nicht etwa die notwendigen und hinreichenden Bedingungen einer Persönlichkeitsveränderung durch Gesprächspsychotherapie. Er hat sich gefragt: Ist es möglich, in klar definierbaren und messbaren (»operationalisierbaren« würden wir heute sagen) Begriffen die psychologischen Voraussetzungen zu erfassen, die notwendig und hinreichend sind, konstruktive, d. h. Struktur verbessernde Persönlichkeitsveränderungen durch Psychotherapie hervorzubringen. Sodann hat er ausführlich beschrieben, dass er aus der eigenen klinischen Erfahrung und der seiner Kollegen unter Berücksichtigung der damals vorliegenden Forschungsergebnisse verschiedene Bedingungen herauskristallisieren konnte, die notwendig sind, eine konstruktive Persönlichkeitsveränderung anzustoßen, und die zusammengenommen hinreichend sind, diesen Prozess in Gang zu halten.

An dieser Stelle sollen die sechs Bedingungen für eine konstruktive Persönlichkeitsveränderung durch Psychotherapie ( Kap. I) wiederholt werden:

1.    Zwei Menschen nehmen eine Beziehung zueinander auf.

2.    Der eine dieser beiden Menschen, der Klient, ist mit sich selbst uneins und verletzlich, in einem Zustand der Inkongruenz, d. h., beschäftigt mit einem Erleben, das nicht zu seinem Selbstbild passt. Dieser Inkongruenz muss er sich nicht bewusst sein.

3.    Der andere Mensch, der Therapeut, ist, was diese seine konkrete Beziehung zum Klienten anbelangt, in einem Zustand von Kongruenz, d. h., er könnte sich erlauben, sich seines gesamten Erlebens in dieser Beziehung bewusst zu werden.

4.    Der Therapeut erlebt sich unter allen Umständen, die der Klient ihm bereitet, diesem gegenüber bedingungslos annehmend zugewandt (experiencing unconditional positive regard), unbedingt wertschätzend.

5.    Der Therapeut erfährt auf dem Wege der Einfühlung den Inneren Bezugsrahmen des Klienten und teilt dem Klienten diese Erfahrung mit.

6.    Die Mitteilung dieses einfühlenden Verstehens und der annehmenden Zugewandtheit zum Erleben des Klienten gelingt zumindest in einem gewissen Grade, d. h., kommt auch beim Klienten zumindest in Ansätzen an.

Rogers beschreibt in diesen Bedingungen den behandlungsbedürftigen und behandelbaren Klienten und den effektiven Psychotherapeuten, d. h. genauer: die Beziehung, die der je eine zum eigenen Erleben und zum Erleben des je anderen herstellen kann.

Freud hat 1912 »Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung« erteilt. Noch 1974 meinen Gertrude und Rubin Blanck (1978/1974) in ihrem Buch »Angewandte Ichpsychologie«, es gäbe keine bessere Literatur zur Beschreibung der »Mittel, die dem Therapeuten zur Verfügung stehen« (S. 164), als diese Ratschläge Freuds. Wir wollen sie deshalb hier darstellen und mit den »therapeutischen Mitteln«, die Rogers abstrahiert hat, vergleichen.

Freud leitet seinen Artikel so ein: »Die technischen Regeln, die ich hier in Vorschlag bringe, haben sich mir aus der lang jährigen Erfahrung ergeben, nachdem ich durch eigenen Schaden von der Verfolgung anderer Wege zurückgekommen war« (Freud, 1912, GW VIII, S. 376). Die Regeln lauten:

… sich nichts Besonderes merken zu wollen und allem, was man zu hören bekommt, die nämliche gleichschwebende Aufmerksamkeit … entgegenzubringen … Sowie man nämlich seine Aufmerksamkeit absichtlich bis zu einer gewissen Höhe anspannt, beginnt man auch unter dem dargebotenen Materiale auszuwählen, man fixiert das eine Stück besonders scharf, eliminiert dafür ein anderes und folgt bei dieser Auswahl seinen Erwartungen oder seinen Neigungen. Gerade dies darf man aber nicht … Man höre zu und kümmere sich nicht darum, ob man sich etwas merke (a. a. O., S. 377 f.).

Irrtümer im Erinnern, vermutet Freud, ergeben sich nur dann, wenn der Arzt durch eigene Neigungen oder Erwartungen gestört wird beim vorurteilsfreien Hinhören.

