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Abbazia

K. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria

AutorJohannes Sachslehner
VerlagStyria Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783990403488
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wer immer in österreichisch-ungarischen Landen an Fernweh litt und vom Süden träumte, dachte an Abbazia (Opatija). Abbazia - das war die klangvolle Metapher für die große Sehnsucht, für das kakanische Paradies schlechthin. Man schwärmte vom milden Klima Abbazias und von seiner Exklusivität, von seinen 'Strandseebädern'und Prachthotels, von seinen modernen Kuranstalten und luxuriösen Villen. Hier traf sich die vornehme Gesellschaft aus Wien, Prag und Budapest; man logierte im 'Quisisana' oder im 'Kronprinzessin Stephanie', promenierte am Strandweg nach Lovrana und dinierte im 'Adriaclub'. Gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial schildert Johannes Sachslehner in diesem reich illustrierten Band den Aufstieg Abbazias von der kleinen 'klimatischen Winterstation' der k. k. priv. Südbahn-Gesellschaft zum mondänen Seebad an der Österreichischen Riviera, einfühlsam zeichnet er das Bild einer versunkenen Zauberwelt

Johannes Sachslehner, geb. 1957 in Scheibbs, studierte an der Universität Wien Germanistik und Geschichte (Dr. phil.) und unterrichtete von 1982 bis 1985 an der Jagiellonen- Universität Krakau als Gastlektor für deutsche Sprache und Literatur, seit 1989 Verlagslektor. Zahlreiche Publikationen, zuletzt erschienen bei Styria Premium seine beiden Bände über die 'Schicksalsorte Österreichs' sowie '365 Schicksalstage Österreichs'.

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Leseprobe

EIN BRIGHTON IM SOMMER UND EIN CANNES IM WINTER


urch Jahrhunderte, ja, Jahrtausende war es das Land der Fischer und der Piraten gewesen. Nie hätte sich hier jemand freiwillig niedergelassen, nur um die Schönheit der Landschaft zu genießen. Liburnia hatten die Römer diesen Küstenstrich Illyriens genannt und seine Bewohner, die Liburnier, waren geschätzt für ihre Fertigkeit im Bau seetüchtiger Schiffe, gefürchtet für ihre Raubzüge über Meer. Eine ganze Kriegsflotte hatte das Imperium zur Unterwerfung der Liburnier in das Meer vor der istrischen Küste entsandt; einen Winter lang lagen die Galeeren im Hafen von Val Augusta (Mali Lošinj) und machten von hier aus Jagd auf die liburnischen Schiffe. Den Schauplatz dieser langwierigen Kämpfe bezeichnete man als Mare Quaternarium, das „aus vier Teilen bestehende Meer“, für dessen merkwürdig zerrissene Inselwelt die Römer im Mythos eine makabre Erklärung fanden: Medea, die mörderische Königstochter aus Kolchis, hätte auf der Flucht ihren Bruder Absyrtos zerstückelt, um so König Aetes, ihren Vater und Verfolger, aufzuhalten. Die einzelnen Gliedmaßen des armen Absyrtos lägen so noch immer verstreut im Meer: einen Schenkelknochen könne man in der Insel Cherso (Cres) erkennen, einen dünnen Armknochen in Lussin (Lošinj), Veglia (Krk) sei sein Schulterblatt gewesen und die Inseln Unie, Levrera und Sansego seien weitere Knöchelchen des Ermordeten. Die Eilande des Quarnero (heute: Kvarner) trugen daher in alter Zeit auch den Namen „Absyrtische Inseln“. Freilich gab es auch andere Erklärungsversuche: Eingedenk der zahlreichen Opfer, die schwere Stürme hier immer wieder unter den Seeleuten forderten, leiteten die Venezianer, jahrhundertelang Herrscher über den Quarnero, seinen Namen von italienisch carnivoro (= „der Fleischfressende) ab. Und nüchterne Interpreten aus dem Norden wollten noch später eine Verwandtschaft zu „Karst“ und „Kärnten“ erblicken – Quarnero hätte also seine Wurzel in kar, dem keltischen Wort für „Stein, Felsen“.

