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Resonanz

Eine Soziologie der Weltbeziehung

AutorHartmut Rosa
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl815 Seiten
ISBN9783518742853
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung. So lautet die Kernthese dieses gefeierten Buches von Hartmut Rosa, das als Gründungsdokument einer Soziologie des guten Lebens gelesen werden kann. Anstatt Lebensqualität in der Währung von Ressourcen, Optionen und Glücksmomenten zu messen, müssen wir unseren Blick auf die Beziehung zur Welt richten, die dieses Leben prägt. Dass diese Beziehung immer häufiger gestört ist, hat viel mit der Steigerungslogik der Moderne zu tun, und zwar auf individueller wie kollektiver Ebene. Rosa nimmt die großen Krisen der Gegenwart in den Blick und weist einer resonanztheoretischen Erneuerung der Kritischen Theorie den Weg.



Hartmut Rosa, geboren 1965, ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Tractatus- Preis, den Erich-Fromm-Preis und den Paul Watzlawick Ehrenring.

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Leseprobe

I.
Einleitung


1. Die Soziologie, die Moderne und das gute Leben


Als explizites Thema fristen die Fragen nach dem Glück (als subjektiver Empfindung) und nach dem guten Leben (als objektiv bestimmbarer Lebensform) allenfalls ein Schattendasein in der Soziologie; sie kommen kaum je vor. Es gibt keine kanonisierbare Soziologie des guten Lebens, keine Glückssoziologie, die einen Anspruch darauf erheben könnte, eine ernstzunehmende Teildisziplin des Faches zu sein. Dafür gibt es sowohl fach- als auch gesellschaftsgeschichtliche Gründe.

Was die Fachgeschichte angeht, gilt es zu verstehen, dass die Soziologie sich in ihrer disziplinären Entstehungszeit um 1900 herum nur etablieren konnte, indem sie sich von der Philosophie einerseits und von der Psychologie andererseits abzugrenzen verstand. Die Frage nach dem guten Leben fiel diesem Abgrenzungsbemühen gleich doppelt zum Opfer: Die Suche nach dem Wahren, vor allem aber nach dem Guten und Schönen – und den Kriterien dafür – verblieb im Zuständigkeitsbereich der Philosophie; die Soziologie konnte sich durch diesen Zug nicht nur disziplinär abgrenzen, sondern zugleich von ohnehin kaum je einzulösenden normativen Begründungspflichten entlasten. Auf der anderen Seite aber wurde die Analyse subjektiver Empfindungen und (individueller) psychischer Zustände, zu denen Glück und Unglück zählen, begreiflicherweise dem Gebiet der Psychologie zugeschlagen. Die Soziologie wurde dadurch frei, sich auf die ›objektiven‹ Ursachen und Folgen des Handelns und die Analyse sozialer Makrostrukturen zu konzentrieren, wobei sie sich eine tiefgreifende Skepsis gegenüber dem Anspruch auf wissenschaftliche Validität im Blick auf die Ergebnisse der beiden Nachbardisziplinen bewahrte: Subjektive Absichten, Deutungen und Empfindungen gelten der Mainstream-Soziologie als untaugliche Wegweiser für die Erklärung sozialer Prozesse und Verhältnisse, und der Bezug auf die der Philosophie entlehnten normativen Maßstäbe für die Beurteilung sozialer Verhältnisse gilt ihr als unseriöse, politisch motivierte Stellungnahme.

An dieser Stelle kommt die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Moderne als ganze ins Spiel: Moderne westliche Gesellschaften sind gekennzeichnet durch einen unhintergehbaren ethischen Pluralismus und Individualismus. Anders als etwa in der Antike, im scholastisch geprägten christlichen Mittelalter oder auch in den meisten uns bekannten vormodernen Kulturen haben sie in ihrer konstitutiven theoretischen und praktischen Selbstdeutung die Vorstellung des Menschen als eines auf ein bestimmtes Lebensziel, ein Telos, hin angelegtes Lebewesen radikal aufgegeben. Stattdessen gilt uns der Mensch als ein mit Potentialen und Neigungen, Bedürfnissen und Wünschen ausgestattetes Tier, das mit Blick auf die Frage, was es aus diesen Anlagen macht, welche Potentiale oder Bedürfnisse wozu entfaltet werden und welche Wünsche sich entwickeln und verfolgt werden, als radikal offen gelten muss. Daher basieren moderne Gesellschaften westlichen Typs in ihrem kulturellen Selbstverständnis nicht auf der Idee bestimmter (Glücks-)Ziele menschlichen Lebens, sondern auf der Vorstellung mehr oder minder unveräußerlicher (Menschen-)Rechte, die jener Offenheit Rechnung tragen sollen. Subjekte verwirklichen, ja konstituieren sich dabei immer erst in historisch und kulturell bestimmten Kontexten; es gibt keine a priori richtige oder falsche Form des Lebens und mithin auch keine a priori bestimmbare Form des guten Lebens und des Glücks.