Man sollte auch nicht während der Sitzungen etwas aufschreiben, denn »Man trifft notgedrungen eine schädliche Auswahl aus dem Stoffe, während man nachschreibt oder stenografiert, und man bindet ein Stück seiner eigenen Geistestätigkeit …« (S. 379);

Es gelingen jene Fälle am besten, bei denen man wie absichtslos verfährt, sich von jeder Wendung überraschen lässt, und denen man immer wieder unbefangen und voraussetzungslos entgegentritt. Das richtige Verhalten für den Analytiker wird darin bestehen, sich aus der einen psychischen Einstellung nach Bedarf in die andere zu schwingen, nicht zu spekulieren und zu grübeln, solange er analysiert, und erst dann das gewonnene Material der synthetischen Denkarbeit zu unterziehen, nachdem die Analyse abgeschlossen ist. (…) Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen (a. a. O., S. 380 f.).

Insbesondere warnt Freud vor der Affektstrebung »therapeutischer Ehrgeiz«: »Ein alter Chirurg hatte zu seinem Wahlspruch die Worte genommen: Je le pansai, Dieu le guérit (ich habe nur die Wunden verbunden, Gott hat sie geheilt). Mit etwas ähnlichem sollte sich der Analytiker...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Inhalt6
Einleitung zur 10. Auflage10
Kapitel I Das gesprächspsychotherapeutische Beziehungsangebot14
1 Die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für den psychotherapeutischen Prozess15
2 Die Definition des gesprächspsychotherapeutischen Beziehungsangebotes18
2.1 Empathie18
2.2 Unbedingte Wertschätzung/Bedingungsfreie positive Beachtung23
2.3 Kongruenz30
3 Kapitel-Zusammenfassung36
Kapitel II Vergleich des Beziehungsangebotes Gesprächspsychotherapie mit anderen Formen psychotherapeutischer Einflussnahme38
1 Vergleich der »Ratschläge« für den Therapeuten bei der gesprächspsychotherapeutischen und bei der psychoanalytischen Behandlung39
2 Vergleich von Gesprächspsychotherapie und Psychoanalyse aus psychoanalytischer Sicht44
3 Vergleich des Forschungsansatzes von Rogers mit der psychoanalytischen Therapieforschung46
4 Vergleich des direktiven Standpunktes der Verhaltenstherapie mit dem nondirektiven der Gesprächspsychotherapie49
5 Konsequenzen für die Gesprächspsychotherapie und die vergleichende Psychotherapieforschung55
6 Das Fremdbild der Gesprächspsychotherapie: Wie stellen psychiatrisch, psychoanalytisch und verhaltenstherapeutisch orientierte Autoren die Gesprächspsychotherapie dar?56
Kapitel III Wissenschaftliche Prüfungen des Klientenzentrierten Konzepts und der Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie62
1 Möglichkeiten und Grenzen empirischer Psychotherapieforschung63
1.1 Auswirkungen der empirisch-wissenschaftlichen Forschung auf die Praxis63
1.2 Die sog. Variablenforschung – ein Forschungsansatz, der seinem Gegenstand nicht gerecht wird65
2 Auf dem Wege zu einem angemessenen wissenschaftstheoretischen Verständnis des Klientenzentrierten Konzepts und der Gesprächspsychotherapie69
2.1 Zur notwendigen Unterscheidung von vier Abstraktionsebenen im Rahmen des Klientenzentrierten Konzepts69
2.2 Das Klientenzentrierte Konzept aus systemischer Sichtweise73
3 Empirisch-wissenschaftliche Nachweise der Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie74
3.1 Ergebnisse empirischer Prüfungen der generellen Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie75
3.2 Ergebnisse empirischer Prüfungen der differentiellen Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie76
4 Die Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie dargestellt auf der Grundlage von neueren Metaanalysen83
5 Zur Ablehnung der sozialrechtlichen Anerkennung der Gesprächspsychotherapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)87
6 Wodurch wirkt Gesprächspsychotherapie?89
7 Kapitel-Zusammenfassung93
Kapitel IV Das Entwicklungs- und Störungsmodell des Klientenzentrierten Konzepts95