Wäschermädchen am Strand von Abbazia. Gemälde von Olga Wisinger-Florian.

© Giese & Schweiger, Kunsthandel Wien.

Die Mönche von St. Jakob. Algraphie von Stephanie Glax aus dem 1906 entstandenen Mappenwerk „Abbazia“.

Wie dem auch sei – die Liburnier unterwarfen sich schließlich im 2. Jahrhundert vor Christus den Römern und bauten nun Schiffe für ihre neuen Herren. Iulius Caesar und später die Feldherren der Kaiser fuhren auf ihnen gegen die Feinde Roms. Nach dem Untergang des Imperium Romanum, in den Stürmen der „Völkerwanderung“, verwandelte sich auch die Welt am Quarnero; der byzantinische Kaiser Heraklios erlaubte schließlich im 7. Jahrhundert die Landnahme durch das slawische Volk der Chrovati (Kroaten); das alte Liburnien fiel an das Patriarchat von Aquileja, das wiederum die Grafen von Duino als Lehensherren einsetzte. Doch 1372 kündigten die Grafen von Duino dem Patriarchen die Lehenspflicht auf und wandten sich neuen mächtigen Herren zu, die von nun an die Geschicke Istriens mitbestimmten: den Habsburgern.

Irgendwann zwischen 1422 und 1431 kamen Benediktinermönche aus der zerstörten friulanischen Abtei St. Peter in Rosazzo an den Quarnero und gründeten hier ein kleines Kloster, das sie Abbazia S. Giacomo al palo nannten, die „Abtei St. Jakob am Stöckchen“. Eine Urkunde aus dem Jahre 1449 erwähnt ein erstes Mal diese bescheidene Niederlassung des mächtigen Benediktinerordens im istrischen Küstenland, die bald schwer unter den häufigen Einfällen der Türken und Venezianer zu leiden hatte. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts verließen die Mönche des heiligen Benedikt das Kloster, das nun von Weltpriestern geführt wurde und der kleinen Ansiedlung, die rund um die Abtei herangewachsen war, ihren Namen gab. Ferdinand I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, schenkte San Giacomo 1560 den Augustinern von Fiume für „immerwährende Zeiten“, doch auch diese sollten zu Ende gehen: 1723 erwarben die Jesuiten des Fiumaner Seminars um 2.650 Gulden die Abtei im grünen Lorbeerwald; mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 und der Einziehung seiner Besitzungen wurde der größte Teil der Klostergründe an Private verkauft; den kleinen Rest verlieh man an den Archidiakon von Fiume, der sich nun auch „Abt von St. Jakob“ nennen durfte. Verbunden war diese Verleihung einzig mit der Auflage, dass der Archidiakon einen Priester zum Kirchendienst in Abbazia unterhalten müsse – es wurde still um das „ärmliche Kirchlein“ am Gestade der Adria.

EINE NEUE EPOCHE BEGINNT


Am Gang der Dinge auf diesem verträumten Flecken Erde ändert sich wenig – bis eines Tages der Holz- und Weizenhändler Higinio Scarpa (1794  1866) aus Fiume sich für das Terrain rund um die Abtei zu interessieren beginnt. Scarpa, Freimaurer und tüchtiger Geschäftsmann, zählt zu den Patriziern Fiumes und hat sich einen beachtlichen Wohlstand erarbeitet. Er will sein Geld sinnvoll investieren und kauft so zu Beginn der 1840er-Jahre einem gewissen Baron Haller von Hallerstein aus Triest in Abbazia ein Grundstück mit Gebäude ab, der Kaufpreis ist ein wahres Schnäppchen: Scarpa zahlt 700 Gulden für das gesamte riesige Areal – allein der heutige Park umfasst 3,64 Hektar. Er lässt das vorhandene kleine Gebäude, das Wohnsitz eines Abbazianer Seemanns namens Matija Justi ist, im Stil des späten Biedermeiers zur eleganten Sommerresidenz umbauen und nennt es nach seiner bereits 1832 verstorbenen Frau, einer geborenen Sartori, „Villa Angiolina“. Das Gebäude weist im oberen Stockwerk – im Unterschied zu heute – noch zwei offene Terrassen auf, von denen sich ein herrlicher Blick auf den Quarnero bietet.