Die daraus resultierende Konsequenz der Privatisierung des Guten, die wir alltagspraktisch überall dort reifizieren, wo wir bekräftigen, dass jeder und jede (für sich) selbst wissen muss, was er oder sie aus sich und ihrem Leben machen will, hat zwar ihren entscheidenden Impuls durchaus in der Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert erhalten – einen paradigmatischen Ausdruck findet der Anspruch auf Autonomie in diesem Sinne in dem 1776 in der amerikanischen Revolution formulierten Kernsatz vom »pursuit of happiness« als unveräußerlichem individuellem Recht, als imperativem Anspruch, aber etwa auch in Immanuel Kants Vorschlägen zur praktischen Vernunft oder in Schillers Überlegungen zur ästhetischen Erziehung des Menschen –, sie geht aber keineswegs unmittelbar aus der Aufklärung selbst hervor. Denn diese – so heterogen, widersprüchlich und komplex ihre Vorstellungen auch sein mögen – etablierte zwar nach und nach die Idee der selbstbestimmten Lebensführung als politisch und pädagogisch, religiös und ästhetisch, ökonomisch und alltagspraktisch kulturwirksamen Maßstab, ergänzte ihn aber in der Regel um die Vorstellung, dass Vernunft, Natur und das (politische) Gemeinwohl dann doch für eine ›natürliche‹ Begrenzung der durch das Selbstbestimmungsideal eröffneten Spielräume und damit für eine wenigstens in den Grundzügen verallgemeinerbare, sozialverträgliche Lebensführung und Glücksvorstellung sorgen werde.[1]

Im Laufe des 19., vor allem jedoch des 20. Jahrhunderts dehnt sich dann einerseits der Selbstbestimmungsanspruch auf immer mehr Lebenssphären aus, während andererseits die Vorstellung, dass Vernunft, Natur oder Gemeinschaft ihm substantielle oder essentielle Grenzen zu setzen vermögen, an Plausibilität und Geltungskraft verliert. Zugleich bilden sich nach und nach die institutionellen Sphären der Gesellschaft so um, dass sie auf autonom handlungsfähige Akteure angewiesen sind: Vom Bildungssystem über das Berufswesen, vom Supermarkt bis zur Parteiendemokratie, von der religiösen Verfassung über den Kunstmarkt bis zur Mediennutzung sind nach je individuellen Präferenzen handlungs- und entscheidungsfähige Subjekte zu einem funktionalen Erfordernis moderner Institutionen geworden.[2] Dabei ist es an dieser Stelle unerheblich, inwieweit die Grundprinzipien funktionaler Differenzierung oder die aus der Kapitalzirkulation sich ergebenden sozioökonomischen Imperative die moderne Autonomiekonzeption erzwungen oder begünstigt haben und wie sehr umgekehrt die Durchsetzung funktionaler Differenzierung und kapitalistischer Wirtschaftssysteme von der dominanten Selbstdeutung der Moderne profitierten.[3] Offensichtlich ist, dass jene Strukturmerkmale dynamischer Stabilisierung und diese kulturelle Verfassung sich wechselseitig begünstigt und befördert haben, so dass es heute keiner weitschweifigen Darlegung mehr bedarf, um deutlich zu machen, wie weitreichend die Umstellung von den vormodernen, ständischen Zuteilungs- und Zuschreibungsmechanismen zum modernen Prinzip der Selbstbestimmung und der mit ihr verknüpften Konkurrenzlogik ist, wenn es um die Frage der Lebensführung geht.

Ethische Autonomie meint Selbstbestimmung in materiellen, kulturellen und instrumentellen Belangen, das heißt im Hinblick auf Beruf, Partnerschaft und Familie ebenso wie in Fragen des Wohnorts, des Glaubens oder der politischen Orientierung; in Fragen der Bildung ebenso wie in Fragen der Kleidung oder des ästhetischen Geschmacks. Auch wenn nicht alle praktischen Ansprüche historisch gleichzeitig erhoben wurden – es müssen sich erst Parteien, warenförmige Kulturgüter und Bildungswege herausbilden, ehe man sich für oder gegen sie entscheiden kann –, folgt ihre Entfaltung doch einer gemeinsamen Entwicklungslogik, die in dem auf ethische Autonomie ausgerichteten Freiheitsanspruch gründet und an deren Ende heute Forderungen nicht nur nach sexueller, sondern tendenziell sogar nach genetischer Selbstbestimmung stehen. Wie zentral dieser Autonomiegedanke für die Kultur der Moderne ist, lässt sich auch daran ablesen, dass der politische Kampf des Bürgertums und des Liberalismus von Anfang an auf die Durchsetzung von Freiheits- und Abwehrrechten zielte, welche die autonome Selbstbestimmung in den genannten Sphären – etwa durch die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, der Freizügigkeit etc. – schützen und sichern sollten. Das Autonomieversprechen liegt darüber hinaus, wie wir gleich noch sehen werden, aber auch an der Wurzel der Attraktivität des Geldes in der Moderne: Über je mehr davon ein Subjekt verfügt, umso größer ist sein Gestaltungsspielraum; Geld sichert uns materialiter die Möglichkeit, unabhängig von den Umständen und den Meinungen der anderen zu bestimmen, wo wir wohnen, was wir essen oder anziehen, wohin wir reisen wollen etc. Geld und Recht werden damit zu den Basismedien der modernen Autonomiesicherung.

Gehen wir nun davon aus, dass menschliche Akteure nur dann handlungs- und entscheidungsfähig sind, wenn sie wenigstens implizit über eine Antwort auf die Frage nach dem guten Leben verfügen, welche ihnen die Such- und die Vermeidungsrichtung in ihrer Lebensführung anzeigt, und dass sie auf einer basalen psychologischen Ebene dazu tendieren, nach Glück im Sinne psychophysischen Wohlbefindens zu streben, dann zeichnet sich ab, dass dieser (implizite) Sinn für das Gute in der Moderne durch zwei kulturelle und zwei institutionelle Momente entscheidend bestimmt wird. Erstens, die Frage danach, was wir tun und wie wir leben sollen, lässt sich im Lichte des modernen Selbstverständnisses nicht a priori und ein für alle Mal beantworten oder an unserer Natur ablesen. Zweitens, über die Ziele ebenso wie...

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