1 Das Psychotherapiemodell95
2 Das Modell der psychischen Entwicklung im Rahmen des Klientenzentrierten Konzepts98
3 Das Klientenzentrierte Konzept der psychischen Entwicklung aus der Sicht der modernen Naturwissenschaften107
3.1 Der sich selbst aktualisierende Organismus108
3.2 Die Selbstaktualisierungstendenz und das »need for positive regard«110
3.3 Kongruenz/Inkongruenz111
4 Zur Entwicklung von mehr oder weniger »frühen« Störungen113
5 Das Krankheitsmodell des Klientenzentrierten Konzepts dargestellt am Beispiel der Psychogenese der neurotischen Störungen118
6 Abschließende Bemerkungen126
Kapitel V Der »Innere Bezugsrahmen«128
1 Die Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte unter besonderer Berücksichtigung des Inneren Bezugsrahmens128
2 Die Entwicklung der Selbstexploration im Therapieprozess. Ein Fallbeispiel131
3 Die Berücksichtigung der Bewertung von Erfahrung durch den Therapeuten: Rogers’ Gespräch mit Gloria145
4 Die Beziehung des Klienten zu seiner Erfahrung und zum Therapeuten – Fallvignetten154
5 Die Abbildung des Inneren Bezugsrahmens im Interpersonalen Modell164
6 Kapitel-Zusammenfassung166
Kapitel VI Indikation und Prognose168
1 Zur Notwendigkeit der Indikationsstellung168
2 Die Geschichte der Indikationsfrage in der Gesprächspsychotherapie170
3 Die Indikation für Gesprächspsychotherapie auf der Grundlage des Klientenzentrierten Konzepts173
3.1 Die Bedeutung der Art der Störung, der Art der therapeutischen Intervention, der Art der Therapieziele und der Persönlichkeit von Klient und Therapeut für die Indikationsstellung im Rahmen des Klientenzentrierten Konzepts173
3.2 Die Indikationskriterien für eine Gesprächspsychotherapie176
3.3 Zusammenfassung176
4 Auf der Suche nach empirisch fundierten Merkmalen für Indikation und Prognose177
4.1 Indikation und Prognose auf der Grundlage von psychopathologischen Klassifikationen178
4.2 Indikation und Prognose auf der Grundlage von psychologischen Tests und Ratingverfahren (Fremdeinschätzungen)179
4.3 Indikation und Prognose auf der Grundlage der Beurteilung des therapeutischen Beziehungsangebotes durch den Klienten182
4.4 Zum Einsatz von Klienten-Erfahrungsbögen in der therapeutischen Praxis183
5 Das Indikationsprofil der Gesprächspsychotherapie185
6 Indikation für Gesprächspsychotherapie vor dem Hintergrund der sog. Indikationsmodelle191
7 Differentielle Indikation für Gesprächspsychotherapie193
8 Kapitel-Zusammenfassung197
Kapitel VII Gesprächspsychotherapie in der Praxis199
1 Indikation und Prognose in der Einzeltherapie200
1.1 Indikationsstellung: Erstinterview200
1.2 Differentielle Indikation in der Praxis210
2 Wahl des therapeutischen Settings: Einzel-, Gruppen- oder Paartherapie?215
2.1 Problemaktivierung als Kriterium für die Wahl des Settings216
2.2 Das Kriterium der Ansprechbarkeit für das therapeutische Setting217
3 Dauer und Frequenz von Gesprächspsychotherapie218
3.1 Behandlungsumfang (Anzahl der Therapiesitzungen)219
3.2 Frequenz und Dauer von Gesprächspsychotherapien226
Kapitel VIII Das Klientenzentrierte Konzept in der sozialen Arbeit (Beratung)227
1 Die Attraktivität des Klientenzentrierten Konzepts für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen228
2 Zur Unterscheidung von Beratung und Psychotherapie230
3 Zur Verwendbarkeit des Klientenzentrierten Konzepts in der sozialen Arbeit233
4 Entwicklung der Klientenzentrierten Gesprächsführung und der Personzentrierten Beratung244
4.1 Entwicklung der Klientenzentrierten Gesprächsführung244
4.2 Weiterentwicklung der Personzentrierten Beratung246
5 Zusammenfassung248
Anhang250
I Skalen zur Erfassung von Klienten- und Therapeutenverhalten250
II Der Bielefelder Klientenerfahrungsbogen (BIKEB)254
III Der Gruppen-Erfahrungsbogen (GEB)258
Literatur263
Sachwortverzeichnis282

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