1. Motivation durch Wertschätzung: Das Konzept
Ich (Gary) saß mit einem Freund, der bezahlter Angestellter einer großen gemeinnützigen Organisation ist, in einem Restaurant. Gerade hatte ich ihm erzählt, dass Dr. White und ich an unserem Projekt Motivation durch Wertschätzung arbeiteten. Nachdem ich ihm einen kurzen Überblick gegeben hatte, fragte ich ihn: „Darf ich dir eine persönliche Frage zu deiner Arbeit stellen?“ – „Natürlich“, erwiderte er.
Ich fuhr fort: „Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie sehr fühlst du dich von deinem unmittelbaren Vorgesetzten anerkannt?“ – „Ungefähr 5“, sagte er. Ich meinte einen Anflug von Enttäuschung in seiner Stimme wahrnehmen zu können.
Dann schob ich noch eine weitere Frage nach. „Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie sehr fühlst du dich von deinen Kollegen anerkannt?“ – „Ungefähr 8, würde ich sagen“, lautete seine Antwort. „Mit wie vielen Menschen arbeitest du eng zusammen?“, frage ich nach. „Mit zwei“, erwiderte er. „Fühlst du dich von beiden gleich viel anerkannt?“, wollte ich wissen. „Nein“, meinte er. „Einen würde ich bei 6 einordnen, den anderen bei 9. Deshalb habe ich insgesamt 8 gesagt.“
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass einem Angestellten die Anerkennung seitens der Vorgesetzten doppelt so wichtig ist wie die seiner Kollegen.1 Die meisten von uns würden jedoch sagen, dass es das Leben viel angenehmer macht, wenn man auch von seinen Kollegen wertgeschätzt und anerkannt wird. Ob Sie nun Inhaber einer Firma sind, Geschäftsführer, Vorgesetzter oder einfacher Mitarbeiter, dieses Buch soll Ihnen helfen, Ihre Anerkennung gegenüber Mitarbeitern und Kollegen so zum Ausdruck zu bringen, dass sie den Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten, auch wirklich etwas bedeutet.
Warum ist es am Arbeitsplatz so ungeheuer wichtig, dass man sich anerkannt fühlt? Weil jeder von uns die Gewissheit haben will, dass das, was er tut, auch eine Bedeutung hat. Wer nicht das Gefühl hat, von Vorgesetzten oder Kollegen wertgeschätzt zu werden, wird sich bald wie eine Maschine oder ein Gebrauchsgut vorkommen. Wenn niemand bemerkt, wie sehr ein Mitarbeiter sich für das Unternehmen einsetzt, schwindet dessen Motivation mit der Zeit. Steven Covey, der Autor des Bestsellers Die 7 Wege zur Effektivität, hält es sogar für unabdingbar, dass das Bedürfnis eines Menschen nach Anerkennung gestillt wird. Er meint, gleich nach dem größten Bedürfnis eines Menschen, nämlich physisch zu überleben, komme das Bedürfnis, psychisch zu überleben, verstanden, bestätigt, für voll genommen und wertgeschätzt zu werden.2
Wenn Wertschätzung und Anerkennung im beruflichen Umfeld zu kurz kommen, sind die Ergebnisse vorhersehbar:
- Die Teammitglieder fühlen sich weder gegenseitig noch ihrer Aufgabe sonderlich verbunden.
- Die Mitarbeiter wirken entmutigt, weil sie glauben: „Es gibt immer mehr zu tun, aber niemand weiß richtig zu schätzen, was ich tue.“
- Häufig beginnen Angestellte irgendwann, sich über ihre Arbeit, ihre Kollegen und ihren Vorgesetzten zu beklagen.
- Schließlich erwägen die Mitarbeiter ernsthaft, ihre Firma zu verlassen, und schauen sich nach einer neuen Stelle um.
Warum ein einfaches „Dankeschön“ nicht genügt
Mitarbeitern und Kollegen zu verstehen zu geben, dass man ihre Arbeit schätzt, klingt zunächst sehr einfach. In vielerlei Hinsicht ist es das auch. Doch wir wissen, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen, wenn wir unsere Wertschätzung so zum Ausdruck bringen wollen, dass sie den anderen auch wirklich ermutigt.
Studien haben gezeigt, dass der Versuch, allen Mitarbeitern eines Betriebs ganz allgemein seine Anerkennung auszusprechen, nicht besonders effektiv ist. Wer zeigen möchte, dass er jemanden schätzt und anerkennt, und auch will, dass diese Botschaft richtig ankommt, muss sie auf den Empfänger zuschneiden und persönlich überbringen. Eine allgemeine Danksagung, die sich an die ganze Firma richtet, wird kaum Wirkung zeigen. Wir haben im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit Unternehmen sogar herausgefunden, dass dieser Schuss nach hinten losgehen und in der Belegschaft zu negativen Reaktionen führen kann. Jeder Mensch möchte, dass anerkennende Worte ehrlich gemeint sind. Deshalb sind Mitarbeiter Programmen gegenüber skeptisch, die von oben angeordnet worden sind und in deren Rahmen die Vorgesetzten angewiesen werden, „jedem Teammitglied wenigstens einmal pro Woche Anerkennung zu zollen“. Natürlich möchte jeder von uns wertgeschätzt werden, aber die Anerkennung muss authentisch sein und darf nicht gezwungen wirken.
Die Anerkennung muss dem Empfänger zudem etwas bedeuten, um irgendetwas zu bewirken. Diese Bedingung ist unmittelbar mit der Notwendigkeit verbunden, gezielt mit einzelnen Menschen zu kommunizieren. Genau wie dem Einzelnen vor dem Hintergrund familiärer Beziehungen eine bestimmte Sprache der Liebe besonders wichtig ist, hat er auch am Arbeitsplatz eine Sprache der Wertschätzung, die ihm besonders viel bedeutet.