Das Herrenhaus der Familie Scarpa: die Villa Angiolina.

Die besondere Aufmerksamkeit Scarpas gilt der Gestaltung des Parks, für den er zahlreiche exotische Pflanzen nach Istrien bringen lässt, darunter Magnolien, Libanonzedern, Himalayazypressen und die japanische Kamelie (Camelia japonica). Um mit seiner Jacht bequem unmittelbar vor dem Ort vor Anker gehen zu können, investiert Higinio Scarpa auch noch in den Ausbau des Hafens, genannt „Porto Herdt“ – eine Verballhornung des Wortes rt (= „Landzunge“). Der leutselige Unternehmer führt ein offenes Haus und lädt immer wieder Gäste ein, für die er sogar einen eigenen Pendelverkehr mit Zweispännern zwischen Abbazia und Fiume einrichtet. Seine glanzvollen Feste erfreuen sich in der Fiumaner Gesellschaft großer Beliebtheit und bald kann er sich spektakulärer Besuche rühmen: 1854 kommen der Banus von Kroatien, Josef Freiherr von Jellačić, und seine Frau; 1860 hält sich Kaiserin Maria Anna zur Kur in Abbazia auf – die Villa Angiolina wird zum beliebten Anlaufpunkt der Ersten Gesellschaft des Reichs und mit ihr rückt auch die Region am Quarnero allmählich immer deutlicher ins Blickfeld des österreichischen und ungarischen Adels. Noch ist Abbazia ein Geheimtipp, doch langsam beginnt das einst so verschlafene Fischerdorf sein Gesicht zu verändern: Gegen Ende der 1860er-Jahre werden erste private Hotels und Gästehäuser errichtet und die Zahl der Besucher steigt. Unter jenen nicht allzu vielen „Touristen“, die in dieser Zeit bereits den Weg in den österreichischen Süden finden, ist auch der bayrische Reiseschriftsteller Heinrich Noe (1835  1896). Auf seinen Wanderungen durch die Karstlandschaften Istriens und Dalmatiens kommt der polyglotte Münchner – angeblich kann er sich in 18 Sprachen verständigen – auch in das kleine Fischerdorf Abbazia und genießt hier die Gastfreundschaft der Familie Scarpa.

Im alten Hafen: Ein „Barcarole“ wartet auf Ausflügler. Foto, um 1885.

Scheitert an der Wiener Bürokratie: Georg Mathias Šporers visionäres „Programm“ aus dem Jahre 1872 zur Errichtung einer „Balnear und Inhalations Heilanstalt“ in Abbazia.

Paolo Ritter von Scarpa, „Gutsbesitzer, Besitzer mehrerer hoher Amten, Consul mehrerer Mächte, Patrizier und Gemeinderath von Fiume“, pflegt wie sein Vater  sorgfältig die gesellschaftlichen Verbindungen der Familie; 1855 heiratet er Maria von Bruck, die Tochter des angesehenen Wirtschaftsfachmanns Karl Ludwig von Bruck, der eben in diesem Jahr von Franz Joseph auf den Posten des Finanzministers berufen wird. Bruck, ein glühender Patriot, tatkräftiger Reformer und eifriger Verfechter des Culturfortschritts in allen Bereichen, wird 1860 durch ungerechtfertigte Anschuldigungen in den Selbstmord getrieben; sein Schwiegersohn trägt diesen unruhigen Geist jedoch weiter, seine große Vision: der Ausbau Abbazias zu einem Bade- und Kurort.1869 gründet Paolo von Scarpa eine Aktiengesellschaft, die „Elisabeth Bad Aktiengesellschaft“. Ihr Ziel es ist, in Abbazia ein maritimes „Badeinstitut“, das „Elisabeth Bad“, zu errichten. Dafür sollen weitere, an seinen Besitz angrenzende Grundstücke erworben werden, die allesamt der Kirche gehören. Es gelingt ihm sogar, die Zustimmung der kirchlichen...

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