Aus der Perspektive des Vorgesetzten liegt die Herausforderung darin, zu wissen, welche Verhaltensweisen ins Schwarze treffen und dem Mitarbeiter wirklich vermitteln, dass man seine Arbeit schätzt. Genau darum haben wir den MdW-Fragebogen entwickelt, zusammen mit speziellen „Handlungsanweisungen“ für jede einzelne Sprache der Wertschätzung. Wir wollten ein Werkzeug entwickeln, das Firmeninhabern und Angestellten mit Personalverantwortung genaue und auf den Einzelnen zugeschnittene Anweisungen an die Hand gibt, wie sie ihren Mitarbeitern ihre Anerkennung und Wertschätzung zeigen können, ohne erst lange herumraten zu müssen, welche Sprache der Wertschätzung dem Betreffenden am wichtigsten ist. Wie Buckingham und Clifton, die in ihrem Bestseller Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt! schreiben, braucht jeder erfolgreiche Manager eine entscheidende Zutat, wenn er Talente seiner Mitarbeiter in produktive Stärken verwandeln will. Ohne diese Zutat sind herausragende Ergebnisse niemals zu erzielen. Die Zutat heißt Individualisierung3.
Studien haben des Weiteren gezeigt, dass Arbeitnehmer eher ein Burnout bekommen, wenn sie sich nicht anerkannt fühlen oder von ihren Vorgesetzten nicht emotional unterstützt werden. Aufgrund des aktuellen Wirtschaftsklimas müssen heute viele Firmen Angestellte entlassen, Gehaltserhöhungen oder Ausgleichszahlungen werden seltener oder gar nicht mehr gewährt und von den Mitarbeitern wird mehr als jemals zuvor verlangt. Das sind genau die Voraussetzungen, unter denen Angestellte den Mut verlieren. Mehr Arbeit, weniger Unterstützung von anderen, kaum noch finanzielle Anreize und Zukunftsangst führen bei Arbeitnehmern zur Verunsicherung.
Wir sind auf viele Betriebe und Organisationen gestoßen, die nach Möglichkeiten suchen, ihre Mitarbeiter zu motivieren und für gute Arbeit zu belohnen, jedoch nicht mehr in der Lage sind, das mittels finanzieller Anreize zu leisten. Das gilt vor allem für Behörden, Schulen und Organisationen, die soziale Dienste leisten oder gemeinnützig arbeiten. Deren Leiter müssen nun kostengünstige Wege finden, um ihre Mitarbeiter zu motivieren und zu ermutigen.
Für alle, denen es ähnlich geht, gibt es gute Neuigkeiten. Wenn die Führungsebene sich aktiv bemüht, den Mitarbeitern ihre Wertschätzung zu zeigen, verbessert sich dadurch die gesamte Arbeitsplatzkultur und monetäre Anreize werden weniger wichtig. Letzten Endes werden sogar die Manager berichten, dass sie viel lieber zur Arbeit gehen als vorher. In einer Atmosphäre, in der Menschen anerkannt und wertgeschätzt werden, blüht jeder von uns auf.
Wenn Anerkennung nicht richtig ankommt
Wie bereits bemerkt, hat jeder von uns eine Sprache der Wertschätzung, die ihm am wichtigsten, und eine, die ihm am zweitwichtigsten ist. Die uns wichtigste Sprache berührt uns deutlich tiefer als die anderen. Zwar nehmen wir es immer zur Kenntnis, wenn uns jemand in irgendeiner der fünf Sprachen Anerkennung zollt, aber wirklich ermutigt und motiviert fühlen wir uns nur, wenn es in der Sprache geschieht, die uns am meisten bedeutet. Wenn jemand uns wiederholt Botschaften zukommen lässt, die nicht in dieser Sprache abgefasst sind, kommen sie nicht richtig an und zeigen nicht die Wirkung, die sich der Absender erhofft hat.
Wir alle neigen dazu, mit anderen auf die Art und Weise zu kommunizieren, die uns selbst am meisten bedeutet – wir „sprechen unsere eigene Sprache“. Wenn das aber nun nicht die Sprache des Mitarbeiters ist, dem Sie Ihre Wertschätzung zeigen möchten, bedeutet es ihm wahrscheinlich nicht dasselbe wie Ihnen. Genau darum spricht es viele Arbeitnehmer überhaupt nicht an, wenn sie im Rahmen einer alljährlichen Aktion ausgezeichnet werden – das ist einfach nicht die von ihnen bevorzugte Sprache der Wertschätzung.
Ellen zum Beispiel kann in ihrer Abteilung die besten Verkaufszahlen und Bewertungen im Kundendienst vorweisen. Bei den vierteljährlichen Personalzusammenkünften wird sie immer nach vorne gerufen, um eine Belohnung in Empfang zu nehmen. Für Ellen ist das eine Qual. Nichts hasst sie mehr, als vor einer Gruppe im Scheinwerferlicht zu stehen. Dagegen würde sie es zu schätzen wissen, wenn sich ihr Vorgesetzter regelmäßig mit ihr zusammensetzen würde, damit sie ihm ihre Ideen zur Verbesserung des Kundendienstes darlegen könnte. Die für sie wichtigste Sprache der Wertschätzung ist es, sich für sie Zeit zu nehmen. Lob und Anerkennung dagegen bedeuten ihr kaum etwas. Ein Lob vor versammelter Mannschaft ist...